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Ausgabe:

Juni/2023

Spalte:

541-560

Kategorie:

Aufsätze
Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Albrecht Beutel

Titel/Untertitel:

Die neologische Predigt als Vehikel der Aufklärung. Exemplarisch erkundet am Beispiel von Johann Joachim Spalding*

Je weiter das 18. Jahrhundert voranschritt, desto merklicher kam die deutschsprachige protestantische Predigt als Vehikel der Aufklärung in Gebrauch. Dies galt selbstverständlich weder umfassend noch stereotyp, sondern manifestierte sich zumal in der breiten Kanzelarbeit der Neologie,1 und auch dort in einer nicht schulhaft uniformen, sondern jeweils individuell akzentuierten Weise. Gleichwohl war die neologische Predigt insgesamt darum bemüht, ihrer Zuhörerschaft biblische und religiöse Aufklärung und den Predigern entsprechende homiletische Anleitung zu vermitteln. Wenn jetzt, um dies exemplarisch zu erkunden, das Werk des Berliner Propstes und Oberkonsistorialrates Johann Joachim Spalding2 auf den Plan gerufen wird, so mag dies ebenso durch dessen zentrale aufklärungstheologische Bedeutung wie durch den Umstand plausibilisiert sein, dass heute sämtliche erhaltenen Predigten Spaldings, auch die nur handschriftlich überlieferten, in kritischer Edition bequem zugänglich sind.3

Spalding, wie übrigens die Mehrzahl seiner neologischen Kollegen, gebrauchte das Wort Aufklärung nirgendwo als historische Epochenbezeichnung, sondern stets nur als Ausdruck eines sich dynamisierenden geschichtlichen Strukturmoments, dessen Realisierung grundsätzlich zu allen Zeiten möglich ist, auch wenn es manchmal in spezifischer Verdichtung hervortritt. Nachdem die Woellnersche Restaurationspolitik4 die Vitalität der Neologie empfindlich beschnitten hatte, gab Spalding 1791 rückblickend kund, er wolle »unsern Zeiten auch darüber mit Freuden Glück wünschen, daß darin so wohl der großen Angelegenheit des Christenthums überhaupt, als auch insonderheit dem Lehramte desselben, ungleich mehr Aufklärung, Berichtigung und Ermunterung, als vormals, geschafft worden«.5

In dieser bedachtsam formulierten Wendung ist das, was der Berliner Meistertheologe unter religiöser Aufklärung verstand, präzise auf den Begriff gebracht: Sie galt ihm als ein wesenhaft bipolares Unterfangen, indem sie zugleich auf »Berichtigung« und »Ermunterung« zielt, das eine durch rationale Kritik traditioneller Verkrustungen, das andere in affektiver Anleitung zu praktischer Tätigkeit. Dieser Dual von Berichtigung und Ermunterung, von Verstand und Gemüt wird sich gleichsam als der cantus firmus erweisen, wenn es nun nacheinander die homiletische, theologische, religiöse und göttliche Aufklärungsarbeit, die das Werk des Predigtlehrers und Kanzelredners Spalding geprägt hat, zu durchmustern gilt.

I Homiletische Aufklärung



Mit seiner 1772 publizierten Schrift Ueber die Nutzbarkeit des Predigtamtes und deren Beförderung schuf Spalding die klassische Homiletik der Neologie. Der darin modellierte Prototyp eines aufgeklärten protestantischen Pfarrers und Predigers vermittelte der zeitgenössischen Pastoraltheologie und Verkündigungspraxis einflussreiche, breitenwirksame Impulse und diente darüber hinaus alsbald auch als Matrix etlicher literarischer Pfarrerfiguren, so bei Johann Wolfgang von Goethe,6 Friedrich Nicolai7oder Jakob Michael Reinhold Lenz.8 Statt eines umfassenden Werkportraits9 mag es für den in Rede stehenden Themen- und Interessenschwerpunkt genügen, einige der zentralen aufklärerischen Absichten und Anleitungen jenes Klassikers der Predigtlehre herauszuarbeiten.

In Aufnahme des eingangs genannten Duals von rationaler Kritik und affektiver Anleitung identifizierte Spalding als das organisierende Zentrum der evangelischen Predigtaufgabe die Pflicht, die Grundlehren des Christentums »bey der Menge einleuchtend und thätig zu machen«.10 Insofern verschrieb er sich keineswegs einem kalten, sterilen Rationalismus, sondern verwies die homiletische Abzweckung auf die bipolare Grundstruktur des Menschen, dem gleichermaßen Verstandesaufklärung und Tätigkeitsanreiz zuteil werden soll, um in ihm dergestalt »Empfindungen der vernünftigen Andacht und Gottesfurcht« (90 f.) freizulegen und beständig zu nähren. Übrigens obliege, Spalding zufolge, »die beständige Einschärfung der Glaubenslehren und ihrer praktischen Folgen« (77) nicht allein der gottesdienstlichen Ansprache, sondern desgleichen auch dem katechetischen und schulischen Religionsunterricht: Wo immer ein Pfarrer in die Grundlagen des Christentums einweist, soll er »dem Kopfe […] etwas zu denken« und dem »Herzen etwas zu empfinden geben« (223).11

Dieser klaren Zweckbestimmung genügen nun freilich weder der Gesamtumfang der biblischen Schriften noch die enzyklopädische Fülle der theologischen Lehrbildung, näherhin weder die bloß historischen noch die bloß theoretischen Wahrheiten des Christentums.12 Immer wieder sprach Spalding deshalb von »durchaus unfruchtbaren Theorien« (57) und »unfruchtbare[n] speculativische[n] Lehrmeinungen« (134), die es in der kirchlichen Predigt akkurat zu meiden gelte. Auch die Heilige Schrift empfehle sich dafür keineswegs insgesamt, denn »darum, daß eine Aussage in der Bibel stehet, wird sie nicht zu einer eigentlichen Glaubenslehre, zu einem Theile der Religion« (141). Nun ist dabei allerdings streng zu beachten, dass Spalding manche biblischen Texte sowie die theologische Theoriearbeit nicht etwa an sich und als solche, sondern lediglich in einem bestimmten Verwendungszusammenhang für unfruchtbar und gebrauchswidrig einschätzte, nämlich konkret »in Absicht auf das Praktische« (57), das in der Predigt allein verfolgt werden müsse. Unverkennbar lag diesem Ansinnen die von der Neologie zwar nicht eingeführte,13 aber doch erstmals systematisch ausgearbeitete Fundamentalunterscheidung von Religion und Theologie zugrunde: »Der Unterscheid zwischen Religionslehre und Verständniß der heiligen Bücher«, schärfte Spalding ein, »scheinet mir sehr unläugbar und wesentlich zu seyn« (141). Wenn er darum die Sinnhaftigkeit gesamtbiblischer Exegese sowie der umfassenden theologischen Begriffs- und Theoriebildung auch keinesfalls für hinfällig ansah, so bestritt er doch deren Fruchtbarkeit für einen zweckdienlichen homiletischen Religionsunterricht. Denn auf der Kanzel habe sich »die Befestigung des Glaubens« allein »an die wirklich christlichen, bessernden und beruhigenden Grundwahrheiten« (104) zu halten. Um diese Grundsätze »des recht erkannten praktischen Christenthums« zu identifizieren, bedürfe es keiner »bloß speculativen, unwirksamen, mit leerem Vorwitz ausgeklügelten […] Lehrsätze einer besondern Kirchenpartey« (104), sondern es genüge eine »gehörige Vorstellung der ursprünglichen reinern und einfachern Lehre Jesu« (222).14

Der entscheidende kriteriologische Differenzaspekt ist damit bereits im Blick: »Das Maaß der Erheblichkeit und Brauchbarkeit einer Lehre in dem Vortrage und Unterricht der Religion [wird] gerade durch das Maaß seines Einflusses in die Besserung und den Trost der Menschen bestimmt« (137).15 Nur dann werde die Predigt ihrer praktischen religiösen Aufklärungspflicht nachkommen können, wenn sie sicherzustellen vermag, dass ihre Adressaten zur »Beystimmung des Verstandes« und »Einwilligung des Herzens« (213)16 befähigt werden. Und in distinkt kritischer Bezugnahme auf den problematischen Umstand, dass die preußischen Pfarrer im 18. Jahrhundert unmittelbar nach der Predigt auch noch obrigkeitliche Erlasse auf der Kanzel verlautbaren mussten, fügte Spalding die bittere Bemerkung hinzu, eine Predigt, die den Hörern nichts zu verstehen und zu empfinden gebe, gleiche damit »der anbefohlnen Ablesung eines Polizeyedicts« (213).

Würde das, was er als unfruchtbare Lehrbildung abtat, in die Predigt der Aufklärung Eingang finden, zeitigte dies Spalding zufolge einen nicht nur religiös nutzlosen, sondern zumeist auch schädlichen Effekt. Ein Kanzelvortrag im »kalte[n] Locuscommuniston« bliebe allemal leb- und wirkungslos, »weil Schatten nicht, wie Körper, wirken können« (273). Drei Gefahren kämen überdies noch hinzu. So könnten »bloß theoretische Lehren […] von unsern Zuhörern gar nicht verstanden, noch als wirkliche Wahrheit erkannt werden« (134), und wenn die Zuhörer dies gleichwohl versuchten, liefe es doch nur auf »eine leere Beschäftigung des Verstandes, oder gar des Gedächtnißes« (171) hinaus. Damit aber würde »denen, die wir unterrichten, das wahre Wichtige unvermerkt aus den Augen gerückt« (171). Und schließlich berge eine derartige homiletische Verwirrung auch die Gefahr, dass Menschen, die von Jugend auf an »das Nachsagen und Fürwahrhalten unkräftiger Dogmen« gewöhnt worden waren, zu dem von einer aufklärerischen Predigt geforderten »eigenen theilnehmenden Nachdenken« (172) kaum noch imstande sein würden.

