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Ausgabe:

März/2024

Spalte:

176-179

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bargár, Pavol [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Bible, Christianity, and Culture. Essays in Honor of Professor Petr Pokorný.

Verlag:

Prag: Karolinum Press 2023. 375 S. Kart. Kč 440,00. ISBN 9788024654072.

Rezensent:

Viktor Kókai-Nagy

Wie das Vorwort des Buches verrät, hält der Leser die Publikation eines 2017 gestarteten Projekts in der Hand. Ziel des Projekts war es, die theologischen und philosophischen Wurzeln der christlichen Kultur zu erforschen. Leider konnte es aufgrund des unerwarteten Todes von Petr Pokorný nicht wie ursprünglich geplant realisiert werden. Die Autoren haben sich entschieden, das Andenken an den verstorbenen Gelehrten mit einem vielschichtigen Band zu ehren, der dem ursprünglichen Ziel entspricht. Das Buch gliedert sich in zwei Hauptteile: Der erste konzentriert sich auf die Bibel, der zweite untersucht den Einfluss der christlichen Tradition auf die europäische Kultur aus historischer und philosophischer Sicht.

Im ersten Aufsatz »Moses, the Multilateral Mediator: The Message of the Chiastic Structure in the Story of the Golden Calf (Exod 32–34)« untersucht Petr Sláma den Inhalt des Bildes vom Knecht des Herrn im Bild des Mose (Dtn 34,4) und greift dabei die These von Klaus Baltzer auf. Auf seine eigene Frage, auf welche Ereignisse im Leben des Mose sich Jes 52–53 beziehen könnte, findet er die Antwort in der Geschichte vom Goldenen Kalb, deren chiastische Struktur seiner Ansicht nach deutlich macht, dass Mose der Knecht des Herrn und des Volkes ist. Ex 34,27–35 zeigt, »that Good face is revealed to Israel in the Mosaic Torah, and that in his theological potency, Moses is the servant of the Lord and of the people« (28).

David Cielontko untersucht in seinem Beitrag »Resurrection in Early Judaism within the Context of Existing Beliefs about the Afterlife« nach einem kurzen Überblick über alttestamentliche Passagen, die sich mit der Möglichkeit eines Lebens nach dem Tod befassen, die Ursprünge der Idee der Auferstehung. Nach einer notwendigen Klärung dieser Fragen werden dann die relevanten Abschnitte der frühjüdischen Schriften für jede Periode untersucht. Der Umfang des Bildes wird noch dadurch bereichert, dass in der jüdischen Tradition nicht nur Vorstellungen von der Auferstehung zu finden sind, sondern auch die Vorstellung von der Unsterblichkeit der Seele oder der Unsterblichkeit der Auserwählten noch in ihren Lebzeiten sowie die Vorstellung, dass es kein Leben nach dem Tod gibt. Eine Tabelle auf der letzten Seite der Studie (64) ist eine große Hilfe, um sich einen Überblick über das komplexe Bild zu verschaffen.

Die Bedeutung des Einflusses der Bergpredigt auf die (christliche) Kultur kann nicht in Frage gestellt werden. Die Literatur zu Mt 5–7 ist unübersichtlich, deshalb beschränkt sich Jiří Mrázek in seinem kurzen Aufsatz »The Sermon on the Mount« darauf, forschungsgeschichtliche Akzente zu setzen. Er stellt fest, dass es zwar hin und wieder »radikale« Umsetzungen der Lehre Jesu gibt, die Mehrzahl der Interpretationen aber von einem »Ja, aber ...« bestimmt wird. Am Ende seiner Studie schätzt er seine eigene Position als nahe an der Lehre der consilia evangelica ein.

