Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2006

Spalte:

501–504

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Brown, William P.

Titel/Untertitel:

Seeing the Psalms. A Theology of Metaphor.



Verlag:

Louisville-London: Westminster John Knox Press 2002. XIV, 274 S. m. 21 Abb. gr.8°. Kart. US$ 24,95. ISBN 0-664-22502-0.



Rezensent:

Bernd Janowski

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Seybold, Klaus: Poetik der Psalmen. Stuttgart: Kohlhammer 2003. 407 S. gr.8° = Poetologische Studien zum Alten Testament, 1. Geb. Euro 40,00. ISBN 3-17-017895-4.

Terrien, Samuel: The Psalms. Strophic Structure and Theological Commentary. Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2003. XX, 971 S. gr.8° = The Eerdmans Critical Commentary. Lw. US$ 95,00. ISBN 0-8028-2605-9.


Seit O. Keels wegweisendem Hand- und Studienbuch »Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament. Am Beispiel der Psalmen«, das seit 1972 in mehreren, immer wieder erweiterten Auflagen erschienen ist (zuletzt als Studienausgabe, Göttingen, 5. Aufl. 1996), hat die Psalmenforschung die Ikonographie des Alten Orients und Ägyptens nicht nur als Quelle der religiösen Symbolsysteme dieser Kulturen schätzen, sondern auch die Bildsprache der Psalmen ernst zu nehmen gelernt. In dem Maße, wie die altorientalischen und ägyptischen Bildquellen nicht mehr zum vordergründigen Illustrationsmaterial theologischer Sachverhalte degradiert wurden bzw. werden konnten, rückten auch die für die Psalmen typischen Sprachformen von Vergleich und Metapher in den Rang eigentlicher theologischer, anthropologischer oder kosmologischer Rede auf, die einen kulturell fremden und chronologisch abständigen Sachverhalt nicht einfach ästhetisch ausschmückt, sondern Ausdruck eines Wirklichkeitsverständnisses ist, das man als »religiöse Daseinsaneignung« (H.-P. Müller) bezeichnen kann. Wie man dieses Wirklichkeitsverständnis methodisch erschließt und für die Interpretation der Texte fruchtbar macht, ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten intensiv erörtert worden.

In diesen Diskussionszusammenhang gehört auch das Buch des am Union Theological Seminary in Virginia lehrenden Alttestamentlers William P. Brown, das im nordamerikanischen Kontext das wichtigste Werk zur Poetik der Psalmen seit J. Kugels, The Idea of Biblical Poetry. Parallelism and its History, New Haven-London 1981, sein dürfte. Wie bereits der Titel »Seeing (nicht: Reading) the Psalms« andeutet, intendiert B. eine Verbindung von analytischer Textexegese mit poetischer Sensibilität und theologischem Sachurteil. Anders als in der traditionellen Formgeschichte seit H. Gunkel üblich zeigt er, wie bestimmte Metaphern ein dichtes Netz aus verwandten Bildern knüpfen, das dem Psalter formale Struktur und sachliche Kohärenz verleiht.

