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Ausgabe:

Dezember/2023

Spalte:

1272-1274

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Vellguth, Klaus [Hg.]

Titel/Untertitel:

Eine Welt – keine Sklaverei. Moderne Sklaverei weltweit.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2022. 320 S. = Theologie der Einen Welt, 20. Geb. EUR 28,00. ISBN 9783451393204.

Rezensent:

Yan Suarsana

Der zu besprechende Sammelband ist Teil der von dem katholischen Pastoraltheologen und Missionswissenschaftler Klaus Vellguth in Kooperation mit missio Aachen herausgegebenen Reihe Theologie der einen Welt. Grundidee der Reihe ist es, »ein missionswissenschaftliches und weltkirchliches Forum zu bieten, in dem die Multiperspektivität und Kontextualität der Theologie präsentiert und als theologischer Polylog wahrgenommen wird« (10). Zu diesem Zweck bringen die verschiedenen Bände Beiträge von »Theolog*innen aller Kontinente« (12) in jeweils ausgeglichener Zahl zu ausgewählten Themen miteinander ins Gespräch. Dies erfolgt mit dem erklärten Ziel, die Autoreferentialität der deutschen Theologie zu überwinden und einen interkulturellen Ansatz zu vertreten, der die verschiedenen Mitwirkenden »als Anwält*innen einer asiatischen, lateinamerikanischen, afrikanischen oder europäischen Theologie zu Wort kommen« (22) lässt. Der Herausgeber vermeidet es dabei, die Texte, wie sonst üblich, bereits im Voraus einzuordnen und konzeptuell zu verbinden, um nicht »unbemerkt in das Fahrwasser eines europäischen Provinzialismus zu geraten« (10).

Der vorliegende Band hat das Thema der sogenannten modernen Sklaverei zum Inhalt. Die verschiedenen Beiträge sind dabei thematisch gruppiert, wobei zu jedem Unterthema jeweils ein Text aus europäischer, asiatischer, lateinamerikanischer und afrikanischer Hand abgedruckt ist. Zunächst wird die Geschichte der Sklaverei in den beteiligten Kontexten behandelt. Hier liegt der Fokus in erster Linie auf der älteren Besitzsklaverei, die in vorkolonialen und kolonialen Kontexten bis zu ihrer formellen Abschaffung im 19. Jh. beleuchtet wird. Die Brücke zum übergreifenden Thema wird dabei durch das Aufzeigen der Nachwirkungen in den verschiedenen Regionen geschlagen, um sodann im nachfolgenden Kapitel zu ausgewählten Formen der modernen Sklaverei Anknüpfung zu finden. Als Beispiele dienen hier etwa die Ausbeutung indischer Wanderarbeiter im Kontext der Covid-19-Pandemie (Bendanglemla Longkumer) oder die moderne Versklavung von Kindern und Frauen in afrikanischen Ländern (Georgette Thioume Ndour). Auch wenn nicht alle Beiträge explizite Definitionen von moderner Sklaverei enthalten, so liegt ihnen (wie auch den übrigen Texten des Buchs) augenscheinlich ein ähnliches Verständnis zugrunde, das der guatemaltekische Anthropologe und Theologe Kajkoj Maximo Ba Tiul in seinem Beitrag folgendermaßen zusammenfasst: »[E]in Zustand, in dem eine Person gezwungen wird, unter menschenunwürdigen Bedingungen zu arbeiten, ohne sich weigern zu können, unter anderem durch Zwang, Drohungen oder Machtmissbrauch. Dabei kann es sich um Schuldknechtschaft, Zwangsarbeit, sexuelle Ausbeutung, Menschenhandel, Kinderarbeit und Kinderzwangsheirat handeln.« (136) Im sich anschließenden Kapitel werden sodann die Ursachen der modernen Sklaverei thematisiert. Die Autorinnen und Autoren diskutieren dabei an verschiedenen Beispielen (etwa am Menschenhandel in Südostasien [Polykarp Ulin Agan]) die globale neoliberal-kapitalistische Wirtschaftsordnung mit all ihren gesellschaftlichen und politischen Begleiterscheinungen, welche den Menschen zur Ware degradiere und »Asymmetrien von Menschen« (159) zementiert habe. Doch auch der in allen Gesellschaften noch immer tief verwurzelte latente Rassismus wird als eine der Hauptursachen für die moderne Sklaverei identifiziert (Boniface Mabanza Bambu), der seit der Kolonialzeit die Verdinglichung und »Kodifizierung der schwarzen Menschen als Handelsware« (199) legitimiert habe. Diese Bestandsaufnahme wird von den letzten beiden Abschnitten zum Anlass genommen, das gegenwärtige Engagement der katholischen Kirche gegen moderne Sklaverei an ausgewählten Exempeln aufzuzeigen und verschiedene Zukunftsvisionen für ein weiteres kirchliches und gesellschaftliches Engagement zu skizzieren. Hier berichten in der Hauptsache Menschen der Praxis von der konkreten Arbeit, aber auch aus der Geschichte kirchlicher Initiativen und Organisationen, die sich der Bekämpfung der modernen Sklaverei in den verschiedenen Regionen verschrieben haben (als Beispiele seien hier Bernd Hirschberger für Hilfswerke und Initiativen in Europa und Regamy Thillainathan für die Katholische Bischofskonferenz und Caritas in Bangladesch genannt). Im Bezug auf die perspektivische Überwindung der modernen Sklaverei spannen die Beiträge ein Feld zwischen sehr konkreten Handlungsempfehlungen (bspw. zu Ursachenbekämpfung, Aufklärung und Rehabilitation [Vimal Tirimanna]) und allgemeineren Überlegungen (etwa zum Perspektivwechsel im Bezug auf das Thema Werkarbeit [Emilca Cuda]) auf. Ein Verzeichnis der Autorinnen und Autoren sowie der Übersetzenden rundet den Band ab.

