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Ausgabe:

Mai/2023

Spalte:

453-455

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Perrin, Andrew and Loren T. Stuckenbruck [Eds.]

Titel/Untertitel:

Four Kingdom Motifs before and beyond the Book of Daniel.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2020. VIII. 354 S. = Themes in Biblical Narrative, 28. EUR 185,11. ISBN 978900442795.

Rezensent:

Martin Rösel

Die Vorstellung von vier aufeinander folgenden Weltreichen, die im biblischen Danielbuch prominent in Kapitel 2 und 7 zur Deutung der eigenen Gegenwart eingesetzt wird, hat eine weitreichende Rezeptionsgeschichte erfahren. Sie vermag es, die metahistorischen Bedingungen der Gegenwart zu erschließen, die Entwicklungen der Vergangenheit transparent zu machen und Hoffnung auf eine von Gott gewirkte Zukunft zu vermitteln. Noch in unserer Gegenwart wirkt sie vor allem in fundamentalistisch-protestantischen Kreisen weiter. Dies ist möglich, nachdem das vierte Reich Daniels nicht mehr auf die Geschehnisse der hellenistischen Zeit (2. Jh. v. Chr.), sondern auf Rom bezogen wurde und aktuell entweder mit der katholischen Kirche oder der EU (wegen der Römischen Verträge) identifiziert wird. Die Jetztzeit gilt somit als die letzte Zeit vor dem Kommen des Reiches Gottes.

Im anzuzeigenden Sammelband, der auf ein Symposion an der LMU München (2018) zurückgeht, sind insgesamt 13 Studien zusammengestellt, in denen verschiedene Aspekte des Motivs der vier Weltreiche und seiner Weiterungen untersucht werden. Anders als es der Titel nahelegt, wird allerdings der Vorgeschichte der Vorstellung nur vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit gewidmet (zu nennen ist der Aufsatz von K. Crabbe zu Hesiod). Die iranischen Vorläufer kommen leider nur beiläufig in den Blick (129–131). In die Thematik führt Andrew B. Perrin, Introduction to the Four Kingdoms as a Time Bound, Timeless, and Timely Historiographical Mechanism and Literary Motif (1–12) ein, er stellt auch die einzelnen Aufsätze knapp, aber m. E. nicht immer ganz angemessen vor (vgl. 4 zur Darstellung der Studie von I. Young zur LXX oder 6 von G. Herman zum Talmud).

Die thematischen Studien werden eröffnet mit einer Darstellung der unterschiedlichen chronologischen Vorstellungen des Danielbuches: Michael Segal, The Four Kingdoms and Other Chronological Conceptions in the Book of Daniel (13–38). Mit Recht wird darauf hingewiesen, dass die Konzeption der vier Reiche in Dan 2+7 nicht völlig deckungsgleich ist, und dass Dan 8+9 andere eschatologische Erwartungen als Dan 7 (und 11) haben. Ian Young, Five Kingdoms, and Talking Beasts: Some Old Greek Variants in Relation to Daniel’s Four Kingdoms (39–55) untersucht danach die abweichende griechische Version von Dan 2 und kommt zu dem Ergebnis, dass sie eine ältere Vorstufe ohne die Idee von vier sukzessiv folgenden Reichen bewahrt hat, die später an Dan 7 und das Weltreich-Schema angepasst wurde. Alexandria Frisch, The Four (Animal) Kingdoms: Understanding Empires as Beastly Bodies (56–80) konzentriert sich zunächst auf Dan 7 und die Identifikation der Weltreiche mit Tieren, zieht dann aber noch Vergleichsmaterial aus der hellenistischen (Test. Napht. und Tier-Apokalypse 1Hen 85–90) und römischen (4Esra) Antike hinzu. Sie argumentiert, dass die Reiche durch den Vergleich mit Tieren als hybride Wesen präsentiert werden, deren Macht verlacht und so untergraben werden kann.

