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Ausgabe:

September/2000

Spalte:

935–937

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Fritsch, Friedemann

Titel/Untertitel:

Communicatio idiomatum. Zur Bedeutung einer christologischen Bestimmung für das Denken Johann Georg Hamanns.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1999. XIII, 337 S. gr.8 = Theologische Bibliothek Töpelmann, 89. Lw. DM 168,-. ISBN 3-11-016238-5.

Rezensent:

Elfriede Büchsel

Communicatio idiomatum - dieser alte Terminus aus der Christologie, der das Beieinander der ,göttlichen und menschlichen Natur' in Christus bezeichnen soll, ist für Hamann zu einem Schlüssel für das Verständnis von Wirklichkeit überhaupt geworden. F. Fritzsch, ein Schüler von O. Bayer, arbeitet in einer umfangreichen Dissertation diesen Befund heraus und reflektiert und analysiert ihn. D. h. zunächst: er übersetzt Hamannsche Texte: emphatische, polemisch-ironisch auf zeitgenössische Gegner bezogene, bildhafte, aus Zitaten und Bibelstellen collagierte Centones in die begrifflich fixierende Sprache systematischer Theologie. Es darf dabei wohl angemerkt werden, dass Hamann selbst grundsätzlich skeptisch gegen ,System' war. Sein Glaubenszeugnis entzündete sich jeweils in aktuellen Frontstellungen.

Offenbar in der Gewissheit des inneren Zusammenhangs aller Hamannschriften setzt F. bei den frühen Londoner Aufzeichnungen ein, und zwar bei ausgewählten Abschnitten aus den Betrachtungen zur Bibel: meist figuralen, zum Teil sehr befremdlichen Deutungen alttestamentlicher Geschichte. In diesen kühnen Intuitionen des bewegten Schreibers findet er schöpfungstheologische, christologische, soteriologische, pneumatologische und anthropologische Konzeptionen, die einen systematischen Zusammenhang ausmachen und später in Werken und brieflichen Äußerungen Hamanns wieder aufzuspüren sind.

Am Anfang, gleichsam als Überschrift, steht der kühne Satz: "Gott ein Schriftsteller! - Die Eingebung dieses Buchs ist eine eben so große Erniedrigung und Herunterlassung Gottes als die Schöpfung des Vaters und Menschwerdung des Sohnes." Das Bekenntnis Hamanns zur Herunterlassung und Demut Gottes (Kondeszendenz), das schon Helmut Schreiner herausarbeitete, wird in seiner stringenten Fülle im Folgenden entfaltet. Kondeszendenz und Akkomodation (der zeitgenössische Leitbegriff) werden unterschieden und aufeinander bezogen. F. bestimmt beide Begriffe nach ihrer unterschiedlichen Funktion und Bedeutung: "Redend entspricht Gott sowohl sich selber als auch dem angeredeten Menschen: das ist die oszillierende Spannung dessen, was Hamann unter Offenbarung versteht." (20).- Dialektisch bestimmt wird auch der Begriff des ,Bildes', der sich in Hamanns Typologie manifestiert. Entscheidend dann: "Diese ,Demut und Menschenliebe', die nicht denkbar ist ohne den Menschen, dem gegenüber Gott sich ,gedemüthigt' hat, ist von seinsbegründender Bedeutung. Konsequenterweise denkt Hamann von einem Menschwerdungsgeschehen in der immanenten Trinität aus, welches der geschöpflichen Wirklichkeit ebenso wie dem geschichtlichen Heilshandeln Gottes in sachlicher Hinsicht vorauszusetzen ist" (39, im Kapitel über den ,vorinkarnatorischen Charakter der Menschwerdung Gottes'). Den supralapsarischen Denkansatz Hamanns hat schon M. Seils akzentuiert.

Diese Erkenntnis wird im Folgenden unter verschiedenen Fragestellungen ausgearbeitet; es geht u. a. um die Einheit von Schöpfung und Erlösung und die Deutung des Kreuzestodes Christi, um das Verhältnis von Leib und Seele, von Vernunft (und natürlicher Religion) und Glaube, um die "Bedrohung Gottes durch die Sünde", um die Einheit von göttlichem Willen und menschlicher Tat und die Erfüllung biblischer Verheißungen auf der ,Schaubühne' seelischen Erlebens, also im individuellen Subjekt. - Die Frage, woher kamen Hamann die Anregungen zu seinen Intuitionen, wird nicht gestellt, nur sein Lehrer Knudsen aus gegebenem Anlass genannt.

