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Ausgabe:

April/2024

Spalte:

279-281

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Boomgaarden, Jürgen, Leiner, Martin u. Bertram Schmitz [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Konfigurationen der Liebe. Liebesvorstellungen in Religion, Philosophie und Literatur.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2023. 324 S. Kart. EUR 58,00. ISBN 9783374072118.

Rezensent:

Werner Schüßler

Der vorliegende Sammelband geht auf eine Tagung zurück, die 2018 in Koblenz stattfand, wobei aber weitere Beiträge hinzugekommen sind. Den etwas sperrigen Begriff der »Konfiguration« haben die Herausgeber, wie sie im Vorwort vermerken, Paul Ricœur entlehnt (5).

In einem ersten Block, der dem biblischen Liebesverständnis gewidmet ist, geht André Zempelburg dem Vorkommen und der Verwendung von ’hb in der hebräischen Bibel nach (14–34). Ansgar Moenikes untersucht das Doppelgebot der »Gottes- und Nächstenliebe als Forderung des Alten Testaments« (35–51), deren besonderes Merkmal er in der »sozial-egalitären Stoßrichtung« (48) sieht. Manfred Lang sucht die joh. Konzeption der Liebe aufzuschlüsseln (52–69), die er im Sinne eines »bewegten Netzes« deutet, das »belastbar, dynamisch, beispielgebend und perspektivenreich« sei (64).

Der zweite Block stellt philosophische Positionen in Bezug auf die Liebe vor. Martin F. Meyer erörtert Ciceros Begriff der Freundschaft (71–83), und Tatjana Schönwälder-Kuntze untersucht »L(i)e-be(n) im semantischen Raum der Theologie« mit Bezug auf Hegel, Butler und Derrida (84–103). Hier stellen sich verschiedene Fragen: Wäre es nicht naheliegender gewesen, Aristoteles’ philia-Begriff darzustellen? Weiter: Ist Butlers Hegel-Lektüre (91–97) für einen solchen Band nicht etwas zu speziell? Schließlich: Ist Derrida wirklich ein so wichtiger Kandidat in Bezug auf das hier behandelte Thema? Es wäre doch naheliegender gewesen, Platons Eros-Begriff zu thematisieren – als Gegenposition zum christlichen Agape-Begriff. Und entscheidende Denker aus dem 20. Jh., die sich philosophisch intensiv mit dem Thema Liebe beschäftigt haben – wie Max Scheler, Karl Jaspers, Martin Buber oder Paul Tillich – begegnen überhaupt nicht.

In einem dritten Block geht es um das christlich-theologische Liebesverständnis. Hier geht Bruno Niederbacher dem Begriff der Caritas als »eine[r] Art Freundschaft« bei Thomas von Aquin nach (107–126). Obwohl manche Ausführungen des Thomas von Aquin konstruiert erscheinen, hält Niederbach die thomanische Konzeption der Caritas trotzdem für eine »fruchtbare Idee« (125). Jürgen Boomgaarden widmet sich in seinem Beitrag der Gottes- und Menschenliebe bei Martin Luther (127–155). Zentral sei für Luther, dass er nicht nur eine Gleichursprünglichkeit von Glaube und Liebe annimmt, sondern darüber hinaus »sogar einen zeitlichen Vorrang der Liebe des Menschen zu Gott vor dem Glauben« betont (137). In einem letzten Beitrag dieses Blocks geht Mirja Kutzer der Gottesliebe in der zeitgenössischen literarischen Produktion nach (158–177). Hier geht es um Abaelard und Heloisa, Anne Carsons Adaption dieses berühmten Briefwechsels in ihrem Werk »H & A Screenplay« sowie um Navid Kermanis Roman »Große Liebe«. Ein relativ ernüchterndes Ergebnis dieser Analysen ist u. a. die Einsicht, »dass die Frage nach […] der ›wahren‹ Liebe auf der Ebene des inneren Gefühls nicht endgültig entschieden werden kann« (174).

Ein vierter Block ist dem Liebesverständnis im Islam gewidmet. Hier behandelt Bertram Schmitz die islamische Gottes- und Menschenliebe (181–198). Wenn auch der Begriff der Liebe im Koran kein explizites Thema darstellt (185), so ist doch entscheidend, dass hier die physische Dimension der Liebe (wobei die aktive Sexualität sogar »als Merkmal einer gesunden und damit gottgefälligen Lebensführung« angesehen wird [191]) ebenso ihren Platz hat wie die geistige und dass die Barmherzigkeit Gottes in Bezug auf die Menschen ein zentraler Aspekt ist (197). Naghmeh Jahan beschäftigt sich in seinem Beitrag mit dem »ma’šŭq-Konzept in der persischen klassischen Literatur und in der modernen Poesie der iranischen Frauen« (199–224), wobei »ma’šŭq« den »Geliebten« meint. Während aber in der klassischen persischen Literatur das ma’šŭq-Konzept mit der islamischen Mystik verbunden ist, verändert sich das Liebesobjekt in der modernen iranischen Frauenpoesie in Richtung einer zwischenmenschlichen Liebesbeziehung (220 f.).

