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Ausgabe:

Oktober/2023

Spalte:

940-942

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Legat, Anke von, u. Michael Schneider [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Große Botschaft in kleinen Texten. Bibelauslegung in und durch Medien der Gegenwartskultur.

Verlag:

Paderborn u. a.: Brill | Schöningh 2022. XIV, 307 S. m. 9 Abb. = Biblische Argumente in öffentlichen Debatten, 2. Geb. EUR 49,90. ISBN 9783506791191.

Rezensent:

Michael Domsgen

Die Vorgaben der Reihenherausgeber sind hoch. Die »Biblische[n] Argumente in öffentlichen Debatten« sollen sich nicht nur »einmischen in kirchliche, kulturelle und gesamtgesellschaftliche Debatten«, sondern der »öffentlichen theologischen Sprachfähigkeit von Kirchenleitungen, Universitätstheologinnen und -theologen, Pfarrerinnen und Pfarrern, Lehrerinnen und Lehrern und allen an der Lebensrelevanz biblischer Texte Interessierten auf die Sprünge helfen« (IX f.). Die Voraussetzungen dafür, dass dies mit dem vorliegenden Band gelingt, sind durchaus gut, denn nicht nur das Setting (in der Zusammenarbeit von universitärer Theologie und Publizistik), sondern auch eine Reihe verschiedener Impulse der hier versammelten Beiträge sind anregend. So erinnert der Theologe Michael Schneider gleich eingangs daran, dass die Bibel »in der universitären Exegese, aber auch in den Medien der Gegenwartskultur« (9) ausgelegt wird und niemand »in der Form einen unmittelbaren Zugang zu den biblischen Texten (und erst recht nicht zum ›Wort Gottes‹)« (9 f.) habe. Die Exegeten sind auch nicht einfach die Experten für den Inhalt und die Medienschaffenden diejenigen für die Verpackung. Vielmehr geht beides ineinander über. Damit solche Überschläge gelingen, müssen sich »Wissenschaftler:innen empathisch in die Menschen hineindenken« (20), um sie von der Relevanz dessen überzeugen zu können, was sie herausgefunden haben. Gerade an diesem Punkt könne Journalismus etwas, was Theologie nicht kann, so die Journalistin Anke von Legat.

19 Beiträge versammelt der Band. Sie werden drei Themenfeldern zugeordnet, wofür die Wendung vom »Umgang der großen Botschaft in kleinen Texten« (XIV) benutzt wird. Beleuchtet werden die »Printmedien« (25–88), »Kontexte der Gegenwartsliteratur« (91–217) sowie »gottesdienstliche Formate der Gegenwart« (221–305). Das damit ins Auge gefasste Spektrum ist weit. Neben der Bibel in Print- und sozialen Medien kommen beispielsweise Gemeindebriefe, short messages in der Polizeiseelsorge, interaktive Zugänge zu Jesaja in einem Bibelmuseum, Leitbilder diakonischer Unternehmen, Videos im Internet, Fundstücke alltagskultureller Schriftauslegung im urbanen Raum sowie unterschiedliche Gottesdienstformate in den Blick. Die darin versammelten Impulse sind vielfältig und können nicht im Einzelnen entfaltet werden. Die sich darin andeutende Grundrichtung soll hier mit wenigen inhaltlichen Hinweisen skizziert werden.

