Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2023

Spalte:

834-836

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Becker, Eve-Marie, Jónsson, Sigurvin Lárus and Susanne Luther [Eds.]

Titel/Untertitel:

Who was ›James‹? Essays on the Letter’s Authorship and Provenance.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2022. IX, 437 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 485. Lw. EUR 159,00. ISBN 9783161612374.

Rezensent:

Andreas Pflock

Dieser mit 16 Einzelbeiträgen jeweils zur Hälfte deutsch- und englischsprachig aufgeteilte interdisziplinäre Band zu einer für die Forschung zum Jakobusbrief (Jak) stets zentralen Thematik vereint in sich Aufsätze der Herausgeber – Eve-Marie Becker, Sigurvin Lárus Jónsson und Susanne Luther – und der Jubilarin Oda Wischmeyer, anlässlich deren 75. Geburtstags eine Konferenz stattfand sowie weitere Beiträge von N. Förster, T. J. Bauer, C. Breu, C. Ganslmayer, K.-W. Niebuhr, J. S. Kloppenborg, G. Hinge, A. J. Batten, L. Scornaienchi und N. Wiater.

In der Einleitung der Herausgeber heißt es: »In line with the methodological and conceptual progress [...] our conference – entitled ›Who was James‹? Challenging Concepts of Epistolary Authorship‹ – intended to further develop and apply the research paradigm of ancient (epistolary) authorship to the study of James: For here lies a significant desideratum as well as a possible way out of earlier aporias in James Studies.« (2) Angesichts des Forschungsstands zur Frage, wer als (der) »Jakobus« in Jak 1,1 zu identifizieren sei, vermag ihnen zufolge die eher konventionelle Debatte um den historischen Autor von der Einbeziehung antiker Autorschaftskonzepte zu profitieren (vgl. 5).

Mit der Tendenz des Bandes »to argue for a heuristic of profiling rather than identifying ›James‹ as the epistolary author« (5) seien als Forschungsansätze einerseits das historische Profil, andererseits die intertextuellen bzw. interkulterellen Einflüsse gegeben (vgl. 5 f.). Die Beiträge sind in drei Teile gegliedert, deren Umfang bereits den inhaltlichen Schwerpunkt erkennen lässt: »1. Heuristics, Tools and Methods of Profiling ›James‹« (15–157), »2. The Letter of James in Current Exegesis and Commentary Work« (161–236) und »3. The Letter of James and Ancient Literary Criticism« (239–415).

Der Band vereint alle derzeit zentralen Positionen zur Jak-Verfasserschaft: Die Wahrnehmung des Briefes als orthonymes Schreiben führt ihn auf den Herrenbruder (in Kooperation mit Autorenkollektiv laut Niebuhr, 176, angesichts der unwahrscheinlichen Annahmen von Pseudepigraphie »das kleinere Übel«) oder auf einen frühchristlichen unbekannten Lehrer mit Namen Jakobus zurück (so in Anschluss an Metzner 2013/2017 z. B. Wischmeyer, 193.277). Laut Bauer, 83, kann Jak »aus inhaltlichen Gründen kein authentisches Schreiben des Herrenbruders Jakobus aus der Zeit kurz nach der Mitte des 1. Jahrhunderts« sein (vgl. als Forschungsüberblick 77–80 und bei Wischmeyer, 181–192); sowie impliziere Jak eine Dignität und Stellung des Autors Jakobus, »die der historische Jakobus so nicht hatte« (Bauer, 95). Oft spielt(-e) in der Forschung besonders das Sprachniveau bzw. -profil des Jak eine Rolle, dessen Untersuchung für Kloppenborg, 197, eine Jakobus-Verfasserschaft sehr unwahrscheinlich erscheinen lässt (206: »virtually inconceivable that the author was James of Jerusalem«; zum hohen Sprachniveau s. auch Hinge, 272).