In diese Anleitung zu aufklärerischem Predigen hat Spalding eine zentrale sprachhermeneutische Forderung eingewoben. Sie betraf das Postulat einer solchen rhetorischen Predigtgestaltung, die sich konsequent an der faktischen Gedanken- und Sprachwelt der Hörerschaft orientiert. Gemäß dem von ihm gezeichneten Leitbild des Pfarrers, an dem die Gemeinde »einen vertrauten Freund« (64) haben solle, machte er es dem Prediger, jenen grundlegenden Dual hermeneutisch konkretisierend, zur Pflicht, in seiner Kanzelrede »den Ton des ernsten vertraulichen Gesprächs zu treffen, der gerade auf den Menschenverstand und das Herz gehet« (257). Dies aber setze zumal eine »deutliche[,] von Schulwörtern gereinigte Sprache« (210) voraus. Denn um den Menschen einen fortwährend erzwungenen linguistischen Weltenwechsel zu ersparen, habe ein Prediger dafür Sorge zu tragen, dass die praktische Glaubenslehre »in der gewöhnlichen jedermann bekannten Sprache des menschlichen Lebens [müsse] vorgetragen werden können, daß die eigentlich nöthigen und nützlichen Begriffe sich durch diejenigen Ausdrücke müssen verständlich machen lassen, mit welchen schon ohne das ein jeder klare Vorstellungen zu verbinden gewohnt ist« (146). Für die »Kunstwörter« (146) der theologischen Wissenschaft, die es dabei peinlich zu vermeiden gelte, benannte Spalding beispielhaft die Trinitäts- und Zwei-Naturen-Lehre,17 die der Bibel »gänzlich unbekannt« (147) seien und für die, ohne ihre wissenschaftliche Tauglichkeit in Zweifel zu ziehen, sich schlechterdings kein religiöser Mehrwert oder Nutzen aufzeigen lasse.

Im Zentrum seiner neologischen Predigtanleitung entfaltete Spalding ein klares aufklärerisches Rationalitätskonzept. Komme es doch bei der gottesdienstlichen Kanzelrede, um sie religiös wirksam zu machen, entscheidend darauf an, »dem Verstande ein Genüge zu thun« (202) und ihn »bey der Religion […] geschäftig seyn zu laßen« (204), weil damit die Predigt »den kürzesten Weg durch den Verstand der Menschen zu ihrem Herzen« (201 f.) gehen kann. Und selbstverständlich gelte das Rationalitätspostulat gleichermaßen für die Lehrer wie für die Empfänger des kirchlichen Religionsunterrichts.18 Die Letzteren soll eine vernunftgemäße Predigtweise in die Lage versetzen, die bildhaft-metaphorische Redeweise der christlichen Tradition in Erkenntnisakte zu vertiefen und die eigene »unbestimmte Rührung […] auf Wahrheitsgründe« (204) zurückzuführen.

Bemerkenswert ist die zweifache Selbstdeutung, die Spalding damit verband. Einerseits erkannte er in den Predigern, die »dem Verstande ein Genüge […] thun«, die aktuellen Sachwalter der Reformation, hätten doch bereits die Protestanten des 16. Jahrhunderts »die ersten Schritte gewagt, sich aus der langen unnatürlichen Verstandessklaverey in Ansehung der Religion heraus zureißen« (217 f.). Und andererseits eröffne die aufklärende Predigt einen sehr breiten religiösen Vereinigungsraum, wobei die unterschiedlichen theologischen Theorien gar nicht nivelliert, sondern nur als religionsirrelevant toleriert werden müssten.19

Dergestalt wurde für Spalding »der denkende Fromme« (225), der »denkende Christ« (231), der »seine Religion aus Nachdenken kennet und schätzet« (230), zum idealischen Fluchtpunkt aller homiletischen Aufklärungsarbeit.20 Und ein weiterer, wichtiger Plausibilisierungsfaktor kam noch hinzu. Denn wenn es die aufgeklärten Predigthörer als vernünftig einsehen, die Religion »die erste aller ihrer Angelegenheiten« (52) werden und sein zu lassen, dann habe die pastorale Begleitung den »regelmäßige[n] Gebrauch des Verstandes bey der Religion« (220) darauf auszurichten, dass das Christentum just denselben »Denkgesetzen« (220), die auch in den profanen Sphären der Rationalität gelten, unterstellt bleibt. Dabei erhob es der neologische Predigtlehrer zu einem Grundgesetz der religiösen Vernunft, es müsse sich jede Glaubensform »bey dem Lichte beleuchten […] lassen, bey welchem Alles, was auf Wahrheit Anspruch macht, beleuchtet und beurtheilet werden muß« (220).

Die damit sichergestellte Einheitlichkeit des menschlichen Denk- und Sprachvermögens erweiterte Spalding in die Konformität aller subjektiven Daseinsbezüge. Denn die Vernunft der Religion, stellte er klar, widerstrebe jeder lebensweltlichen Schizophrenie, dergemäß »Gottesdienst, Andacht, Frömmigkeit lediglich in die Kirche, oder höchstens mit in die häusliche Betstunde, eingesperret wird« (261). Vielmehr entfalte die recht verstandene christliche Religion stets auch das Potenzial, »zu einer Führerin des wirklichen gewöhnlichen Lebens« (261) zu werden, und stifte mithin das Vermögen, neben dem Glauben auch die Berufstätigkeit und alle anderen sozialen und gesellschaftlichen Einbindungen des Menschen als Integrale eines organischen, ganzheitlichen Lebensvollzugs kenntlich zu machen.21

II Theologische Aufklärung



Was Spalding den Pfarrern ins homiletische Stammbuch schrieb, das hat er als Kanzelredner selbstverständlich auch seinerseits zu praktizieren versucht. Für die Absicht, dies an einem speziellen theologischen Lehrstück exemplarisch zu überprüfen, dürfte sich die Pneumatologie in besonderer Weise empfehlen. Denn es war nicht zuletzt die klassische Trinitätslehre, welche die Aufklärungstheologie einer tiefgreifenden Umformung unterzog – zwar kaum in der Lehre von dem als Schöpfer und Bewahrer verstandenen Vatergott, dagegen signifikant in der christologischen Zentrierung auf das vorbildhafte vere homo des Gottessohns und erst recht in der pneumatologischen Entscheidung, sich in Abkehr von allen abstrakten trinitäts-dogmatischen Fixierungen allein auf die erfahrbaren Wirkungen des Geistes zu konzentrieren.

a) Predigt am Pfingstsonntag



Die aufzurufende Pfingstpredigt Spaldings22 ist nicht präzise datiert, wird aber höchstwahrscheinlich in den späten 1780er Jahren zu verorten sein.23 Als Predigttext diente ihm die altkirchliche Pfingstperikope Joh 14,23–31, die aus den johanneischen Abschiedsreden Jesu die dort artikulierte Verheißung des Heiligen Geistes zum Gegenstand hat. Im Mittelpunkt steht dabei die in Joh 14,26 notierte Zusage Jesu an seine Jünger, dass nach dem Ende seiner irdischen Anwesenheit das Evangelium weiterhin lebendig bleiben wird: »Der Tröster, der heilige Geist, welchen mein Vater senden wird in meinem Namen, derselbige wirds euch alles lehren« (174).

Wie alle neologischen Kanzelredner bediente auch Spalding durchweg die Gattung der Themapredigt, deren Fokus sich in souveräner assoziativer Freiheit auf den Text und Sinn der zugrundeliegenden Perikope bezog. Dies konnte mitunter aparte Formen annehmen, so wenn der Bericht von der Heilung des Gichtbrüchigen (Mt 9,1–8) eine Erörterung über »Die Beruhigung auf dem Krankenbette«24 oder die Geschichte von der Hochzeit zu Kana (Joh 2,1–12), in der Jesus seiner Mutter das harte Wort »Weib, was habe ich mit dir zu schaffen?« entgegenwirft, eine Besinnung auf »Die Eintracht unter Angehörigen«25 zur Folge hatte. Auch in unserem Fall knüpfte Spalding keineswegs an die im Bibeltext als zentral ausgewiesene Verheißung des Geistes an, sondern allein an die daraus gezogene Folgerung: »Euer Herz erschrecke nicht, und fürchte sich nicht« (Joh 14,27c).26

Ein knappes exordium klärte zunächst den homiletischen Ausgangspunkt: Jesus habe seinen Jüngern »durch höhere Aufklärung ihrer Einsichten« (175) freudigen Mut zu dem vor ihnen liegenden Verkündigungsdienst machen wollen. Indem man solche »trostvolle Ermunterung« zugleich als »uns gesagt« (176) ansehen könne, lasse sich daraus zwanglos entnehmen, wie auch gegenwärtig eine furchtlose christliche Glaubenspraxis zu realisieren sei. Damit war bereits das Thema der Predigt erreicht, mit der Spalding »die Freyheit des Christen von ängstlicher Frömmigkeit in ein gehöriges Licht« (176) setzen wollte.

Um dies zu erlangen, bestimmte er zunächst das Profil der recht verstandenen christlichen Freiheit. Sie müsse, schärfte der Prediger ein, von »sorglose[r] Gemächlichkeit« ebenso scharf unterschieden werden27 wie von der trügerischen Pseudogewissheit, mit einem »fleissigen Abbitten bey Gott« (177) erledigten sich alle vom Evangelium geforderten Änderungen des eigenen Sinnes und Wandels.28 Vielmehr stimmten die Forderungen der Vernunft und Bibel darin fugenlos überein, »daß wir nicht das für einen unnöthigen, ängstlichen Zwang in der Frömmigkeit halten, was doch nur höchst billige und durchaus unentbehrliche Befleissigung und Sorgfalt ist« (179). Während eine krankhafte Schwermut nichts als Mitleid und Anteilnahme verdiene, gelte es um so mehr, den aus fehlgeleiteter Glaubenserkenntnis resultierenden religiösen Skrupeln, die mit selbsterdachten Übungen Gott zu besänftigen suchen, durch aufgeklärte biblische Unterweisung entgegenzutreten.29

Im zweiten Hauptteil der Predigt führte Spalding daraufhin vor, wie eine »glückselige Befreyung« aus »der ängstlichen Frömmigkeit« (182) zu bewerkstelligen sei. Als entscheidenden Angelpunkt stellte er dabei die Einsicht heraus, das Christentum gründe sich allein auf die dankbare Liebe zu Gott,30 die dann auch jede religionspraktische Realisierung zu einem reinen, angstfreien Vergnügen mache.31 Schließlich seien selbst die Gebote Gottes doch nur ein Ausdruck der Fürsorge, mit der uns der »liebreiche Vater […] zu unserm eigenen größten Vortheil und wahren Besten führen will« (183).32 Das eigentliche Geheimnis der christlichen Freiheit bestehe demzufolge schlicht darin, im Gedanken an Gott die Furcht in Liebe übergehen zu lassen.33 Um nicht in unverbindlicher Erbaulichkeit zu verharren, fügte Spalding zwei lebenspraktische Konkretionen noch an. So müsse zum einen bedacht werden, dass sich der Wechsel von der Furcht zur Liebe Gottes zumeist nicht schlagartig, sondern über graduelle Abstufungen vollziehe.34 Zum anderen aber solle bereits in der religiösen Kindererziehung von Anbeginn darauf geachtet werden, Gott nicht als einen strafenden Rächer, sondern »von seiner wahren liebenswürdigen Seite« (189) her zu vermitteln. In solcher »furchtlose[n] und heitere[n] Frömmigkeit«, beschloss Spalding seine Pfingstpredigt, »genießt der Christ schon hier den eigentlichen Frieden in seiner Seele, das zutrauliche Hinaufsehen zu seinem himmlischen Vater und den Anfang der Seligkeit, die in einer bessern Welt auf ihn wartet« (189 f.).

