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Ausgabe:

September/2023

Spalte:

813-815

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Körner, Felix

Titel/Untertitel:

Politische Religion. Theologie der Weltgestaltung – Christentum und Islam.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2020. 336 S. Geb. EUR 30,00. ISBN 9783451386466.

Rezensent:

Wolfgang Vögele

Bei diesem Werk handelt es sich um eine Reflexion des Verhältnisses von Politik und Religion, um das, was man früher eine politische Theologie (175) nannte. Diese konzentriert Felix Körner auf das Christentum, wobei sich die katholische Prägung des Jesuiten nicht leugnen lässt, und auf den Islam, zu dem der Autor als promovierter Islamwissenschaftler eigene Forschungsbeiträge geleistet hat. »Dies ist kein vergleichendes Buch, sondern eine katholische Ekklesiologie, die auch von den Zeugnissen der Muslime lernen will.« (17) Als seine wichtigsten Gewährsleute sieht der Vf. seinen »Meister« (18) Wolfhart Pannenberg und den politischen Philosophen Eric Voegelin, wobei auch andere genannt werden, exemplarisch Hans Joas, Charles Taylor, Ernst Troeltsch (18).

Die Leitfrage des Vf.s lautet: »Wie kann eine Religion Zusammenleben und Machtverhältnisse beeinflussen – und wie ist sie selbst davon beeinflusst?« (14). Die Beantwortung nennt Körner politische Theologie. Er unterscheidet nun sieben Religionsmodelle (15), die er nacheinander untersucht, um dann im letzten Modell die selbst favorisierte politische Theologie zu finden: Religion als vorgegebene Kultur, als Stiftung einer neuen Identität, als Legitimation von Herrschaft und Gewalt, als Relativierung und Kritik menschlicher Macht, als Vergegenwärtigung von Schwäche, als Inspiration in einer pluralen Gesellschaft. Sein eigenes Modell nennt der Vf. Religion als »Anerkennung des anderen« (16), wobei gleich zu sagen ist, dass hier der Begriff des »Anderen« bewusst schillert.

Alle Teile des Buches sind eng an den ursprünglichen Quellen gearbeitet. Körner kommentiert biblische Passagen, aber auch ganze Suren aus dem Koran, z. B. Sure 90 (100 ff.). Etwas schematisch arbeitet der Vf. zunächst die Stärken des jeweiligen Entwurfs politischer Theologie heraus, um dann in einem nächsten Schritt Schwächen und Möglichkeiten zur Weiterentwicklung des Modells zu benennen.

So erwähnt Körner beim Thema Kultur die (ältere) Diskussion über Zivilreligion (Bellah, Durckheim, Rousseau), kommt hier zu einer erstaunlich positiven Bewertung (62 ff.), aber es ist auch zu konstatieren, dass die neuere Diskussion über Zivilreligion und ihren Zerfall in den USA einfach ausgelassen wird.

Im Kapitel über Gewalt (131 ff.) führt der Vf. Jan Assmanns These von der mosaischen Unterscheidung (144 ff.) ein und arbeitet sich an ihr ab. Der Rekurs auf die Thesen Eric Voegelins zeigt sich in der Aufnahme von dessen Warnung vor allen gnostischen Strömungen, welche die temporale Spannung zwischen dem Noch-Nicht des kommenden Gottesreiches und dem Schon-Jetzt der Präsenz von Glaube, Kirche und Heiligem Geist auflösen wollen in eine Eindeutigkeit, die sich so in der Gegenwart noch nicht behaupten lässt. Pannenbergs Begriff von der Antizipation aufnehmend konstatiert er: »Die Kirche ist in der Welt das antizipatorische Zeichen des kommenden Gottesreiches.« (213) Mit der Kirche im Singular meint er offensichtlich die katholische Kirche. Aber die Kirchen unterliegen ja selbst noch Unvollkommenheiten, und es erscheint in diesem Werk nicht berücksichtigt, daß die Kirche ja selbst von der von Voegelin beschriebenen Spannung betroffen ist, gegenwärtig vor allem durch die Erstarrung ihrer klerikalen Hierarchie und Bürokratie sowie durch die vielen ans Licht gekommenen Fälle von sexuellem Missbrauch. Aus dieser Perspektive wirkt dann der folgende Satz allzu idealistisch: »Damit kritisiert sie [die Kirche] alle menschlichen Gesellschaftsmodelle auf den Lebensstil des Gottesreiches hin, auf die rücksichtsvolle, dienende Liebe.« (214) Kurzum: Die Spannungen, die der Vf. im Anschluss an Voegelin konzediert, scheinen mir noch sehr viel deutlicher und drastischer beschrieben werden zu müssen als das der Vf. in seinen typologischen Modellen unternimmt.

