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Ausgabe:

Februar/2006

Spalte:

186–189

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Barth, Karl

Titel/Untertitel:

Briefe des Jahres 1933. Hrsg. v. E. Busch unter Mitarbeit v. B. Haase u. B. Schenk.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2004. 683 S. 8°. Kart. € 30,00. ISBN 3-290-17318-6.

Rezensent:

Ernstpeter Maurer

Der Band vereinigt fast alle Briefe, die Karl Barth im Laufe des bewegten Jahres 1933 geschrieben hat. Es kommen noch Briefe Charlotte von Kirschbaums hinzu, die teils in Barths Auftrag verfasst wurden, teils an Hellmut Traub und an die Freundin Erica Küppers adressiert sind, die eine Dissertation bei Barth geplant hatte. Es fehlen sehr persönliche Briefe sowie einige Briefe, die im Briefwechsel Barth-Thurneysen bereits ediert wurden. Der Spannungsbogen reicht von einer drastischen Fehleinschätzung am Anfang – Barth schreibt am 1. Februar an seine Mutter: »Ich glaube nicht, daß dies in irgend einer Richtung den Anbruch großer Neuigkeiten bedeuten wird. Deutschland ist nach innen und außen ein viel zu schwer beweglicher Körper, als daß sich durch solche Bewegungen in der Fassade etwas Wesentliches verändern könnte.« (49, Brief 21) – bis zur alarmierenden Botschaft Charlotte von Kirschbaums an Hellmut Traub (Brief 344 vom 31. Dezember): »Karl Barths Entlassung scheint in Berlin beschlossene Sache.« (595)
1. Barth muss sich seit der Machtübernahme Gedanken über seine Stellung als Beamter im Nazi-Deutschland machen. Dazu gehört vor allem die Frage nach der SPD-Parteimitgliedschaft. Gegenüber Paul Tillich führt Barth differenziert aus, dass er die sozialdemokratische Option nicht als Bekenntnis zum Sozialis mus auffasst, sondern als »praktische politische Entscheidung« (108), aber eben darum auch keine Einschränkung dieser Entscheidungsfreiheit akzeptieren kann. So wird das scheinbare Adiaphoron zur signifikanten Grenze gegenüber einem totalitären Anspruch (Brief 59 an Paul Tillich vom 2. April). Barth unterscheidet zwischen theologischer Sachlichkeit als Bedingung seiner akademischen Tätigkeit und einer solchen politischen Entscheidung auch in einem Schreiben an den Kultusminister Bernhard Rust (Brief 62 vom 4. April, vgl. 113) und besteht auf seiner Parteizugehörigkeit, was zunächst von Berlin aus günstig beschieden wird. Die subtile Unterscheidung zwischen der Distanz des Glaubens gegenüber allen Ideologien und der darin begründeten Freiheit zur praktisch-politischen Verantwortung betont Barth immer wieder (vgl. Brief 74 an Pfarrer Erhardt vom 16. April). Es ist ihm allerdings bewusst, dass spätestens mit der staatlicherseits vollzogenen Privilegierung der Deutschen Christen jede theologische Kritik in dieser Richtung – und somit auch eine Schrift wie »Theologische Existenz heute« – als Widerspruch gegen die Staatsregierung verstanden werden könnte (vgl. Brief 126, das Begleitschreiben vom 1. Juli, mit dem Barth die Schrift an den Minister Rust übersendet). – Auch den Hitlergruß stuft Barth als Adiaphoron ein, aber eben diese Einstufung ist ihm wichtig (vgl. 514, Brief 290 an Karl Gerhard Steck vom 17. November). Es kommt dann kurz vor Weih nachten doch endlich zu einer Aufforderung des Rektors, und Barth beschwert sich beim Kultusminister (Brief 333 vom 16. Dezember). Barth lehnt es ausdrücklich nicht ab, zu anderen Gelegenheiten diesen Gruß zu vollziehen, wohl aber im theologischen Zusammenhang, weil der Totalitätsanspruch der Volkseinheit seine Grenze am Evangelium finden muss (vgl. 578).
