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Ausgabe:

April/2024

Spalte:

361-362

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Zimmermann, Johannes

Titel/Untertitel:

Von der Gemeinschaft zur Gemeinde. Wege zu mehr Eigenständigkeit in der Gemeinschaftsbewegung.

Verlag:

Gießen: Brunnen Verlag 2023. 256 S. Kart. EUR 22,00. ISBN 9783765595844.

Rezensent:

Wolf Ruben Kammerer

Der ehemalige Professor für Praktische Theologie an der evangelischen Hochschule Tabor (Marburg) und aktuell württembergische Dekan (Vaihingen-Ditzingen) Johannes Zimmermann legt mit diesem Buch eine umfangreiche Analyse zur Entwicklung der Gemeinschaftsbewegung vor. Seine zahlreichen Veröffentlichungen im Themenbereich Gemeinde und Gemeinschaften zeigen, dass er durch langjährige Forschung mit der kirchlich-gemeinschaftlichen Landschaft vertraut ist (272 f.). Die Entwicklung landeskirchlicher Gemeinschaften hin zu Gemeinden und ihr Verhältnis zur Kirche stehen bei dieser Untersuchung im Fokus. Der Titel »Von der Gemeinschaft zur Gemeinde« kann gleichzeitig als Titel und als These verstanden werden, die es zu überprüfen gilt. Das Thema ist nicht zuletzt aufgrund aktueller Entwicklungen für den kirchlichen als auch für den praktisch-theologischen Diskurs relevant. Gegenwärtig prüfen verschiedene Landeskirchen und landeskirchliche Gemeinschaften ihr Verhältnis zueinander (208–212). Er nimmt für seine Studie grundständige und aktuelle Literatur zur Gemeinschaftsbewegung wahr. Zusätzlich bereichert er seine Recherchen durch Gespräche mit leitenden Persönlichkeiten der Bewegung.

Im ersten Teil des Buches werden zunächst grundlegende Entwicklungen (Von der Gemeinschaftsstunde zum Gottesdienst; vom Prediger zur Pastorin; Evangelisation und Gemeindeaufbau; Sakramente und Kasualien) der Gemeinschaftsbewegung dargestellt und aktuelle Begriffe definiert (Kapitel 2–5). Dieser Teil zeichnet sich durch eine fundierte Darstellung der Entwicklung der Gemeinschaften vom Ende des 19 Jh.s bis zur Gegenwart aus. Der Autor sieht die ekklesiologische Veränderung der Gemeinschaften hin zu Gemeinden in diesen Entwicklungen – besonders in den Veränderungen bei den Kasualien – begründet. Die Gemeinschaften führen Kasualien zunehmend selbstständig durch und zeigen damit an prominenter Stelle, dass sie sich als eigenständige Gemeinde verstehen und nicht als ergänzende Gemeinschaft unter dem Dach der Kirchengemeinde.

Diesen grundlegenden Kapiteln folgt ein kurzes Intermezzo zur öffentlichen Präsenz der Gemeinschaften (Kapitel 6+7). Durch die Ablösung von den örtlichen Kirchengemeinden sind die Gemeinschaften zunehmend in der Pflicht, als selbstständige Akteure in der Öffentlichkeit aufzutreten und eigene Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. Im achten und letzten Kapitel des ersten Teils werden landeskirchliche Gemeinschaften – im Vergleich zu landeskirchlichen Ortsgemeinden und Freikirchen – mithilfe der Ergebnisse des 2. Kirchengemeindebarometers des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD eingeordnet. Die überdurchschnittliche Beteiligung von Ehrenamtlichen in den Gemeinschaften sticht dabei besonders heraus.

Nach diesem fundierten »Anlauf« widmet sich der zweite Teil des Buches der umfassenden Frage nach dem Verhältnis von Landeskirchen und Gemeinschaften. Z. beginnt in Kapitel 9 und 10 mit einer Einordnung – von den Wurzeln der Gemeinschaftsbewegung bis zur aktuellen Situation –, die noch einmal manche Erkenntnisse des ersten Teils in Erinnerung ruft und auf die Frage nach der Innerkirchlichkeit der Gemeinschaften zuspitzt. Noch Anfang des 20. Jh.s war es keine Frage, ob die Gemeinschaften auch außerhalb der Landeskirchen agieren könnten. Diese Einstellung hat sich in den letzten Jahren verändert. Einzelne Gemeinschaftsverbände streben den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR) an. Von dieser Entwicklung ausgehend bearbeitet Z. die ekklesiologischen Kernfragen kirchentheoretisch und aus bibli-scher Perspektive. Er plädiert abschließend für die Innerkirchlichkeit der Gemeinschaften, welche er als Gabe und Aufgabe zugleich versteht. Es braucht seiner Meinung nach eine veränderte Gestaltungsform der Innerkirchlichkeit, welche paradoxerweise eine hohe Verbindlichkeit von Gemeinschaften fordert (Bekenntnis zur Kirche), um dadurch größere Eigenständigkeit zu erlangen.

Z.s Buch gewährt einen tiefen Einblick in die Gemeinschaftsbewegung. Neben der historischen Aufarbeitung zeigt er die grundlegende ekklesiologische Haltung der Gemeinschaftsbewegung auf, welche in ihrem Verhältnis zur Kirche innerkirchlich geprägt war und sich von den Leitlinien der »Evangelisation« und »Gemeinschaftspflege« her verstand. Die Entwicklung hin zur Gemeinde definiert Z. kenntnisreich anhand der verschiedenen Themen und bestätigt damit den Titel und die These seines Buches. Dieses neue ekklesiale Selbstverständnis der Gemeinschaften sollten Landeskirchen zur Kenntnis nehmen und in einen Dialog mit den Gemeinschaften eintreten. Denn: »Ein gemeinsamer weiterer Weg von Landeskirchen und Gemeinschaftsbewegung setzt auf beiden Seiten Akteure voraus, denen das Miteinander beider Seiten ein Anliegen ist und die sich aktiv dafür einsetzen.« (151) Da die Spannungen durch ein Ignorieren der gegenwärtigen Lage steigen dürften und die Option, Freikirche zu werden von den Gemeinschaften in der Regel nicht als attraktiv angesehen wird, plädiert Z. abschließend für den Dialog. Ansonsten müssten die Gemeinschaften das werden, was sie eigentlich nicht sein wollen: Kirche.

Mit diesem Spitzensatz bringt er die paradoxe Situation treffend auf den Punkt. Seine Recherchen und Einordnungen überzeugen, und man kann hoffen, dass das Buch zu einem veränderten (Selbst-)Verständnis von Gemeinschaften und Kirchen beiträgt. Die praktisch-theologische Analyse Z.s zeigt wesentliche ekklesiologische Veränderungen der Gemeinschaftsbewegung auf und schlägt Konzepte zur zukünftigen Gestaltung des Verhältnisses von Kirche und Gemeinschaften vor. Es bleibt abzuwarten, ob die beteiligten Akteure aufeinander zugehen oder sich weiter voneinander entfernen. Einzig die empirische Arbeit kommt etwas zu kurz. Diesen Umstand bemängelt Z. selbst und wünscht sich empirische Studien zur Gemeinschaftsbewegung (21). Mit seinem Buch ist ihm in jedem Fall die nötige praktisch-theologische Erkundungstour geglückt, welche die Thematik für weitere methodische Zugänge geöffnet hat.