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Ausgabe:

Dezember/2023

Spalte:

1200-1203

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Maier, Bernhard

Titel/Untertitel:

Weltgeschichte der Religionen. Von der Steinzeit bis heute.

Verlag:

München: C. H. Beck 2023. 576 S. m. 50 Abb. = C. H. Beck Paperback. Kart. EUR 20,00. ISBN 9783406797200.

Rezensent:

Ulrich Dehn

Bernhard Maiers Buch steht in einer Traditionsreihe von Gesamtdarstellungen der Religionen dieser Welt. Meist jedoch handelte es sich um Versuche, die »Weltreligionen« in je eigenen größeren Kapiteln in der Reihenfolge ihres mutmaßlichen Entstehungsalters darzustellen und dafür einen Kanon von fünf oder sechs »Weltreligionen« zu erstellen, für den gelegentlich die chinesischen geistesgeschichtlichen Strömungen zu einem kompakten Ganzen zusammengefasst wurden (Helmuth von Glasenapp, 1963) oder stattdessen das Judentum zu seinem Recht kam (Gustav Mensching, 1972). Hans Küng nahm in seinen Band »Spurensuche« (1999) auch die »Stammesreligionen« auf, die hier optisch gleichrangig mit den »Weltreligionen« firmieren. Manfred Hutter reduziert mit seinem Büchlein »Die Weltreligionen« 2005 dieses Format auf Taschenbuchlänge mit je ca. 15-seitigen Einzeldarstellungen und berücksichtigt auch erstmalig die Baha’i. M. verfolgt jedoch ein anderes Konzept, das auf die blockweise Darstellung von Religionen verzichtet. Sein historisch orientierter Ansatz erinnert mehr an die »Geschichte der religiösen Ideen« (1976/77) von Mircea Eliade, allerdings mit einem völlig anderen Konzept. Während Eliade sein Opus magnum als Geschichte der »Manifestationen des Heiligen« schrieb, verzichtet M. auf hermeneutische Vorgaben. Er will im Unterschied zu Eliades Projekt »die gesamte Lebenswirklichkeit der Religionen in all ihren kulturellen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Verflechtungen im Auge behalten« (14). Am Ende des Buchs bezieht er sich auf Trevor Lings Werk »A History of Religion East and West« (1968). Jede größere Epoche wird durch eine prägnante Darstellung der allgemeingeschichtlichen Vorgänge eingeleitet, in deren Rahmen die Religionen sich entwickelten.

Da M. nicht die zeitlichen Raster der üblichen Religionsdarstellungen nutzt, beginnt sein Buch mit einem Blick auf die frühesten erfassbaren geschichtlichen Daten seit der Stein, Bronze- und Eisenzeit. »Spuren menschlicher Religiosität« seien in der späten Altsteinzeit zu finden (20), wobei an dieser Stelle noch ein ausdrücklicher Aufschluss darüber aussteht, worin genau solche »Spuren« bestehen würden. Bei der folgenden Behandlung des Alten Ägyptens und Mesopotamiens und schließlich des Altiran und Altkleinasiens scheint die Religionshaltigkeit z. B. im Gottkönigtum etwa in Ägypten auf, aber es geht dem Autor zunächst um eine allgemeine (kultur-)geschichtliche Einordnung der religiösen Phänomene. Der erste Teil des Buches von knapp 100 Seiten ist zwar grundsätzlich historisch orientiert, geht aber an grundlegenden Themen und Kategorien entlang, die als Grundlagen des gesamten Buchs betrachtet werden können.

