Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2024

Spalte:

214-216

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Frisch, Ralf

Titel/Untertitel:

Widerstand und Versuchung. Als Bonhoeffers Theologie die Fassung verlor.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2022. 176 S. Kart. EUR 19,90. ISBN 9783290184780.

Rezensent:

Maximilian Schell

Der Nürnberger Systematiker Ralf Frisch vollzieht mit seinem 2022 erschienenen Buch über die Spättheologie Dietrich Bonhoeffers ein Gedankenexperiment im Format »zwischen Dichtung und Wahrheit«, »zwischen Wissenschaft und Fiktion« (172). Bereits der Untertitel des Buches fasst seine Grundthese zusammen: Mit der Gefängnistheologie habe sich eine Zäsur vollzogen, durch die Bonhoeffers Theologie aus den Fugen geraten sei, da bestimmte – nicht zuletzt trinitarische – Denkbewegungen, die noch ein extra nos Gottes und seines Handelns in der Welt absichern können, völlig ausgeblendet worden seien. Frisch entfaltet diese Grundthese in 12 Kapiteln, wobei stärker wissenschaftlich reflektierende Kapitel von drei fiktionalen Traumsequenzen Bonhoeffers – im Kampf mit einem ihm zunächst unbekannten Feind – unterbrochen werden.

Einleitend postuliert Frisch im Blick auf die Bonhoefferforschung, dass Bonhoeffer eine »Aura der Unberührbarkeit« umgebe, durch die die Auseinandersetzungen mit ihm nicht selten »verklärende Züge« annehme (10). Vor dem Hintergrund der enormen globalen und bis in die Gegenwart reichenden Wirkungsgeschichte von Bonhoeffers Spättheologie in Wissenschaft und Kirche ist es Frischs Anliegen, die problemschaffenden Lösungen dieser Spättheologie aufzuzeigen, die nach Frisch vor allem eine »theologische Hyperventilation« (14) darstelle. Dass Bonhoeffer sehr wohl zu einer »Theologie im Gleichgewicht« (29) fähig sei, die einhergehe mit einem Vertrauen in Gottes Führung, zeige sich nach Frisch etwa im Wirklichkeitsverständnis der Ethik (Stichwort »Christuswirklichkeit«), wie auch in einigen seiner Gefängnisbriefe. Doch die Tendenz einer überbordenden Imitatio Christi-Theologie, die die Transzendenzerfahrung und -begegnung allein ins menschliche Handeln überführe – und die sich nach Frisch schon in der Nachfolge andeute –, breche sich in den Gefängnisbriefen Bahn (vgl. Kapitel 3). Das zeige sich nicht nur in Bonhoeffers Äußerungen zum »religionslosen Christentum«, die es aufgrund ihrer inhärenten Metaphysikkritik nach Frisch verunmöglichen würden, Gott noch als »eigenmächtigen Akteur« (59) zu denken. Das zeige sich auch in Bonhoeffers Kreuzestheologie des ohnmächtigen Gottes oder in Überlegungen zu einer Kirche für andere, die letztlich auf eine »Kirche der totalisierten Verantwortung« (74) hinausliefe, die sich selbst statt Gott als letzte (rettende) Instanz begreife. Dies alles seien theologische und ekklesiologische Vorstellungen, die nach Frisch auch den gegenwärtigen europäischen Protestantismus gefährden würden – etwa in Gestalt von Moralismus, übersteigerter Naturromantik oder des Programms der »Öffentlichen Theologie« (vgl. Kapitel 6 und 7).

Im letzten Drittel des Buches entfaltet Frisch die These, dass Bonhoeffer in seiner Spätzeit – »wissentlich oder unwissentlich« (118) – vielfältige Denkbewegungen Nietzsches übernommen habe wie etwa die heroische Bejahung einer »religionslosen und metaphysikfreien Diesseitigkeit« (119) oder die Betonung übermenschlicher Tugenden. So ist es auch Nietzsche, gegen den Bonhoeffer im von Frisch hier erdachten Traum kämpfen und gegen den sich Bonhoeffers Theologie in einer letzten fiktionalen Sequenz beweisen muss. Will man wie Frisch an der – mittlerweile schon mehr als ein halbes Jahrhundert alten – These von der Zäsur zwischen den Ethikfragmenten und den Gefängnisbriefen festhalten, sind die benannten Gefahren und kritischen Gegenwartsanalysen mit Blick auf eine einzig auf die Immanenz ausgerichtete Theologie, die ihre religiöse Sprache verliert und Gott nicht mehr als schöpferisch und rettend denken kann, durchaus berechtigt. Man kann Bonhoeffers Gefängnistheologie jedoch auch als einen auf die Kreuzestheologie fokussierenden Teil von Bonhoeffers trinitätstheologisch ausgerichteten Überlegungen seiner vorherigen Schriften lesen (und einiges spricht dafür), wobei auch hier natürlich nicht alle Ausführungen seiner Spättheologie unkritisch und affirmativ zu bejahen wären. In der internationalen Bonhoefferforschung jedenfalls lassen sich diese verschiedenen Deutungsmöglichkeiten – und auch kritischen Analysen der Gefängnistheologie – schon lange ausmachen, wodurch Frischs Eingangsthese von einer angeblichen »Aura der Unberührbarkeit« deutlich zu widersprechen ist. Eine stärkere Einbettung der Überlegungen in schon Gesagtes und Erforschtes wäre daher wünschenswert gewesen, wodurch auch Überlegungen zum Religionsbegriff Bonhoeffers hätten geschärft werden können (etwa unter Rückgriff auf Studien von Ernst Feil und Ying Huang).

Vor dem Hintergrund von Frischs These einer gedanklichen »Seelenverwandtschaft« (113) zwischen Nietzsche und Bonhoeffer wäre zukünftig näher zu untersuchen, inwiefern und ob in den Gefängnisbriefen eine erneute Nietzsche-Rezeption stattgefunden hat – dies wäre dann ein Gewinn für die bereits außerordentlich differenzierte und alles andere als unkritische internationale Forschungslandschaft.