2. Die Lage der Kirche wird facettenreich kommentiert, zu mal Barth immer wieder zu Beratungen herangezogen wird. Allerdings macht sich schon bald seine grundsätzliche Unzufriedenheit bemerkbar: »Ich bin bis jetzt noch auf keine Verlautbarung auch und gerade der gegen die ›deutschen Christen‹ sich abhebenden Kirchenbewegung gestoßen, die nicht charakterisiert gewesen wäre durch ein all den noch so tapfern und kirchenreinlichen Darlegungen vorangehendes Grundbekenntnis zu der Notwendigkeit, Rechtmäßigkeit, Erfreulichkeit und womöglich … auch christlichen Erheblichkeit der seit dem 30.Januar vollzogenen politischen Entwicklung.« (174) Damit wird eine Klammer gesetzt, die alles andere unglaubwürdig macht (Brief 84 an Georg Merz vom 29. April). Tatsächlich kommt es zunächst auch innerhalb der kirchlichen Gegenbewegung zur ernsthaften Diskussion des Führerprinzips »Die Idee dieses Bischofs stammt in der augenblicklichen Lage zweifellos aus der Ideologie der unsinnigen und verruchten Sekte der sog. deutschen Christen. Sie ist als solche, kaum getarnt, identisch mit der derzeit grassierenden politischen Führeridee.« (228, Brief 108 an Karl Gerhard Steck vom 28. Mai). Jesus Christus regiert die Kirche durch das Apostelamt, das aber nicht übertragbar ist und letztlich auf die Heilige Schrift übergeht. Das also ist die konkrete Gestalt der Herrschaft Jesu Christi über die Kirche. Dazu gehört durchaus auch die Einheit der Kirche, d. h. die Souveränität der einzelnen Gemeinde ist begrenzt durch ihr Zusammensein als Kirche mit anderen Kirchen (vgl. 243, Brief 113 an Wilhelm Loew vom 1. Juni).
Barth »lehnt es ab, daß die Sorge um den Bestand der Kirche, wenn es sich wirklich noch um Kirche handeln soll, abhängig gemacht wird von dem Kampf um eine Führergestalt, und sei es auch die Gestalt eines Bodelschwingh.« (260) So spitzt sich sein Misstrauen auch gegen die Führer der kirchlichen Opposition umso mehr zu, je deutlicher sie das theologische Anliegen zu rückstellen um strategischer Ziele willen (vgl. 261, Brief 121 von Charlotte von Kirschbaum an Heinz Otten vom 17. Juni). In der grundsätzlichen Ablehnung jeder natürlichen Theologie sieht sich Barth zunehmend isoliert. Diese Einsamkeit ist ein erschütterndes Motiv in der ganzen Sammlung. Vgl. etwa Brief 183 an Thurneysen (25. August): »Ich frage mich immer wieder, ob denn nicht ich einfach ein wahnsinniger, unbarmherziger Setzkopf bin, daß ich den Frieden so gar nicht schließen kann, … der offenbar überall, wo er hinkommt, so etwas wie eine Schwefelwolke hinter sich zurückläßt?« (350) In diesem Zusammenhang zeichnet sich auch immer deutlicher die Distanz zu Georg Merz ab, die schließlich das Ende von »Zwischen den Zeiten« herbeiführen wird (vgl. etwa Brief 80 an Georg Merz vom 21. April).
Für Barth bleibt es wichtig, das Glaubensbekenntnis prinzipiell von politischen Optionen zu unterscheiden. Daher kritisiert er einen Vikar, der innerhalb der Predigt Kritik an den deutschen Christen geübt hatte und daher zu einem Widerruf genötigt wurde. Barth rät ihm zu diesem Widerruf (Brief 251 an Vikar Reinhard Busch vom 19. Oktober): »Sie haben sich nach meinem Empfinden z. B. Hitler viel zu nahe auf den Leib rücken lassen und sind nun in Ihrer Bestreitung Hitlers selbst ein wenig hitlerisch geworden.« (456) So erklärt sich die makabre Ironie, mit der Barth einen Brief an Fritz Lieb (Brief 185 vom 29. August) mit »Siegheil« (355) und einen Brief an den Sohn Markus (Brief 199 vom 11. September) sogar mit »Heil Hitler!« (383) unterzeichnet. Sehr schön auch Brief 277 an Wilhelm Niesel (10. November): »Kennen Sie das neue Dogma von der Realrotation-Luthers in seinem Grabe anläßlich der Wittenberger Nationalsynode?« (495)