Anhand der Begriffe »Iconic Metaphor« und »Poetic Imagination« werden die Prinzipien dieser »Poetics of the Psalmic Imagination« zunächst in der Einleitung (1­14) dargelegt und ihre Bedeutung für die gegenwärtige Theologie reflektiert. Darauf aufbauend entwirft B. in acht Kapiteln »A Theology of Metaphor«, indem er bestimmte, für die Psalmen charakteristische Metaphern(komplexe) untersucht: 1. »ðIn the Shadow of Shaddai.Ð The Metaphor of Refuge« (15­30), mit einer Analyse der Metaphorik der Zuflucht (Fels, Flügel, Tempel, Zion u. a., s. dazu jetzt F. Hartenstein, Das »Angesicht JHWHs«. Studien zu seinem höfischen und kultischen Hintergrund in den Psalmen und in Exodus 32­34, FAT, 2006); 2. »ðI Shall Walk in Freedom.Ð The Metaphor of Pathway« (31­53), mit einer Analyse der Wegmetaphorik (Weg der Tora: Ps 119, Weisheit und Tora, Path of Peril and Salvation, Habit and Habitation u. a.); 3. »The Transplanted Tree. Psalm 1 and the Psalter¹s Threshold« (55­79), mit einer Analyse von Ps 1, die anhand der Baummetaphorik (ikonographische Parallelen 61 ff.) dessen Funktion, das ðTor zum PsalterÐ zu sein, untersucht (vgl. zusammenfassend 78 f.; ob allerdings sa-tûl in Ps 1,3 mit »verpflanzt« statt mit »gepflanzt« wiederzugeben ist, möchte ich bezweifeln); 4. »The Sun of Righteousness. Psalm 19 and the Joy of Lex« (81­103), mit einer Diskussion zur Solarisierung JHWHs (ikonographisches Material 86 ff.) und zur Lichtmetaphorik (s. zur Sache jetzt auch A. Grund, »Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes«. Psalm 19 im Kontext der nachexilischen Toraweisheit, WMANT 193, 2004); 5. »The Voice of Many Waters. From Chaos to Community« (105­134), mit einer Analyse der Bilder des Ertrinkens, der Parallelität von Wasser und Feinden, der Wassersemantik des Kummers und der Gegenbilder des Vertrocknens, der Metaphorik der Erfrischung (God as Water, Forgiveness as Cleansing) u. a.; 6. »The Song of Leviathan. God¹s Theatre of Praise« (135­166), mit einer Darstellung der Tiermetaphorik (Tiere als Feinde, Beter/Gott als Tier), der Rolle der Tiere im Schöpfungskontext (Ps 104: 158 ff.) und im Schlusshallel (Ps 148: 162 ff.); 7. »ðOn You I Was Cast from My BirthÐ. The Anatomy of a Personal God« (167­195), mit einer Analyse der anthropomorphen (Auge, Ohr, Angesicht, Hand, Mund, Stimme, Atem Gottes) und rollengebundenen bzw. sozial konnotierten Gottesbildern (König, Krieger, Vater/Mutter, Lehrer) und 8. »ðAs the Moutains Surround Jerusalem.Ð Mapping the Divine« (197­206), mit einer Zusammenstellung der »unpersönlichen«, d. h. der Natur- und Kulturwelt entstammenden Gottesmetaphern wie Licht, Schild, Schatten, Berg, Quelle, Anteil und Becher (s. dazu jetzt auch K. Liess, Der Weg des Lebens. Psalm 16 und das Lebens- und Todesverständnis der Individualpsalmen, FAT II/5, 2004). Den Schluss dieser materialreichen und ansprechend gestalteten Monographie zur Metaphorik der Psalmen bilden eine knappe »Defense of Iconic Reflection. The Case of Psalm 139« (207­215) sowie ein Stellen-, Autoren- und Sachregister (263­274).

Deutlich anders in Zuschnitt und Themenwahl gibt sich demgegenüber die eine Reihe »Poetologischer Studien zum Alten Testament« eröffnende »Poetik der Psalmen« des Basler Alttestamentlers Klaus Seybold, der nicht nur einen bedeutenden Psalmenkommentar (HAT I/15, 1996) und eine verbreitete Einführung in die Psalmen (UB 382, 1986/21991), sondern auch zahlreiche Einzelstudien zum Psalter und zu den Psalmen vorgelegt hat. S. will dazu anleiten, in den Psalter wie »in ein Museum (einzutreten), in dem antike Kostbarkeiten begegnen. Doch deren Bedeutung erschließt sich nicht auf den ersten Blick, und vor allem dann nicht, wenn man bereits glaubt zu wissen, um was es sich handelt. Denn es sind zumeist schwer verständliche Texte, die ihren Sinn ­ wenn überhaupt ­ erst bei eingehender Bemühung freigeben« (11). Welche Früchte solche »Bemühungen« zeitigen, kann man in diesem Buch in aller Ausführlichkeit besichtigen, das, weil es die sprachliche Schönheit, den gedanklichen Reichtum und die religiöse Tiefe der Psalmen auszuloten unternimmt, so etwas wie eine Summe der Psalmen-Poetik darstellt.