Kein Zweifel: Hier liegt eine kernige christliche Trost- und Erbauungspredigt vor, die in das Zentrum authentischer neologischer Spiritualität, wie sie Spalding verkörpert und gelehrt hat, verweist. Dass solche heitere Frömmigkeit als eine direkte Wirkung des Heiligen Geistes zu begreifen sei, würde Spalding gewiss ohne Weiteres eingeräumt haben. Jedoch erwähnte er dies in seiner Pfingstpredigt mit keinem Wort. So ist dort der Heilige Geist nicht dem Namen nach, erst recht nicht in seiner trinitätsdogmatischen Spezifizierung, sondern allein in seinem anonymen, aber realen, erfahrungsträchtigen Glaubenswirken präsent.

b) Predigt am Sonntag Trinitatis



Von der am 29. Mai 1774 in der Berliner Nikolaikirche gehaltenen Trinitatispredigt ist das teils ausformulierte, teils stichwortartige Manuskript Spaldings erhalten geblieben.35 Als vorgegebener Predigttext diente ihm die Geschichte des Nachtgesprächs zwischen Jesus und Nikodemus (Joh 3,1–15).

Thematisch handelte Spalding dabei, für seine Verhältnisse erstaunlich textnah, »von der gottseligen Begierde nach Erkenntniß« (272). Es sei, legte er in einem ersten Teil dar, »von vorzüglicher Erheblichkeit: zu wißen, was unsere Beziehung auf Gott angehet« (273).36 Dabei präsentierte er es gut aufklärerisch als ein Gebot der Vernunft, dass man sich über alle innerweltliche Aufmerksamkeit und Lernbereitschaft hinausgehend dieser wichtigsten, das »höchste Glück« verheißenden Lektion annehme.37 Um solchen Unterricht zu erleichtern, rekapitulierte Spalding als homiletischer Glaubenstutor in souveräner Elementarisierung und allgemein verständlicher Sprachgestalt den »Hauptinhalt der Religion« (276)38.

Auf dieser Grundlage erläuterte er im zweiten Teil der Predigt, wie sich die Schwierigkeiten und Hindernisse, die der »gottseligen Begierde nach Erkenntniß« entgegenstehen, ausnahmslos überwinden ließen. Drei Problembereiche unterschied er dabei. Eine mutwillige Zweifelsucht, der es »ein Fest ist, alles, besonders in der Religion, mit Einwürfen ungewiß zu machen« (277), solle gar nicht erst ins Gespräch gezogen, sondern kurzerhand ignoriert werden.39 Der Vorbehalt, die christlichen Religionslehren seien kaum verständlich und selbst unter den Gelehrten umstritten,40 lasse sich in strenger Orientierung an der Leitfrage »Was dienet zu meinem Hauptzweck?« (279) und in der Gewissheit, »darauf kömmts an« (279),41 hinreichend entkräften. Und auch die Ausflucht, man habe »weder Zeit noch Fähigkeit, sich aufzuklären« (279), sei durch Konzentration auf »die wenigen großen Lehren […], die den Grund der ganzen Gottseligkeit und Hoffnung ausmachen« (280), zu bezwingen, denn dies, beteuerte Spalding, »ist nicht zu schwer und macht sehr glücklich« (280). Am Ende schärfte er, indirekt auf die Unterscheidung von Theologie und Religion anspielend, der Predigtgemeinde ein, »daß alles Wißen und Erkennen nur um des Nutzens willen erforderlich ist, den es in eurem Gemüth und Leben wirken soll« (280 f.).

Dass Spalding in dieser am Sonntag Trinitatis vorgetragenen Predigt nicht explizit auf das Lehrstück von der Dreieinigkeit Gottes einging, stimmt insofern mit dem Predigttext überein, als auch dort explizit zwar von Jesus Christus und Gott Vater, jedoch nicht vom Heiligen Geist Gottes die Rede ist. Indessen fällt unschwer ins Auge, dass Spalding in seiner Predigt gleich drei Mal eine triadische Argumentationsfigur einsetzte. So zählte er unter die Grundlehren des Christentums erstens die Erkenntnis Gottes als »die ewige Qvelle alles Guten« (275), zweitens den Vorschriften, Verheißungen und Tröstungen umfassenden »göttliche[n] Unterricht des Evangelii Jesu Christi« (276) und drittens – nicht etwa das Wirken des Heiligen Geistes, sondern – den Glauben an eine zukünftige Welt.42Analog dazu hieß es später, es sei für einen Christen entscheidend zu wissen, »was Gott an uns thut, […] was wir Jesum zu danken haben« und – »was für eine Hoffnung auf uns wartet«.43 Entsprechend verwies die peroratio auf den gütigen Gott, die uns durch Jesus versicherte Seligkeit und – die Aussicht auf eine bessere zukünftige Welt.44

Dergestalt hatte Spalding am Trinitatisfest des Jahres 1774 einen kunstvollen Dreiklang des christlichen Glaubensbekenntnisses komponiert, der sich von aller trinitätstheologischen Metaphysik und dogmatischen Systemhermetik freihielt und stattdessen eine elementarisierte, unprätentiöse, jedermann fassliche religiöse Vergewisserung möglich machte. Darin lag keineswegs eine Missachtung der christlichen Pneumatologie, vielmehr der Ausdruck einer glaubensdidaktischen Konzentration auf das, was Spalding als »das wesentliche Christenthum«45 meinte erkannt zu haben.

c) Predigt über den Heiligen Geist



Es steht nun allerdings zu befürchten, dass der zuletzt formulierte Eindruck etwas voreilig fixiert worden ist. Denn andernorts, etwa mit der am 14. Mai 1775 in der Berliner Marienkirche vorgetragenen Predigt zum Sonntag Cantate,46 hat sich Spalding durchaus unmittelbar dem Gegenstand des dritten Glaubensartikels gewidmet und dabei die Predigtperikope Joh 16,5–15, die vom Wirken des Heiligen Geistes berichtet, überraschend textgetreu aufgenommen. Das handschriftlich überlieferte Manuskript präsentiert sich abermals in einer Mischung aus formulierten Sätzen und Stichwortnotizen.

Bereits im exordium dieser Kanzelrede wies Spalding auf die zentrale religiöse Bedeutung des Themas hin: Als hätte er, divinatorisch der Zeit voraus, kurz zuvor die Einleitung der Glaubenslehre Friedrich Schleiermachers studiert, bestimmte er »das Wesen der Religion und der Gottseligkeit« als die »Empfindung unserer gänzlichen Abhängigkeit« von Gott (386).47 In allem, was daraus an Lebens- und Seelenheil hervorgehe, könne deshalb »mit Recht Wirkung der Gnade, Werk des Geistes Gottes« (386) erkannt werden. Da solche Erkenntnis nicht folgenlos bleiben dürfe, suchte Spalding, ausweislich seines Predigtthemas, der in der Marienkirche versammelten Gemeinde den »rechte[n] Gebrauch, den wir von den Wirkungen des Geistes Gottes machen sollen« (386), in religiöser Treuhänderschaft nahezubringen.

Er begann mit zwei hermeneutischen Elementarlektionen. Abermals implizit auf jene Fundamentalunterscheidung rekurrierend, überließ er die Frage, auf welche Weise der Geist Gottes in den Seelen der Menschen wirksam zu werden vermöge, den »Uebungen des Verstandes« (388), die freilich in religiöser Hinsicht weder nützlich noch notwendig seien. Außerdem dürfe man die Wirkungen des Geistes nicht, wie zu Zeiten der Jünger und Apostel, in Gestalt einer übernatürlichen »Begeisterung« erwarten, sondern habe sie »auf die natürlichste Weise durch Erkenntniß, durch Unterricht, durch lehrreiche Vorstellungen« (389)49 zu gewärtigen.

Die Pflicht, die Wirkungen des Geistes demgemäß in vernünftiger Frömmigkeit zu gebrauchen, veranschaulichte Spalding in dreifacher Hinsicht. Deren erste zielte auf das »Wachsthum in unserer Erkenntniß« (390). So sei es, um »neue beßere Aufklärungen zu erhalten« (391), vonnöten, über alle geschäftlichen und wissenschaftlichen Obliegenheiten hinausweisend und dem allen zuvor die »Richtung unserer Aufmerksamkeit und unsers Nachdenkens auf die Lehren der Religion« (392) zu lenken. Daneben ziele das göttliche Geistwirken auch auf die Vitalisierung und Schärfung des eigenen Gewissens.50 Schließlich dienten die Wirkungen des Geistes, sofern man ihnen Raum gibt, auch zu wahrer Beruhigung und tragfähigem Trost. Wer sich mit dem trügerischen, falschen Trost zufrieden gebe, man könne die eigenen Gewissensskrupel unbekümmert der vergebenden Barmherzigkeit Gottes anheimstellen, der finde sich zumeist »in kleineren Dingen des irdischen Lebens […] wieder zu sehr dem Kummer überlaßen« (395) und drohe dabei in »niederschlagende Traurigkeit« (396) zu versinken. Dagegen werde ein Christ, der im Geist Gottes den wahrhaftigen, richtigen Trost finde, die irdischen Nöte und Beschwernisse um so leichter bestehen können.51 In klarer sachlogischer Konsequenz ließ Spalding die Predigt sodann in eine paränetische Ermunterung münden:

»So viele Unterweisungen, so viele Erweckungen werden uns überall dargeboten. Es müße doch ewig ferne von uns seyn, sie immer umsonst und ohne Frucht von uns zu weisen. Da Gott durch seinen Geist und durch seine Gnade so viel zu unserm Beßten an uns thut, so wollen wir doch nicht länger selbst die Ursachen unsers Verderbens seyn, daraus er uns so gerne retten will.« (397)52

Wie die Inspektion dieser Cantate-Predigt zu erkennen gibt, hat Spalding als Prediger keineswegs grundsätzlich davon Abstand genommen, den Heiligen Geist zum Thema einer Kanzelrede zu machen.53 Insofern muss die oben fixierte Einschätzung zwar nicht korrigiert, wohl aber differenziert werden. Vollauf bestätigt hat sich der Eindruck, wonach Spalding in der Predigt über den Geist Gottes anstatt trinitätsdogmatischer Spekulationen lediglich eine konsequente, religionstheologisch reflektierte Beschränkung auf den Bereich möglicher Glaubenserfahrung verfolgte. Zugleich freilich ergibt sich aus der Zusammenschau der drei vorgeführten Predigtbeispiele ein weiteres wichtiges Resultat: Spalding hat seine Geneigtheit, der Gottesdienstgemeinde auch hinsichtlich des Wirkens des Heiligen Geistes biblische Aufklärung zu bieten, keineswegs vom Festkalender des Kirchenjahres abhängig gemacht, vielmehr offensichtlich allein der Maßgabe seiner jeweiligen pastoralhomiletischen Situations- und Bedarfsanalyse unterstellt, und dies, wie man sagen könnte, durch die Einsicht ermächtigt, dass sich der Geist nicht amtskirchlich verordnen lässt, sondern auch verkündigungspragmatisch allemal nur dort »weht, wo er will« (Joh 3,8).

