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Ausgabe:

Juni/2002

Spalte:

621–623

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Pilhofer, Peter

Titel/Untertitel:

Philippi. II: Katalog der Inschriften von Philippi.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2000. XVI, 916 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 119. Lw. ¬ 164,00. ISBN 3-16-146518-0.

Rezensent:

Michael Zahrnt

Das im Osten Makedoniens gelegene Philippi war nicht nur die älteste christliche Gemeinde auf europäischem Boden, sondern sollte auch die erste systematisch erforschte Stadt des antiken Makedonien werden. Die bei den Grabungen zu Tage geförderten Inschriften vermehrten den schon vorher bekannten Bestand an Texten nicht unbeträchtlich, doch ist bis heute kein Korpus der philippischen Inschriften erschienen. Die vorliegende Sammlung soll offensichtlich eine Art Ersatz darstellen und bringt einen Katalog von 681 bereits veröffentlichten griechischen und lateinischen Inschriften aus der Stadt und seinem (sehr großzügig berechneten) Territorium, dazu 50 dubia et spuria und 90 außerhalb des Territoriums gefundene Texte. Jeder, der sich mit der Geschichte Philippis und seines Gebietes beschäftigt, wird eine derartige Zusammenstellung des bisher bekannten Materials dankbar begrüßen - das ist aber auch schon fast das einzig Positive, was ein Althistoriker über dieses Buch sagen kann.

Dabei wirkt P.s Vorgehensweise auf den ersten Blick professionell: Er hat die Texte nach Fundorten zusammengestellt, nennt frühere Publikationen, vermerkt die Herkunft des Schriftträgers, beschreibt ihn und liefert schließlich den Text mit kritischem Apparat, Übersetzung und Kommentar. Diese Kommentare und ihre Prinzipien(losigkeit) sind indes für den Rez. der eigentliche Stein des Anstoßes. Denn in den meisten Fällen handelt es sich nicht um eine eigenständige Kommentierung der jeweiligen Inschrift (die schriftliche Fixierung des Ergebnisses der Auseinandersetzung mit dem Text und der einschlägigen Forschungsliteratur), sondern um wörtliche Wiedergaben mehr oder weniger langer Passagen aus den verschiedensten Publikationen, wobei insbesondere die ausgedehnten neugriechischen Exzerpte (hier wie auch bei der Beschreibung der Schriftträger) sicher nicht gerade benutzerfreundlich sind. Dass sie zudem manche unnötigen Informationen enthalten, haben sie mit vielen anderen abgedruckten Lesefrüchten gemeinsam. Einige dieser Zitate erscheinen sogar mehrfach und tragen damit zum Umfang des Buches bei. Das gilt auch für die zahlreichen Zusammenstellungen von Namen, Titeln u. ä. und die immer wiederkehrenden Verweise auf derartige Zitatennester. Der mit seinem Handwerkszeug vertraute Epigraphiker ermittelt derlei über die verschiedenen Indizes, deren Zusammenstellung der Autor indes anderen übertragen hat und die, wie verschiedene Stichproben ergeben haben, erschreckend unvollständig sind. Umgekehrt gibt es zahlreiche Texte, die als ganze oder partiell durchaus erklärungsbedürftig sind, aber fast oder ganz unkommentiert bleiben.

So ausführlich der Hg. fremde Ansichten und Deutungen wiedergibt, so zurückhaltend ist er bei der Äußerung seiner eigenen. Eine derartige Bescheidenheit wäre durchaus zu begrüßen, stünde nicht auf der anderen Seite eine peinlich wirkende Beckmesserei, die bei den herangezogenen Autoren geradezu nach Fehlern sucht und beispielsweise so weit geht, beim Wiederabdruck eines Textes das Fehlen eines (!) Akzents im Wort théâtre mit [sic] zu kommentieren. Dabei hat P. gar nicht bemerkt, welche gravierenden Fehler ihm unterlaufen sind, sei es bei der Übersetzung von Inschriften, sei es bei einigen Sacherklärungen. Das soll im Folgenden an einigen Beispielen gezeigt werden, wobei der für diese Besprechung zur Verfügung stehende Platz die Vorführung nur einer kleinen Auswahl zulässt und der Rez. sich auf solche Fälle beschränkt, die mit möglichst wenigen Worten charakterisiert werden können.