Der Band enthält zwei Texte von Petr Pokorný. Der erste ist eine Interpretation der Heilungen Jesu (»He Preached the Gospel of the Kingdom of God and Healed Every Disease«), der zweite erforscht die Komplexität und Bedeutung der Auferstehungslehre (»Resurrection: An Interpretation of the Basic Nucleus of the Christian Faith«). Die Heilungen Jesu sind unbestreitbar, aber im Vergleich zu denen anderer Heiler sind sie außergewöhnlich. Diese Besonderheiten werden vom Autor diskutiert und zusammengefasst (84). Pokorný geht dann in seiner Studie auf zwei weitere Themen ein: die Heilungen, in den Jesus die Toten wieder zum Leben erweckt, und die Tatsache, dass die Umdeutung von Wundern schon im Neuen Testament auftaucht. Schließlich weist er auf eine der wichtigsten kulturellen Implikationen der Heilungen Jesu hin: »Christians regarded the sick, the poor, and people deprived in other ways as weaker brothers and sisters who needed help.« (88) Pokornýs zweiter Text ist der längste des Bandes. Zunächst identifiziert er die Schlüsselbegriffe und die frühesten Perikopen der Auferstehung in den biblischen Texten (1Kor 15,3b–5; 1Thess 1,10; Röm 1,3 f.) und weist auf die Bedeutung des Zeugnisses des Apostels in 1Kor 15 hin. Anschließend untersucht er die Erscheinungen des Auferstandenen in der Apostelgeschichte und den Evangelien, wobei er auf die Bedeutung und die Glaubwürdigkeit der Zeugen und die Vielfalt der Zeugnisse hinweist, die manchmal zu alternativen Formulierungen der Ostererfahrung und zur Entwicklung von Irrlehren führten. In der zweiten Hälfte der Studie (115–144) gibt der Autor einen Überblick über moderne und aktuelle Interpretationen dieser komplexen, aber für das Selbstverständnis des Christentums entscheidenden Frage, um am Ende die Position der neutestamentlichen Theologie zum Thema darzustellen. »This is the basis of the church‘s indispensability and its ›holiness‹, but also of its great responsibility when it squanders or even abuses its advantage.« (143)

Jan Roskovec befasst sich in seinem Beitrag »Justice and Justification: Paul’s Gospel and the Issue of Justice« mit einem zentralen Thema der paulinischen Theologie, indem er sich auf die Lehre des Römerbriefs konzentriert. Der Begriff der Gerechtigkeit spielt in den Beziehungen zwischen Individuum und Gesellschaft und im Recht eine herausragende Rolle. Es steht außer Frage, dass der Gottlose, der Sünder der Rechtfertigung bedarf. Dennoch ist das Merkmal der Rechtfertigung des Paulus, dass sie in scharfem Gegensatz zu jener »weltlichen« Vorstellung von gerechter Gerechtigkeit steht. Diese provokante Aussage muss allerdings gerechtfertigt werden, was der Apostel mit drei Argumenten tut: einem exegetischen, einem christologischen und einem pragmatischen.

Jan Dušek untersucht die Bedeutung und die Funktion des Psalms 22 in den Berichten von Markus und Matthäus (»Psalm 22 and the Biblical Roots of Christian Culture«). Wie der Verfasser des Psalms von seinen Zeitgenossen verspottet wurde, so wird auch Jesus am Kreuz verspottet, aber die kindliche Verzweiflung in ihren Worten wird in beiden Fällen durch die Erkenntnis und das Wissen um die Treue Gottes ersetzt.

Der letzte Aufsatz des ersten Teils vergleicht das Verständnis von Origenes und Augustinus über die Auferstehung des Leibes und die Ereignisse der Endzeit (»So that God may be All in All« [1Corinthians 15:28]. The Resurrection of the Body and the Final Restoration of All, according to Origen and Augustine). Lenka Karfíková argumentiert überzeugend, dass der eigentliche Unterschied zwischen den beiden nicht so sehr in der leiblichen Auferstehung liegt, sondern vielmehr in der Rolle des Fegefeuers und dem Schicksal der Sünder.

Die Studie »Christian Traditions in Our Calendar« von Cilliers Breytenbach bildet den Auftakt zum zweiten Teil des Bandes. In seiner Studie gibt er bekannte und weniger bekannte Informationen über den Kalender, die mit ihm verbundenen Namen und die christlichen Feiertage, die auf der ganzen Welt gefeiert werden.

»The contrast between the gospel's universal validity and its particular espousal between Christ's Ascension and his Parousia is one of the tensions within the Christian faith that every Christian man and woman must bear no matter when they live.« (205) Jan Štefan zeigt anhand von Beispielen, wie diese Spannung von einer Epoche zur nächsten verarbeitet und bewertet wird, vom Bild der ecclesia triumphans bis zur Idee des modus moriendi ecclesiae, von Eusebius bis Hromádka, und zeigt die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen katholischen und protestantischen Positionen auf. Titel seiner Studie ist: »Corpus Christianum? From Eusebius and Augustine to Karl Rahner and Oto Mádr. From Petr Chelčický and Martin Luther to Karl Barth and Josef Lukl Hromádka«. Und seine Antwort lautet: »The promise to endure to the end was not given to the Christian world, but to Christ’s church; not to corpus Christianum, but to corpus Christi.« (227)

Die Studie von Kateřina Kočandrle Bauer und Ivana Noble gibt einen Einblick in das Denken der orthodoxen Theologen, die zu Beginn des letzten Jahrhunderts aus Russland geflohen sind: »The Light Encountering the Darkness in Twentieth Century Orthodox Theology and Spirituality in the West: Father Sergius Bulgakov, Mother Maria Skobtsova, Vladimir Lossky, and Archimandrite Sophrony«. In gewisser Weise ließen sich die vier Zeitzeugen von demselben Ziel leiten: die mystische Theologie des Lichts in soziale Solidarität umzusetzen. »Their articulation of the specific kind of light that has the power to enlighten the world and transform human lives even in times of darkness has been a valuable source of inspiration that has reached far beyond Orthodoxy« (250).

