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Ausgabe:

Mai/2023

Spalte:

438-440

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Walser, Angelika, u. Mouhanad Khorchide

Titel/Untertitel:

Bibel trifft Koran. Eine Gegenüberstellung zu Fragen des Lebens. Hg. v. d. Salzburger Nachrichten. Red.: J. Bruckmoser.

Verlag:

Innsbruck u. a.: Tyrolia Verlag 2022. 144 S. Kart. EUR 19,95. ISBN 9783702240233.

Rezensent:

Friedmann Eißler

Die Idee ist gewinnend. In kurzen Texten, ursprünglich Kolumnen in den »Salzburger Nachrichten«, werden »Fragen von heute« in Form von thematischen Stichwörtern aufgegriffen und dazu jeweils aus christlicher und muslimischer Sicht Auslegungen zu einer, maximal zwei ausgewählten Stellen aus der jeweiligen heiligen Schrift nebeneinandergestellt. Was sagen Bibel und Koran zu Schöpfung, Hölle, Göttin, Gewalt, Frieden, Gewissen, Barmherzigkeit, Gender, Homosexualität, Ungläubige, Staat, Macht usw.? Fünf Rubriken (Gott und Welt – Verantwortung und Schicksal – Gut und Böse – Mann und Frau – Wir und die Anderen) mit je fünf Themen gliedern ein wenig, doch jeder Kurztext steht für sich. Die katholische Ethikerin aus Salzburg Angelika Walser (zusammen mit der Bibelwissenschaftlerin M. Gielen) und der muslimische Religionspädagoge aus Münster Mouhanad Khorchide kommen auch nicht miteinander ins Gespräch – in ein inneres Gespräch kann freilich der Leser bei der fortlaufenden Lektüre eintreten.

Die Miniaturen sollen zeitgemäß, wissenschaftlich verlässlich und zugleich verständlich sein. Nicht »Wort zum Sonntag« (oder Freitag), kein spiritueller Zugang, sondern von den Themen her werden Bibel und Koran befragt und die ausgewählten Verse erläutert. Die Lesenden werden also nicht so sehr »abgeholt« als vielmehr »hingeführt« (»Dazu haben die Schriften auch etwas zu sagen«). Dabei ist allerlei Lehrreiches zu erfahren.

Als ein zentrales Anliegen Khorchides ist die Prägung einer »islamischen Freiheitstheologie« erkennbar (28.70 u. ö.). Wo die Allmacht und die Nähe Gottes im Koran ausgedrückt werden, will Kh. nicht wie die klassische Exegese eine »Kontrollnähe« sehen (Sure 50,16), die ein restriktives Gottesbild nach sich zog, vielmehr sei Gottes Allmacht seine »Fähigkeit, ein Gegenüber zu völliger Eigenständigkeit zu ermächtigen. Dieser Machtbegriff ist ein dialogischer, der das Wirken Gottes in der Welt ausschließlich mit den Mitteln der Liebe begründet sieht.« (28) Nicht durch Determinismus werde der Mensch bestimmt, sondern durch Freiheit zur Selbstbestimmung – die eben nicht in Konkurrenz zu Gottes Freiheit stehe, da Gott (in seiner Freiheit) dem Menschen die Freiheit geschenkt habe (40.70 f.). Gott ist wesentlich Liebe und Barmherzigkeit (19.23.71.76.79 f.85 u. ö.), sowohl der Koran wie die Bibel beschrieben Gott als deren »Manifes-tation«, die sich »bedingungslos zugesagt hat« (29). Auf diese Weise wird der Koran als »Selbstoffenbarung Gottes« verstanden (ebd.). Es liegt auf der Hand, dass sich der Autor mit solchen an christlichen Optionen geschärften Positionierungen deutlich von den Hauptströmungen der islamischen Exegese absetzt. Dies markiert er auch immer wieder. So wendet er sich gegen ein gesetzliches, auf das Formale reduzierte (Miss-)Verständnis des Fastens (43 f.), kritisiert eine »wortwörtliche Lesart« (49), stellt sich in Sachen Gen- der – mit der feministischen Exegese – gegen die islamische Mehrheitsmeinung (95 f.).

Stark sind die Ausführungen zum »Gewissen« als Herzenserziehung: »Das Herz soll in die Lage versetzt werden, das Schöne, Menschliche zu erkennen und vom Unschönen, Unmenschlichen zu unterscheiden. Wenn Religiosität aber als das Befolgen von juristischen Aussagen definiert wird, rückt nicht nur das Herz in den Hintergrund, sondern auch die Freiheit des Menschen – und eine aufrichtige Haltung, in der Moralität von innen als Selbstverpflichtung bestimmt wird.« (65) Stark ist auch die Qualifizierung der Nächstenliebe als »religiöse Haltung, die die Liebe zu Gott ausdrückt« und als solche gegenüber allen Menschen praktisch werden muss (75 f.). Etwas gewunden mutet es an, wenn der Aufruf zur Bekämpfung der Ungläubigen die »wegen Ungerechtigkeiten […] aufgewühlte innere Stimme Gottes« offenbaren und »von der Empathie Gottes gerade mit den Schwachen« zeugen soll (49).

Die christlichen Texte schließen die Bibelstellen historisch auf, stellen Bezüge zu Alltagssituationen und Lebensvollzügen, aber auch zu Theologiegeschichte und Philosophie, her und führen immer wieder in gelungener Weise zu ethischen Konsequenzen (Schöpfungsverantwortung 12, Friedensauftrag 52 f., Verhältnis von Evangeliumsverkündigung und Anerkennung eines natürlichen [Sitten-]Gesetzes 120 f. u. a.). Über die Gewaltfrage wird klare Auskunft gegeben (Konflikt- und Leidensbereitschaft, »Christsein ist kein Wellness-Programm«, 47 f.). Starke Aspekte auch hier, z. B. wie das Gewissen als personale Existenzmitte des Menschen, der als freies Gegenüber Gottes geschaffen ist, entfaltet wird (62 ff.), ebenso der Zusammenhang von Barmherzigkeit, Feindesliebe und Gerechtigkeit (77 f.). Die »wissenschaftliche Verlässlichkeit« wirkt gelegentlich etwas spröde, wenn auf die »im babylonischen Exil« verfasste »Priesterschrift« Bezug genommen (10) oder die »Reden-Quelle Q« eher künstlich herangezogen wird (77), was exegetisch »Richtiges«, aber kaum existenziell Lebendiges vermittelt.

Insgesamt setzt die Reihe ein gewisses Vorwissen, mindestens ein deutliches Interesse an einer »Auseinandersetzung« mit den heiligen Schriften in vergleichender Absicht voraus. Ist das gegeben, wird man die Breite des Themenspektrums willkommen heißen und die kurzen Abhandlungen vielleicht sogar als inhaltliche Impulse zur Grundlage von Gesprächsrunden machen.