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Ausgabe:

April/2002

Spalte:

456 f

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Leimgruber, Stefan, Pithan, Annebelle, u. Martin Spieckermann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Forum für Heil- und Religionspädagogik.

Verlag:

Münster: Comenius-Institut 2001. 204 S., 6 Abb. Kart. ¬ 10,30. ISBN 3-924804-61-3.

Rezensent:

Gottfried Adam

Das Thema "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein" war Gegenstand des Ersten Forums für Heil- und Religionspädagogik, das vom 10.-12. Mai 2000 in Bad Honnef stattfand. Das Forum wird getragen vom Comenius-Institut, dem Deutschen Katecheten-Verein und dem Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Universität München. Es steht in der Nachfolge der früheren "Würzburger Religionspädagogischen Symposien" (1986-1998), deren Ergebnisse in sechs Dokumentationsbänden vorliegen.

Das Forum wendet sich mit seinem Thema jener Dimension menschlichen Lebens zu, die nicht unter die gängigen gesellschaftlichen Normen der Leistung, des Nutzens und des unmittelbaren Gewinns fällt. Gegenüber dem gegenwärtigen, nicht zu übersehenden Trend zu einer unterschiedlichen Wertung des einzelnen menschlichen Lebens vertreten die Verfasser/innen der Beiträge eine Position, die die Menschenwürde und das ungeschmälerte Lebensrecht aller Menschen ohne Einschränkung bejaht.

Der Band enthält Überlegungen von L. S. Geissler über die "Verheißungen der Biotechnologie". Der Mediziner macht auf die Notwendigkeit einer Ausformulierung eines Menschenbildes aufmerksam, das gesellschaftlich die Ehrfurcht vor dem Leben festhält. A. Möckel deutet von Rosenstock-Huessy ausgehend die Geschichte der Heilerziehung als einen Teilprozess der europäischen Geschichte und macht deutlich, dass Erziehung und Bildung behinderter Kinder und Erwachsener zu den Errungenschaften der Säkularisation im Zeitalter der Erziehung gehören und insofern Bestandteil Europas in der Demokratie sind. J. Degen führt aus, dass der Zielwert Selbstbestimmung für die Organisationsform der Anstalten für behinderte Menschen ihre Auflösung als Konsequenz hat.

Eine breite Palette von Beiträgen beleuchtet die Zusammenhänge von unterschiedlichen Seiten. Dabei geht es um: eine kreative Schreibwerkstatt, veränderte Einstellung zur Zeit, Bewegung und Tanz, Ausdrucksspiele aus dem Leben (eine einfache Form des Theaterspiels), Berichte über Freiarbeit und die Gender-Perspektive für den Religionsunterricht. Die Behandlung des Symbols Brot, des Zugangs zur Schöpfung mit allen Sinnen und von Gottesdiensten und "involvierender Bibelauslegung" für Menschen mit einer geistigen Behinderung schließen sich an. Erörterungen zum integrativen Lernen in der Lebensgemeinschaft der Arche sowie zur schulischen Werterziehung sind ebenso enthalten wie ein Beitrag zu einer neuen religionspädagogischen Konzeption der Verwendung von Bilderbüchern in einem subjektorientierten Religionsunterricht.

Besonderes Interesse verdient der Beitrag von Nancy L. Eiesland, die als Professorin für Religionssoziologie in Atlanta/USA tätig ist. Sie entwirft in ihrem Beitrag "Dem behinderten Gott begegnen" theologische und soziale Anstöße einer Befreiungstheologie der Behinderung. Für sie ist die Erkenntnis zentral, dass der auferstandene Christus sich selbst als verwundeter, behinderter Gott zu erkennen gab. Von Geburt an selbst behindert konnte die Autorin die gängigen christlichen Antworten für sich nicht akzeptieren. Sie schreibt: "Der Urgrund christlicher Theologie ist die Auferstehung Jesu Christi. Dennoch wird der Auferstandene selten erkannt als Gottheit, deren Hände, Füße und Seite die Zeichen deutlicher körperlicher Versehrtheit tragen. Der auferstandene Christus der christlichen Tradition ist ein behinderter Gott. Dieser behinderte Gott verstand die Erfahrungen derjenigen, die an der Bibelarbeit ... teilgenommen hatten ebenso wie meine eigenen und rief zur Gerechtigkeit nicht aufgrund von Prinzipien, sondern aufgrund der Inkarnation Gottes und der Gewissheit der Unvorhersehbarkeit menschlichen Lebens." (11) Diese Begegnung mit dem behinderten Gott war die Quelle der Befreiungstheologie der Behinderung. Daraus ergibt sich eine Reihe von ethischen Anstößen wie: Gerechtigkeit verwirklichen, gerechtes Überleben, gerechte Arbeit, Recht auf Intimität.

Der Band dokumentiert auf überzeugende Weise, dass das "Forum für Heil- und Religionspädagogik" ein Ort ist, an dem all jene Fragen bearbeitet werden können, die im Überschneidungsbereich von einerseits Heil-/Sonderpädagogik und andererseits Religionspädagogik liegen. Es ist zu wünschen, dass dies Forum wiederum eine feste Institution wird. Die Notwendigkeit der hier zu behandelnden Fragen ist eher dringlicher geworden.