S. eröffnet seine in fünf Teile gegliederte Darstellung mit einer methodologischen Einleitung (13­27), die den bisherigen Gang der Forschung resümiert und die verwendeten poetologischen Grundbegriffe und methodischen Aspekte erläutert. In Teil I: Die Überlieferung (29­81) werden zunächst »Die Geschichte der Psalmendichtung« (29­46), d. h. die Entstehung des Psalters (Literaturgeschichte) und die Sprache der Psalmen (Linguistik und Grammatik), sowie »Die Organisation des Sprachmaterials« (47­81), d. h. die spezifischen Sprachformen (Statistik und Stilistik) und das überlieferte Schriftbild (Stichographie, mit einem Exkurs zum Sela: 80 f.), vorgestellt. Wie auch sonst im Buch werden die jeweiligen Ausführungen immer wieder an besonders geeigneten Textbeispielen verdeutlicht. Teil II: Satzstil und Versbildung (83­159) geht sodann auf den Versbau (83­127: parallelismus membrorum u. a.) und Versklang (128­159: Metrum, Rhythmus, Klanggestalt) ein, wobei S. durchgehend ein intensives Gespräch mit der Forschung führt (s. als Beispiele 83 ff. 102 ff. 123 ff.). Sehr interessant sind dabei seine Beobachtungen zu besonderen Klangeffekten wie die lautliche Nachahmung von Tönen und Geräuschen (Onomatopöie/Lautmalerei: Ps 46,4 oder 65,8) oder die Dominanz des Leittons/-klangs auf /a/ (Ps 13,2 f. oder 82). Teil III: Textplanung und Textgestaltung (161­263), schon umfangmäßig der ausführlichste Abschnitt, wechselt von der Ebene des Satzes und Verses zur Ebene des Textes und beschreibt in drei Kapiteln die Textstruktur, d. h. die Typik und Strophik (161­192: Psalmengattungen, Strophenbildung u.a.), die Textwelt, d. h. die Metaphorik und Perspektivik (193­227: Sprachbilder, Bildvergleiche; Blickrichtung, räumliche/zeitliche Perspektivierung u. a.), sowie den Textsinn, d. h. die Formatik und Thematik (228­263: Psalmen als sprachliche Kunstwerke, logische/theologische Aussageverläufe u. a.). In Teil IV: Textausrichtung und Textverwendung (265­326) beschreibt S. ausgewählte Stilformen der Rhetorik, d. h. fest geprägte Redefiguren (wie »Verlust eines Verehrers« in Ps 6,6; 30,10; 88,11­13 u. a.), und der Pragmatik (wie Stilformen des Betens, Berichtens, Preisens, mit einem Exkurs zur Lobformel hallelu JH: 302 f.) u. a., um schließlich noch zum dramatischen und musikalischen Profil einzelner Psalmen Stellung zu nehmen.

Wie die Überschrift von Teil V: Textverarbeitung und Textsammlung (327­374) zeigt, beschließt S. seine Darstellung mit Ausführungen zur Komposition und Edition des Psalters und greift damit Ergebnisse und Perspektiven auf, die in den letzten Jahren im Zentrum der Psalmenforschung standen. Besonders hinzuweisen ist dabei auf die Überlegungen zur Gesamtcharakteristik des Psalters (364 ff.), d. h. zu seiner Gattung, zu seiner Fünfteilung, zu seinem Gesamtprofil (Blocksystem, David-Sammlungen, Bogen- oder Klammersystem), zu seiner architektonischen und theologischen Grundidee (s. die zusammenfassenden Bemerkungen 373!) und zum sog. Qumran-Psalter. S.s »Poetik der Psalmen«, die man mit Fug und Recht als Standardwerk der Psalmen- und Psalterexegese bezeichnen kann und deren Gedankenreichtum durch ein ausführliches Stellen- und Sachregister (395­407) erschlossen wird, klingt mit einem Nachwort zur Ästhetik der Psalmen (375­377) aus, das noch einmal unterstreicht, worauf es S. ankommt, nämlich in den Psalmen »Sprachschöpfungen des Glaubens« (376) zu sehen und diese mit den Mitteln einer einfühlsamen Textanalyse auch sichtbar zu machen.

