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Ausgabe:

April/2024

Spalte:

316-318

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Lies, Jan Martin, u. Stefan Michel [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Politik – Religion – Kommunikation. Die schmalkaldischen Bundestage als politische Gesprächsplattform. Unter Mitarbeit v. M. Bechthold-Mayer.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2022. 317 S. = Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, 137. Geb. EUR 90,00. ISBN 9783525554647.

Rezensent:

Christopher Spehr

Die Bedeutung des Schmalkaldischen Bundes für die Reformationsgeschichte ist hinlänglich bekannt. Dennoch ist die Thematik keineswegs ausgeforscht, wie der vorliegende, von Jan Martin Lies und Stefan Michel herausgegebene Band eindrucksvoll beweist. Unter dem allgemeinen Obertitel »Politik – Religion – Kommunikation« dokumentiert er die Ergebnisse einer Tagung, die in der Akademie der Wissenschaften und Literatur in Mainz im September 2019 stattfand und die Bundestage des Schmalkaldischen Bundes als politische Gesprächsplattform in den Blick nahm. Die Fokussierung auf die Bundestage geschah dabei auf zweierlei Weise: Zum einen in einer »Außenperspektive«, die nach der Bedeutung der Zusammenkünfte als Orte von »reichsweiten, teils europäischen Aushandlungsprozessen und strategischen Diskussionen« fragte; zum anderen in einer »Innenperspektive«, die die Treffen als Orte von Diskursen und Konfliktaustragungen betrachtete (7).

Dass die bewährte interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Geschichtswissenschaftlern und Kirchenhistorikern auch zum Gelingen dieses in drei Sektionen gegliederten Tagungsbandes beiträgt, veranschaulichen die 13 allesamt substanzhaften Beiträge.

In der Sektion »Vorüberlegungen« bietet Beate Kusche unter dem Titel »Bund, Bündnis, Verbrüderung« luzide Definitionen zu Begriffen der »Einung« im Heiligen Römischen Reich. Während unter »Einung« »als historischer Oberbegriff […] alle Arten korporativer Zusammenschlüsse« gefasst werden, sind unter erblichen Verträgen »Erbverbrüderung« (Verträge hochadeliger Dynastien; auf wechselseitige Erbregelungen orientiert) und »Erbeinung« (Bündnisverträge zwischen oft benachbarten Herrschaftsträgern, vor allem Fürsten) zu differenzieren (28–33). Als zeitlich befristete Verträge unterscheidet Kusche zwischen »Bund« (nach innen gerichteter Zusammenschluss) und »Bündnis« (Erreichen eines bestimmten Ziels; nach außen gerichtet) (34–40), wobei sie den »Schmalkaldischen Bund« bzw. zeitgenössisch das »Schmalkaldische Verständnis« (37) als nach außen gerichtetes Defensivbündnis definiert. Dass dabei die Vertragsformen am Beispiel Kursachsens exemplifiziert werden, unterstreicht die Tatsache, dass dieses Territorium über zahlreiche Verträge in der Frühen Neuzeit verfügte und bei der Gründung des Schmalkaldischen Bundes auf reichhaltige Erfahrung zurückgreifen konnte.

Unter der Überschrift »Von Gotha nach Schmalkalden« spürt Ulrike Ludwig der Genese der Bündnisgespräche unter den evangelischen Ständen in den 1520er Jahre nach und betont, dass Graf Albrecht von Mansfeld mit seinem Schreiben vom 17. November 1524 an Herzog Johann von Sachsen »den ersten greifbaren Vorschlag« machte, »ein Bündnis unter den Evangelischen aufzurichten« (51 f.). Georg Schmidt beschreibt in seinem gehaltvollen Beitrag das Verhältnis von Reichsverfassung und Schmalkaldischen Bund als »Einheit im Nebeneinander« (77). Zwar sei der Bund militärisch gescheitert; seine Ziele habe er gleichwohl erreicht, »weil er den Beweis erbrachte, dass das Nebeneinander unterschiedlicher Varianten des christlichen Glaubens und verschiedener Verfassungs-interpretationen im Reichs-Staat funktionieren konnte« (96 f.). Eine wertvolle Vertiefung ermöglicht die Untersuchung von Horst Carl, die die Schwäbischen Bundestage mit denen des Schmalkaldischen Bundes vergleicht und dabei mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten hervorhebt. Während der Schwäbische Bund »als letzter Repräsentant einer langen Tradition der Landfriedensbünde« erscheine, stelle der Schmalkaldische Bund »mit seinem reformationspolitischen Selbstverständnis und seiner konsequenten Ausgestaltung als ständeübergreifendes Militärbündnis etwas Neues« dar (113). Schließlich fragt Christian V. Witt nach »Tradition, Identität und Selbstbezeichnung« (115) und entfaltet zum Stichwort »Protestanten« begriffsgeschichtliche und institutionengeschichtliche Überlegungen.

