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Ausgabe:

Dezember/2023

Spalte:

1203-1205

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Wacker, Marie-Theres, Bechmann, Ulrike, u. Gerhard Langer [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Prophetie in Tenach, Bibel und Qur’an. Konturen – Strukturen – Figuren.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2023. 301 S. = Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament, 237. Kart. EUR 89,00. ISBN 9783170424562.

Rezensent:

Klaus von Stosch

Bei dem Buch handelt es sich um die Dokumentation der Jahrestagung der deutschsprachigen Alttestamentler und Alttestamentlerinnen aus dem Jahr 2021. Es möchte ausdrücklich das Gespräch von Judentum, Christentum und Islam aufnehmen. Entsprechend startet es mit einer Übersicht zur koranischen Prophetologie durch den Paderborner Koranexegeten Zishan Ghaffar (11–36), der sich als Schüler Angelika Neuwirths der historisch-kritischen Koranforschung verschrieben hat und gerade die Prophetologie intertextuell im Blick auf die biblischen Texte und deren patristische und rabbinische Aneignungen liest. Insbesondere seine kritische Aus-einandersetzung mit der derzeitigen Forschungstendenz zur Aufladung des Korans durch apokalyptisch motivierte Denkfiguren ist ausgesprochen überzeugend und hilfreich. Auch die Zusammenhänge zwischen einer Theologie der Barmherzigkeit und der Prophetie zeigt er überzeugend auf. Allenfalls die Ausführungen zur medinensischen Prophetologie verdienten noch mehr Raum.

Nach dieser ersten Annäherung an die koranische Prophetologie folgt eine langsame diachrone Annäherung vom Alten Israel bis an die Zeit der Entstehung des Korans. Zunächst geht es in einem gelungenen Forschungsüberblick von Stephanie Ernst darum, die Prophetie im Alten Orient mit der Prophetie im Alten Israel zusammenzusehen (37–49). Danach erläutert Franz Sedlmeier in einem sehr informativen Überblick, wie und warum sich die schriftliche Prophetie aus der mündlichen entwickelt hat und wie aus der Erstverschriftung die Prophetenbücher wurden (51–75). Ausgesprochen spannend ist dabei die Einsicht, dass die literari-schen Propheten mehr und mehr die mündliche Prophetie marginalisieren (67) und das Corpus propheticum schließlich gerade auch durch die Stilisierung des Mose zum Idealbild des Propheten »der schriftgelehrten Torainterpretation zu- und eingeordnet wird« (73). Johanna Erzberger beschäftigt sich mit der Fortschreibung von Prophetie innerhalb der griechischen Bibelübersetzung der Septuaginta bei Jesaja, Jeremia und Baruch (77–94). Es wird deutlich, dass zum Zeitpunkt der Abfassung der Septuaginta diese intensive Auseinandersetzung um die Gestalt des Textes und die Bedeutung der Prophetie noch nicht abgeschlossen ist (94). Zum neutestamentlichen Befund gibt es einen sehr übersichtlichen Beitrag von Hildegard Scherer, die auch zu klären versucht, warum die Prophetie als Phänomen ab dem 2. Jh. nach Christus so sehr an Bedeutung verliert (97–113). Auch die jüdische Perspektive ist durch den Übersichtsartikel des Judaisten Gerhard Langer gut und in angemessener Breite eingeholt (115–134), auch wenn es natürlich spannend gewesen wäre, eine jüdisch-theologische Stimme zu hören und im Blick auf das Gesamtthema des Buches die spätantike Perspektive des Judentums noch gründlicher zu diskutieren. Auch der tolle Übersichtsartikel von Agnethe Siquans zur Prophetie bei den Kirchenvätern ist zwar sehr breit, überzeugend und klar entwickelt, geht aber nicht auf die syrischen Kirchenväter ein, die für eine Betrachtung der koranischen Rezeption besonders wichtig gewesen wären (135–153). So führt der erste diachrone Durchgang des Buches zwar bis in die Spätantike, ohne allerdings schon zu versuchen, das genaue Gespräch des Korans mit patristischen und rabbinischen Texten nachzuvollziehen oder auch nur punktgenau vorzubereiten. Stattdessen geht es darum, sensibel für die Vielfalt der diachronen Entwicklungen zum Thema Prophetie zu werden.