III Religiöse Aufklärung



Für Spalding war die Predigt der genuine Ort, um den Menschen religiöse Aufklärung zu vermitteln. Dieser Gedanke hat seine gesamte, lebenslange Kanzelarbeit grundiert. In paradigmatischer Verdichtung prägte er die Predigt, die Spalding am 12. Mai 176554 zur Einführung seines Kollegen Friedrich Germanus Lüdke55 in der Berliner Nikolaikirche vortrug. Lüdke, der zuvor als Feldprediger in verschiedenen preußischen Regimentern gedient hatte, war auf Empfehlung des Generalmajors Karl Christoph von Zeuner in die vierte Pfarrstelle an der Berliner Hauptkirche St. Nikolai berufen worden.

Bei dieser Gelegenheit predigte Spalding »über die rechte Absicht bey der Theilnehmung an dem öffentlichen Vortrage des göttlichen Wortes«.56 Dabei markierten bereits das die Kanzelrede rahmende Eingangs- und Schlussgebet unübersehbar den entscheidenden Akzent: Indem Spalding zu Beginn, eine Wendung des Jakobusbriefs aufgreifend, Gott als »Vater des Lichts« (Jak 1,17) titulierte und dies ganz am Ende variierend wiederholte,57 gebrauchte er als rahmendes Leitmotiv eine Vokabel, die mit dem Wort Aufklärung deutlich konnotiert und in dessen englischen, französischen, italienischen und niederländischen Äquivalenten58 sogar ausdrücklich denotiert war. Demgemäß identifizierte Spalding die religionsaufklärerische Absicht als das entscheidende Wesensmerkmal des christlichen Gottesdienstes: Sei dieser »damals« – er dachte wohl an die ersten Jahrhunderte der Christenheit – etabliert worden, um Gott zu loben und anzubeten, so bildeten, ohne jene alte Intention abzublenden, doch religiöse »Unterweisungen und Ermahnungen […] itzo das Hauptstück der gemeinschaftlichen Gottesdienste« (272). Insofern nimmt es nicht wunder, dass jene Predigt insgesamt von einem markant noetischen Vokabular dominiert wurde: Allenthalben war darin von sorgfältiger Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und Aufklärung die Rede, von Überlegung, Überzeugung und Unterricht, von Einsicht, Erkenntnis und der Notwendigkeit eigener Gedanken, von Verstand, vernünftiger Seele und logischer Evidenz, zudem oft von der göttlichen Wahrheit, die erkannt, gewusst und bedacht werden soll.59 Natürlich zielte auch Spalding als Prediger auf die Vermittlung und Stärkung des Glaubens, dies allerdings nicht im Sinne eines dumpfen religiösen Gefühls oder einer unreflektierten, durch Herkunft und Sitte geprägten Gewohnheit, sondern einer individuell angeeigneten, fortwährend zu schärfenden, rechenschaftspflichtigen Glaubenserkenntnis.

Für Spalding diente die gottesdienstliche Predigt schlichtweg als »Unterricht« (282), als erwachsenenpädagogische Religionsunterweisung, und die Gemeinde versammelte sich »zur Anhörung der öffentlichen Vorträge« (270).60 Freilich geschah dies nicht auf Eigeninitiative des unterrichtenden Predigers, denn dieser galt ihm seinerseits nur als »ein Werkzeug […], durch welches Gott in diesem seinem Hause die Erkenntniß zur Seligkeit unter euch ausbreiten will« (271).61 Da nun Gott als das eigentliche Subjekt der predigenden Aufklärung anzusehen sei, komme es jederzeit darauf an, dass »die Menschen […] bey den mannichfaltigen Erleuchtungen Gottes, ihren Verstand so viel gebrauchen, daß sie das groß halten, was an sich groß ist!« (274) Dergestalt ziele der durch den Prediger vermittelte göttliche Religionsunterricht strukturell darauf ab, die Menschen von ihrer gottgegebenen Rezeptionsfähigkeit der Got-teserkenntnis angemessen Gebrauch machen zu lassen.

Selbstverständlich legte Spalding auch dieser Predigt den von ihm als basal ausgewiesenen homiletischen Dual von rationaler Belehrung und affektiver Motivierung zugrunde, und dies nicht nur ausdrücklich in seiner Ansprache,62 sondern dazu auch im abschließenden Kanzelgebet, in welchem er Gott, präzise pointierend, um ein Zweifaches anrief: »Erleuchte unsern Verstand, reinige unser Herz« (285). Und auch das der Predigt zugrundeliegende selbstgewählte63 Bibelwort aus dem Predigerbuch »Bewahre deinen Fuß, wenn du zum Hause Gottes gehest, und komme, daß du hörest« (Pred 4,17), hat Spalding, exegetisch unbekümmert, in souveräner Anverwandlung dergestalt paraphrasiert, dass es die als sachgemäß vorausgesetzte Verbindung von »Unterricht« und »Erweckung« (277) passgenau zu autorisieren schien.65 Im Übrigen unterstrich der Prediger nachdrücklich, dass die gottesdienstliche Belehrung keine sich mit unverbindlicher Erbaulichkeit bescheidende Sonntagsschule darstelle, sondern auf elementare existentielle Aufklärung abziele und sich deshalb jedem aufrichtig denkenden Menschen als eine logisch zwingend notwendige Maßnahme zu erkennen gebe: »Wo noch irgend die Dinge so geschätzt, und auf den gehörigen Werth gesetzet werden, als es ihnen zukömmt, so muß nothwendig [!] Gott und unsre Verbindung mit ihm, und die Ordnung, seines Wohlgefallens theilhaftig zu werden, das allerangelegentlichste und wünschenswürdigste seyn, was den Menschen jemals angehen kann« (274).65 Insofern richtete sich das religiöse Aufklärungsprogramm des Berliner Meistertheologen geradewegs auf den zentralen, alles entscheidenden Angelpunkt menschlichen Daseins.66

Wenn die der Predigt zur Pflicht gemachte religiöse Aufklärungsarbeit erfolgsträchtig sein soll, setze dies, so Spalding, eine dialektische, die aktive Mitwirkung des Gottesdienstbesuchers konstitutiv einbindende Kommunikationsstruktur zwingend voraus. Dass dieses Ansinnen oft genug an einer bornierten Selbstversagung der anwesenden Gemeindeglieder scheitere, war Spalding illusionslos bewusst. In anschaulicher Typisierung präsentierte er darum seiner Hörerschaft vier Grundmuster einer homiletischen Kommunikationsverweigerung: zunächst, womöglich auf das Skandalbuch von Julien Offray de La Mettrie anspielend,67 »der maschinenmäßige Christ«, der sich aus schierer Gewohnheit in die Kirche begibt, dann »der Heuchler«, der öffentlich Frömmigkeit vortäuscht, ferner »der Müßiggänger«, der, wie es der Prediger drastisch formulierte, im Gottesdienst »einigen Theil von der ihm so überlästigen Zeit zu tödten gedenkt«, und schließlich »die niedrige Seele« (278), die sich aus bloßer Neugier oder Eitelkeit unter die Kirchgänger mischt. Diese vier Typen kämen darin exakt überein, dass sie jeder aufrichtig reflektierenden Situationsrechenschaft aus dem Wege gehen: »Was«, fragte Spalding, »müßten sie von sich selbst denken [!], wenn ihnen mit einmal die Augen über die Beschaffenheit ihrer Gesinnungen aufgiengen; wenn sie einmal sich selbst fragten: Was mache ich hier?« (278 f.)

Indessen müsse sich eine gewissenhafte liturgische Rezeptionshaltung bereits im zeitlichen Vorfeld des Kirchgangs einstellen. Deshalb möge ein Christ sich schon am Samstag in seinem Gemüt dergestalt auf den sonntäglichen Kirchgang vorbereiten, dass er seine Gedanken vom Ballast des Alltags freimacht, um sie ungeteilt auf die bevorstehende Feier ausrichten zu können. Spätestens auf dem Weg zum Gotteshaus möge man sich dann den wahren Grund dieser Unternehmung aufrichtig vor Augen führen und also sicherstellen, dass einen »das wirkliche Verlangen nach Wahrheit und Gottseligkeit hierher gebracht« (270) hat. Als Hilfsmittel zur Selbstprüfung empfahl Spalding dabei der Gemeinde, es sollte ein jeder, während er zur Kirche eilt, sich selbst die beiden Fragen stellen und ehrlich beantworten: »Wo willst du hin? Und was hast du da zu thun?« (277) Solche Selbstbefragung habe sich dann auch während der Predigt noch fortzusetzen, um dadurch die eigene sachgemäße Hörbereitschaft durchgehend zu gewährleisten: Der

»Gedanke an den eigentlichen grossen Zweck der Anwesenheit bey dem öffentlichen Unterricht muß auch die Zeit über beständig das Gemüth beherrschen. Es muß gleichsam immer eine geheime Stimme zu dem Herzen sprechen: Warum bist du hier? Wenn ich dies bedenke, wenn ich die vernunftmäßige [!] Billigkeit und die äusserste Nothwendigkeit einer solchen ernsthaften Absicht bey dieser Sache überlege« (278), dann, befand Spalding, könne der pastorale Aufklärungsunterricht auf wache Sinne und offene Herzen stoßen.

