Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2023

Spalte:

621-622

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Nitsche, Bernhard, u. Matthias Remenyi [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Problemfall Offenbarung. Grund – Konzepte – Erkennbarkeit.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2022. 688 S. Geb. EUR 58,00. ISBN 9783451390159.

Rezensent:

Gunther Wenz

Illuminiert werden nicht nur Häuser und Straßen, sondern auch Zeichnungen, Drucke, Holzschnitte und vor allem Handschriften, deren Ausmalung zumeist nicht Kolorierung, sondern Illuminierung genannt wird. Ob sich illuminierte Handschriften besonders eignen, Illumination und innere Erleuchtung zu bewirken, darf dahingestellt bleiben. Der Hl. Schrift der Bibel jedenfalls wurde und wird, ob illuminiert oder nicht, in der christlichen Ökumene eine buchstäblich erleuchtende Bedeutung zugeschrieben, weil sie als inspiriertes und inspirierendes Buch kraft des Hl. Geistes die in der Erscheinung Jesu Christi, des auferstandenen Gekreuzigten, vollendete Offenbarung Gottes als deus pro nobis und deus pro me authentisch und verbindlich bezeugt. Wie die Bibel den Maßstab ihrer Bedeutung an dem findet, was Christus treibt, so hat die kirchliche Verkündigung am biblischen Zeugnis das Kriterium ihrer Geltung. Die Christenschar hinwiederum ist die Gemeinschaft derer, die durch das im biblischen Kanon bezeugte und kirchlich vermittelte Evangelium Jesu Christi erleuchtet ist; man könnte sie einen Illuminatenorden nennen, wäre der Titel nicht schon anderweitig vergeben und vielfältig missbraucht.

Offenbarungstheologisch ergibt sich aus dem Vorspruch zum einen, dass Licht und Erleuchtung einen differenzierten, aber untrennbaren Zusammenhang bilden. Illumination setzt voraus, dass ein Licht aufgeht, dessen heller Schein indes nicht wäre, was er ist, wenn er nicht erleuchten würde. Zum anderen und im Verein damit hat unter christlichen Bedingungen zu gelten, dass das Licht der Offenbarung nicht in vermittlungsloser Unmittelbarkeit, sondern auf vermittelte Weise einleuchtet, nämlich durch ein Medium, welches selbst die Botschaft ist, sofern es den Mittler als den personalen Inbegriff des Evangeliums zum Inhalt hat: Jesus Christus. Sehe ich recht, dann ist mit der gegebenen Skizze der Rahmen umrissen, innerhalb dessen sich die im vorliegenden Sammelband vereinten Beiträge bei all ihrer Unterschiedlichkeit bewegen. Dass besagte Unterschiedenheit auch den skizzierten Rahmen tangiert, trifft zwar zu; aber gesprengt wird er dadurch nicht.

Wie bereits sein Titel signalisiert, ist die mit dem Sammelband verfolgte Intention der Herausgeber in erster Linie nicht darauf ausgerichtet, ein »Grundwort des christlichen Glaubens« (9) und einen »zentrale[n] Reflexionsbegriff der Theologie« (ebd.) in strenger Systematik zu entwickeln; Absicht ist es vielmehr, die Spannungsfelder zu diskutieren, in denen, was Offenbarung heißt, zum Problemfall bzw. zur Problemanzeige wird. So eröffnet sich ein weites – energetisches – Feld, das von einer Polarität dreifacher Art durchzogen, bemessen und gegliedert wird: 1. Offenbarung als Deutekategorie und Grund des Glaubens; 2. Offenbarung als Ereignis und seine Erkennbarkeit; 3. Offenbarung als Zuspruch und Anspruch. Das erste Problemfeld bearbeiten streitbar die Beiträge von Saskia Wendel, Magnus Lerch, Matthias Remenyi, Aaron Langenfeld und Michael Bongardt, das zweite diejenigen von Bernhard Nitsche, Thomas Schärtl, Anne Käfer, Michael Seewald und Agnes Slunitschek, woraufhin zum dritten Johannes Grössl, Martin Dürnberger, Florian Baab, Ansgar Kreutzer und Gunda Werner an der Reihe sind. Vorangestellt sind den drei Artikelserien zwei Studien zu den die Offenbarungskonzeptionen in der evangelischen (Christine Axt-Piscalar) und in der katholischen (Christoph Böttigheimer) Theologie betreffenden geschichtlichen Entwicklungslinien. Am Ende wird die Thematik interkulturell und in religionstheologischer Perspektive ins Auge gefasst (Margit Eckholt, Olisaemeka Rosemary Okwara, Christian Danz) und von kirchlichen Verschattungen göttlichen Offenbarungsgeschehens gehandelt (Ruben Schneider), wie es heißt. Ein weites Feld, wie gesagt, in Bezug auf das und auf diejenigen, die es bestellen, leicht der Überblick zu verlieren ist.

