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Ausgabe:

September/2023

Spalte:

892-894

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Keener, Craig S. and L. William Oliverio Jr. [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Spirit throughout the Canon. Pentecostal Pneumatology.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2022. 240 S. = Journal of Pentecostal Theology Supplement Series, 48. Kart. EUR 26,00. ISBN 9789004518711.

Rezensent:

Uwe Swarat

Bereits die Konzeption dieses Bandes sagt etwas über das Selbstverständnis der pentekostalen Theologie aus. Die Herausgeber wollen, wie der Untertitel anzeigt, eine pfingstkirchliche Pneumatologie vorlegen, und sie tun das, indem sie die Rede vom Geist durch alle Schriften des Kanons verfolgen, angefangen von der Genesis und endend mit der Johannesoffenbarung. Der alttestamentliche Kanon (es ist natürlich der von der pfingstkirchlichen Tradition allein anerkannte ev.-reformierte Kanon ohne Apokryphen) wird in acht Einzelbeiträgen behandelt, der neutestamentliche in 15; hinzu kommen eine Einleitung und ein Nachwort. Mit Ausnahme des Nachworts sind alle Beiträge bereits in der von Brill verlegten Zeitschrift Pneuma (43: 3–4, 2021) erschienen, werden hier also nachträglich und dankenswerterweise auch als Buch angeboten. Ein Zeugnis für das Selbstverständnis pentekostaler Theologie ist dieser Sammelband insofern, als er die pfingstkirchliche Pneumatologie nicht etwa systematisch-theologisch entfaltet und schon gar nicht theologie- und dogmengeschichtlich analysiert, sondern in Form exegetischer Studien vorlegt; das pfingstkirchliche Verständnis vom Heiligen Geist ist nach Meinung der Herausgeber anscheinend wesentlich identisch mit dem biblischen Zeugnis. Wenn man wissen will, was Pfingstler glauben, muss man wohl nur die Bibel lesen. Das freilich ist eine hermeneutische Naivität, die man sich auch dann nicht leisten sollte, wenn man wie Pfingstler in der Regel mehr an Erfahrung als an Reflexion interessiert ist.

Auf alle 25 Einzelbeiträge (von 27 Autoren verfasst, die allesamt nicht aus Europa kommen) kann im Rahmen dieser Rezension nicht eingegangen werden, wenn ihr Umfang nicht maßlos werden soll. Der Rezensent musste also auswählen und hat versucht, es möglichst repräsentativ zu tun. Die Herausgeber bereiten in ihrer Einführung die Leser darauf vor, dass es zwischen den Einzelbeiträgen des Bandes durchaus stilistische, methodische und substantielle Differenzen gibt. Gemeinsamkeiten gebe es aber auch, und die beiden wichtigsten Gemeinsamkeiten seien, dass alle Autoren die göttliche Personalität des Geistes (divine Personhood of the Spirit) anerkennen und dass alle das Thema Bevollmächtigung bzw. Ausrüstung mit Kraft (empowerment) betonen. Es ist aufschlussreich, dass beide Hauptgemeinsamkeiten in Begriffe gefasst werden, die in der Bibel nicht vorkommen. Der baptistische Rezensent hält das für unvermeidlich und gar nicht tadelnswert, hätte sich aber gewünscht, dass diese Abweichung vom sonst dominierenden Biblizismus in irgendeiner Form begründet oder erklärt worden wäre.

Der erste Beitrag ist dem Pentateuch gewidmet und macht es sich zur Aufgabe, dort den Begriff Ruach Elohim aufzusuchen und jeweils nach seiner Bedeutung zu fragen. Überall, so das Ergebnis, ist weder der Wind noch der Atem, sondern der Geist Gottes gemeint. In Gen 1,2 bezeichnet er »the personal, creative, and very active presence of God« (8) und in Dtn 34,9 »the divine Spirit which enables God’s servants to carry out the impossible tasks assigned to them« (11). Dementsprechend lautet die Überschrift dieses Beitrags »From Creation to Supernatural Empowerment«.