Die Frage nach dem angemessenen Verhältnis zum Judentum bewegt Barth schon zu Beginn des Jahres (Brief 36 an Hans-Joachim Schoeps vom 17. Februar). Gerade weil die Kirche die Sinai-Offenbarung in Christus aufgehoben sieht, »wird sie mit dem, was heute noch als Synagoge … lebt, für alle Zeiten verbunden sein – in einer Gemeinschaft, wie sie zwischen keinen zwei andern ›Religionen‹ möglich ist« (66). »Eine systematische Theologie des Judentums auch und gerade ›in dieser Zeit‹ muß ja wohl in dem Nachweis gipfeln, daß Jesus gekreuzigt werden mußte.« (69) Bemerkenswert ist Barths Vermögen, den scharfen Gegensatz ohne jeden Beiklang von Antisemitismus oder Anti judais mus innerhalb einer tiefen Verbundenheit auszusprechen. Damit relativiert er später auch den deutschen Nationalismus, den er (gleichsam in europäischen Maßen) auch den Deutschen zubilligen könnte: »Als ob es ausgerechnet den Juden gegenüber um die eigensinnige Frage der Rasse gehen könnte! Als ob uns dieses unheimliche Volk dazu unter die Nase gesetzt wäre, unsres bißchen arischen Blutes so recht froh und stolz zu sein!« (365, Brief 187 an Mechthild Dallmann vom 1. September) Daher hält Barth auch nichts von einer Separation der Judenchristen, allerdings stimmt er H. A. Hesse darin zu, dass diese Frage unbedingt erörtert werden muss – aber erst, wenn »das ganze Gewäsch über den arischen und nichtarischen Menschen einmal verstummt« ist (397, Brief 210 vom 19. September).
Es kommt gegen Ende des Jahres zu Spannungen zwischen Barth und dem Brüderrat des Pfarrer-Notbundes. Pfarrer Jacobi in Berlin bittet Barth mehrfach um theologische Rückende ckung. Ein Treffen in Berlin wird von Charlotte von Kirschbaum (Brief 299 an Karl Gerhard Steck und Hellmut Traub vom 18./19. November) schonungslos dargestellt. Es geht um die Reaktion auf die Sportpalast-Vorgänge und die Versuche, die deutschchristliche Kirchenführung zu stürzen. Insbesondere Niemöller rückt dabei in ein seltsames Zwielicht: »Karl Barth warnte ihn: er dränge auf eine Freikirche, und das dürfe noch nicht geschehen.« (526) »Da muß ein grundsätzliches Wort hinein; sonst gleitet die ganze Sache in eine kirchenpolitische Aktion ab.« (527) Die Barth gegenüber widerstrebende und feindselige Haltung Niemöllers findet ihren Reflex auch an anderen Stellen (Barth warnt Karl Gerhard Steck vor dem Brüderrat, vgl. 515, Brief 290 vom 17. November).
3. In der ersten Jahreshälfte spitzt sich die Ehekrise zu, so dass sich auch dazu Briefe finden, in denen die Zwangslage der drei Beteiligten hervortritt. Barth drängt auf eine Scheidung. Er sieht in einem solchen Schritt eine Befreiung und erwartet das auch für Nelly. Dabei denkt Barth noch daran, dass Nelly mit den kleineren Kindern und der Tochter Franziska in die Schweiz geht, so dass auch nach außen hin die Trennung nicht als Scheidung dramatisiert wird (Brief 64 an Nelly Barth vom 5. April). Die Ehe scheint bereits tief gestört gewesen zu sein, bevor Charlotte von Kirschbaum in Barths Leben trat. »Es war doch einfach so, dass Karl mir schon im Jahr 1925 begegnete als ein völlig einsamer Mann, der aus diesem seinem Alleinsein heraus mir rief« (195, Brief 91 von Charlotte von Kirschbaum an Anna Barth vom 4. Mai). Barth will die Scheidung jedenfalls besonders gestalten: »Auch eine geschiedene Ehe bleibt Ehe. Wie sollte ein Richter daran etwas ändern können?« (166) Also eine Ehescheidung im Bewusstsein, einander freizugeben »zum äußern Auseinandergehen im Bewußtsein der bleibenden Verantwortlichkeit füreinander« (166, Brief 82 vom 22. April, an Stoevesandts, die sich beide für eine Fortsetzung der Ehe ausgesprochen hatten).
Die Briefe sind spannend und oft erschütternd zu lesen. Beigegeben sind ausführliche Anhänge, eine Zeittafel sowie informative Register.