Aufschlussreich für den Problemhorizont der Thematik sind neben den einführenden Bemerkungen zu modernitätsspezifischen Konstellationen im Verständnis von Offenbarung insbesondere diejenigen zur Frage, wie sich die den Begriff kennzeichnenden Momente des erleuchtenden Lichts und der Erleuchtung, des göttlichen Konstitutionsgeschehens und der durch sie erschlossenen menschlichen Selbstverständigung zueinander verhalten. »Einerseits ist Offenbarung unbestritten eine Kategorie, welche die praktische Sinnbestimmung menschlichen Lebens in einer christlichen Weise deutet. Andererseits gehört es zu dieser Deutekategorie sinnstiftender christlicher Lebenspraxis, dass der im Glauben angenommene Grund dieser Deutung nicht einfachhin mit der Selbstexplikation menschlicher Subjektivität zusammenfällt.« (13) In der Tat wäre der Offenbarungsbegriff gerade in seiner Fassung als Selbst-offenbarung Gottes um seine theologische Pointe gebracht, wenn man mit ihm nicht die Annahme einer unvordenklichen Voraussetzung menschlicher Selbstverständigung in Verbindung bringen würde und zwar einer Voraussetzung, die sich selbst voraussetzt (und auch nicht lediglich als nichtgesetzt gesetzt zu gelten hat).

Will man unter Offenbarung mehr und anderes verstehen als eine Bezeichnung für die Erschlossenheit des Daseins und ein selbst-verständliches Sich-Verstehen von Subjektivität, dann wird man nicht umhinkommen, ihren Widerfahrnischarakter und die mit ihm gegebene Unverfügbarkeit zu betonen. Wie dies zu geschehen hat bzw. welche Bedeutungs- und Deutungspotenzen die göttliche apparitio im Sein, Bewusstsein und Selbstbewusstsein des Menschen eröffnet, gehört zu den spannendsten Fragen, die im Sammelband erörtert werden.

Ökumenisch wünschenswert wäre es gewesen, die bezeichneten Fragen noch enger mit den kontroverstheologisch strittigen Problemen kirchlicher Amtsautorität zu verbinden. Wenn in der dogmatischen Konstitution über die göttliche Offenbarung des Zweiten Vatikanischen Konzils gesagt ist, dass das Lehramt der Kirche nicht über dem Wort Gottes steht, sondern ihm dient, zugleich aber die verbindliche Erklärung des geschriebenen und überlieferten Gotteswortes nur und allein ihm vorbehalten wird (vgl. Dei Verbum 10), dann wüsste man gerne, wie man beide so zusammenzudenken hat, dass kein lehramtliches Monopol der Offenbarungsdeutung entsteht. Der wahre Zeuge wahrt den Unterschied zu dem in der Offenbarung Bezeugten, und er tut dies in der Gewissheit von dessen Selbstbezeugungsvermögen im schriftgemäßen Wort und Sakrament der Evangeliumsverkündigung. Dies macht sein Zeugnis nicht überflüssig, sondern im Gegenteil offen dafür, dass sich jedermann selbst überzeuge und von der Wahrheit erleuchtet werde.