Der Artikel »The Theology of the Transfiguration and Early Christian Art« von Anatoly A. Alexeev zeigt anhand von Bildern (vgl. 262–265), dass die byzantinische Ikonographie die Verklärung Jesu als Vorwegnahme der Auferstehung darstellt. Er meint, dass sie damit dem Johannesevangelium sehr nahekommt, das zwar die Verklärung Jesu nicht erwähnt, aber die Verherrlichung des Gottessohnes am Kreuz nach der Auferweckung des Lazarus stark betont.

Der Aufsatz »Robert Kalivoda: Christian Chiliasm and the Idea of the Historical Emancipation of the Human Being« von Jan Černý ist ein Dialog mit dem marxistischen Denker und stellt die Ideenströmung vor, die in den das Christentum begleitenden Richtungen seit langem vorhanden ist, manchmal in recht radikalen Formen. Die Hussiten als diejenigen, die die Kirche und die sozialen Verhältnisse reformieren wollten, gehören auch zu dieser Linie. Die Arbeit zeigt die Auswirkungen dieser Bewegung auf die europäische Kultur und bietet gleichzeitig einen interessanten Einblick in die tschechische Geschichte.

Gerd Theissen hat eine komplexe Studie zu aktuellen Themen vorgelegt: »Biblical Motifs in our Culture? Some Notes from Biblical and Cultural Theology on Migration and Leitkultur«. Der Autor bringt seine Ansichten in drei Thesen zum Ausdruck. Zunächst begründet er, warum es in Europa keine nationale oder christliche Leitkultur gibt. In der zweiten These zeigt er, dass es trotz der Trennung von Religion und Säkularismus eine Konvergenz zwischen den europäischen und den christlichen Grundwerten gibt. Die beiden Bereiche befruchten sich gegenseitig. Im letzten Abschnitt möchte der Autor beweisen, dass diese Symbiose durch einen rechtlichen Rahmen und vor allem durch die Artikulation von Menschenrechten ermöglicht wird.

Der Herausgeber dieses Bandes, Pavol Bargár, untersucht die transformative Rolle des Christentums für die Kultur. Seine Hauptfrage ist, wie die christliche Theologie Teil des komplexen Prozesses der Kultur ist und wie sie deren Entwicklung beeinflussen kann. Sein Beitrag »Christianity, Culture, and Transformation: A Theological Reflection« konzentriert sich auf die Dynamik des Christentums, das »einheimisch« und »Pilger« zugleich in dieser Welt ist.

Pavel Keřkovský weist darauf hin, dass die Quelle der modernen Menschenrechte die jüdisch-christliche Religion ist, im Gegensatz zu der weit verbreiteten Ansicht, dass sie ihren Ursprung in der europäischen Aufklärung oder in der Säkularisierung des 19. Jh.s hätten. »The Genesis of Religious and Human Rights« ist vor allem begründet in der Gleichheit vor Gott. Im Gegensatz zum asymmetrischen Recht in der Welt waren die Autoren der Bibel fähig, »to create a conception of symmetrical universalistic justice, and they began to see God as the one who does not side with anyone or with any group of people« (329). Der Artikel endet mit einem historischen Überblick.

Die Zwei-Naturen-Lehre des Konzils von Chalzedon versuch-ten viele Bilder seit den frühesten Zeiten nachzubilden. In ihrer Studie »The Image of Christ Between Divine Majesty and Human Humilitation« bietet Kornélia Kolářová Takácsová anhand von drei Beispielen Einblicke in die Ikonographie dieser Dualität. »The Iconographic portrayal of Christ also effectively demonstrates that the visual arts are a distinctive tool for interpreting biblical narratives and doctrinal matters.« (347)

Dieser Band präsentiert ein Spektrum theologischen Denkens, wie es nur ein so breit angelegtes Thema bieten kann. Eine besondere Freude ist es, auf überwiegend tschechische Autoren zurückgreifen zu können, was dem Leser aus der Ferne einen Einblick in die dortige Gegenwartswissenschaft ermöglicht. Ein besonderer Dank gilt denjenigen, die es möglich gemacht haben, dass das von Petr Pokorný geplante Projekt Realität werden konnte.