Ein Kapitel des Pentateuchs bekommt in unserem Buch sogar einen eigenen Beitrag, nämlich Num 11, in dem über das Murren des Volkes in der Wüste berichtet wird. Dieses Kapitel wird als der wichtigste pneumatologische Abschnitt des Pentateuchs angesehen (10), weil es davon berichtet, dass 70 Älteste Anteil bekamen an dem Geist, der auf Mose war, und dadurch wie Propheten in Verzückung gerieten. Diese prophetische Verzückung war nach Auskunft des Verfassers nichts anderes als das auch heute bekannte Zungenreden. Als Mose zu Josua sagte (Num 11,29): »Wollte Gott, dass alle im Volk des Herrn Propheten wären!«, da offenbarte er damit Gottes Plan, dass dereinst in der neutestamentlichen Gemeinde alle Gläubigen in Zungen reden können. Dieses Zungenreden dürfe aber nicht mit dem gottesdienstlichen Zungenreden verwechselt werden, von dem in 1Kor 12 und 14 gesprochen wird. Vielmehr sei es das sichtbare und hörbare Zeichen des Empfangs der Geistestaufe, der »Anfangsbeweis« für die Geistestaufe, wie viele Pfingstler sagen. Wir hätten also bereits in Num 11 den biblischen Beleg für das pfingstkirchliche »Zentraldogma«: Nach der Wiedergeburt durch den Heiligen Geist will Gott allen Gliedern des Gottesvolkes eine zweite grundlegende Erfahrung schenken, nämlich die Geistestaufe, die sich nach außen durch ein zumindest einmaliges Zungenreden wahrnehmbar macht.

Wer die pentekostale Tradition kennt, weiß, dass die für sie wichtigsten biblischen Bücher die beiden Lukasschriften des Neuen Testaments sind. Beide Schriften werden in diesem Buch gemeinsam in einem, mit 30 Seiten vergleichsweise umfangreichen Beitrag behandelt. Darin wird herausgestellt, dass sich die Pneumatologie der Lukasschriften von der der Paulusschriften deutlich unterscheide. Bei Paulus sei sie wesentlich soteriologisch geprägt, bei Lukas missiologisch. Wenn Paulus von »Geistestaufe« spreche, meine er die Eingliederung des Gläubigen in den Leib Christi, wenn Lukas es tue, meine er die Salbung der Gläubigen für ihren Dienst. Für Lukas ermögliche die Geistestaufe die Erfahrung der Geistesleitung, das Vollbringen von Zeichen und Wundern und ein mutiges Zeugnisgeben. Protestantische Theologie habe sich gewöhnlich an Paulus gehalten und die Pfingstgabe mit Bekehrung und Wiedergeburt verbunden, während Pfingstler die eigentliche Pfingstgabe (a proper understanding of the pentecostal gift; 105) nur bei Lukas beschrieben finden, nämlich die Ausrüstung der Kirche mit Kraft. Darum sehen sie das erste Pfingstfest (Apg 2) auch nicht als Geburtstag der Kirche an (die habe vielmehr schon in und bei Jesus existiert), sondern als Taufe der Gläubigen mit dem Heiligen Geist als zweite Geisterfahrung des Gläubigen nach seiner Wiedergeburt. Pfingsten sei von Lukas nicht als historisch einmalige Erfahrung verstanden worden, sondern als Modell für die Gläubigen aller Zeiten. In den Lukasschriften findet man also, so der Autor, die charakteristische Botschaft (distinctive message; 75) der Pfingstbewegung – einschließlich der Überzeugung, dass die Geistestaufe an der Gabe des Zungenredens erkennbar wird. Nach Lukas sollen nicht nur einzelne entsprechend begabte Gemeindeglieder in Zungen reden, sondern alle, weil alle Gläubigen nach dem Willen Gottes die Ausrüstung mit Kraft, und das heißt die Geistestaufe, empfangen sollen.

Das Nachwort des Buches enthält eine predigtartige, blumige Würdigung des Heiligen Geistes (A Tribute to the Holy Spirit) und ein Loblied in höchsten Tönen auf die Autoren des Sammelbands. Der Verfasser berichtet, dass er bei der Lektüre der Texte »überschattet wurde mit der erlösenden Kraft und Gegenwart Gottes des Geistes« (222). Er wurde bewegt, den Geist in seiner heiligen Schönheit anzubeten, und nimmt an, auch den anderen Lesern sei es so ergangen. Diese Annahme wird vielleicht auf viele, aber gewiss nicht auf alle Leser zutreffen. Das muss den Nutzen des Buches nicht mindern. Wer ein authentisches internationales Zeugnis für pfingstkirchliche Überzeugungen sucht, der sollte zu diesem Buch greifen. Es ist typisch pentekostal – wohl auch in seinen theologischen und exegetischen Schwächen.