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Ausgabe:

Januar/2024

Spalte:

75-77

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Rebenich-Huber, Gerlinde, u. Stefan Rebenich [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Interreligiöse Konflikte im 4. und 5. Jahrhundert. Julian »Contra Galilaeos« – Kyrill »Contra Iulianum«.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2020. XVI, 292 S. = Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur, 181. Geb. EUR 119,95. ISBN 9783110551242.

Rezensent:

Andrea Villani

Die Forschung zu Julian, dem letzten »heidnischen« Kaiser, und zu seinem postumen Gegner, dem alexandrinischen Patriarchen Kyrill, ist in den letzten Jahrzenten massiv angewachsen, und zwar nicht nur, was die Interpretation ihrer Schriften, die Erhellung ihres Denkens oder auch ihre politischen Tätigkeiten angeht, sondern aus dem Grund, der diese anderen Forschungen überhaupt ermöglicht, der Textkonstitution. So kam 2015 die kritische Ausgabe einiger Schriften Julians für die Bibliotheca Teubneriana heraus, erstellt von dem Gräzisten Heinz-Günther Nesselrath (der darüber hinaus 2021 einen SAPERE-Band zu Julians Rede Contra Heraclium Cynicum veröffentlicht hat), gefolgt, zwei Jahre später, von der ersten kritischen Ausgabe von Kyrills imposanter Gegenschrift zu Julians Contra Galilaeos, nämlich Contra Iulianum, das Ergebnis langjähriger Arbeit unter der Führung von Christoph Riedweg und Wolfram Kinzig, wie im Vorwort ausführlich erklärt wird. Inzwischen wurde dieser kritische Text auch Basis für die Sources Chrétiennes-Ausgabe und eine deutsche Übersetzung wurde ebenfalls herausgegeben.

Die in diesem Band versammelten Beiträge nehmen direkt auf dieses große Unternehmen Bezug, wobei sie auf eine Tagung in Bern zurückgehen, die Gerlinde Huber-Rebenich und Stefan Rebenich anlässlich der Erscheinung von Kyrills Editionen organisiert haben. Auch wenn nicht so dargestellt, besteht der Band grundsätzlich aus zwei Teilen: Die ersten fünf Beiträge beschäftigen sich mit Julian, wohingegen die letzten sieben Kyrill thematisieren.

Die ersten drei, thematisch sehr gut abgestimmten, Beiträge, die aus der Feder eines klassischen Philologen (H.-G. Nesselrath), eines Kirchenhistorikers (A. M. Ritter) und einer Philosophiehistorikerin (M. C. De Vita) stammen, untersuchen das komplexe Verhältnis des intellektuellen Kaisers zu den Christen: Wenn Nesselrath die nicht direkt polemischen Schriften unter die Lupe nimmt und zeigt, dass auch dort Attacken gegen das Christentum nicht fehlen, beleuchten Ritter und De Vita Julians tiefe Vertrautheit mit den innerchristlichen, theologischen Debatten, die das 4. Jh. mit dem arianischen Streit charakterisieren, und ihren Protagonisten. Besonders interessant scheint Nesselraths Beobachtung, dass nur die Rede an Helios keine explizite antichristliche Polemik enthält, weil diese Rede die »richtige« Religion, nämlich die polytheistische, darstellen soll, welche ein Pendant zu der »falschen« Religion ist, nämlich der der Galiläer, wie Julian die Christen abwertend bezeichnet – eine Beobachtung, die von De Vita aufgegriffen und ausgearbeitet wird, indem sie zeigt, wie Julian in dieser Rede Helios als einen Vermittler zwischen Gott und Mensch darstellt und dadurch seinen Lesern ein Alternativmodell zu Christus bietet.

Die zwei übrigen Julian-Beiträge befassen sich mit dem Nachleben des Kaisers, und zwar mit der byzantinischen Rezeption seiner Schriften sowie der Rekonstruktion einiger Aspekte ihrer Traditionsgeschichte. Der Altertumswissenschaftler S. Trovato zeigt einige Etappen der »ambivalenten« Rezeption Julians im byzantinischen Reich, der bald zu einem Beispiel für den Christenfeind schlechthin wird, das oft in der damaligen Polemik – fast als ein abschätziges Etikett – benutzt wurde. Trotzdem zeigen einige Schriften, z. B. von Johannes von Thessaloniki oder Liutprand von Cremona, eine, wenn auch nur indirekte, Überlieferung seiner Texte. Der Gräzist A. Guida kann überzeugend beweisen, dass die auf einem Eintrag in einer Londoner Handschrift basierende Annahme, der Text von Contra Galilaeos sei in direkter Überlieferung bis zur Renaissance bekannt gewesen, doch auf eine Nachricht des berühmten Humanisten und Kabbalisten Johannes Reuchlin zurückzuführen ist, die nichts über die Überlieferung verrät. Im zweiten Teil des Beitrags wird ein einzigartiges Fragment von Contra Galilaeos über den Stern der Weisen vorgestellt, der von Gian Francesco Pico della Mirandola (der Neffe des viel berühmteren Giovanni) zitiert wird, ohne dass es aber nachvollziehbar ist, woher er dies hatte.