Das dritte hier zu besprechende Werk, ein fast 1000 Seiten umfassender Kommentar aller 150 Psalmen, stammt aus der Feder des ehemaligen New Yorker Alttestamentlers Samuel Terrien (1911­2002), der besonders durch seine Monographie »The Elusive Presence: Toward a New Biblical Theology«, San Francisco-New York 1978/1983, und durch mehrere Studien zum Buch Hiob bekannt geworden ist. Nach einer kompakten »Introduction« (1­65) zu den üblichen Einleitungsfragen wie »Ancient Near Eastern Background« (6­9), »Origins of the Psalms« (10­15), »Growth of the Psalter« (16­24), »The Hebrew Text and the Ancient Versions« (24­26), »The Music of the Psalms« (26­36), »Strophic Structure« (36­41), »Literary Genres« (Gattungen: 41­44), »The Theology of the Psalms« (44­62: »God¹s Presence and Absence«, »The Creator of Nature«, »The Sovereign of History«, »The Judge of the Enemies«, »The Master of Wisdom«, »The Lord of Life«, »Theology and Doxology«) und »The Psalms and the New Testament« (62­64) beginnt T. mit seiner Kommentierung, die gemäß dem Untertitel »Strophic Structure and Theological Commentary« sehr übersichtlich, um nicht zu sagen: schematisch aufgebaut ist: Auf eine kolometrisch und strophisch angeordnete Übersetzung (zum Teil mit Zwischenüberschriften), eine Bibliographie und eine Formbestimmung folgen jeweils eine strophenweise Auslegung (»Commentary«) und eine zusammenfassende theologische Interpretation (»Date and Theology«), die­ mehr oder weniger überzeugend ­ immer wieder eine Verbindung zwischen der »archaic language (sc. der Psalmen) and the intellectual demands of modern thinking and spirituality« (XIII) herzustellen versucht. Allzu oft tritt hier die Emphase an die Stelle der Analyse, was häufig zu ausgesprochenen Merkwürdigkeiten und überhasteten theologischen Urteilen führt.

Die (wenigen) Vorzüge und (vielen) Nachteile dieses, trotz seines Umfangs doch erstaunlich wenig ergiebigen Kommentars werden schnell deutlich. Positiv hervorzuheben ist vor allem die Tatsache, dass T. in der Regel am überlieferten hebräischen Text festhält und diesen nicht, wie früher weitgehend üblich, durch Konjekturen, Umstellungen u. a. ðverschlimmbessertÐ. Kritisch anzumerken ist dagegen, dass er es versäumt, die Komposition der Psalmen herauszuarbeiten und sich statt dessen mit der postulierten strophischen Gliederung begnügt, die allerdings nie begründet wird. Auch sonst fehlt es durchgehend an Begründungen, etwa von Datierungen oder von formgeschichtlichen Hypothesen. Nicht akzeptabel sind schließlich die fehlende Auseinandersetzung mit der Forschung (die doch in der Bibliographie dokumentiert wird!) und vor allem der Verzicht auf die Beschreibung des literarischen und theologischen Profils der Teilsammlungen wie des Gesamtpsalters. So bleibt dieser Kommentar weit hinter den Erwartungen zurück, die der hymnische Klappentext weckt und die man an einen Autor von diesem Format eigentlich haben konnte.