18: Der Nominativ zu "Stratonleous" lautet nicht "Stratokleos". - 80: Wie aus einem protextor de scola seniore peditum ein "Wachtmeister (?) vom älteren Bürgerverein" werden kann, bleibt unerklärlich; hier hätte ein Blick in ILS 2783 weitergeholfen. - 98: Die in einem Grabgedicht genannte 'Ate, die für das Schicksal des Beigesetzten verantwortlich gemacht wird, dürfte mehr als "eine Verletzung" gewesen sein. - 125a: Im Kommentar zu Z. 7 wird litra fälschlich mit "Liter" übersetzt; ein Liter Gold wäre eine exorbitante Strafsumme. - 136: Dass die erst von Septimius Severus aufgestellte legio II Parthica "sonst in den Inschriften aus Philippi nicht" begegnet, liegt an ihrem Stationierungsort südlich von Rom, und für die Datierung des Textes ins 3. Jh. braucht man sich nicht auf Lemerles Beschreibung der Buchstabenformen zu berufen. - 203: Quieti Aug(ustae) col(oniae) Philippiens(is) entspricht nicht "Der Quies der Colonia Augusta Philippiensis". - 205: Die Tatsache, dass sich ein Statthalter in einer Inschrift für den Caesar Carinus als dev(otus) num(ini) maiest(ati)q(ue) eius bezeichnet, macht aus dem Text noch keine Weiheinschrift. - 229: Ein q(uaestor) pr(o) pr(aetor) provinc(iae) Maced(oniae) und cur(ator) r(ei) p(ublicae) Philippensium gehört nicht schon wegen der genannten Ämter "einer in Philippi überaus raren gesellschaftlichen Schicht an", und man sucht ihn zu Recht "bei Halfmann vergeblich". - 240: Die Frage, wo der genannte Senator das Amt eines aedilis cerialis inne gehabt hat, erledigt sich bei einem Blick in die gängigen Handbücher. Die Behauptung, dass sein Bruder als thracarcha "dem koinon der Thraker angehört", ist ebenso falsch wie die Annahme, dass es sich beim pater senatorum "um eine lokale Würde handelt". - 248: Hier übersetzt P. ton kratiston mit "den besten", in 311 dagegen richtig mit vir egregius; damit spricht diese aus dem 3. Jh. stammende Inschrift von einem Angehörigen des Ritterstandes, in den P. mit Hinweis auf Luk 1,3 offensichtlich auch den Empfänger des Lukasevangeliums erheben will. - 325: Aussagen über das Vorkommen eines Namens in Makedonien kann man nicht allein anhand einer Zusammenstellung bei Kanatsoulis treffen; A. Tataki nennt in ihren verschiedenen Katalogen mehrere Träger des Namens Antigenes. - 326: Bei dieser tragbaren Sonnenuhr erfährt man zwar nichts über ihr Funktionieren, wird aber darüber aufgeklärt, dass "die lateinischen Monatsnamen [...] im Wörterbuch von LSJ ziemlich stiefmütterlich behandelt" werden; damit sind die Intentionen eines griechisch-englischen Lexikons gründlich missverstanden. - 342: Unter "Belegen für Liber Pater aus Philippi" wird auch ein Militärdiplom angeführt, das von einem signum Liberi Patris auf dem stadtrömischen Kapitol spricht; das kommt bei derartigen mechanischen Katalogisierungen heraus. - 348: Der in einer Inschrift des 2. vorchristlichen Jahrhunderts genannte tamias ist mitnichten "der Finanzminister (entsprechend dem römischen quaestor)". - 349: Die Kommentierung dieser Weiheinschrift der Peniapoleitai und die Ausführungen zu den in ihr genannten 'Adrianopoleitai sind unbefriedigend, weil der einschlägige Aufsatz des Rez. zwar im Literaturverzeichnis genannt, aber offensichtlich nicht gelesen wurde. Auch sind kaiserliche Vorfahren mit dem Zusatz Theos nicht "göttlich", sondern "vergöttlicht". - 356: Warum handelt es sich bei Antonii "wohl um Familien, die im Zuge der zweiten Gründung der Kolonie durch Augustus aus Italien nach Philippi kamen"? Cass. Dio 51,4,6 [C]aesar Aug(usti) f(ilius) sollte nicht unkommentiert bleiben. - 468: Wie kann man bei CIG und Le Bas schreiben: non vidi?- 510: Man kann nicht gleichzeitig von der Einteilung Thrakiens in Strategien sprechen und die vorliegende Inschrift ins 3. Jh. n. Chr. datieren.- 517: Da Nikopolis eine griechische Stadt war, kann der Genannte hier kaum "mit den ornamenta eines Duumvir geehrt" worden sein. - Schließlich spricht der Hg. bei den Bewohnern des antiken Neapolis, heute Kavala, durchweg statt von Neapoliten von Neapolitanern.

Nachdem das Buch durch zahlreiche unnötige Zitate derart aufgebläht ist, wirkt es besonders ärgerlich, dass die eindeutig von Mertzidis erfundenen Texte nicht nur aufgenommen, sondern auch noch kommentiert werden - und das sogar teilweise mit den Worten ihres Schöpfers. Vollkommen unnötig erscheint auch, bei den außerhalb des Territoriums gefundenen Inschriften diejenigen Abschnitte zu kommentieren, die mit Philippi oder seinen Bewohnern nichts zu tun haben. So ist z. B. die Angabe, zum Zeitpunkt der Aufstellung der großen Thearodoken-Inschrift (Nr. 745a) sei die Chalkidike "nicht arm [...] an bedeutenden Städten" gewesen, sowohl unnötig als auch sachlich falsch (vgl. Zahrnt, Olynth und die Chalkidier, München 1971, 119 ff.).

Auf Grund der genannten Defizite und der exemplarisch vorgeführten sachlichen und sonstigen Fehler dürfte deutlich geworden sein, dass eine kommentierte Sammlung der Inschriften Philippis, auch der schon bekannten, weiterhin ein Desiderat bleibt.