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Ausgabe:

November/2023

Spalte:

1119–1121

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Dalferth, Ingolf U.

Titel/Untertitel:

Auferweckung. Plädoyer für ein anderes Paradigma der Christologie.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2023. 184 S. = Forum Theologische Literaturzeitung, 39. Kart. EUR 28,00. ISBN 9783374073603.

Rezensent:

Udo Schnelle

Frühere Arbeiten aufgreifend, unternimmt Ingolf U. Dalferth in diesem Essay den Versuch, das Verhältnis von Inkarnation und Auferweckung neu zu bestimmen. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Beobachtung, dass schon in der Antike eine »Privilegierung von Inkarnation und Präexistenz gegenüber der Auferweckung als Ausgangspunkt christologischen Denkens« (7) festzustellen sei und dies zu Fehlentwicklungen geführt habe. Folgerichtig setzt er mit einer Analyse des Auferweckungsbekenntnisses ein.

Bereits bei Paulus lassen sich deutlich die beiden entscheidenden Aspekte erkennen: 1) Die Auferstehung Jesu Christi von den Toten wird ausschließlich und exklusiv als Gottestat bestimmt und 2) inhaltlich als Schöpfungsgeschehen verstanden, denn das passive »er ist erschienen« (1Kor 15) verweist auf das Handeln des einen Schöpfers an seinem Sohn. Dass Gott exklusiv als Subjekt des Auferstehungsgeschehens zu verstehen ist, zeigt sich an vielen paulinischen Texten und wird vom Vf. zu Recht betont: »Ohne Gott ins Spiel zu bringen, bleibt das Kreuz theologisch stumm, das leere Grab nichtssagend und die Erscheinungen werfen allenfalls psychologische Fragen auf.« (15) Gott ist demnach so, wie Jesus ihn verkündigt hat, und in der Auferweckung spricht Gott dazu sein »Amen«. Das Durchdenken dieses Sachverhaltes war und ist die zentrale Aufgabe der christlichen Theologie, wobei von vornherein zu bedenken ist, dass es sich nicht nur um ein Ereignis zwischen Gott und Jesus Christus, sondern um ein Geschehen für alle Menschen und die gesamte Schöpfung handelt. Es hat nicht nur vergangenheitliche, sondern vor allem gegenwärtige und zukünftige Dimensionen: »Eben diesen schöpferischen Offenbarungsakt wiederholt er durch den Wechsel vom Unglauben zum Glauben am Ort derer, die in Jesu Leben und Sterben Gott am Werk sehen und ihn deshalb als Christus bekennen.« (20) Das Kreuz ist deshalb vor allem ein soteriologischer Ort, denn: »Das Christentum begann mit Ostern, nicht mit Weihnachten.« (23)

D. betont die universalen Aspekte des Kreuzesgeschehens als Zuwendung Gottes zu den Menschen aus Liebe und leitet daraus die genuin theologische Perspektive des Christentums ab: Nicht als bloße Wiederholung der Botschaft Jesu, sondern als Bedenken des schöpferischen Liebeshandelns Gottes am Kreuz für alle Menschen und die Welt, das sich erst im Wirken des Geistes eschatologisch erschließt. Von diesen Grundbestimmungen aus wendet sich D. dem altkirchlichen Dogma zu; es sei kritisch an der Wahrheit der Erschließung Gottes im Gekreuzigten und Auferweckten zu messen. So ist das Bekenntnis von Chalcedon 451 n. Chr. mit seiner Zwei-Naturen-Lehre zuallererst eine religionspolitische Rechtsregelung, von der die Wahrheit des Glaubens unterschieden werden kann. Zwar steckt es das Themenfeld christologischer Reflexion ab, was aber nicht heißt, dass die Wahrheit des Glaubens nicht auch anders ausgesagt werden kann. Im Anschluss an K. Barth votiert D. für eine »kritische Theologie«, die eine wesentliche Funktion der Dogmen in der Vermeidung von Missverständnissen sieht und die Christologie streng als Offenbarungschristologie fassen will. »Die Konzentration auf Offenbarung ist ja keine Verengung, sondern im Gegenteil eine grundsätzliche Erweiterung und Universalisierung der theologischen Perspektive.« (58) Dies heißt konkret, nicht Jesus isoliert zu betrachten, sondern ihn als Ort des heilvollen, universalen und selbstoffenbarenden Gotteshandelns zu sehen. Vom Wesen der Person Jesu Christi her (Gott-Mensch; wahrer Mensch; scheinbarer Mensch usw.) lassen sich die Probleme nicht lösen; der entscheidende Akteur ist und bleibt Gott!