Durch den polyphonen Charakter des Bandes kommen zugleich andere Positionen zur Sprache: So erscheinen Niebuhr, 174, gerade für die Beurteilung der Sprachkompetenz des Briefautors die Argumente keinesfalls eindeutig, und sowohl Wiater, 393 als auch besonders Breu, 100 f., betonen die Uneindeutigkeit der Indizien für oder gegen die Herrenbruder-Autorschaft, womit die Skepsis von Ganslmayer, 132, gegenüber einer innertheologischen Forschungsdebatte bestärkt wird: »Vieles erscheint spekulativ, und positive Argumente für die eine oder andere Person bzw. die Intentionen der möglichen Autorfiktion lassen sich ebenso wenig mit Sicherheit anführen wie für die Frage, ob der Verfasser nun ein bekannter oder unbekannter Jakobus ist.« Sie erprobt den Weg zum Autor linguistisch über das stilistische Profil (vgl. 125) und präsentiert etwa das frei verfügbare Softwaretool AntConc von Laurence Anthony, dessen Funktionen sie anhand von Jak demonstriert: Konkordanzfunktion, kontrastive Korpusuntersuchung, automatisierte Erstellung von Streudiagrammen, Schlüsselwortanalyse, Kookkurrenzanalyse, Hapaxlegomena inkl. autorspezifischer Hapaxe (vgl. 139–152), während andere Zugänge bei der Autorbestimmung durch eine spezielle Polemikperspektive ansetzen (so Scornaienchi, 333) oder wegen der Jak-Satireaspekte Autorschaft als instruktionsvermittelnde Charakterinszenierung unter besonderer Berücksichtigung griechischer und römischer Satireschreiber mit ihrer Sozialkritik untersuchen (vgl. Batten, 313–315).

Ausgewählte Anfragen an Prämissen bzw. vermeintliche Selbstverständlichkeiten im Band erheben sich anhand einer Mk-Priorität (Wischmeyer, 305) oder von »literary dependency« bzw. »Q« (Luther, 41); dass die »motivische Ausgestaltung« von Jak 2,14 ff. Rückschlüsse auf »das geistige Milieu ihres Verfassers« und sogar den »Zeitpunkt ihrer Komposition« (Becker, 73) ermögliche, irgendwie auf die Untersuchung der »real books on the desk and in the mind of the author« (Wischmeyer, 291) abgezielt werden könne oder das lexikalische Profil bzw. Ethopoiie valide Rückschlüsse auf den Briefverfasser erlaube (vgl. Kloppenborg, 208 f.). Inhaltlich zu diskutieren wäre m. E. etwa, ob bei Wischmeyer, 183–185.188 Martin Luthers Positionen zu Jak zu unkritisch dargestellt werden oder dem Brief, z. B. angesichts seiner Geschwistermetaphorik, tatsächlich ein »lack of ecclesial thinking« zu attestieren ist (Becker, 220).

Neben dem Konzept des literarischen und kulturellen Klassizismus, das laut Wischmeyer, 307, neue Wege für das Jak-Verständnis eröffnet und mit Inhalt und Umfang anhand verschiedener Quellen breit dargestellt wird, zeigen sich als hermeneutisch innovative Ansätze des Bandes für eine gegenwärtige »Lektüre der Existenz« (Slenczka) besonders die Dekonstruktion von Ortho- und Pseudonymität mittels der Verschiebung des Fokus und Fragehorizonts von der Vergangenheit auf die Effekte der Vergangenheit in Gegenwart und Zukunft bzw. der Wirkung von Autorschaft (vgl. Breu, 112.115 f., und mit Wiater-Bezug in Darstellung der Mimesis als Instrument der Zeitverschränkung Becker, 231).

Auf diese Weise wird der mediale Charakter von Briefen bzw. die Hermeneutik der brieflichen Kommunikation zentriert (zu dieser Wiater, 402–404), was daran erinnert, dass NT-Texte nicht für das Auge, sondern für das Ohr geschrieben sind (vgl. Hinge, 271 f. in seiner Analyse des Hexameters in Jak 1,17). Damit aber wechselt die Frageperspektive und wird ein Dialog zwischen dem Autor und seinen Lesern bzw. Zuhörern etabliert (vgl. in Analogie zu antiken Verhältnissen Wiater, 411–413). Hermeneutisch kommt damit die textpragmatische Dimension des Briefes zur Geltung, wodurch als Resultat »a kind of 'empathic' understanding«, durch das Hören oder Lesen »some form of bodily involvement« hergestellt wird: Texte sind daher nicht einfach nur visuell, sondern »what current cognitive criticism call 'enactive' and trigger certain sensorimotor reactions in the minds and bodies of their readers« (Zitate bei Wiater, 407).

Fragen nach dem Jak-Autor ist und bleibt unhintergehbar auf die Textlektüre angewiesen. Diese kann zwischen historisch Nachweisbarem und textuell Ableitbarem zu differenzieren versuchen (vgl. Jónsson, 386), aber auch den Sprachgebrauch des Briefes als Mittel der Autoritätsfestigung untersuchen (vgl. Jónsson, 372.377–382). Hinsichtlich aller feststellbaren Sprachkompetenz bleibt dabei hörer-, leser- bzw. rezeptionsabhängig, welche Bildung, Sprach- und sonstige Kenntnisse dem Autor zugetraut werden: »depends on how much education we will credit him with« (Hinge, 265).