Allerdings sei damit, dass sich ein Predigthörer in aufmerksamer, reiner Empfänglichkeit öffnet,69 erst eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung der Möglichkeit einer von der Kanzelansprache ausgehenden segensreichen Wirkung gewähr-leistet. Denn dazu bedurfte es für Spalding einer durchaus aktiven intellektuellen Mitwirkung aller Anwesenden. Erst wenn die vom Prediger vorgetragenen Glaubensgründe durch das, »was ein jeder nachdenkender Christ bey der Ueberlegung derselben noch mehr einsehen kann«, vervollständigt werden, könne die zweifelsfreie Überzeugung erwachsen, »wie viel dem menschlichen Geschlechte an der Erkenntniß Gottes und des Christenthums gelegen ist« (281).70 Näherhin bezog Spalding die vom Predigthörer geforderte mitdenkende Eigenleistung auf die Bereitschaft, alles das, was der Kanzelredner vorträgt, auf die eigene religiöse Verfasstheit zu applizieren, sich selbst also gleichsam als den exklusiven Empfänger der Predigtbotschaft zu verstehen und dabei das, was man hört, sich in Anwendung auf sich selbst auch zu Herzen zu nehmen.71 Indem Spalding hinzufügte, auf solche Weise könnten »nicht allein der Verstand, sondern auch das Herz und das Gewissen« (280) rezeptionsfähig werden, ließ er die Gemeinde an der oben berührten homiletischen Einsicht, das Wort Gottes finde auf kürzestem Weg durch den Verstand in das Herz des Menschen,72 unmittelbar Anteil nehmen.

Mit der Bereitschaft, das im Modus der religiösen Allgemeingültigkeit Vorgetragene auf die eigene Person anzuwenden und es dadurch für das eigene Glaubensleben zu konkretisieren,73 werde nicht nur die christliche Wahrheit existentiell ratifiziert, sondern zugleich auch, nach außen hin, die Nützlichkeit und Bedeutung des Predigtamts unterstrichen.74 Insofern verhielt sich für Spalding das aufgeklärte Predigtgeschehen durchaus reziprok: Indem die Gemeinde das, was ihr von ihrem Pfarrer vorgetragen wird, sich selbstständig zu eigen mache, legitimiere und stärke sie die religiöse und gesellschaftliche Funktion des ihr zugeordneten kirchlichen Amtsträgers.

Indessen sekundierte Spalding die Stabilisierung seines Amtes, die ihm durch die aktive intellektuelle Beteiligung der Gottesdienstgemeinde zuwuchs, mit eigenen Gründen. War er doch von der allgemeinen »Nutzbarkeit des Predigtamtes«75 auch seinerseits zutiefst überzeugt. Es sind insbesondere drei einzigartige Vorzüge, die er der »vestgesetzten öffentlichen Unterweisung« (275) zuschrieb und für die er bei seinem liturgischen Publikum auf Einstimmung rechnete. Zum einen, trug er von der Kanzel herab vor, biete der christliche Gottesdienst die konkurrenzlose Möglichkeit, die Menschen aus ihrer »natürliche[n] Trägheit« und »beständige[n] Verwickelung in die sichtbaren Dinge der Welt« (275) sowie aus ihrer »gänzliche[n] Vergrabung in die Sinnlichkeit« (276) herauszuführen und sie dergestalt in den durch das aufgeklärte Gottesverhältnis eröffneten eschatologischen Horizont des Lebens einzuweisen. Zum anderen präsentierte Spalding eine lange, bedachtsam von rationaler Berichtigung über verschiedene Zwischenstufen zu affektiver Ermunterung fortschreitende Liste der durch die Predigt ermöglichten heilsamen Effekte: Diese »öffentlichen Vorträge«, rief er der Hörerschaft ins Bewusstsein, gewährten jederzeit die Chance, »eure Einsicht zu erweitern, eure Ueberzeugung zu bevestigen, eure Zweifel zu heben, eure Neigungen von Irrwegen zurück zu ziehen, eure Entschliessungen im Guten zu stärken, eure Herzen zu trösten und aufzumuntern, ein jeder solcher Anlaß muß billig von euch unter die größten Vortheile gerechnet werden, die ihr in eurem Leben haben könnet« (276). Schließlich aber verbinde sich mit den individuellen religiösen Erleichterungen stets auch eine wirksame Förderung der bürgerlichen Gesellschaft. Denn, urteilte Spalding, »es ist allemal wahrer Gewinn für die Wohlfahrt der Menschen; je mehr durch die Lehren der Religion und der Tugend den Ausbrüchen des Unglaubens und der Ruchlosigkeit gesteuret wird, je mehr durch vervielfältigte Ueberzeugungen der Freche beschämet, der Zweifler gerettet, der Leichtsinnige zu Gedanken gebracht, der Wankende bevestiget, der Gutgesinnte aufgemuntert und also mit der menschlichen Rechtschaffenheit auch die menschliche Glückseligkeit befördert wird« (281).

Damit dürften die wesentlichen Argumentationslinien, die Spalding 1765 anlässlich der Einführung seines Kollegen Lüdke dem Predigtpublikum vortrug, kenntlich gemacht worden sein. Es ist erstaunlich zu sehen, wie weitgehend diese Überlegungen zu Art und Absicht der religiösen Aufklärung mit dem übereinstimmten, was er in seiner eingangs gewürdigten Homiletik den geistlichen Standesgenossen ins Stammbuch schrieb. Da die Homiletik 1772 und damit sieben Jahre nach der soeben inspizierten Predigt entstanden ist, wird man mit dem Eindruck kaum fehlgehen, dass Spalding seine von sehr vielen Zeitgenossen gerühmte Kanzelbegabung nicht etwa aus der theoretischen Grundlegung seiner Predigtlehre bezog, sondern umgekehrt diese die Erfahrungen einer langjährigen, an den unterschiedlichsten Dorf- und Hauptkirchen ausgeübten Predigtpraxis wissenschaftlich zu destillieren verstand.

IV Göttliche Aufklärung



Das homiletische und predigtpraktische Aufklärungsprogramm Spaldings präsentierte sich keineswegs als ein blutleerer theologischer Rationalismus, sondern entsprach der bipolaren Struktur des aus Kopf und Herz zusammengesetzten ganzen Menschen. In dieser realistischen, im Zeitalter der Aufklärung weithin vertretenen dualen Anthropologie76 kam dem Verstand die Aufgabe zu, die auf das Gemüt zielenden affektiven Impulse kritisch zu kontrollieren und demgemäß in vernünftiger Weise zu selektieren. Bereits in seinen 1761 publizierten Gedanken über den Werth der Gefühle in dem Christenthum hatte Spalding eine klare Kriteriologie für legitime religiöse Empfindungen eingefordert und aufgestellt.77

Unbeschadet aller ihm eigenen konfessionellen Irenik war dieser Ansatz bei Spalding durchaus auch kontroverstheologisch grundiert. Denn der Aufruf, man möge »den unbegründeten und schädlichen Gedanken verbannen, als wenn der Glaube und die Verehrung Gottes das Licht der Aufklärung scheuen müsse, und als wenn die wahre christliche Frömmigkeit Dunkelheit und Wolken um sich her nöthig habe«,78 trug eine deutlich antirömische Spitze: Für die »wahre aufgeklärte Verehrung Gottes« bedürfe es weder Wallfahrten noch Klosterstiftungen, weil ein »Glauben, ohne Verstehen und Denken«,79 dem Wesen christlicher Frömmigkeit geradewegs widerstreite.

Ungleich stärker noch als mit den katholisierenden Tendenzen der Zeit ging Spalding mit den allgemeinen destruktiven Mentalitätsprägungen ins Gericht. Um die von ihm geschätzte und angeeignete positive Semantik des Wortes Aufklärung80 zu schützen, warnte er nachdrücklich vor dem »neue[n] Aufklärungsgeist« und gab dabei nicht selten – »O die Aufklärer!«, entfuhr es ihm zwischendurch – einen gesteigerten Empörungsgrad zu erkennen. Was er dem »ungestümen Aufklärer« und dessen »übelverstandene[m] Aufklärungseifer«82 zum Vorwurf machte, war insbesondere der Umstand, dass er sein Anliegen allein im Modus der Negativität und im Gestus umfassender Destruktion83 zu artikulieren vermochte:

»Die Sache [wird] dadurch verderbt und der Erfolg fast unausbleiblich schädlich gemacht, daß man keine andere Aufklärung zu kennen scheint, oder sich auch wohl durch keine andere mit mehrerem Aufsehen auszeichnen zu können glaubt, als die bloß im Läugnen, Niederreißen und Wegwerfen dessen, was bisher für Wahrheit gehalten worden, bestehen soll«.84

Sofern dabei mehr als nur bornierte Wichtigtuerei im Spiel war, diagnostizierte Spalding als den Grundfehler dieser durch den Zeitgeist forcierten Deformation eine fatale anthropologische Fehleinschätzung, welche den affektiven Seelenhaushalt des Menschen vollständig ausblendete. Demgegenüber fasste er seine Rücksichtnahme auf die konstitutive anthropologische Bipolarität in den klassischen Satz: »Es ist Bedürfniß der vernünftigen menschlichen Natur, nicht bloß zu erkennen, sondern auch zu empfinden; nicht bloß erleuchtet, sondern auch erwärmt zu werden«.85

Was Spalding in der allgemeinen Entwicklung seiner Zeit als Gefahr konstatierte,86 davon sah er auch und erst recht die ihm obliegende Religionspflege bedroht. Es lasse sich solche sterile, anämische Kälte, die dem Gottesglauben jede Sensualität entziehe, und überhaupt das »jetzige ewige Rauschen mit dem Worte: Aufklärung, kaum mehr ausstehen […], weil es so gänzlich auf ein bloßes Nichtglauben und Bestreiten«87 hinauslaufe. In dieser breit geführten Klage zeichnete sich bei Spalding ein aufkeimendes Bewusstsein dessen ab, was man später als die Dialektik der Aufklärung zu kennzeichnen pflegte und wovon durchaus auch schon das 18. Jahrhundert eine erfahrungsgesättigte Vorstellung hatte. Eine rationalistisch radikalisierte Entsinnlichung und Entleibung der Religion, prognostizierte Spalding hellsichtig, werde unvermeidlich eine dialektische Gegenbewegung provozieren, die ein Aufblühen von antiaufklärerischer Schwärmerei und vernunftwidrigem religiösen Fanatismus zur Folge habe.88 Deshalb konfrontierte er die »unbarmherzigen kalten Aufklärer«, welche die Christen einem »unerträglich schneidenden Frost« aussetzten, mit dem eindringlichen Appell: »Gebt ihnen Nahrung für ihr Herz«!89

Eine bemerkenswerte, für die Neologie insgesamt typische Eigentümlichkeit mag man darin erkennen, dass Spalding sich trotz seines regen Wortgebrauchs im Grunde90 niemals um eine begriffliche Definition dessen, was Aufklärung ist oder sein soll, bemüht hat. Anders als etwa der ihm sehr wohlgesonnene Immanuel Kant, mit dem er eine respektvolle Korrespondenz unterhielt, erkannte Spalding in dem Ausdruck auch niemals91 den Inbegriff des eigenen Zeitalters. Gleichwohl hat er in seinem Denken selbstverständlich am Geist des Jahrhunderts partizipiert. Indessen sah er in dem Wort Aufklärung nicht ein epochenspezifisches Denotat, sondern die Bezeichnung eines genuin religiösen und näherhin christlichen Strukturmoments, welches weniger eine Zustandsbestimmung als vielmehr eine prozesshaft voranschreitende, freilich auch fortwährend bedrohte, immer wieder gestörte oder pervertierte Entwicklung beim Namen nennt.