Erst im zweiten Teil des Buches kommt es anhand konkreter prophetischer Figuren zum expliziten Gespräch der Religionen. Ulrike Bechmann bietet eine Fülle ausgesprochen anregender Be-obachtungen zu Mirjam/Maria/Maryam (155–175). Sie geht ausführlich auf das koranische Marienbild ein und stellt es kompetent und auf breiter Literaturbasis in seinen intertextuellen Bezügen in der Spätantike dar. Schade, dass es nicht noch mehr Texte in dem Buch gibt, die so konsequent und umfassend auf intertextuelle Bezüge in der Spätantike achten und dadurch eine Brücke zwischen biblischen Gestalten und dem Koran bauen. Insbesondere die große Bedeutung des syrischen Christentums wird in dem Buch sonst selten gewürdigt. Immerhin folgen nun aber einige sehr aussagekräftige Auseinandersetzungen mit koranischen Pro- phetengestalten, die mit der biblischen Tradition verglichen werden. Naghmeh Jahan wendet sich der Gestalt des Idris zu und zeigt facettenreich mögliche biblische Bezüge dieser koranischen Gestalt auf (177–198). Julia Bubenheim wendet sich sehr differenziert dem Propheten Jona in Bibel und Koran zu (199–209). Gerade bei diesem Propheten wäre allerdings ein Blick auf die Jonarezeption bei den syrischen Kirchenvätern ausgesprochen ertragreich gewesen, um das koranische Jonabild besser zu verstehen. Irmtrud Fischer ergänzt in einem reich bebilderten Beitrag ausgesprochen inspirierende Aspekte kunsthistorischer Rezeptionen der Jona- erzählung in den drei abrahamischen Religionen (211–237). Chris-toph Dohmen wählt einige wichtige Aspekte der Rolle des Mose in Bibel und Koran aus (239–248) und deutet an, wie wichtig ein richtiges Verständnis der Mose-Typologie an dieser Stelle ist. Angesichts der neueren amerikanischen islamisch-theologischen Literatur zum koranischen Mosebild und seiner Aneignung für eine koranische Israeltheologie fällt die vom Autoren zugegebene schmale Materialbasis (247) besonders schmerzhaft ins Auge. Man ahnt aber auch schon durch seinen klugen Beitrag, wie wichtig an dieser Stelle interdisziplinäre Forschung für ein besseres Verständnis des Verhältnisses von Judentum, Christentum und Islam wäre. Besonders bemerkenswert ist schließlich der luzide Beitrag von Marie-Theres Wacker, der neuere Forschungen zu islamischen und jüdischen Jesusdeutungen aufarbeitet (249–270). Eindrucksvoll gelungen ist, wie sie aus Sure 21 die Vision des koranischen Jesus zu einer interreligiös-ökumenischen Einheit ableitet (255) und wie sie die Kategorie des Prophetischen zur hermeneutischen Leitkategorie ihrer interreligiösen Spurensuche macht. Ob die neutestamentliche Frage, womit Jesus zu vergleichen sei, tatsächlich einfach offenbleibt (268) oder durch das interreligiöse Gespräch in neue Problemkonstellationen hineindrängt, wäre noch zu überlegen. Abgerundet wird das ganze Buch durch einen bibelpastoralen Ausblick von Elisabeth Birnbaum, der wichtige Anregungen aus dem Buch aufgreift und zusammendenkt (271–283). Ihre hilfreichen Gedanken sind nur als erste Denkanstöße gemeint und lassen sich vielfältig anfragen und weiterdenken. Von daher ist es durchaus symptomatisch für das ganze Buch, dass ihr Text mit einer Reihe von abschließenden Fragen endet (282 f.). Ihre abschließende Frage, welche Rolle die Bibelwissenschaft für eine interreligiös sensible Prophetologie spielen kann, bleibt auch nach Lektüre des Bandes tatsächlich offen. Deutlich wird aber, dass es hier einer interdisziplinären Anstrengung bedarf, die das exegetische Fachwissen nicht nur durch das Gespräch der Religionen weitet, sondern auch historisch genauer die intertextuelle Situation in der Entstehungszeit des Korans analysiert und so einen wichtigen Teil biblischer Rezeptionsgeschichte interreligiös aufarbeitet.

Hoffentlich lassen sich viele Alttestamentlerinnen und Alttestamentler durch den vorliegenden Band dazu inspirieren, diesen Fragen im interdisziplinären Gespräch genauer nachzugehen. Wieviel durch ein solches Gespräch theologisch zu lernen wäre, beginnt man durch das vorliegende Buch wenigstens zu ahnen.