Von diesem Ansatz aus wendet sich D. gegen all jene christologischen Entwürfe der Neuzeit, die in die Bestimmung des Wesens des Menschen den Gottesbezug einzeichnen wollen; die eine individualisierende anthropologische Kehre in der Christologie vertre- ten, um so Plausibilität zu erzeugen. Damit wird jedoch aus Sicht D.s die Soteriologie minimiert, denn evangelische Theologie ist nur dann sachgerecht, »wenn sie am Leitfaden der Gegenwart der Liebe Gottes eine universale soteriologische Perspektive entwickelt, also durchgängig Soteriologie ist« (98). Christologie ist Soteriologie, wo- bei die geschichtliche Ereigniskette des Wirkens und Schicksals Jesu ihren soteriologischen Sinn erst durch das Wirken Gottes an ihm und durch ihn erhält. Der Christushymnus Phil 2,6–11 entfaltet diese Zusammenhänge: »Das Leben Jesu ist von Anfang bis Ende eingebettet in göttliches Handeln und wird als Weg Jesu Christi von den höchsten Höhen bis zu den tiefsten Tiefen des Lebens und der Schöpfung und zurück zu Gott beschrieben« (103). Es gilt: ›Wo Gott, da Jesus Christus‹ (113 u. ö.), wobei es nicht um eine christologische Verengung auf Jesus, sondern immer um Gottes universales Heilshandeln in Jesus Christus am Kreuz für alle Menschen und die gesamte Schöpfung geht. Deshalb wird die Auferweckung nicht durch Präexistenz und Inkarnation erhellt, sondern umgekehrt sind diese von der Auferweckung her zu verstehen. Gottes Kommen in die Welt, seine Entäußerung, ist keine Veränderung Gottes. Sie zielt auch nicht auf eine Solidarisierung mit uns; es geht vielmehr um unsere Rettung und eine grundlegende Veränderung der Welt. Die Bestimmung des Menschen, seine »Menschlichwerdung«, vollzieht sich daher im durchgängigen Bezug auf Gottes Gabe in Jesus Christus; der Gabecharakter des eigenen Le- bens wird zum Gradmesser des Verhaltens gegenüber sich selbst und den Mitmenschen. »Das maßgebliche Paradigma dafür ist nicht die Menschwerdung Gottes (Inkarnation), sondern das Menschlichwerden des Menschen durch Gott (die Auferweckung), nicht das Herabkommen Gottes in das vergängliche Dasein des Menschen (Erniedrigung), sondern die Erhebung des Menschen in das ewige Leben Gottes (Erhöhung).« (166 f.) Entscheidend für das eigene Leben ist somit, wie man sein Menschsein lebt, indem man sich als Geschöpf unter Geschöpfen versteht und sich als Geschöpf zum Schöpfer verhält. Die Wahrung des Menschlichwerdens des Menschen und sein respektvolles Verhalten zu den anderen Geschöpfen hängt somit entscheidend an der Wahrung der Differenz zwischen Mensch, Jesus Christus und Gott. Gott ermöglicht durch Jesus Christus das Menschlichwerden des Menschen. Wiederum wird deutlich, dass die christologische Reflexion immer an den Ort gebunden sein muss, wo sie entspringt und auch wieder einmündet: Gott.

Insgesamt sind die Überlegungen D.s exegetisch zutreffend und systematisch folgerichtig. Er argumentiert in einem geschlossenen theologie-logischen System, was Stärke und Schwäche zugleich ist: Stärke, weil die Argumentation durchgehend stringent ist; Schwäche, weil nur der vollständig überzeugt wird, der auch in dieses System einsteigt.