Interessant ist dabei nicht zuletzt, wen Spalding als das eigent- liche Subjekt der religiösen Aufklärungsbewegung, der er sich selbst verpflichtet wusste, zur Geltung brachte. So konnte er die »erneuerte wahre Aufklärung« als eine Wirkung des Christentums ausweisen92 oder darauf verweisen, es sei »das Licht des Evangeliums« gewesen, das »die Geister aufgekläret hat«.93 Auch die urchristlichen Jünger und Apostel kamen für ihn als Impulsgeber des aufklärenden Evangeliums in Betracht.94 Indessen sah er letzten Endes hinter dem allen Jesus Christus, den »Stifter des Christenthums«,95 als ausschlaggebenden Initiator am Werk: Dieser war und blieb ihm, zumal in der ehrwürdigen, alle äußerlichen Religionsverbindlichkeiten transzendierenden Simplizität seiner Botschaft, der »große Urheber und Märtyrer der heilsamsten Aufklärung«.96 Und deshalb war es für Spalding nur folgerichtig, Gott selbst als das wahre, anbetungswürdige Subjekt der religiösen Aufklärung zu identifizieren. »Leite mich«, notierte er 1763 in einem Gebetstext, »mit Deinem Lichte, und laß mich gegen keine Aufklärung undankbar und gleichgültig seyn, womit Du mir den Weg zu meiner Glückseligkeit zu erleichtern und die Erlangung derselben zu versichern dienlich findest«.97

Wer die Kirchen- und Christentumsgeschichte als Wissenschaft betreibt, wird sich jederzeit vor der Versuchung hüten, vergangene Zeiten metahistorisch zensieren oder anachronistisch aktualisieren zu wollen. Dazu bildet es keinen Widerspruch, wenn man insgeheim, zumal auf das hier Dargestellte bezogen, den Wunsch verspürt, die derzeitige protestantische Religionsverwaltung möge, gerade um ihrer Gegenwärtigkeit willen, auch einmal bei den aufklärerischen Predigern der Neologie in die Schule gehen.

Abstract



In the latter half of the 18th century, the German-language Protestant sermon was increasingly used as an instrument of ecclesiastical enlightenment. This can be shown exemplarily with the leading neologian Johann Joachim Spalding (1714–1804). The following essay reconstructs in turn the homiletical, theological, and religious enlightenment that Spalding pursued in his extensive work on sermons, and concludes by a2identifying the specifically Christian profile of this concept. This essay thereby makes a substantial contribution to theological research on preaching and the Enlightenment.

Fussnoten:

