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Ausgabe:

Januar/2024

Spalte:

52-54

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schorch, Stefan [Ed.]

Titel/Untertitel:

Genesis. Ed. in collaboration with E. Burkhardt, U. Hirschfelder, I. Wandrey and J. Zsengellér.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2021. LXIV, 451 S. m. Abb. = The Samaritan Pentateuch, 1. Geb. EUR 119,95. ISBN 9783110709506.

Rezensent:

Martin Rösel

Mit der Edition der Genesis legen Stefan Schorch (Halle) und sein Team nach Levitikus (2018) nun in einem erfreulich kurzen Zeitabstand den zweiten Band der neuen editio critica maior des Samaritanischen Pentateuch (Smr) vor (vgl. ThLZ Oktober 2019, 999–1001). Sie wird die beiden bisher vornehmlich verwendeten Ausgaben ablösen, zum einen die Edition des August Freiherr von Gall (1914–1918), die einen eklektischen Text bietet und Grundlage der samaritanischen Textvarianten in der BHS war, zum anderen die Ausgabe von Abraham Tal (1994), die aber auf einer Handschrift basiert, die nicht immer den besten Text bewahrt hat. Beide Ausgaben sind durch Bibelprogramme wie Logos oder Accordance weit verbreitet.

Die neue Ausgabe ist wie die von A. Tal als diplomatische Edition angelegt, sie basiert auf einer in Dublin aufbewahrten Handschrift aus dem Jahr 1225 (Chester Beatty Lib., 751). Lesarten von 23 weiteren alten Manuskripten werden in den Apparaten dokumentiert (xxii–xxiii). Da diese teilweise unvollständig sind, wird auf jeder Seite der Edition angezeigt, welches Manuskript den jeweiligen Text enthält. In einem eigenen Apparat werden zusätzlich Lesarten der samaritanischen Targumim (aramäisch) und samaritanisch-arabischer Übersetzungen geboten, sofern eine abweichende konsonantische Vorlage anzunehmen ist. Diese Zeugen sind wichtig, da sie Traditionen bewahrt haben können, die älter sind als die erhaltenen Bibelhandschriften, die aus der Zeit ab dem 12. Jh. stammen.

Zusätzlich werden in Marginalnoten Vokalisationsvarianten mitgeteilt, die sich aus der (mündlich überlieferten) samaritanischen Lesetradition ergeben (s. dazu Stefan Schorch: Die Vokale des Gesetzes. Die samaritanische Lesetradition als Textzeugin der Tora, 1. Das Buch Genesis, BZAW 339, Berlin 2004). Ein kurzer Exkurs zur Vokalisation bereschit vs. bareschit in Gen 1,1 (xxxvi) macht das Verfahren und seinen Nutzen einsichtig.

Eine dreisprachige Einleitung (deutsch, englisch, hebräisch) führt konzise in die Forschungsgeschichte ein und erläutert den Aufbau der insgesamt fünf Apparate und der verwendeten Siglen und Abkürzungen. Zusätzlich wird S. lxi eine Tabelle geboten, in der die samaritanischen Konsonanten der üblichen hebräischen Quadratschrift gegenübergestellt werden. Für die Textausgabe selbst wurde die hebräische Quadratschrift verwendet, was gut vertretbar ist und v.a. ungeübten Nutzern zugutekommt. In den Apparaten werden die jeweiligen Varianten in griechischer, syrischer oder arabischer Schrift gegeben. Die samaritanische Schrift wird im Kolumnentitel wechselseitig mit der lateinischen zur Angabe von Buchtitel und Kapitel verwendet. Leider werden in dieser Kopfzeile keine Versangaben mitgeteilt, was das schnelle Auffinden konkreter Texte erleichtern würde. Allerdings werden die Verszahlen – was etwas vom Prinzip einer diplomatischen Ausgabe abweicht – in den laufenden hebräischen Text eingefügt, dabei der auch in der Biblia Hebraica üblichen Zählung folgend. Bei der Präsentation des Textes werden Details der Handschrift möglichst vollständig mitgeteilt, also auch Vokalzeichen, Interpunktionszeichen und Abschnitte.

Es schließen sich insgesamt fünf Apparate an. Im ersten (var.ms.) werden die innersamaritanischen Varianten des Konsonantentextes der ausgewerteten Manuskripte gelistet, auch gelegentliche Korrekturen innerhalb der Basis-Handschrift. Im zweiten (var.int.) werden die oben genannten Fälle geboten, in denen die samaritanischen Übersetzungen mutmaßlich auf eine abweichende hebräische Lesart zurückgehen. Hilfreich, aber methodisch nicht unangreifbar ist, dass die vermutete hebräische Vorlage in Quadratschrift rekonstruiert und zum Teil auch masoretisch-tiberisch vokalisiert wird. Der dritte Apparat (not.ad.) listet danach textkritische und Vokalisationszeichen der samaritanischen Bibelhandschriften auf. Für diese gab es zur Zeit der Abschrift kein entwickeltes System, daher erscheint ihre Sammlung als sinnvoll. Zu beachten ist, dass dieser Apparat in der Einführung zum Levi-tikus-Band als vierter Apparat bezeichnet wurde, in der Textausgabe selbst aber an dritter Stelle stand. Diese Diskrepanz ist nun behoben worden.