Die folgende Sektion thematisiert »die Bundestage, das Reich und Europa«. Jan Martin Lies akzentuiert unter dem Titel »Akteure und Gesprächsplattformen« die kaiserlich-königliche Diplomatie, zu denen nicht nur der Auftritt des Reichsvizekanzlers Matthias Held auf dem Bundestag von Schmalkalden 1537, sondern auch das Zustandekommen des Frankfurter Anstands 1539 zählten. Spezifisch dem während des Frankfurter Bundestages von Februar bis April 1539 mit den königlichen und kaiserlichen Vertretern ausgehandelten Frankfurter Anstand wendet sich kenntnisreich Christopher Voigt-Goy zu. Der Bedeutung der Bundestage für die altgläubigen Reichsstände geht Klaus Unterburger in seinem erhellenden Beitrag nach. Für die bayerische Politik stellt er dabei ein bewusstes Changieren fest – »zwischen antiprotestantischem Rigorismus (wenn die eigene Stellung im süddeutschen Raum gefährdet war) und fürstlicher interkonfessioneller Libertätspolitik gegen die kaiserlichen monarchia-Pläne« (172). Die Phasen dieser Pendelbewegung spiegeln dabei »die wichtigsten Abschnitte« der Schmalkaldischen Bundesgeschichte: »Formation – Expansion – instrumentalisierende Offensive – Auseinanderfallen der Interessen« (ebd.). Unter der Überschrift »Akteure, Räume und Funktionslogiken der Diplomatie« geht Harriet Rudolph der kaum erforschten europäischen Bedeutung des Schmalkaldischen Bundes nach. In vier Phasen teilt sie die europäischen Dimensionen der Bundesversammlungen ein. Insbesondere in der zweiten Phase (1535 bis 1540) seien die Bundestage Orte europäischer Diplomatie gewesen. Dass der Bundestag zu Schmalkalden 1537 einen Höhepunkt der europäischen Dimension durch Anwesenheit von Vertretern Frankreichs, Dänemarks und des Papstes bedeutete, hebt sie explizit hervor. Resümierend hält Rudolph aber fest: »Nur wenige Akteure innerhalb des Bundes dachten offenbar europäisch«. Von einer »Europapolitik des Schmalkaldischen Bundes« könne man deshalb kaum sprechen (204). Armin Kohnle rundet die Sektion durch seine höchst gelehrte Untersuchung zur Konzilsfrage auf den Schmalkaldischen Bundestagen ab, die in den Jahren 1533 bis 1539 »Konjunktur« hatte (205). Weil sich Kursachen und Hessen in ihrer Ablehnung eines päpstlichen Konzils überwiegend einig waren, konnte ihre Politik »zur Politik des Bundes werden«, so dass sich hier die »Bipolarität des Bundes« nicht nachteilig auswirkte (219).

Die dritte Sektion befasst sich schließlich mit den Bundestagen »als Ort des Konfliktaustrags innerhalb des Bundes«. Erfrischend differenziert ist Konstantin Enges Aufsatz über »das problematische Verhältnis der albertinischen Herzöge zum Schmalkaldischen Bund« (223). Weil Herzog Heinrich von Sachsen und dessen Sohn Moritz 1537 als eine Art »Schutzverwandte« (229) in den Bundesvertrag aufgenommen wurden, aber der Bundesverfassung nicht beitraten, spricht Enge von der »Freiberger Annäherung« Heinrichs an den Bund (225). Zu einem vollständigen Beitritt des albertinischen Sachsen – auch nach der Regierungsübernahme Heinrichs – kam es hingegen nie. Unter der provokanten Frage »Wer zahlt bestimmt?« befasst sich Thomas Lau mit der Rolle der Reichsstädte im Schmalkaldischen Bund. Sie zahlten zwar die Hälfte des Finanzaufkommens, stellten nahezu die Hälfte der Ämter im Bund und beanspruchten die Hälfte der Stimmen auf dem Bundestag für sich, hatten aber bei strategischen Fragen gegenüber den Reichsfürsten »allenfalls ein negatives Stimmrecht« (268). Gleichwohl erreichten die Städte durch den Schutz »eine erhebliche symbolische und politische Aufwertung« (ebd.). Stefan Michel beschließt mit seiner quellengesättigten Untersuchung über »die Verwendung des Kirchenguts und die Diskussion darüber im Schmalkaldischen Bund« die Sektion. Auch wenn nur eine Leitlinie, aber kein einheitlicher Umgang darüber ausgehandelt wurde, diente die starke politische Stellung des Bundes dazu, »gegenüber Reich und römischer Kirche die Ansprüche der Protestanten auf Kirchengut zur Erhaltung und zum Ausbau reformatorischer Kirchentümer nachhaltig zu vertreten« (295).

Ein Abkürzungsverzeichnis sowie ein Orts- und Personenregister, dem eine Aufstellung aller Bundestage und ihrer Mitglieder zur besseren Orientierung hätte hinzugefügt werden dürfen, dienen dem Zugriff auf diesen dem wissenschaftlichen Studium anempfohlenen Band.