* Markus Wriedt zum 65. Geburtstag.
1) Vgl. Albrecht Beutel, Neologie. Versuch einer terminologischen Verständigung, in: ZThK 118 (2021), 422–453.
2) Vgl. Albrecht Beutel, Johann Joachim Spalding. Meistertheologe im Zeitalter der Aufklärung, Tübingen 22023.
3) Johann Joachim Spalding, Kritische Ausgabe, hg. von Albrecht Beutel, Zweite Abteilung: Predigten (SpKA II), 6 Bde., Tübingen 2008–2013.
4) Vgl. Uta Wiggermann, Woellner und das Religionsedikt. Kirchenpolitik und kirchliche Wirklichkeit im Preußen des späten 18. Jahrhunderts (BHTh 150), Tübingen 2010.
5) Johann Joachim Spalding, Ueber die Nutzbarkeit des Predigtamtes und deren Beförderung (11772; 21773; 31791), hg. von Tobias Jersak (SpKA I/3), Tübingen 2002, 8.
6) Johann Wolfgang von Goethe, Brief des Pastors zu *** an den neuen Pastor zu *** (1773), in: Goethes Werke. Weimarer Ausgabe Bd. I/37, Weimar 1896, Nachdruck München 1987, 153–173. – Vgl. Albrecht Beutel, Der junge Goethe als Zaungast der Neologie. Theologiegeschichtliche Bemerkungen zum Pastorbrief von 1773, in: ZThK 116 (2019), 290–321.
7) Friedrich Nicolai, Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker, 3 Bde., Berlin 1773–1776, Nachdruck Hildesheim/Zürich/New York 1988.
8) Jakob Michael Reinhold Lenz, Der Landprediger (1777), in: Ders., Werke und Briefe in drei Bänden, hg. von Sigrid Damm, Bd. 2, Leipzig 1987, 413–463.
9) Vgl. Albrecht Beutel, »Gebessert und zum Himmel tüchtig gemacht«. Die Theologie der Predigt nach Johann Joachim Spalding, in: Ders., Reflektierte Religion. Beiträge zur Geschichte des Protestantismus, Tübingen 2007, 210–236; Ders., Spalding (s. Anm. 2), 225–236.
10) Spalding, Nutzbarkeit (s. Anm. 5), 53. – Nachweise aus dieser Schrift werden im Folgenden direkt in den Fließtext eingestellt.
11) Vgl. auch a. a. O. 224.
12) »Darum, daß eine Aussage in der Bibel stehet, wird sie nicht zu einer eigentlichen Glaubenslehre, zu einem Theile der Religion, in so ferne diese den Weg zu einer wahren und ewigen Glückseligkeit enthält. Noch weniger läßet sich unter den verschiedenen Erklärungen, welche Menschen davon geben, so schlechthin die eine, weil sie uns etwa die richtige zu seyn dünkt, als zur Seligkeit nothwendig, und zur Predigt des Christenthums unentbehrlich fest setzen, eine jede andere aber, als gefährlich und seelenverderblich, verwerfen.« (A. a. O. 141)
13) Vgl. Albrecht Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung. Ein Kompendium, Göttingen 22009, 243 f. (Lit.).
14) Zu der sachlich bereits von Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf gebrauchten, terminologisch dann von Heinrich Philipp Konrad Henke fixierten Unterscheidung zwischen religio Christi und religio in Christum vgl. a. a. O. 242 f. (Lit.).
15) »[Es] muß ohne Zweifel noch ein anderes Kennzeichen für wirkliche, zur Religion gehörige, Glaubenslehren da seyn, als die bloße Erwähnung einer historischen oder theoretischen Wahrheit in der heiligen Schrift.« (Spalding, Nutzbarkeit [s. Anm. 5], 141)
16) Ähnlich etwa a. a. O. 215.
17) »Nicht das, was der Sohn Gottes an sich, in seiner unserm Verstande undurchschaulichen Natur ist, gehöret zu unserm eigentlichen Christenthum, zu der allgemein nothwendigen und fruchtbaren Religionserkenntniß; sondern das, was er für uns ist, wozu er uns gegeben worden, was wir ihm zu danken haben, wie wir ihn annehmen und gebrauchen sollen, um zu der Glückseligkeit zu gelangen, zu welcher er uns führen will.« (A. a. O. 154)
18) Vgl. a. a. O. 202–204.
19) »So lange wir, für uns selbst, den Rechten der Wahrheit nichts vergeben, so lange wir, mit heiliger Ehrfurcht gegen Gott und seine Offenbarung, nicht allein an unserm eigenen Theile in einem jeden Stücke der dahin gehörigen Erkenntniß aufgeklärter und gewisser zu werden, sondern auch anderen zur Aufklärung und Gewißheit zu helfen suchen, so lange wird es uns vor Gott […] nicht schaden, daß wir uns aus den engen Umzäunungen des Partheygeistes heraussetzen, und auch diejenigen, als wirkliche Christen, als sichere Mitgenossen unsers Glaubens und unserer Hoffnungen, betrachten, welche, bey ihrer Verschiedenheit in Theorien, gleiche Redlichkeit und gleiche Gottesfurcht zeigen.« (A. a. O. 13)
20) »Berichtigung der religiösen Grundsätze, so viel man will; Anzeigung falscher Folgerungen; Verdammung der Misbräuche; behauptete Rechte der Vernunft und der Menschlichkeit; Predigten der vertragsamen Liebe; das alles wird dem aufgeklärten ehrlichen Verehrer Gottes willkommen seyn.« (A. a. O. 75)
21) »Je mehr der Mensch ein aufgeklärter Christ, ein andachtsvoller Verehrer Gottes, ein emsiger Wanderer nach dem Himmel wird, desto mehr wird er, wenn er diesen seinen ganzen Beruf nur gehörig verstehen lernet, auch zugleich für die Welt und für seine Mitbürger Nutzen schaffen.« (A. a. O. 93)
22) Johann Joachim Spalding, Am ersten Pfingsttage. Von der Freyheit der Christen von ängstlicher Frömmigkeit, in: Ders., Einzelne Predigten, hg. von Albrecht Beutel/Olga Söntgerath (SpKA II/6), Tübingen 2013, 174–190. – Nachweise aus dieser Predigt werden im Folgenden direkt in den Fließtext eingestellt.
23) Zuerst erschienen in: Neue Festpredigten[.] Von J. J. Spalding, W. A. Teller und F. S. G. Sack Königl. Preussischen Oberconsistorialräthen zu Berlin, Halle 1792, 225–248.
24) Johann Joachim Spalding, Barther Predigtbuch. Nachgelassene Manuskripte, hg. von Albrecht Beutel et al. (SpKA II/5), Tübingen 2010, 54–70. – Vgl. dazu Albrecht Beutel, Dedit. Schuld und Vergebung als Leitmotive der Predigtarbeit Johann Joachim Spaldings, in: Hans-Peter Großhans et al. (Hgg.), Schuld und Vergebung. FS für Michael Beintker zum 70. Geburtstag, Tübingen 2017, 1–17.
25) Spalding, Predigtbuch (s. Anm. 24), 161–174.
26) Vgl. Spalding, Am ersten Pfingsttage (s. Anm. 22), 174.
27) »Wie oft werden euch […] Menschen vorkommen, die dann, ihrer Meinung nach, für ihr Christenthum und Gewissen alles mögliche gethan haben, wenn sie sich von Vergehungen enthalten, die gesetzmässigen Strafen oder einer öffentlichen Unehre unterworfen sind; imgleichen, wenn man ihnen diese oder jene Art von Tugendhandlungen, die gerade in ihrer übrigen natürlichen Gemüthsart und Neigung keinen Widerstand finden, nicht absprechen kann.« (A. a. O. 177)
28) Vgl. a. a. O. 177 f.
29) »Alle solche eingebildete Hülfsmittel, nach welchen sie greifen, werden dennoch, wie ihre eigene Empfindung ihnen sagen muß, in dem innerlichen peinlichen Kampfe zwischen herrschender Sündenliebe und unausweichlicher Gewissensplage, ihrer bangen Besorgniß nicht abhelfen, werden ihnen nie die mindeste reine und zuversichtliche Beruhigung verschaffen, die sie so gerne hätten.« (A. a. O. 182)
30) Vgl. a. a. O. 182 f.
31) »Eben diese durch erkannte Wohlthätigkeit erweckte Liebe, macht auch eben so unausbleiblich das Gemüth willig und geneigt, anstatt aller Bedenklichkeit und Beschwerde mit wirklichem Vergnügen das zu thun, was dem gütigen Freunde und Wohlthäter zum Gefallen gereichen kann.« (A. a. O. 183)
32) »Es ist […] eben so, als mit Jemand, der an irgend einem Geschäft oder einer Wissenschaft für sich wirklich Geschmack und Vergnügen gewonnen hat; dem wird sein eifrigster Fleiß, den er darauf wendet, so wenig zu einer drückenden Last und Beschwerde werden, daß er vielmehr nichts angenehmeres weiß, als sich immer mehr damit zu thun zu machen und immer weiter darin zu kommen. Das ist auch in ihrer Art die eigentliche Natur der christlichen Frömmigkeit.« (A. a. O. 184)
33) Vgl. a. a. O. 187.
34) »Das hat nun freylich seine Stuffen; und gerade in dem Maaße, als diese Liebe zum Guten selbst, welches eigentlich die beste Liebe zu Gott ist, entweder völlig die Oberherrschaft und das Uebergewicht über jede andere schlechtere Begierde in dem Gemüthe gewinnet, oder auf der andern Seite noch immer mühsam mit der letztern zu streiten hat, eben in dem Maaße wird auch unsere Frömmigkeit entweder mehr frohe Zuversicht oder mehr Aengstlichkeit bey sich führen.« (A. a. O. 188)
35) Johann Joachim Spalding, Die gottselige Begierde nach Erkenntniß, in: Ders., Predigtbuch (s. Anm. 24), 271–281. – Nachweise aus dieser Predigt werden im Folgenden direkt in den Fließtext eingestellt.
36) Eine Streichung von eigener Hand lässt erkennen, dass Spalding zunächst hatte aufzeigen wollen, was zu wissen sei, »wenn ich vor Gott ein wohlgefälliger und auf ewig glücklicher Mensch seyn will? Wie das anzufangen?« (A. a. O. 273 Anm. 11)
37) »So viele Kleinigkeiten dagegen in der Welt, darauf alles Mögliche von Fleiß, Nachdenken und Aufmerksamkeit gewandt. […] Mit einer Theilnehmung, wirklichen Empfindung des Herzens nur auch die eine wichtige Sache anzusehen, worauf alles ankömmt. […] Davon Eindruck in der Seele lebendig, dann auch gewiß gedacht: Ich muß doch wißen, was dazu gehöret, was mich hierin auf den richtigen Weg leitet, was mir dazu am kräftigsten Antrieb und Unterstützung giebt. Betrifft mich selbst und mein ganzes Glück so nahe, als sonst nichts in der Welt. Andern Dingen nachgeforscht, darin zur Einsicht gelangt, die doch viel weniger auf sich haben, warum das nicht auch bey diesen gethan, davon die Folgen für mich von so ungleich größerer Wichtigkeit. Sonst unmöglich vor eigener Vernunft zu verantworten.« (A. a. O. 274 f.)
38) Vgl. a. a. O. 275–277.
39) »Einem solchen zu sagen: Wenn du so gerne zweifeln willst; wenn du dich dabey wohl befindest und sicher bist, daß du dich immer dabey wohl befinden wirst, so bleibe immerhin auf deinem Sinn. Ob so jemand unter dem Nahmen eines ungläubigen Zweiflers oder eines christlichen Bekenners ein schlechtgesinnter Mensch bleibt, das ist immer einerley, und er macht sich immer gleich unglücklich. Die Religion würde doch gewiß keine Ehre von ihm haben.« (A. a. O. 278)
40) Vgl. ebd.
41) »Untersuchungen thunlich und von Erfolg; Gut. Nicht durchzukommen; kein wesentlicher Schaden. Wichtigstes, eigentliche Erkenntniß der Wahrheit zur Gottseligkeit bleibt doch; damit sich gerne zu beruhigen; dann genug erkannt.« (A. a. O. 279)
42) Vgl. ebd.
43) A. a. O. 280 (Hervorhebungen von mir).
44) Vgl. a. a. O. 281 (Hervorhebungen von mir).
45) Spalding, Nutzbarkeit (s. Anm. 5), 164.
46) Johann Joachim Spalding, Der rechte Gebrauch, den wir von den Wirkungen des Geistes Gottes machen sollen, in: Ders., Predigtbuch (s. Anm. 24), 386–397. – Nachweise aus dieser Predigt werden im Folgenden direkt in den Fließtext eingestellt.
47) Dass diese von Schleiermacher rezipierte Wesensbestimmung auf Spalding zurückgeht, zeigt Albrecht Beutel, Frömmigkeit als »die Empfindung unserer gänzlichen Abhängigkeit von Gott«. Die Fixierung einer religions-theologischen Leitformel in Spaldings Gedächtnispredigt auf Friedrich II. von Preußen, in: Ders., Spurensicherung. Studien zur Identitätsgeschichte des Protestantismus, Tübingen 2013, 165–187.
48) Vgl. Spalding, Der rechte Gebrauch (s. Anm. 46), 388 f.
