Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2004

Spalte:

299 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Senger, Hans Gerhard:

Titel/Untertitel:

Ludus Sapientiae. Studien zum Werk und zur Wirkungsgeschichte des Nikolaus von Kues.

Verlag:

Leiden-Boston-Köln: Brill 2002. X, 411 S. m. Abb. gr.8 = Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters, 78. Geb. Euro 117,00. ISBN 90-04-12081-5.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Anlässlich des 600. Geburtstages 2001 von Nikolaus von Kues (= NvK) hat Senger 16 Aufsätze - zumeist Vorträge - zusammengestellt, die vor allem dem bedeutenden deutschen Renaissancegelehrten gewidmet sind. Mit diesem Aufsatzband machte sich der Vf. auch selbst das wohl schönste Geschenk zu seinem 65. Geburtstag im selben Jahr (was unerwähnt bleibt). Der Cusanus-Forschung ist er bestens sowohl als Editor als auch als Interpret seiner Werke bekannt. In der wissenschaftlichen Heidelberger Ausgabe der Werke von NvK hat er allein fünf Bände mustergültig ediert, dazu vier Bände der zweisprachigen Ausgabe in der Philosophischen Bibliothek. Sie fallen durch ihre gewissenhafte Kommentierung auf.

Von den hier vorgelegten Beiträgen waren drei bisher unveröffentlicht. Die bereits veröffentlichten hat der Autor teilweise mit Ergänzungen versehen. Man liest sie erneut mit Gewinn.

Einleitend stellt der Vf. NvK in seiner Zeit dar (3-15) und gewährt einen Einblick in die ganz unterschiedliche Wertung, die er von Zeitgenossen erfuhr; den einen ist er der "Idealtyp des Renaissancehumanismus", ein anderer meint: "Ich weiß nicht, ob ich je zu Lebzeiten auch nur einen so verderblichen Schreiberling gesehen habe ...".

In den Studien zu seinem Werk (17-194) widmet der Vf. einen Beitrag der "Allumfassende[n] Eintracht" in De concordantia catholica. NvK hat dieses frühe, für die Kirchen- und Reichsreform wichtige Werk später offenbar nicht mehr geliebt und nicht in die Sammlung seiner Werke aufgenommen. Der Vf. sieht es gegliedert im traditionellen Denkmodell einer "Organismusanalogie" (20): NvK versteht die Kirche als eine, "die jedoch eine Kirche der Vielen ist mit einem natürlichen Stufengefälle" (22). "In Konkordanz und Konsens getroffene Konzilsentscheidungen erhalten so eine Qualität, die über menschliche Legitimation hinaus göttliche Legitimation aufweist, weil Urheber von Friede und Eintracht der Heilige Geist selbst ist " (26). Daneben tritt die Repräsentanz als drittes Kriterium; auch sie ist gestuft strukturiert. Doch sind Entscheidungen des Universalkonzils auch für den Papst bindend.

Ist "De docta ignorantia - eine Provokation?" (43-62): "Selbst das Charakteristikum der Cusanischen Christologie, ihre Überprägung durch eine starke kosmische und eschatologische Dimension, gab es schon in der Väterzeit"; das erregend Neue ist "ihre Darstellung mittels der Lehre der docta ignorantia und coincidentia oppositorum", in De coniecturis noch radikalisiert (48). Dass dieses cusanische Prinzip aus keinem luftleeren Raum kommt (Augustin!), hätte der Vf. stärker betonen können. Johannes Wenck von Herrenberg, sein Intimfeind, der NvK als "verderblichen Schreiberling" einstuft, sieht in fünf Bereichen die Gefährlichkeit der Schrift, nämlich für die Göttlichkeit und Einheit der Trinität, für das Universum, für Christi Inkarnation, für die theologische Tugendlehre und für die Ekklesiologie. Die Schrift bleibt umstritten, aber das hinderte weder ihre Wirkung noch die Karriere ihres Verfassers.

NvK weiß um die Problematik der Benennung Gottes. Zeitlebens hat er um die rechte Gottesbezeichnung gerungen. In "Die Sprache der Metaphysik" (63-87) betont der Vf.: "Die Konsequenz aus dieser Situation ist für die Metaphysik als Theologie radikal: Kein Name kommt dem schlechthin Größten eigentlich zu". Würde daraus aber ein Schweigen-Müssen gefolgert, könnte Theologie keine Wissenschaft mehr sein (72).

Mit dem Buchtitel spielt der Vf. natürlich auf De ludo globi an. In dieser Schrift entwickelt NvK seine philosophische Theologie "in der Bedeutung eines Spiels, indem die Geheimnisse des Göttlichen, der Welt und des Menschen in seinem Bezug zu jenen beiden, aber auch der Menschen untereinander offenbar werden sollen" (97).

Weitere Aufsatzthemen sind: Metaphysischer Atomismus (117-140); Gerechtigkeit und Gleichheit in der cusanischen Ethik und Wertlehre (141- 161); das Zeit- und Ewigkeitsverständnis und die Lehre von den Eschata (162-180); eine "bisher unbekannte Kunst": Die resolutive Methode des NvK (181-194). Hier wird deutlich, wie sorglos NvK sich Thesen zu Eigen machte, die längst als verurteilt galten. So meinte er, weder die künftige Auferstehung sei rational-philosophisch zu erkennen noch, dass die Seele nach dem Tod unter materiellem Feuer leide (188).

In den Quellenstudien behandelt der Vf. "Griechisches und biblisch-patristisches Erbe im Cusanischen Weisheitsbegriff" (197-227) und "Die Präferenz für Ps.-Dionysius bei NvK und seinem italienischen Umfeld" (228-254) und fügt zwei weitere in einem Appendix bei. Sie alle sind anderwärts bereits erschienen.

Solide wissenschaftliche Arbeit paart sich in allen Beiträgen auf beispielhafte Weise mit Hingabe an den Gegenstand bzw. an die Person, mit der sich der Vf. seit Jahrzehnten beschäftigt. Der Dank dafür sei verbunden mit dem Wunsch, die Editionsarbeit bald erfolgreich abschließen zu können.