Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2023

Spalte:

593-594

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Dahlke, Benjamin

Titel/Untertitel:

Katholische Theologie in der »Sattelzeit«. Ein Überblick.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2022. 222 S. Geb. EUR 38,00. ISBN 9783402249161.

Rezensent:

Gunther Wenz

Innerhalb der gegenwärtigen katholischen Universitätstheologie mangelt es nicht an vielversprechenden Begabungen. Eines dieser Talente ist Benjamin Dahlke, Jahrgang 1982, Professor für Dogmatik an der Universität Eichstätt und bereits mit einer Reihe von gelehrten Monografien an die Öffentlichkeit getreten, etwa über die katholische Rezeption der Theologie Karl Barths oder über den Augustinerchorherrn Pius Parsch, der als Publizist wesentliche Beiträge zur liturgischen Bewegung geleistet hat. Nun hat D. einen Überblick über die katholische Theologie der sog. Sattelzeit vorgelegt, worunter er im Anschluss u. a. an Reinhard Koselleck »die Jahre von ungefähr 1750 bis 1850« (9) versteht. Das späte 18. und das frühe 19. Jh. brachten im Gefolge der Aufklärung in politischer und intellektueller Hinsicht erhebliche Wandlungen mit sich, die mit aktuellen Veränderungen zwar nicht gleichzusetzen, aber doch vergleichbar sind, worin D. die aktuelle Bedeutung seiner historischen Untersuchung sieht. Im Übrigen bieten historische Analysen nach seinem Urteil den systematischen Vorteil, durch Rekonstruktion von Genesen in ein reflektiertes Verhältnis zum eigenen Selbstverständnis zu treten und zu vermeiden, das Eigene in vermittlungsloser Unmittelbarkeit geltend zu machen.

In den Fallstudien, anhand derer er einen Überblick über die katholische Theologie der »Sattelzeit« zu geben sucht, verbindet D. ideen- und institutionengeschichtliche Perspektiven, damit die mannigfachen Verbindungen der intellektuellen Herausforderungen der katholischen Theologie durch die Aufklärung und die an Kant anschließende Philosophie des Deutschen Idealismus mit den Provokationen durch die Umwälzungen der Zeit und namentlich durch die Französische Revolution gebührend in Betracht kommen. Zunächst wird die zeitgenössische Priesterausbildung bei den Benediktinern in den Blick genommen, die als aufgeklärte Mönche präsentiert werden, welche den primär durch Ritualkompetenz ausgezeichneten »barocken Zeremonienmeister« (19) tendenziell durch den »mit Predigt und Katechese befasste[n] Wissensvermittler« (ebd.) zu ersetzen trachteten. Spannungen innerhalb des Ordens konnten infolge einer Diskrepanz zwischen mönchischer Disziplin und einer prinzipiell autoritätskritischen Haltung nicht ausbleiben, woran sich beispielhaft zeigt, »wie kompliziert es war, Aufklärung und Katholizismus konkret zusammenzubringen« (43). Dieser Befund bestätigt sich auch hinsichtlich weiterer Ordensstudien sowie in Bezug auf die gesamte Priesterausbildung vor und nach der Aufhebung der Gesellschaft Jesu.

Als zusätzliche Aspekte seiner Untersuchung zieht D. die Reformen der Theologie im Habsburgerreich unter der Herrschaft von Maria Theresia und ihres – von nicht wenigen katholischen Kirchenführern als missraten beurteilten – Sohnes Joseph II., die Prozesse im Zuge der Koalitionskriege und der Säkularisation, die Neuordnung der katholischen Theologie nach dem Wiener Kongress sowie die Entwicklungen im zunächst rein protestantischen, aufgrund von territorialen Zugewinnen dann mehr und mehr multikonfessionellen Preußen in Betracht. Ein Kapitel für sich bildet in diesem Zusammenhang der Hermesianismus, dem D. s besonderes Interesse gilt.

Summa summarum: »Indem sich die katholische Theologie auf die Aufklärung und die Klassische Deutsche Philosophie einließ, veränderte sie sich tiefgreifend. Ein Bewusstsein für Subjektivität und Geschichtlichkeit fand – wie rudimentär auch immer – Eingang in den fachlichen Diskurs. Die Theologie begann, sich entsprechend zu verändern. Unumstritten war das alles freilich nicht. Vielmehr gab es stets Vorbehalte, die sich schließlich zu manifester Ablehnung auswuchsen. In einem gewundenen Prozess formierte sich eine Gegenbewegung, doch sollte es bis Ende des 19. Jahrhunderts dauern, bis sie in Gestalt der Neuscholastik obsiegte.« (143) Des Weiteren »vollzog sich eine auf Rom fokussierte, das kirchli-che Lehramt betonende Neuformierung des Katholizismus« (151). D. skizziert diese Entwicklung äußerst knapp, um mit einigen Hinweisen zu Forschungsdesideraten zu schließen, deren wesentliche Funktion darin besteht, weiteres Interesse an der Geschichte der katholischen Theologie im späten 18. und frühen 19. Jh. zu fördern, um auf diese Weise einen Beitrag zu gegenwärtiger Urteilsbildung in Theologie und Kirche zu leisten.