Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2024

Spalte:

291-293

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Runia, David T.

Titel/Untertitel:

Philo of Alexandria. Collected Studies 1997–2021.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2023. XIII, 555 S. = Texts and Studies in Ancient Judaism, 187. Lw. EUR 169,00. ISBN 9783161618765.

Rezensent:

Markus Witte

Der hier angezeigte Band versammelte 26 Aufsätze, die David T. Runia, Professorial Fellow an der University of Melbourne, Honor-ary Professor an der Australian Catholic University sowie Extraordinarius an der Stellenbosch University, in den Jahren 1997 bis 2021 an unterschiedlichen Orten publiziert hat. Für den Nachdruck wurden die Aufsätze formal vereinheitlicht, die Originalpaginierung wurde neben der fortlaufenden Paginierung beibehalten. Punktuell wurden in vorhandenen oder zusätzlichen Fußnoten aktuelle Literaturhinweise eingefügt. Die Nachträge sind als solche markiert. Die zusätzlichen Literaturangaben beschränken sich leider nur auf die Nennung des Verfassernamens und das Erscheinungsjahr der gemeinten Publikation und werden nicht in der den Band beschließenden Bibliographie aufgeführt. Die vorgelegte Anthologie setzt die beiden Aufsatzsammlungen fort, die der Verfasser 1990 unter dem Titel Exegesis and Philosophy. Studies on Philo of Alexandria und 1993 unter dem Titel Philo and the Church Fathers. A Collection of Papers veröffentlicht hat.

Die Aufsätze sind thematisch auf vier Kapitel verteilt: »Philo and Ancient Philosophy«, »Biblical Interpretation in an Alexandrian Context«, »Further Theological Themes« und »Studies on Philonic texts (sic!)«. Vorangestellt sind erstens eine Einführung, in der R. über den ursprünglichen Anlass der Aufsätze informiert, dementsprechend seinen eigenen Beitrag zur Philoforschung kontextualisiert, und den Inhalt der Aufsätze knapp zusammenfasst (1–16), zweitens eine Beschreibung der Bedeutung, die Philo als Autor und Denker für die klassische Philologie, für die antike Philosophie und Philosophiegeschichte (auch als Doxograph), für die Alte Geschichte (als Quelle), für die Geschichte des antiken Judentums, für die Erforschung des Gnostizismus, für die neutestamentliche Exegese und Zeitgeschichte sowie für die Patristik besitzt – man mag noch Philos Relevanz für die alttestamentliche Wissenschaft und für die Septuagintaforschung ergänzen –, sowie drittens eine knappe Skizze zu 50 Jahren Philoforschung, in der R. den Wechsel der Perspektive von Philo als Theologen auf Philo als Kommentator und Ausleger nachzeichnet, wegweisende Positionen der Philoforschung würdigt und Schwerpunkte der neueren Philoforschung benennt (Philo in der sozialen und intellektuellen Umwelt des frühkaiserzeitlichen Alexandrias; Philos Stellung innerhalb des Hellenismus und des Judentums; Philos Rezeption in der [früh-]christlichen Tradition).

Die Beiträge vermitteln ein sehr lebendiges Bild des jüdischen Philosophen Philo, der sich stoischer Begrifflichkeit und platonischer Argumente bedienen kann, um die Schriften Israels, zumal des Pentateuchs auszulegen. R. betrachtet Philo durchgehend vor dem Hintergrund der paganen griechischen Philosophie und der Stadtkultur Alexandrias (Philo als homo urbanus), reflektiert die exegetischen Methoden und Intentionen Philos und verortet sie im Kontext der frühjüdischen Literatur. Damit bietet R. sowohl eine ausgezeichnete, sehr gut lesbare Einführung in das Gesamtwerk Philos als auch zahlreiche Impulse für eine fachliche Diskussion offener Fragen der aktuellen Philoforschung, für letztere sind insbesondere die im abschließenden Kapitel vereinigten Aufsätze zu einzelnen Philotexten interessant. In methodologischer Hinsicht sind vor allem zwei Beiträge hervorzuheben, die nicht nur für die Philoforschung von Bedeutung sind: zum einen die detaillierte Untersuchung und (im Anschluss an John Whittaker [1989] vorgenommene) Kategorisierung der philonischen Zitation von Texten Platons (Inversion, Addition, Subtraktion oder Substitution eines oder mehrerer Wörter bzw. kurze Anspielung, gelehrte kurze Zitation, ausgeführte Paraphrase oder wörtliche Zitation), zum anderen die Beschreibung, wie, an welchen Stellen und mit welchem exegetischen Ziel Philo aus den Psalmen zitiert (mit Angabe der Zitation in der jeweiligen Schrift Philos, dem unmittelbaren literarischen Kontext, der Art und Weise, wie das Zitat eingeführt wird, der Präsentation des Psalmtextes gemäß der Septuaginta, der Klassifikation des Zitats und der Angabe des Stichworts, das den Psalm mit dem biblischen Text verbindet, zu dessen Erklärung Philo den jeweiligen Psalmvers herangezogen hat). R.s Warnung, aus Differenzen zwischen einem Platonzitat bei Philo und dem tradierten Text Platons auf einen Fehler bei Philo (bzw. in der Überlieferung des Philotextes) oder auf einen anderen Platontext zu schließen und dementsprechend das philonische Zitat zu korrigieren, lässt sich auf die Zitation anderer Texte in der Antike und Spätantike anwenden, zum Beispiel auf den Gebrauch von Septuagintatexten im Neuen Testament oder in Bibelkommentaren der Kirchenväter. Zur Erhellung der Theologie Philos sei vor allem auf drei Beiträge R.s in diesem Band hingewiesen: erstens auf die Darstellung der Theodizee bei Philo mit einem Exkurs zur Frage nach der Gerechtigkeit Gottes bei Platon und in der Stoa, zweitens auf den Aufsatz zur Erfahrung göttlicher Macht und Mächte (δύναμις, δυνάμεις) und drittens auf die Bedeutung der Tugend der Hoffnung (ἐλπίς) als einem in der bisherigen Philoforschung übersehenen Thema, das sich monographisch zu untersuchen lohnte.

