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Ausgabe:

Oktober/2001

Spalte:

1039 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Dawson, Anne

Titel/Untertitel:

Freedom as Liberating Power. A socio-political reading of the exousia texts in the Gospel of Mark.

Verlag:

Freiburg/Schweiz: Universitätsverlag; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000. XIII, 245 S. gr.8 = Novum Testamentum et Orbis Antiquus, 44. ISBN 3-7278-1285-0 u. 3-525-539-44-4.

Rezensent:

Dieter Lührmann

Die Idee zu diesem Buch, ursprünglich eine Dissertation bei Michael Lattke in Brisbane/Australien, kommt von Ernst Käsemann. Er hatte das Markusevangelium pointiert "das Evangelium der Freiheit" genannt.1 D. nimmt dies auf (1) und will darstellen, dass Mk ein Konzept von Freiheit vertritt, das sich radikal unterscheidet von dem, was seinerzeit in der herrschenden Kultur des Mittelmeerraums damit verbunden wurde (5). Dafür wählt sie als Gegenbild die Res Gestae Divi Augusti, in griechischer Sprache vollständig im Monumentum Ancyranum vorliegend, sonst in weiteren Fragmenten erhalten. Augustus gibt darin Rechenschaft über seine Taten, die zur Befriedung der ganzen Welt führten. Ihrer Interpretation sind nach der Einleitung (Kap. 1) die Kapitel 2 und 3 gewidmet einschließlich der diesem Bild der pax Romana entgegenstehenden Bewegungen.

Die Gemeinsamkeit mit Mk liegt zunächst natürlich im biographischen Stil. Die Schwierigkeiten für einen Vergleich beginnen aber schon damit, dass bei Mk das Stichwort eleutheria ganz fehlt, weshalb D. als gemeinsamen Leitbegriff stattdessen exousia im Sinne von "freedom to act" (11 u. ö.) wählt. In den Res Gestae begegnet er freilich nur in der Verbindung demarchike exousia = tribunicia potestas, also als Terminus für ein in der Verfassung vorgesehenes Amt, das ihm eine bestimmte Freiheit zu handeln gibt, und Augustus legt ja allen Wert darauf, nie gegen die geltenden Gesetze verstoßen zu haben. Bei Mk dagegen fehlt eine entsprechende institutionelle Absicherung, und Jesu exousia wird in 1,22 und 27 gleich zu Beginn (und dann noch einmal in 11,28-33) als seine "Vollmacht" (englisch "authority") den Schriftgelehrten als Vertretern der Synagoge entgegengehalten. Der Einsatz bei der exousia steht also in der Gefahr, einer bloßen Äquivokation zu erliegen, wenn er nicht z.B. im Interpretationsraster von Institution und Charisma fruchtbar gemacht wird. Daher findet der Vergleich wohl auch vorwiegend in stark affirmativen Sätzen statt.

In Kap. 3 gibt D. einen Überblick über die Einleitungsfragen des Markusevangeliums, vor allem unter Gesichtspunkten der literarischen Struktur des Evangeliums. Dabei hebt sie besonders auf Symmetrien ab und kommt zu einem Schema (119), in dem zunächst von Jesu exousia (1,22.27; 3,10), danach von der seiner Jünger (3,15; 6,7), am Schluss in umgekehrter Reihenfolge von deren Bestreitung die Rede ist. Mir scheint damit jedoch 13,34 überfordert, wo zwar im Gleichnis sicherlich die Jünger gemeint sind, ihre exousia aber nicht in gleicher Weise herausfordernd scheint wie die Jesu in 11,28-33. Überhöht scheint mir die Schlussfolgerung (120): "In selecting âÍÔÛ as a key term in his 'narrative', the author of Mark's gospel wanted to draw the attention of his audience to the concept of the praxis of Christian freedom."

Kap. 5 ist der Einzelexegese der ersten Reihe von Stellen gewidmet, wobei "socio-political" stark als "rhetoric" gefüllt wird und strukturalistische Gesichtspunkte hereinspielen. Inhaltlich ergibt sich das Bild des Verhältnisses zwischen Jesus und seinen Jüngern als nicht hierarchisch, aber auch nicht als das von Lehrer zu Schülern, sondern als "imitation of the expert or the master as role model" (170). In Kap. 6 stellt D. die verbleibenden Stellen dar, ausgeweitet auf die ganze Jerusalemer Epoche bis zum Begräbnis Jesu. Die Herausforderung christlicher Freiheit für die römische Ideologie liegt dann darin, dass Mk Jesus, nicht Augustus als denjenigen darstelle, der ein neues Zeitalter der Freiheit heraufführt (217).

Ein kurzer Epilog (Kap. 7) gibt noch einmal Rechenschaft über den Weg der Untersuchung, der von der "Welt hinter dem Text" über die "Welt des Textes" zur "Welt vor dem Text" führt.2 Insgesamt entsteht bei diesem Buch der Eindruck einer methodisch in vielem anregenden, aber die Spannung zwischen übergreifenden Gesichtspunkten und Einzelphänomenen der Texte nicht ausfüllenden Arbeit.

Fussnoten:

1) Der Ruf der Freiheit, Tübingen 1968, 59-81; englisch: Jesus means Freedom, Philadelphia 1970.

2) D. ist hier besonders einem Buch von Sandra Schneiders verpflichtet: The Revelatory Text, San Francisco 1991.