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Ausgabe:

Juni/2023

Spalte:

607-608

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Gerber, Uwe, u. Lukas Ohly [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Anerkennung. personal – sozial – transsozial.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2021. 208 S. Kart. EUR 68,00. ISBN 9783374068999.

Rezensent:

Wolfgang Vögele

Der von den beiden systematischen Theologen herausgegebene Sammelband thematisiert die zu einiger Prominenz gekommene philosophische Anerkennungstheorie, die einer theologischen Bewertung unterzogen wird. Am Anfang wird konstatiert, diese sei dabei, die durch die Aufklärung zerstörten metaphysischen Weltbilder zu ersetzen (7). Hauptvertreter dieser neuen Anerkennungstheorie ist der Frankfurter Sozialphilosoph Axel Honneth (8 ff.). Bei ihm ersetze anthropologische Identität, d. h. Würde, Verletzlichkeit etc. das, was vor der Aufklärung metaphysisch als selbstverständlich vorausgesetzt wurde. Die Herausgeber weisen sofort darauf hin, dass auch diese Anerkennung wieder anerkannt werden muss. Der Anerkennungsprozess ist also selbstreflexiv (9) und von einem kommunikativen Aushandlungsprozess abhängig. Sie bemängeln, das sei zu anthropologisch gedacht, berücksichtige weder das Verhältnis Mensch – Tier noch das Verhältnis Mensch – Maschine. Deswegen könne die Theologie nicht einfach einen prozeduralistischen Anerkennungsbegriff übernehmen, sondern müsse ihn »tiefer legen« (12). Dieser Suchbewegung sind dann die folgenden Beiträge verpflichtet. Sie widmen sich Anthropologie und Individualität (Gerber), dem Verhältnis von Mensch und Tier (Schütz), Mensch und Maschine (Burghardt), den Theologien Barths und Schleiermachers (Krombacher), der Wissenschaftstheorie (Hübsch-Chaudry), der Ekklesiologie (Ohly), der Theologie Bonhoeffers (Höroldt) sowie der Religionspädagogik (Wellhöfer-Schlüter).

Einige Beiträge seien hier herausgegriffen. Uwe Gerber unterscheidet in seinem anthropologischen Beitrag selbstbezogene »Selfisten« (21), die den anderen nicht mehr sehen, und – auf der anderen Seite – »Integristen«, die den gegenüberstehenden Anderen helfen wollen, aber aus eigensüchtigen Interessen und eben nicht aus Anerkennung der Anderen. Für diese Entwicklung macht Gerber die Digitalisierung verantwortlich. In beiden Versionen sei das Verhältnis des Ich zum Anderen gestört, und Gerber versucht sich in der Folge an einer theologischen Re-Konstruktion im Anschluss an die Theologie Dietrich Bonhoeffers und die Philosophie von Emanuel Lévinas. Subjektwerdung kann der einzelne nach Gerber nicht aus eigenem Antrieb leisten, sondern er ist in diesem Prozess angewiesen auf den Nächsten (den Anderen) und auf den radikal Anderen, nämlich Gott. Lassen sich die einzelnen darauf nicht ein, so enden sie für Gerber in einer »phantasierten Autonomie« (51).

Der Beitrag von Nils Schütz beschäftigt sich mit der Frage, ob sich Anerkennungsverhältnisse verändern, wenn Mensch-Tier-Beziehungen hinzugedacht werden. Dieses findet zuerst Gestalt als Kritik des Anthropozentrismus christlicher Theologie und mündet in eine Kritik des Begriffes der Reziprozität (74 f.). Die Anerkennung des Anderen schließe auch (Lebe-)Wesen ein, deren Fähigkeiten anders ausgestaltet sind als die von Menschen. Mithin: Zum Anderen der Anerkennung gehören für Schütz auch Tiere.

Klaudia Burghardt fragt sich, ob eine solche mögliche Erweiterung der Anerkennungsverhältnisse auch in transhumanistischer Weise auf das Verhältnis von Menschen und Maschinen übertragen werden kann und kommt zu einem sehr skeptischen Ergebnis.

Lukas Ohly arbeitet sich an den ordnungstheologischen Resten der protestantischen politischen Ethik ab. Er untersucht am Beispiel der Theologien Bonhoeffers und Barths, ob sich in ihnen Mo­mente finden, die über ein autoritäres Staatsverständnis hin-ausreichen in Richtung eines demokratisch bestimmten Staatsverständnisses, das nicht auf der Bevormundung der Bürger durch den Staat, sondern durch deren reziproke Anerkennung beruht. Der Theologie Bonhoeffers folgt auch der Beitrag von Höroldt, wie sich für den gesamten Band konstatieren lässt, dass die Theologie Bonhoeffers eine ganze Reihe von Anknüpfungspunkten bietet, die eine anerkennungstheoretische Weiterentwicklung nahelegen.

Ich finde es verdienstvoll, dass die beiden Herausgeber den Mut hatten, eine Reihe von Nachwuchsautoren um Beiträge zu bitten. So kommen neue Theorien, neue Denkbewegungen und neue Gesichter in der systematischen Theologie zusammen. Der gesamte Band ist zu würdigen, weil er eine Reihe von Suchbewegungen innerhalb evangelischer Theologie und Ethik entwickelt, die es unternehmen, Anerkennungstheorie für das theologische Denken zu rezipieren. Dennoch bleibt die Frage, ob es nicht sinnvoll gewesen wäre, die Anerkennungsphilosophie von Axel Honneth zunächst in einem eigenen Beitrag vorzustellen, um dessen philosophische Intentionen genauer in den Blick zu nehmen. Die Herausgeber sind nach meinem Urteil in eine manchmal zu selbstverständliche theologische Rezeption gesprungen. Andere Theologen, etwa der katholische Fundamentaltheologe Markus Knapp aus Bochum, sind dabei vorsichtiger und erzielen bessere Ergebnisse. Denn Knapp gelangt zu einer sehr viel radikaleren Infragestellung der Metaphysik und eben auch des personalen Theismus.

Es verwundert nicht, dass beide, Knapp wie Gerber/Ohly sich dabei regelmäßig auf Bonhoeffer beziehen. Die Bemerkungen des letzteren über die Nicht-Notwendigkeit Gottes und die mündige Welt könnten noch viel ernster genommen werden. An diesem Punkt müssten die Suchbewegungen der evangelischen Autorengruppe weiter entfaltet werden.