Im 2. Teil der Arbeit wird "Die Idiomenkommunikation als Interpretament nicht unmittelbar christologischer Sachverhalte" untersucht. Aber zunächst entnimmt F. noch aus dem kühnen und aggresiven Cento der ,Glose philippique': "Das ,Wort vom Kreuz' ist ... das durch den Tod Christi erwirkte Wort von der Rechtfertigung des Sünders, welches für Hamann ,am Anfang der Tage' gesprochen wird und damit der Existenz eines jeden Menschen immer schon zugrunde liegt" (113 "Das apriori des Kreuzes"). F. schließt, Hamann radikalisiere damit paulinische Gedanken über die Weisheit Gottes. - Die eminente Bedeutung, die die Sündenfallgeschichte für ihn hat, wird an Hamanns Kritik der Herderschen idealistischen Interpretation (in einem Briefgespräch) erläutert.

Seine christozentrische Wirklichkeitsauffassung lässt sich an der ,Aesthetica in Nuce' gut herausarbeiten. Hier, wie bei den weiteren ausgewählten Hauptschriften Hamanns, kann sich F. auf die vorhandenen Kommentare und problemorientierte Interpretationen stützen. So untersucht er im Anschluss an Arbeiten J. von Lüpkes die Auseinandersetzung Hamanns mit dem Lessing des Fragmentenstreits in ,Konxompax. Fragmente einer apokryphen Sibylle über apokalyptische Mysterien'. Von Lessings berühmtem Satz über ,notwendige Vernunftswahrheiten' und ,zufällige Geschichtswahrheiten' urteilt F.: "... er weicht eben dem Skandalon der christlichen Heilsbotschaft aus, welches sich für Hamann als communicatio von Kontingenz und Wahrheit auch philosophisch artikulieren lässt. Vom Ereignis der Menschwerdung Gottes her kann das Zufällige auch dann wahr sein, wenn sich dessen Wahr-Sein dem Wahrheitsbegriff der Vernunft widersetzt." (209)

Warum F. auf den Streit mit der Berliner Akademie und Herder über den göttlichen oder menschlichen Ursprung der Sprache nur in gelegentlichen Zitaten aus den Herderschriften eingeht, ist mir nicht klar - zumal die berühmte Stelle über die Idiomenkommunikation und ihre Schlüsselbedeutung am Anfang des ,Ritters von Rosencreuz' steht. Die zentrale Bedeutung der Sprache für Hamann wird für F. am Duktus der ,Metakritik' (zu Kants Kritik der reinen Vernunft) deutlich. Hamanns Rede vom "Sakrament der Sprache" und von der Leiter, auf der "Heere von Anschauungen hinauf ... und Heere von Begriffen ... herabsteigen" führt für ihn unmittelbar auf den Begriff der Idiomenkommunikation. Über Hamanns Kantkritik heißt es: "Für ihn ist der intellektuelle Zweifel Kants in seiner dogmatischen Grundsätzlichkeit transparent auf die existentielle Haltung des Unglaubens gegenüber dem Wort, dem sich der Mensch, seine Geschichte und seine Vernunft verdanken." (239)

Die Analyse des 1. Teils von ,Golgatha und Scheblimini' ist gründlich, aber m. E. für das Thema weniger ergiebig. Wie Hamann Mendelssohn gegenüber das Beieinander von Staat und Kirche darstellt, lässt sich mit F. überzeugend am Leitfaden des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium verstehen. - Im letzten Kapitel wird die kleine Schrift Hamanns: ,Versuch einer Sibylle über die Ehe' als Zeugnis für die Bedeutung, die Geschlechtlichkeit bei ihm hat, herangezogen. Der springende Punkt ist für F. die kühne, das wörtliche Verständnis überbietende, Interpretation des "Verführungsgeschehens", das die Sibylle schildert, auf die erlösende Kommunikation des Glaubenden mit Christus hin.

Die ziemlich umfangreiche, durchgegliederte Zusammenfassung mit ihren kritischen Beobachtungen und Urteilen kann als Aufforderung zur Diskussion aufgefasst werden. Leider werden die Nichttheologen unter den Hamannforschern (von den Linguisten bis zu den Philosophen) sie kaum verdauen können. Die fachwissenschaftliche Abkapselung der Theologie ist auch und gerade auf diesem Gebiet ein empfindlicher Schade. Als theologischen Gesprächspartner wäre zu denken an den niederländischen reformierten Theologen H. Veldhuis, dessen in der Problemstellung verwandte Arbeit "Ein versiegeltes Buch. Der Naturbegriff in der Theologie J. G. Hamanns" schon 1994 in deutscher Übersetzung erschienen, aber von F. leider nicht mehr herangezogen ist. Sie berücksichtigt stärker die historischen Kontexte und öffnet einen weiteren Horizont.