Wie vom Herausgeber intendiert, bietet das Buch eine bemerkenswerte Vielfalt an Stimmen und Perspektiven auf ein erschütterndes Phänomen, das weltweit verbreitet ist und daher sinnvoll nur in seinen globalen Verflechtungen analysiert und verstanden werden kann. Die Entscheidung, die Beiträge für sich sprechen zu lassen, ermöglicht es dabei, die jeweiligen Spezifika der verschiedenen Kontexte in den Blick zu nehmen, gleichzeitig aber auch eine übergreifende globale Perspektive zu konstituieren, die jedoch an keiner Stelle fixierend und einseitig (eurozentrisch) deutend daherkommt. Die Globalität entsteht vielmehr durch das, was die verschiedenen Texte verbindet – ein Zusammenhang, der indes nicht »von außen« kuratiert ist, sondern aus den Beiträgen selbst erwächst und sich organisch und in beeindruckender Weise zu einem größeren Ganzen verbindet. Die Kehrseite dieses Verfahrens ist freilich, dass der Erstzugang zum Werk durch das Fehlen eines auf das Thema des Bandes zugeschnittenen inhaltlichen Vorworts erschwert wird, etwa, wenn sich Lesende nur für eine bestimmte Region oder einzelne Aspekte der modernen Sklaverei interessieren. Hier hätten vielleicht kurze Zusammenfassungen/Abstracts aus der Hand der Beitragenden Abhilfe schaffen können, die entweder den einzelnen Texten nachgestellt oder auch im (ansonsten ebenfalls sehr lesenswerten) Vorwort hätten zusammengefügt werden können. Auch der Umstand, dass die Beiträge offensichtlich gänzlich unabhängig voneinander entstanden sind, führt bisweilen zu inhaltlichen Dopplungen. Andererseits entsteht gerade durch solche Überschneidungen bereits auf der Ebene des »Nebeneinanders« der Texte ein Dialog untereinander, etwa weil einzelne Konzepte unterschiedlich verstanden oder bewertet werden, weshalb die Beiträge von den Lesenden auch unmittelbar aufeinander bezogen werden können.

Dass mit Eine Welt – keine Sklaverei bereits der 20. Band der Reihe vorgelegt wurde, beweist, dass sich deren Konzept der Multiperspektivität und des Polylogs bewährt hat. Auch das vorliegende Werk bestätigt diesen Befund auf eindrückliche Weise und lässt auf weitere Bücher der Serie hoffen.