Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

November/2023

Spalte:

1151–1152

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Schatz SJ, Klaus

Titel/Untertitel:

Kirche der Einheit und der Reform. Gesammelte Aufsätze zum Ersten Vatikanischen Konzil und zum päpstlichen Primat.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2023. X, 429 S. = Studien zur Geschichte von Konzilien, 1. Geb. EUR 69,00. ISBN 9783402256701.

Rezensent:

Benjamin Dahlke

Im deutschsprachigen Raum spielt die Konziliengeschichtsschreibung mittlerweile eine lediglich untergeordnete Rolle; bedauerlicherweise erfährt sie weder in der Dogmatik noch in der Kirchengeschichtsschreibung allzu große Aufmerksamkeit. Von daher ist nur zu hoffen, dass die neue, beim Verlag Aschendorff angesiedelte Buchreihe Studien zur Geschichte von Konzilien dabei hilft, den Fokus künftig stärker auf die altkirchlichen, mittelalterlichen und neuzeitlichen Kirchenversammlungen zu richten.

Als erster Band ist eine Aufsatzsammlung von Klaus Schatz erschienen. Lange Zeit Professor für Kirchengeschichte an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen nahe Frankfurt, darf der Jesuit als weltweit bester Kenner des Ersten Vatikanischen Konzils gelten. S. hat in den 1990er Jahren eine dreibändige Gesamtdarstellung verfasst, die bis heute maßgeblich und unübertroffen ist. Bei den in vorliegendem Band zusammengestellten Aufsätzen handelt es sich teils um Vorstudien, teils um nachgängige Vertiefungen dieser Gesamtdarstellung. Da die Aufsätze allesamt umstandslos greifbar sind, wird man durchaus fragen können, warum sie ohne inhaltliche Überarbeitung oder bib- liographische Aktualisierung nochmals abgedruckt werden müssen. Gerade angesichts des hohen Preises dürften sich Bibliotheken, die zu den Hauptabnehmern von wissenschaftlichen Reihen zählen, eine Anschaffung doppelt überlegen. Das wäre sicherlich anders, würde wirklich Neues geboten. Wünschenswert wäre zum einen ein eingehender Forschungsbericht gewesen, um mehrere neuere Studien über das Konzil besser einschätzen zu können.

Beispielsweise wäre interessant zu wissen, wie S. die griffigen, im englischsprachigen Raum dominanten Darstellungen seines amerikanischen Mitbruders John O’Malley einschätzt. Während O’Malley keine neuen Quellen auftut, setzt er das Erste Vaticanum in einen Bezug einerseits zu Trient, andererseits zum Zweiten Vaticanum. Obwohl das zumindest neue Perspektiven eröffnet, wird das Werk des US-Jesuiten in der knappen Einführung (1–5) nur kurz erwähnt. Aus einem Forschungsbericht hätten sich Desiderate künftiger Forschung ergeben, ist doch längst nicht alles über das Erste Vatikanische Konzil gesagt. Gewiss hat S., der vor kurzem seinen 85. Geburtstag feiern konnte, bereits Wesentliches herausgefunden. Liest man seine in vorliegendem Band gesammelten Aufsätze, wird das deutlich. Sie sind in vier Blöcken gruppiert: Zunächst wird gezeigt, wie groß die Bandbreite der Themen war, die auf dem Konzil eigentlich behandelt werden sollte (11–146). Dazu zählten etwa die oft prekäre Ausbildungssituation in den zahlreichen Orden und Kongregationen, die dringend verbessert werden musste, oder das seit der Frühen Neuzeit bestehende, längst nicht mehr praktikable Patronatsrecht in den Missionsgebieten.

All diese Themen konnten allerdings nicht angegangen werden, weil das Ende 1869 eröffnete Konzil bereits nach wenigen Monaten abgebrochen und auf unbestimmte Zeit vertagt werden musste. Verantwortlich dafür war eine unerwartete politische Entwicklung mit weitreichenden Folgen: Aufgrund des deutsch-französischen Kriegs mussten die im Kirchenstaat stationierten französischen Soldaten in ihre Heimat zurückkehren. Ihr hastiger Abzug eröffnete italienischen Truppen die Möglichkeit, endlich in Rom einzumarschieren und die staatliche Einigung der Halbinsel zu vollenden. Der Papst zog sich verbittert in den Vatikan zurück. Bis zum Abbruch des Konzils, das in St. Peter tagte, waren lediglich zwei Dogmatische Konstitutionen verabschiedet worden: Dei filius über den Glauben und Pastor aeternus über die Kirche. Letztere Konstitution beinhaltete die Definition des universalen Lehr- und Jurisdiktionsprimats des Papstes, dessen Genese in einem zweiten Block von Artikeln erläutert wird (147–260). Ebenso materialreich wie souverän rekonstruiert S. die Pastor aeternus zugrundeliegen-den Konzepte und Überzeugungen. Ausgespart bleibt hingegen die fundamental- und kontroverstheologisch relevante Konstitution Dei filius, weil diese seiner Auffassung nach bereits erschöpfend in der im Jahr 1968 publizierten Dissertation von Hermann Josef Pottmeyer behandelt wurde (4). Bei allem Respekt für Pottmeyers Forschungsleistung wird man diese Einschätzung nicht zwingend teilen müssen, gibt es doch genügend Aspekte, die noch weitere Beachtung verdienen. S. selbst ist erkennbar mehr an der Ekklesiologie interessiert. Das zeigt sich in einem dritten Block, in dem er einzelne Akteure des Ersten Vatikanischen Konzils vorstellt (261–343).

Unter ihnen befinden sich so gegensätzliche Personen wie der deutsche Jesuit und Wegbereiter der Neuscholastik Wilhelm Wilmers, für den sich die päpstliche Unfehlbarkeit auf recht konkrete Themen statt nur auf grundlegende Glaubens- und Sittenlehren erstreckte, und der zeitlebens gallikanischen Ideen verpflichtete französische Bischof Henri-Louis Maret. Obwohl sich Maret der Mehrheitsentscheidung unterwarf, interpretierte er Pastor aeternus in seinem eigenen Sinne: Der Papst müsse sich auf die Kirche insgesamt stützen, wenn er Lehren definieren wolle. Anders als häufig unterstellt war der damalige Katholizismus doktrinär keineswegs monolithisch, sondern in positioneller Hinsicht recht differenziert. Unterschiedliche Ekklesiologien, die sich in den Jahrzehnten zuvor formiert hatten, standen sich gegenüber. Den Band beschließen weiterführende Überlegungen und Ausblicke (345–417). Aktuelle Diskussionen um die Rolle des Papstamtes in einer synodal ausgerichteten Kirche oder um Reformen in Lehre und Praxis klingen zwar an, werden aber nicht systematisch entwickelt. S. hält sich mit konkreten Handlungsanweisungen merklich zurück, obwohl er keinen Zweifel daran lässt, dass eine historische Sicht helfen kann, drängende Problemstellungen in einem weiteren Horizont zu verstehen. Dass der Jesuit hier eher vage bleibt, ist insofern nachvollziehbar, als er sich als Kirchenhistoriker äußert. Indem er das Erste Vatikanische Konzil auf profunde und unaufgeregte Weise rekonstruiert, trägt er dazu bei, den römischen Katholizismus insgesamt verständlich zu machen. Es ist zu hoffen, dass Nachfolger auf seinem beeindruckenden Werk aufbauen und die Forschung im Bereich der Konziliengeschichte weiterführen.