Das Liebesverständnis im Buddhismus ist Thema des fünften Blocks. Den Beitrag »Liebe im Buddhismus« von Devananda Rambukwelle in diesen Band aufzunehmen, waren die Herausgeber schlecht beraten. Einmal davon abgesehen, dass dieser voller orthografischer, grammatikalischer und stilistischer Fehler ist, was durch eine redaktionelle Arbeit hätte vermieden werden können, handelt es sich hierbei im eigentlichen Sinne nicht um einen wissenschaftlichen Beitrag, sondern um eine Ansammlung buddhistischer Texte mit zum Teil recht naiv anmutenden Kommentaren des Autors; dazu zwei Beispiele: »Hätte er [ein Millionär] die Liebe-Güte-Meditation für die Schlangen praktiziert, wäre er nicht gestorben, obwohl ihn die Schlange gebissen hätte.« (233) Oder: »Ein Virus ist auch ein Lebewesen. Deshalb sollten die lieben Menschen auch für den Virus Liebe-Güte-Meditation praktizieren.« (241) Ein solcher Satz wirkt nicht nur in Zeiten von Corona äußerst seltsam. Ist Liebe im Buddhismus »Illusion, Gottheit oder Essenz allen Seins«, fragt Kristin Purfürst in ihrem Beitrag (243–264). Allein diese Fragestellung macht schon die Komplexität des Begriffs im Buddhismus deutlich. Insgesamt überwiegt hier eine negative Konnotation in Bezug auf die sinnliche Liebe (262), was im Hinduismus wiederum ganz anders gesehen wird.

Und damit sind wir auch schon beim sechsten und letzten Block. Im Gegensatz zum Buddhismus wird im Hinduismus, wie Katharina Klemm und Bertram Schmitz in ihrem Beitrag zur Gottes- und Menschenliebe deutlich machen (267–280), gerade die geschlechtliche Liebe als Möglichkeit gesehen, Gegensätze zu überwinden (279). Ja, sie kann sogar »ein Weg sein, sich der Gottheit anzunähern« (278). Navina T. Satish verdeutlicht im letzten Beitrag dieses Blocks »die körperliche Liebe als Weg der Befreiung vom Irdischen« anhand hinduistischer Bild- und Textquellen (281–297), was verständlich macht, »warum die körperliche Liebe in Form von erotischen Figuren an indischen Tempelwänden zu sehen ist und weshalb in hinduistischen Texten sexuelle Praktiken erläutert werden« (281).

Zum Schluss findet sich noch ein Beitrag von Stefan Herse mit dem Titel »Die Liebe und Zuneigung des Menschen zum Tier als äquivalente und individualisierte Ausdrucksform von Religion? – Einige theoretische Überlegungen« (300–322). Dieser Beitrag, in dem es nicht nur um die Tierliebe (zu welchen Tieren?) geht, sondern auch um den Vegetarismus bzw. Veganismus, wirkt in gewisser Weise wie ein Fremdkörper. Inwieweit es sinnvoll ist oder auch nicht, »die Zuneigung und das Verständnis für das Tier als individualisierte Religion […] zu bezeichnen«, wird nicht deutlich (316). Hier hätte ohne Zweifel ein Blick auf das Religionsverständnis Paul Tillichs eher weiterhelfen können als die entsprechenden Definitionsversuche von Franz-Xaver Kaufmann (306) oder Thomas Luckmann (310).

Negativ anzumerken sind etliche Formatierungsfehler in Bezug auf Zeilenabstände (z. B. 253 f.) und Absätze (z. B. 282) oder die versehentliche Verwendung verschiedener Schrifttypen (300). Ein besonders gravierender Fehler findet sich auf S. 314, wo es heißt: »[…] christliche ἀγάπϚ existiert […]« statt »[…] christliche agape existiert […]«. Hinzu kommen unzählige Fehler in dem Beitrag von Rambukwelle. Trotz der angesprochenen Defizite ist der vorliegende Band von Interesse mit Blick auf das Liebesverständnis der anderen Weltreligionen.