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Ausgabe:

März/2006

Spalte:

299 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Höhne, Hans

Titel/Untertitel:

Johan Melchior Goeze. Stationen einer Streiterkarriere.

Verlag:

Münster: LIT 2004. 279 S. gr.8° = Vergessene Theologen, 3. Kart. € 24,90. ISBN 3-8258-7784-1.

Rezensent:

Volker Leppin

Die literarische Form der »Rettung«, die Lessing so souverän beherrschte, kommt nun offenbar seinem berühmtesten Gegner, dem Hamburger Hauptpastor Johan Melchior Goeze, zu gute: Ihm, der immerhin zu den wenigen Pastoren gehört, die die Chance haben, noch heute im Deutschunterricht behandelt zu werden, wird ein Band der Reihe »Vergessene Theologen« gewidmet.
Der Autor der Studie, Hans Höhne, weiß, dass eine Neubewertung Goezes schon seit etwa 20 Jahren im Gang ist. Als durchschlagend können hier die Sammelbände von Reinitzer und Sparn aus den 80er Jahren gelten, an denen H. selbst als Autor beteiligt war: Goeze erscheint keineswegs mehr ausschließlich als anachronistisch verbohrt, sondern als ein Gelehrter, der vor allem durch sein Studium bei Baumgarten schon früh nach rationaler Vermittlung der Theologie gesucht hat und die durch die Aufklärung für die Orthodoxie gegebene Herausforderung vor diesem Hintergrund annimmt.
H. stellt die theologischen Streitigkeiten Goezes dar, verzichtet also bewusst darauf, alle Auseinandersetzungen, in die sich der streitbare Hauptpastor begeben hat, darstellen zu wollen. Besondere Aufmerksamkeit verdienen dabei neben dem allfälligen Fragmentenstreit sicher der Streit mit Schlosser um das Theater und die Auseinandersetzungen mit Basedow oder die mit Carl Friedrich Bahrdt, doch sind auch die Dispute um die Bekenntnisschriften und um die verbotenen Ehen von theologischem und zum Teil sozialhistorischem Interesse. – Die Inhalte der Streitigkeiten werden in der Regel in Paraphrasen referiert, gelegentlich auch in langen wörtlichen Zitaten wiedergegeben. Vereinzelt finden sich analytische Hinweise, die dann besonders Goezes Streittechnik in den Blick nehmen, etwa die allmähliche Entwicklung von der Stellungnahme in der Predigt zur Veröffentlichung der Predigten im Streit mit Basedow, die H. wohl zu Recht in dem Sinne deutet, Goeze habe hier zunächst seine Gemeinde stabilisieren wollen (95). Der von den dramatischen Bemühungen Pastor Johann Ludwig Schlossers ausgelöste Streit über das Hamburger Theater zeigt Goeze hingegen als einen Hamburger Senior, der seine Möglichkeit zur Durchsetzung von Positionen überschätzt (148) – die Niederlegung des Seniorats 1770 hing zwar nicht unmittelbar mit diesem Streit zusammen, wird durch ihn aber zusätzlich verständlich.
H. ist im Zusammenhang der Auseinandersetzung um die Bekenntnisschriften und um Bahrdt bemüht, Goeze von dem Vorwurf, bei theologischen Streitigkeiten im Zweifelsfall auf die Obrigkeit zu setzen, freizusprechen. An dieser Stelle wären sicher noch zahlreiche Studien über das Zusammenwirken von pastoraler Gewalt, Medien und lokalen Behörden nötig, um zu einem differenzierten Bild ohne moralischen Vorwurf und moralische Apologie zu kommen.
Das wohl spannendste Material findet sich in dem Abschnitt zum Streit über die verbotenen Ehen, weniger wegen Goeze selbst als wegen des Umfeldes, an dem sich zeigt, dass tradierte Ehenormen – es ging um den Rahmen rechtlich zulässiger Wiederverheiratungen von Witwern – im Zuge des 18. Jh.s ins Wanken gerieten, während Goeze selbst derjenige war, der hiervon nichts wissen wollte: Er verweigerte Eheschließungen, zu denen in Vergleichsfällen Kollegen in Hamburg ihre Zustimmung gaben. Auch wenn H. zu Recht betont, dass Goeze nicht durch Lessings Brille wahrgenommen werden soll: Der Fragmentenstreit ruft natürlich besonderes Interesse in einem solchen Buch hervor. Hier allerdings ist angesichts der reichen vorliegenden Forschung das gewählte, weitgehend referierende Verfahren unbefriedigend. Gerade eine stärkere Analyse der Goezeschen Position wäre dabei durchaus wünschenswert: Die Aufforderung, auch diesen Streit einmal aus Goezes Warte darzustellen, die interessant und wichtig ist, gewinnt durch den Darstellungsstil wenig Kontur.
Das gilt dann auch für das Buch insgesamt: Es eignet sich dazu, sich mit einschlägigem Material vertraut zu machen. Die analytische Forschung zu Goeze wird sich dann dieses Material zu Eigen machen und einer konzisen Deutung zuführen müssen. Dann wird man auch überlegen können, ob Goeze gerettet werden muss und kann.