Loren T. Stuckenbruck, The Apocalypse of Weeks: Periodization and Tradition–Historical Context (81–95) stellt dar, dass die Wochenapokalypse des Henochbuches kein 4-Reiche-Schema, aber dennoch eine klare Zeitstruktur enthält, die angesichts der Unterdrückung der Gegenwart eschatologische Hoffnung eröffnet. Andrew B. Perrin, Expressions of Empire and Four Kingdoms Patterns in the Aramaic Dead Sea Scrolls (96–120) zeigt die unterschiedlichen Versuche in Texten aus Qumran (bis hin zu den Tobit-Texten), die Abfolge von Großreichen zu deuten. Es zeigt sich erneut, dass das 4-Könige-Schema nicht das einzige war und auch nicht als »strictly Danielic« bezeichnet werden kann (116). Olivia Stewart Lester, The Four Kingdoms Motif and Sibylline Temporality in Sibylline Oracles (121–141) führt danach gut nachvollziehbar in die Sibyllinischen Orakel und ihre komplizierte Wachstumsgeschichte ein. Dabei ist besonders OrSib 4 interessant, weil hier die Vorstellung von vier Königtümern mit der Darstellung von zehn Generationen und fünf Reichen verknüpft wird; es zeigt sich erneut die Anpassungsfähigkeit des Schemas. Es bleibt offen, ob der aus dem 2. Jh. v. Chr. stammende Text ursprünglich anti-makedonisch oder anti-seleukidisch gemeint war.

Kylie Crabbe, The Generation of Iron and the Final Stumbling Block: The Present Time in Hesiod’s Works and Days 106–201 and Barnabas 4 (142–166) zeigt an zwei Beispieltexten, dass die Offenheit des Vier-Reiche-Konzepts verschiedenartige Applikationen ermöglichte: bei Hesiod (und Rezeptionen bei Virgil und Ovid) die Integration der Heroen als fünfte Phase, im christlichen Barnabasbrief die Auslegung von Dan 7 zur Deutung der eigenen Existenz im 4. Reich in Erwartung des kommenden, fünften Reiches. Katharina Bracht, The Four Kingdoms of Daniel in Hippolytus’s Commentary on Daniel (167–190) stellt dar, wie im ältesten vollständigen Kommentar zum Danielbuch das vierte Reich auf Rom bezogen und mit der Erwartung des Antichrist verbunden gegen montanistische Endzeiterwartung eingesetzt wird. Geoffrey Herman, Persia, Rome and the Four Kingdoms Motif in the Babylonian Talmud (191–204) führt vor, wie im babylonischen Judentum die Situation während der Regentschaft des vierten Reiches auf die Auseinandersetzung zwischen Persien und Rom bezogen, also für die eigene Gegenwart aktualisiert wurde.

Die folgenden Beiträge stellen materialreich dar, wie das Schema in unterschiedlichen Epochen und Regionen aufgenommen wurde: Lorenzo DiTommaso, The Four Kingdoms of Daniel in the Early Mediaeval Apocalyptic Tradition (205–250); Miriam L. Hjälm, The Four Kingdom Schema and the Seventy Weeks in the Arabic Reception of Daniel (251–274); James R. Hamrick, Conflicting Traditions: The Interpretation of Daniel’s Four Kingdoms in the Ethio-pic Commentary (Tergwāmē) Tradition, (275–299). Abschließend schlägt Brennan Breed, The Politics of Time: Epistemic Shifts and the Reception History of the Four Kingdoms Schema (300–328) nochmals einen großen Bogen vom Danielbuch bis zu Descartes und Foucault, um aufzuzeigen, dass das 4-Reiche-Schema eins der einflussreichsten Konzepte zur Strukturierung von Zeit ist. Leider fehlen in dem interessanten Passus zur Verknüpfung von Zeit und Raumvorstellung anhand von Landkarten (313) Illustrationen.

Die einzelnen Studien sind auch im open access zugänglich, was den hohen Preis des Bandes leichter erträglich macht. Lesenswert ist er in jedem Fall für alle, die sich für das Danielbuch und seine Wirkungsgeschichte interessieren.