Er identifiziert Bestattungen und Grabstätten als die frühesten Zeugnisse von Religion und kommt auf archäologische Funde an verschiedenen Orten der Welt zu sprechen. Es folgt ein Panorama von Göttinnen- und Götterkulturen, auf die von kleinen und größeren Statuen geschlossen werden kann, angefangen mit der sog. Venus von Berekhat Ram von den Golan-Höhen, über Funde in Deutschland und Österreich aus der Jungsteinzeit, bis nach Ägypten, Mesopotamien und Indien. Hier darf ein Exkurs über den kurzlebigen Monotheismus des Pharaos Echnaton (14. Jh. v. Chr.) nicht fehlen (54–57), der mutmaßlich der erste seiner Art war. Der thematische Durchgang wird fortgesetzt mit rituellen Aspekten (»Zeichendeutung, Opfer und Gebet«) und Aspekten von Räumen und Zeiten. In einem letzten größeren Durchgang dieses Teils wird auf die Mythentraditionen in vielen religiösen Regionen (Griechenland, Indien, Mesopotamien, Germanien) hingewiesen, die ein wichtiges Instrument der Menschen im Umgang mit der sie umgebenden Wirklichkeit darstellen. Der ca. 100-seitige zweite Teil beginnt wieder mit geschichtlichen Einordnungen (Alexander der Große bis zum Aufstieg des Islam) und lässt M. auch kurz zum Konzept der Achsenzeit (800 bis 200 v. Chr., Karl Jaspers) Stellung nehmen (117–119), das dieser Zeit die Bedeutung einer religions- und geistesgeschichtlichen Achse zugeschrieben hat. M. sieht aufgrund von zahlreichen Neubewertungen in der Forschung die Notwendigkeit von Verschiebungen einer solchen »Achsenzeit«, jedoch seien auch neu aufkommende Überzeugung wie etwa die »unheilvolle Situation« des Menschen in dieser Zeit aufgekommen. Der Autor spricht nun mehrere religiöse Prozesse an, die seit der Mitte des vorchristlichen Jahrtausends, also vor dem Hellenismus, anzusetzen sind: Entstehung des Daoismus, des Konfuzianismus, des Buddhismus, des Jinismus, sowie die historischen und religiösen Grundlagen des Judentums. Die Anfänge des Christentum und einige Bewegungen an seinem Rande wie die Gnosis, der Manichäismus und die Mandäer erfahren eine kurze und prägnante Behandlung, bevor Religionsgründungen in der besagten zeitlichen Spanne mit einem Blick auf Muhammad abgeschlossen werden. In seinen Überlegungen zu Kanonisierung und Heiligen Schriften macht M. deutlich, dass diese Zusammensicht sehr unterschiedliche Gattungen von Schriften zusammenbringt, begonnen mit dem verdienstvollen, aber auch eurozentrischen und selektiven Projekt »The Sacred Books of the East« von Max Müller. Im Folgenden blickt M. wieder in kurzen Abschnitten auf die weiteren Entwicklungen von Buddhismus, Christentum und Islam bis zu einem Stadium, in dem Europa und Asien nach seiner Wahrnehmung von der Verbreitung der Weltreligionen geprägt sind.

Wieder sondiert M. die einzelnen Regionen danach, wie jeweils Christentum, Buddhismus oder Islam in ihnen Fuß fassten und dabei meist die vorher existierenden Religionen weitgehend ausradierten, ihre eigene Herrschaft jedoch in sehr unterschiedlicher Intensität etablierten. Es folgen erneut Ausführungen zu Querschnittsthemen: Religiöse Ausdrucksformen und Reliquien, Gotteshäuser, Wallfahrten, sowie zu mystischen Strömungen in den Religionen. Dieser Teil des Buchs wird von einem Abschnitt zu den Auslegungsgepflogenheiten der Religionen abgeschlossen. Im selben Rhythmus bietet auch der vierte Teil (Neuzeit bis zur Aufklärung, 301–388) zunächst einen kurzgefassten Einblick in die politische Geschichte der Weltregionen, wobei eurozentrische Formulierungen wie »Entdeckung Amerikas« und »neue Welt« etwas altbacken anmuten. Die im 16. Jh. Fahrt aufnehmende christliche Mission, die weitere Ausbreitungsgeschichte des Islam und verschiedene andere Entwicklungen in China und im japanischen Buddhismus, aber auch zahlreiche indigene Religionen, die in der neueren Forschung besser zugänglich wurden (Azteken, Maya, Inka, Irokesen, afrikanische Religionen), werden hier berücksichtigt. Wieder bleibt M. seinem eigenen Zeitschema nicht treu und greift auch noch mal auf frühere Jahrhunderte zurück. Aufklärungstheologie, Religionsphilosophie, Religionskritik, Reformbewegungen, das Aufkommen von Freimaurern, Rosenkreuzern und Illuminaten und der Pietismus kommen zu ihrem Recht. Strukturell ähnlich verfährt M. im letzten Teil (von der Industrialisierung bis zur Gegenwart), der erneut mit einem Überblick über die geschichtlichen und politischen Entwicklungen im 19. und 20. Jh. beginnt und in diese die religiösen Prozesse einbettet, bis hin zum politischen Islam, neuen religiösen Bewegungen und zu Globalisierung und Digitalisierung. Es folgt ein großer Anhang (483–576) mit Zeittafel, Anmerkungen, Literaturverzeichnis und Register.

Das Buch ist in großer Geschmeidigkeit geschrieben und sehr flüssig lesbar, bestechend ist, dass der Autor sich tatsächlich zu jedem der unzähligen Themen mit dem jeweiligen Forschungsstand auseinandergesetzt hat und nicht einfach auf bereits vorhandene Standardliteratur zurückgreift. Dass fast jedes Thema der Religionsgeschichte in diesem Buch seinen Platz findet, bedeutet andererseits, dass vieles auf wenigen Seiten oder gar nur in halbseitigen Abschnitten zusammenfassend dargestellt wird und für den Fall einer vertiefenden Beschäftigung noch einmal auf weiterführende Literatur zurückgegriffen werden muss. Und wer sich über eine der »Weltreligionen« informieren möchte, muss dafür in mehreren Kapiteln (Teilen) die jeweiligen Abschnitte aufsuchen, anstatt einen zusammenhängenden Block durchlesen zu können. Er/sie wird dafür aber durch neue Perspektiven und den Blick auf Zusammenhänge innerhalb von Epochen belohnt. Insofern ist dies eher ein Buch zum durchgehenden Lesen als zum Nachschlagen, und als solches sehr empfehlenswert.