49) »Noch weniger das für ein Kennzeichen von der Wirkung des Geistes und der Gnade anzunehmen, daß diese sich allemal durch außerordentliche Bewegung in unserm Gemüth, durch plötzliche Eingebung solcher Gedanken äußern müße, davon wir gar nicht wißen, wie wir dazu kommen. Auch das, was unserer Meinung nach auf die natürlichste Weise durch Erkenntniß, durch Unterricht, durch lehrreiche Vorstellungen Gutes in uns entstehet, das ist eben so sicher dem Geschäfte des Geistes und der Gnade zuzuschreiben, und wir haben gewiß kein Recht, solches als ein bloßes Werk der Natur zu verwerfen, und nur immer auf besondere ungewöhnliche Begeisterung zu warten, die oft genug nur eine lebhafte[,] erregte[,] wo nicht gar unordentliche Einbildungskraft zu ihrer wahren Qvelle und Ursache haben [sic].« (A. a. O. 389)
50) »Grund dazu in der Gewißensempfindung gelegt. Nie ganz auszurotten und zu verläugnen. […] Diese Empfindung oft eingeschlafen, verdunkelt, betäubt. Mensch gehet in Zerstreuung und Verwilderung dahin; denkt nicht an seinen Zustand, ob er vor Gott gut oder böse ist. […] Da dieß mein größtes Elend verursachet, so will ich mich hüten mein Lebelang vor solcher Betrübniß meiner Seele. Sich die Vollbringung selbst Ernst seyn zu laßen. Bereitwillige Folgsamkeit gegen das Gewißen ist der Gehorsam, den wir dem Geiste Gottes, und zugleich unserer eigenen Wohlfahrt schuldig sind; dabey allein innerliche Zufriedenheit und Ruhe der Seele.« (A. a. O. 393.395)
51) »In dieser Hauptsache Ruhe und Trost gefunden, dann auch so viel leichter bey leiblichen Widerwärtigkeiten und Bekümmernißen den Muth zu stärken. Ein gnädiger Vater im Himmel, eine weise Fürsehung, eine sichere Lenkung aller unserer Schicksale, auch der bittersten zu einem guten Endzwecke, eine erfreuliche Aussicht auf eine beßere [Welt], das sind die Ermunterungen und Tröstungen, die der Geist Gottes uns darbietet und in unserm lebendig macht.« (A. a. O. 396)
52) Spalding fuhr fort: »Treue Folgsamkeit gegen die Ueberzeugungen in unserm Gewißen, das ist unsere Sache und das ist auch unser wahres Glück. Wenn wir uns dazu entschließen und mit redlicher Standhaftigkeit darin beharren, so wird es uns an Trost, Frieden und freudiger Hoffnung nicht fehlen können; und Gott gebe davon uns allen die glückselige Erfahrung nach seiner großen Barmherzigkeit; Amen.« (A. a. O. 397)
53) Vgl. etwa auch Johann Joachim Spalding, Das Werk des Geistes Gottes am Menschen [Wochenpredigt am 3. Mai 1774 über Eph 4,9], in: Ders., Predigtbuch (s. Anm. 24), 248–252.
54) Datiert nach Karl Aner, Friedrich Germanus Lüdke. Streiflichter auf die Theologie und kirchliche Praxis der deutschen Aufklärung, in: JBrKG 11/12 (1914), 160–232, 162.
55) Vgl. Aner, Lüdke (s. Anm. 54); Karl-Heinrich Lütcke, Glaubwürdigkeit durch Bildung. Zum Pfarrerbild und zur Sicht der Theologenausbildung in der Neologie (besonders bei Spalding und Lüdke), in: Gerhard Besier/Christoph Gestrich (Hgg.), 450 Jahre Evangelische Theologie in Berlin, Göttingen 1989, 139–162; Ders., Art. Friedrich Germanus Lüdke, in: Neologie Handbuch, hg. von Albrecht Beutel, Tübingen 2024 (in Vorbereitung).
56) Johann Joachim Spalding, Über die rechte Absicht bey der Theilnehmung an dem öffentlichen Vortrage des göttlichen Wortes. Bey der Einführung des Herrn Friedrich Germann [sic] Lüdke, als vierten Diaconus bey der Nicolaikirche, in: Ders., Predigten (11765; 21768; 31775), hg. von Christian Weidemann (SpKA II/1), Tübingen 2010, 269–291. – Nachweise aus dieser Predigt werden im Folgenden direkt in den Fließtext eingestellt.
57) Vgl. a. a. O. 269. 285. – Zu der von Spalding eingesetzten aufklärerischen Licht-Metaphorik vgl. Michael Albrecht, Zum Wortgebrauch von »Aufklärung« bei Johann Joachim Spalding. Mit einer Bibliographie der Schriften und zwei ungedruckten Voten Spaldings, in: Michael Oberhausen (Hg.), Vernunftkritik und Aufklärung. Studien zur Philosophie Kants und seines Jahrhunderts, Stuttgart-Bad Cannstatt 2001, 11–40, 26–28.
58) Enlightenment, éclaircissement, illuminismo, verlichting.
59) Einzelnachweise zu dieser keinesfalls vollständigen Vokabelliste erübrigen sich.
60) »Nehmet nur das beträchtlichste Stück unsrer Gottesdienste und unsrer Zusammenkünfte in der Kirche, nämlich die öffentliche Unterweisung in der Erkenntniß eures Gottes und des Weges zu eurer Glückseligkeit an.« (Spalding, Über die rechte Absicht [s. Anm. 56], 273)
61) Im einleitenden Kanzelgebet hieß es: »Wir beten mit demüthigem und freudigem Dank deine Barmherzigkeit an, daß du uns der großen Fähigkeit gewürdiget hast, dich zu erkennen und in deiner Erkenntniß unsre Glückseligkeit zu finden« (a. a. O. 269).
62) Vgl. a. a. O. 270.
63) Vgl. a. a. O. 271 f.
64)»Bewahre deinen Fuß, und komme, daß du hörest. Das ist die Achtsamkeit, womit wir den Zweck dieser unsrer Gottesdienstlichen Handlung vor Augen haben sollten. Es betrifft den Unterricht und die Erweckung in derjenigen Sache, welche vor allen am meisten auf sich hat« (a. a. O. 277; ähnlich etwa a. a. O. 272).
65) Es sei »die allerwohlthätigste Veranstaltung unsers Gottes […], daß uns an einem eigenen Orte und zu besondern dazu bestimmten Zeiten das gelehret wird, was wir am allerunentbehrlichsten zu wissen nöthig haben« (a. a. O. 273 f.).
66) Vgl. etwa a. a. O. 276.
67) Spalding muss das 1748 publizierte Buch »L‘homme machine« gleich nach seinem Erscheinen gelesen oder jedenfalls bemerkt haben, denn bereits in einem am 4. Mai 1748 ausgefertigten Brief an den Jugendfreund Johann Wilhelm Ludwig Gleim verwies er sarkastisch darauf (vgl. Johann Joachim Spalding, Briefe, hg. von Albrecht Beutel/Olga Söntgerath, Tübingen 2018, 51 f.). Dass Spalding auch andere Schriften von La Mettrie gleich nach ihrem Erscheinen wahrnahm, zeigen weitere Briefe an Gleim vom 15. Januar und 8. März 1749 (vgl. a. a. O. 61 f.).
68) Spalding, Über die rechte Absicht (s. Anm. 56), 276 f.
69) »Das sucht dann der Mensch, der so weise ist, daß er sein wahres Bestes sucht. Dahin richtet er seine Aufmerksamkeit, daß mehr Erkenntniß und mehr guter Trieb bey ihm entstehen möge« (a. a. O. 279).
70) »Es mag […] eines jeden eigener genauesten und unparteylichsten Untersuchung überlassen seyn, was es mit dieser Sache an sich selbst auf sich hat« (a. a. O. 273).
71) »Ich meyne […] die unmittelbare Anwendung, die wir jedesmal auf uns selbst zu machen haben. Wie gehet das Gesagte mich an? Was kann ich daraus auf mich ziehen? Was ist in meinem Zustande, in meinem bisherigen Leben, dabey mir diese Erklärung, diese Warnung, diese Ermunterung, dieser Trost zu Nutzen kommen kann? Das sollte zu der Zeit der beständige Gedanke des Christen seyn. Er sollte so lange gewissermaßen alles übrige vergessen, und sich immer vorstellen, daß eine jede vorgetragne Wahrheit eigentlich und besonders zu ihm selbst gesagt werde« (a. a. O. 280).
72) S.o. Teil 1.
73) »Sammlet stets eure Gedanken aus der Eitelkeit und Zerstreuung. Erinnert euch, daß es hier auf Dinge ankömmt, die euer Glück oder euer Elend auf ewig entscheiden. […] Sehet dabey jedesmal auf euch selbst, und lasset euch das für euer eigenes Herz und zu eurer eignen besonderen Besserung gesagt seyn, was im Allgemeinen gesagt wird« (Spalding, Über die rechte Absicht [s. Anm. 56], 283).
74) »Wir an unserm Theile wollen uns mit der Hülfe Gottes immermehr dazu ermuntern, euch das zu sagen, was eure Seelen selig machen kann. Dann aber wird es eure Sache seyn und an euch liegen, durch euer Beyspiel das Urtheil zu Schanden zu machen, daß das Amt der Prediger eine vergebliche und unnütze Sache unter den Menschen sey« (a. a. O. 284).
75) S. Anm. 5.
76) »Ich [kam] frühe in die Hände eines Führers […], der durch wirkliche Aufklärung die Grundwahrheiten der christlichen Gottesverehrung meinem Verstands gewiß, und meinem Herzen wichtig zu machen wußte« (Johann Joachim Spalding, Vertraute Briefe, die Religion betreffend [11784; 21785; 31788], hg. von Albrecht Beutel/Dennis Prause [SpKA I/4], Tübingen 2004, 195 f.). – Für die epochenspezifische Gültigkeit dieses Konzepts vgl. etwa Albrecht Beutel, Halb Affe und halb Engel. Der »ganze Mensch« als konstitutive Utopie der Anthropologie Georg Christoph Lichtenbergs, in: Der »ganze Mensch«. Perspektiven lebensgeschichtlicher Individualität. FS Dietrich Rössler zum siebzigsten Geburtstag, hg. von Volker Drehsen et al. (APrTh 10), Leipzig 1997, 19–36.
77) »Ich muß nicht sowol fragen: Wie sonderbar, wie übernatürlich ist mir zu Muthe? als vielmehr: Wohin führet mich diese Regung? Was für Verbesserung bringt sie in meine Seele und in mein Verhalten? Was wird aus mir, wenn ich ihr folge?« (Johann Joachim Spalding, Gedanken über den Werth der Gefühle in dem Christenthum [11761–51784], hg. von Albrecht Beutel/Tobias Jersak [SpKA I/2], Tübingen 2005, 91).
78) Johann Joachim Spalding, Neue Predigten. Zweyter Band (1784), hg. von Malte van Spankeren/Christian Elmo Wolff (SpKA II/3), Tübingen 2009, 40.
79) Spalding, Vertraute Briefe (s. Anm. 76), 50.
80) Vgl. a. a. O. 205.
81) A. a. O. 54.
82) A. a. O. 56. 73.
83) »Das Verdienst des Aufklärens« sollte nicht »denen gebühren […], die sich lediglich mit dem Wegräumen zu thun machen […]. Freylich kann ein denkender ernsthafter Mensch nicht so viel Freude darin finden, als Mitleiden und Verachtung dabey fühlen, wenn unsere Knaben und Jünglinge in aller Frühe sich gewöhnen oder gewöhnet werden, mit mächtiger Beredsamkeit nach ihrer Art, von Aufklärung und Toleranz zu schwatzen, ehe sie es sich haben lehren lassen, daß das eine ganz etwas anders ist, als ein allgemeines Wegläugnen, und das andre ganz etwas anders, als allgemeine leichtsinnige Gleichgültigkeit.« (A. a. O. 75)
84) A. a. O. 73. – Spalding fuhr fort: »In diesem übelverstandenen Aufklärungseifer vergißt man also zu leicht, daß auch dadurch ein sehr wohlthätiges Licht unter die Menschen gebracht werden kann, wenn wahre glücklich machende Grundsätze aufs neue unterstützet, in größerer Deutlichkeit dargestellet, von Zweifel und Verwirrung mehr befreyet, und also dem gemeinen Verstande sowohl, als dem philosophischen Scharfsinne gleich annehmungswerth gemacht werden« (ebd.).
85) A. a. O. 152.
86) Es sei höchst beklagenswert, »bey der gesuchten allgemeinen Aufklärung diesen wichtigen Zweck vernachlässiget, ein Volk zwar erleuchtet, aber nicht erwärmet, zwar mit Einsichten bereichert, aber an Rechtschaffenheit, Zufriedenheit und Hoffnung verarmet zu sehen« (a. a. O. 92).
87) A. a. O. 74.
88) Vgl. a. a. O. 155 f.
89) Ebd.
90) Als Ausnahme könnte man auf das Votum zu Johann Friedrich Zöllners Text »Was heißt aufklären?« verweisen, das Spalding am 24. Mai 1784 für die Berliner Mittwochsgesellschaft erstellte (vgl. Albrecht, Wortgebrauch [s. Anm. 57], 38 f.).
91) Als Ausnahme könnte man auf die folgende Bemerkung aus dem Jahr 1788 verweisen: »Aeußerst sonderbar ist hiebey freylich die große, fast epidemische Ausbreitung einer Denkungsart, die, allem Ansehen nach, bey einiger Vernunft und Ueberlegung schon auf den ersten Anblick so sehr viel wider sich hat, und die man in einer solchen Zeit der Aufklärung, als die unsrige seyn soll und gewissermaßen auch wirklich ist, am wenigsten hätte erwarten sollen« (Spalding, Vertraute Briefe [s. Anm. 76], 229).
92) Vgl. a. a. O. 49.
93) Johann Joachim Spalding, Die Bestimmung des Menschen (11748–111794), hg. von Albrecht Beutel et al. (SpKA I/1), Tübingen 2006, 202.
94) Vgl. Spalding, Vertraute Briefe (s. Anm. 76), 85 f.
95) A. a. O. 85.
96) A. a. O. 85 f.
97) Spalding, Bestimmung des Menschen (s. Anm. 93), 197.