Dem Autor und dem Verlag gebühren großer Dank, dass sie die sehr verstreut publizierten Aufsätze zu der vorliegenden Sammlung vereinigt und damit einem großen Publikum leicht zugänglich gemacht haben. Der Band, der durch die üblichen Register (biblische Texte, philonische Texte, antike jüdische und pagane Texte, moderne Autoren) sowie zahlreiche Querverweise gut erschlossen wird, lädt zu einer weiteren, eingehenden Auseinandersetzung mit Philo von Alexandria ein, dessen Werk trotz der nunmehr über vierzigjährigen Arbeiten R.s längst nicht ausgeforscht ist.

Im Einzelnen enthält der Band folgende Beiträge: Why Philo of Alexandria is an Important Writer and Thinker (19–35); Half a Century of Philonic Research since the Lyon Colloque: Some Evaluatory Reflections (36–46); Philo of Alexandria and the GreekHairesis-Model (49–72: mit einer instruktiven Beschreibung der Kriterien für eine als αἵρεσις bezeichneten »Schule« oder Denkrichtung); The Beginnings of the End: Philo of Alexandria and Hel-lenistic Theology (73–99); Plato’s Timaeus, First Principle(s) and Creation in Philo and Early Christian Thought (100–116: eine Fortschreibung des Themas, dem sich R. seit seiner Amsterdamer Disseration aus dem Jahr 1983 gewidmet hat); The Rehabilitation of the Jackdaw: Philo of Alexandria and Ancient Philosophy (117–134); Philo and Hellenistic Doxography (135–165); Is Philo Committed to the Doctrine of Reincarnation? (166–181: die Frage wird verneint); The Reception of Plato’s Phaedo in Philo of Alexandria (182–199); The Idea and the Reality of the City in the Thought of Philo of Alexandria (203–220: spezifiziert an Alexandria und Jerusalem); Eudaimonism in Hellenistic-Jewish Literature (221–242: veranschaulicht an der Verwendung des Begriffs εὐδαιμονία); The Theme of Flight and Exile in the Allegorical Thought-World of Philo of Alexandria (243–264); Dogma and doxa in the Allegorical Writings of Philo of Alexandria (265–279); Philo and the Gentiles (280–294); Cosmos, Logos, and Nomos: The Alexandrian Jewish and Chris-tian Appropriation of the Genesis Creation Account (295–314: mit knapper Analyse von Gen 1–3 in der Septuaginta und einem Ausblick auf Origenes); The Doctrine of Creation in Philo’s Allegorical Commentary (315–328: mit einer Auflistung aller sekundären, d.h. über die Lemmatisierung hinausgehenden Zitationen aus und Anspielungen auf Gen 1–3); Theodicy in Philo of Alexandria (331–353); Philo of Alexandria on the Human Consequences of Divine Power (354–364); The Virtue of Hope in Philo of Alexandria (365–379); The Reward for Goodness: Philo,De Vita Contemplativa 90 (383–395); The Text of the Platonic Citations in Philo of Alexandria (396–416); Philo’s Reading of the Psalms (417–434); Philo of Alexandria, Legatio ad Gaium 1–7 (435–452); Philo, Quaestiones in Genesin 2.62 and the Problem of Deutero-Theology (453–462); The Place of De Abrahamo in Philo’s Œuvre (463–478); From Stoicism to Platonism: The Difficult Case of Philo of Alexandria’s De Providentia 1 (479–496: mit Reflexion der Problematik, dass diese Schrift Philos vollständig nur in armenischer Übersetzung erhalten ist).