Der zweite, etwas längere, Teil ist dem Patriarchen Alexandrias, Kyrill, und besonders seiner Widerlegung des Julian gewidmet. Außerhalb dieses Rahmens steht nur der äußerst informative Beitrag des Orientalisten H. Kaufhold, der die syrischen Übersetzungen des Gesamtwerkes Kyrills vorstellt, sowohl was die Schriften angeht, die im Ganzen ins Syrische übertragen wurden, als auch diejenigen, die nur fragmentarisch oder exzerpiert übersetzt worden sind.

Der Sitz im Leben von Contra Iulianum wird vom Kirchenhistoriker W. Kinzig untersucht, der beweisen kann – eine gefestigte Tradition in Frage stellend –, dass im ersten Drittel des 5. Jh.s Julians polemische Schrift für Christen noch »gefährlich« sein konnte, indem sie den intellektuellen Kreis ansprach, der aus zur Philosophie und besonders zum (Neu-)Platonismus geneigten Christen bestand. Ein typischer Vertreter dessen kann in einer Persönlichkeit wie Synesios von Kyrene, Schüler von Hypatia und christlicher Bischof zugleich, gesehen werden. Gegen solche Christen und nicht nur gegen den verstorbenen Kaiser wendet sich Julian mit seiner Schrift. Die anschließenden Beiträge des klassischen Philologen M. Schramm und des Kirchenhistorikers Th. Brüggemann erläutern einige argumentative Strategien dieser Widerlegungsschrift, der erste in allgemeiner Form, der letzte durch das spezifische Beispiel der Apostrophe. Beide Autoren unterstreichen Kyrills Kenntnis und Nutzung der früheren apologetischen Literatur, insbesondere des Origenes und seiner Schrift gegen Kelsos, die ein geeignetes Vergleichsmodell zu Contra Iulianum bietet – dabei wäre vielleicht hilfreicher, manche Aussagen über Origenes und seine Methodik durch Stellenzitate zu untermauern, die sonst mit bloßer Nennung von Sekundärliteratur für Nicht-Origenes-Spezialisten schwer nachzuvollziehen sind. (In Brüggemanns Artikel bleibt mir ein Satz unverständlich, in dem Origenes als ein »früheres« Bespiel im Vergleich zu Paulus dargestellt wird.)

In ihren zwei Beiträgen befasst sich die Patristikerin und Kyrill-Spezialistin M.-O. Boulnois mit zwei spezifischen Aspekten von Contra Iulianum: im ersten kann sie – anhand von inhaltlichen sowie stilistischen Ähnlichkeiten zum 15. Osterfestbrief – zu dem Schluss kommen, dass das theologisch besonders dichte achte Buch dieses Werkes im Jahre 427 verfasst worden sein muss; andererseits zeigt sie auch, wie Kyrill das im Julian vorgefundene Material in seiner Replik neu organisiert; im zweiten Beitrag analysiert Boulnois zuerst Julians Interpretation des Johannesprologs (Joh 1,1–18), wie sie aus einigen Fragmenten des Contra Galilaeos rekonstruierbar ist, und dann Kyrills Reaktion darauf, die sich bemerkenswerterweise von der eigenen Interpretation im Johanneskommentar deutlich unterscheidet, da die Polemik Kyrill zu besonderen Akzentuierungen führt.

Im letzten, vom klassischen Philologen Ch. Riedweg verfassten Beitrag, wird der Leser in die Werkstatt zur Vorbereitung der kritischen Ausgabe von Kyrills Schrift geführt: die indirekte sowie die direkte Textüberlieferung werden kurz dargestellt und einige »Entdeckungen« offenbart, die während der Arbeit gemacht wurden. So erfährt man, dass der Humanist David Hoeschel eine Ausgabe vom Text, die nie zustande kam, geplant hatte und möglicherweise eine Handschrift (Q = Paris. suppl. gr. 424) dafür hatte anfertigen lassen sowie einige Glossen am Rand anderer Handschriften verfasst hatte. In einem Addendum wird ein neues, sehr altes Zeugnis (IX/X Jh.) aus Patmos vorgestellt, das vor kurzem von Katarzyna Prochenko entdeckt wurde und Exzerpte aus den ersten zwei Büchern enthält.

Der Band wird durch ein nützliches Personenregister abgerundet, wohingegen Stellen- und Sachregister leider fehlen.

Diese kurze Vorstellung hat einmal mehr gezeigt, wie solche komplexen und facettenreichen Texte nur durch einen interdisziplinären, hier lobenswerterweise – in einer immer mehr auf Homologisierung der Sprache gerichteten Forschungswelt – auch mehrsprachigen Dialog zu erschließen sind. Auch wenn weitere Probleme und Fragen hätten diskutiert werden können, bieten diese Beiträge insgesamt einen lehrreichen und perspektivenöffnenden Einblick in die Forschungsdebatte um zwei wichtige und polarisierende Figuren, die in den jeweiligen Bereichen zugleich Literaten und Politiker waren und die darauffolgenden Generationen auf verschiedene Weise – im Positiven oder im Negativen – geprägt haben.