Im Kapitel über die Option für die Armen (218 ff.) steht sehr Interessantes über die christliche wie islamische »Armutsidentifikation« (239), und im Kapitel über Religion als Inspiration der Gesellschaft (251 ff.) steht Erhellendes über Weltgestaltung. In diesem Kapitel kommt er auch auf die gerade aktuelle Richtung der öffentlichen Theologie zu sprechen (z. B. 267.281 ff.), aber die Ausführungen dazu bleiben doch eher blass, wie überhaupt die Beschreibungen der modern oder post-modernen Veränderungen der Gesellschaft, man denke an Singularisierung, Milieubildung, Pluralisierung, Digitalisierung, erstaunlich unterbestimmt bleiben. Manchmal geht das nach meinem Eindruck zu sehr ins Abstrakte: Körner strebt an, ein neues paradigmatisches Modell von politischer Theologie zu entwickeln, das transhistorisch auf alle Typen von Gesellschaft anwendbar wäre. Dem aber ist nicht so. Eine politische Theologie wäre doch eher gesellschafts-, geschichts- und vor allem kontextbezogen zu entwickeln.

Ihren Kulminationspunkt findet die politische Theologie des Vf.s im Begriff der Anerkennung. Diesen rezipiert er nicht in der metaphysikkritischen Fassung im Gefolge der Überlegungen Axel Honneths, die nun allenthalben theologisch rezipiert wird (Markus Knapp, Lukas Ohly), sondern in einer relationsontologischen Fassung. Das Andere der Anerkennung sind Gott selbst, die (anderen) Menschen, die Gesellschaft, die Umwelt, die anderen Religionen (287 ff.) »Anerkennen heißt, sich auf eine Begegnungsgeschichte einlassen, deren Ausgang ich nicht allein bestimmen kann. Anerkennen heißt, eintreten in einen Dialog.« (290)

Es überzeugt sehr an Körners Buch, dass es ganz aufgeschlossen und unaufgeregt geschrieben ist. Es ist ein neuer Ton der Wissenschaftssprache zu hören, jenseits von Umständlichkeit, Weitschweifigkeit und Fachsprache. Ganz unaufgeregt gibt der Vf. seine Quellen, Gewährsleute und Faszinationen preis. Er legt offen dar, was ihm gefällt und was ihn geprägt hat. Immer wieder spielt er Beispiele in seine Argumentation ein. Es ist eine weitere Stärke des Buches, dass der Vf. seine politische Theologie im Dialog mit dem Islam entwickelt. Indem er für die Leser entscheidende Passagen des Korans selbst kommentiert, gibt er ihnen Einblick in die komplexen Deutungslagen, die viel zu oft simplifiziert und verallgemeinert werden. Eine weitere Stärke besteht in der ökumenischen Rezeption evangelischer Theologien. Manchmal jedoch, ein Beispiel wurde erwähnt, sind Töne herauszuhören, die auf einen allzu idealistischen Begriff der katholischen Kirche und ihrer Hierarchie deuten. Über die damit markierten theologischen und politischen Ambivalenzen wüsste man als Leser gerne noch genauer Bescheid. Kann man sich etwa die hierarchische, priesterorientierte Sakramentsfeier der katholischen Kirche als Vorwegnahme des Reiches Gottes vorstellen? Ich würde als Protestant ein Modell allgemeinen Priestertums bevorzugen. Und wenn dem so ist, so hat das eminente Folgen für die Weltgestaltung im Blick auf Demokratie, Gleichheit und Menschenrechte. Ich stelle das als Frage, wohl wissend, dass auch bei der Obrigkeitsethik der klerikalen protestantischen Bürokratie noch nicht alle Hausaufgaben in dieser Richtung gemacht wurden. Eine weitere Frage zielt auf den Begriff von Gesellschaft, den der Vf. voraussetzt. In dieser Arbeit wird die politische Theologie normativ im Dialog zwischen den theologischen Selbstverständnissen von Islam und (katholischem) Christentum mit den großen sozialphilosophischen und theologischen Entwürfen des 20. Jh.s entwickelt. Die Frage lautet, ob dies nicht durch eine weitere Perspektive zu ergänzen wäre, die sich an den Veränderungen moderner Gesellschaft im 20. und 21. Jh. orientiert. Politische Theologie ist kein unveränderbares, allgemeines Lehrstück der Ethik. Vielmehr wandelt sie sich mit den Veränderungen der Gesellschaft. Auch das soll als Frage an dieses sehr lesenswerte Buch und seinen Autor gestellt sein. Dann würden sich im Blick auf öffentliche Theologie und Sozialethik noch eine Reihe von Erweiterungen ergeben.