Der vierte Apparat (par.ex.) ist wohl derjenige, der Leser und Leserinnen am meisten interessiert, die textkritische Informationen zum Vergleich mit der Biblia Hebraica suchen. Hier werden externe Parallelen zum samaritanischen Text aus Qumran, der LXX, Peschitta, Vulgata und Targumim zusammengestellt. Geboten werden die externen Parallelen dann, wenn der samaritanische vom masoretischen Text abweicht. Mit Gleichheits- oder Ungleich-Zeichen wird mitgeteilt, ob die Parallele mit dem Smr übereinstimmt oder nicht, die Lesart des MT wird am Ende des jeweiligen Eintrags ebenfalls geboten. Apparat 5 (punct.) notiert Differenzen zu den Interpunktionszeichen der Basishandschrift, weil diese mit hoher Variationsbreite gesetzt wurde. Es ist auf den meisten Seiten der umfangreichste Abschnitt, dessen Nutzen sich aber wohl vor allem für Spezialisten erschließt. Ein Verweissystem gibt Hinweise auf Phänomene, die an verschiedenen Stellen in den Apparaten behandelt wurden, etwa in Gen 1,18, wo ein hif’il statt eines qal sowohl als Vokalisations- als auch als konsonantische Variante belegt ist; hier werden auch im zweiten Apparat die Lesarten der Übersetzungen geboten.

Die Ausgabe erschließt den Reichtum der samaritanischen Tradition in einer bisher unerreichten Weise, der Satz ist klar und gut lesbar, die Ausstattung gediegen. Im täglichen Gebrauch ergeben sich dennoch Fragen. So werden z. B. in Apparat 1 und 2 keine Hinweise zur Beurteilung einzelner Lesarten gegeben, Kommentare sind nicht vorgesehen. Nutzer/innen erhalten keine Unterstützung bei der Auswertung des Befunds, etwa bei der Differenz von sechstem und siebtem Tag in Gen 2,2. Abweichungen zu der Ausgabe von Galls werden nicht mitgeteilt, Lesarten der Ausgabe von A. Tal sind allerdings über das Siglum der Handschrift (G6) erkennbar. Dennoch wäre ein eigenes Siglum für die Ausgabe von Galls und/oder eine Liste der Differenzen hilfreich, wie das z. B. in den Ausgaben der Göttinger Septuaginta geschieht.

Schwerer wiegt, dass wichtige Differenzen zwischen dem Samaritanus und dem MT im vierten Apparat nicht gelistet werden oder nur unzureichend erschlossen werden können. Das lässt sich an der abweichenden Chronologie in den Genealogien der Urgeschichte zeigen. Nach Gen 5,25 MT war Methusalah 187 Jahre alt, als er Lamech zeugte. Nach dem Samaritanus war er 67 Jahre alt. Im Apparat vermerkt ist, dass die Zahl »60« auch von der Septuaginta unterstützt werde, der MT habe demgegenüber »80«. Allerdings hat die LXX die Gesamtsumme 167; stimmt also nur in einem Detail mit dem Smr überein, in der Gesamtsumme aber nicht. Der Apparat ist demnach nicht falsch, ergibt aber kein vollständiges Bild von der textkritischen Situation. In 5,18, wo Jared im Smr 100 Jahre jünger ist als in MT und LXX, wird gar kein Eintrag geboten, wohl, weil kein externer Zeuge die Lesart des Samaritanus unterstützt. Ähnliches gilt auch für die Differenzen in Gen 11,11 ff., die ganze Sätze umfassen. Auch dies ist in der Festlegung begründet, dass im Apparat »›samaritanische‹ Lesungen in nicht-samaritanischen Textzeugen« (xxxi) aufgeführt werden.

Diese Bemerkungen sollen den Wert der Ausgabe nicht schmälern, sondern auf die Konsequenz dessen hinweisen, dass der Schwerpunkt dieser Edition ganz beim Samaritanus liegt. Für die Textkritik der masoretischen Biblia Hebraica steht mit ihr ein unverzichtbares Hilfsmittel zur Verfügung, das allerdings mit Bedacht einzusetzen ist. Es ist zu hoffen, dass die weiteren Bände bald folgen.