Zu Recht weist der Neutestamentler Stefan Alkier darauf dahin, dass die »große Botschaft der Bibel […] kurze, verdichtende, aber nicht simplifizierende Sätze« benötigt. Nur so kann »ihr im Mediendiskurs der Gegenwart Gehör« (58) verschafft werden. Inhaltlich ist sie »als Buch zuversichtlichen Umdenkens« zu lesen, wobei der »Sehepunkt […] christologisch markiert« (59) ist. Biblisches Umdenken beginnt mit der Einsicht in die Verfehlungen im eigenen Leben gegenüber Gott und seinen Geschöpfen. Letztlich geht es um ein »zuversichtlich[es] Umdenken« (61), um ein neues Denken »im eigenen Leben, zu Hause, unterwegs, am Arbeitsplatz, in der Wahlkabine und nicht zuletzt in christlichen Gemeinden«, um »die Güte Gottes und die Fülle seiner wunderbaren Schöpfung zu bezeugen.« (61) Notwendig dafür ist eine evangelische Theologie, die »auf Praxis« zielt und »praktisch« (63) wird. Für die Wissenschaft vom Neuen Testament bedeutet dies, sich »nicht historisch« zu begrenzen und »praxistaugliche Modelle der Auslegung biblischer Texte« (63) zu entwickeln: »Eine relevante evangelische Theologie zielt auf Praxis und muss praktisch werden; eine Wissenschaft vom Neuen Testament, die sich nicht historisch begrenzen will, muss praxistaugliche Modelle der Auslegung biblischer Texte entwickeln« (63).

Bei alledem kommt eine Kirche in den Blick, die weiß, dass »der christliche Glaube nicht in seiner Lehre aufgeht, sondern in seiner Praxis« (38). Die neutestamentliche Botschaft von der Rettung der Verlorenen geht nicht darin auf, »die Verlorenen in den Armenvierteln zu bepredigen, sondern sie aus ihren prekären Verhältnissen zu befreien« (39). Die Kirchen haben diese Aufgabe »leider weitgehend an den Staat delegiert und sich dadurch überflüssig gemacht« (39), meint der Publizist Christian Nürnberger. »Um ihre Existenzberechtigung neu zu erweisen, wäre es nötig, selbst wieder mehr zur Lösung der Probleme dieser Welt beizutragen, nicht nur mit Worten, sondern mit Taten.« (39)

Was das beispielsweise für diakonisches Handeln heißt, thematisiert die Theologin Kristina Dronsch. Ein »biblischer Text ist niemals eine systemkonforme Leistung, die im System eines diakonischen Unternehmens eingepasst werden kann.« (173) Wo biblische Texte aus sich heraus zur Sprache kommen dürfen, kann etwas in Bewegung kommen. Sie können dann als »organisationelle Musterbrecher« fungieren, »die Neues jenseits von Normierungen ermöglichen« (175). Das wiederum verlangt nach einer »theologische(n) Selbstverständigung, die die (aus traditioneller Perspektive) harte Realität des gelebten Bibel-Umgangs nicht länger verdrängt«, »die die Scheinalternative Religions- oder Bibelorientierung hinter sich lässt« und »Spielfreude an den Tag legt« (304), wie der Theologe Peter Meyer betont. Dazu gehört auch die Bereitschaft und das Vermögen »(Glaubens-)Evidenzen« (236) zu erzeugen. Schließlich gibt es »keine selbstverständliche Kultur und Zugehörigkeit mehr, die ihre Selbstverständlichkeit […] gegen die einer anderen verteidigen müsste« (236). Wie die Arbeit beim »Wort zum Sonntag« zeigt, kommt dabei den handelnden Personen eine besondere Bedeutung zu. Nicht die Inhalte sind das Entscheidende, sondern die subjektive Sicht. Im Vordergrund steht »nicht die informative Transmission, sondern der Wunsch nach einem Beziehungsgeschehen, in dem die beteiligten Akteure sich in wechselseitiger Resonanz als lebendige Subjekte wahrnehmen« (238).

Letztlich geht es darum, »die biblischen Geschichten und die Traditionen christlichen Glaubens so zu erzählen, dass sie für das eigene Leben Sinn machen«, wobei »in jedem Fall erkennbar sein« muss, »was das, was ich predige, für mich selbst bedeutet« (249), so die Theologin Ina Schaede. Wer, wie die Reihenherausgebenden »allen an der Lebensrelevanz biblischer Texte Interessierten auf die Sprünge helfen« will, sollte nicht zuletzt hier ansetzen und zugleich das Bewusstsein dafür schärfen, dass die biblische Botschaft nicht im Erleben des Einzelnen aufgeht, sondern immer auch die Strukturen mit zu bedenken hat, in denen sich die Einzelnen bewegen. Der Band bietet in dieser Hinsicht eine Reihe von wichtigen Impulsen.