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Ausgabe:

Mai/2023

Spalte:

417-432

Kategorie:

Aufsätze
Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Friedhelm Hartenstein

Titel/Untertitel:

Die Zählbarkeit der Sterne
Eine Denkfigur des Unendlichen in der Hebräischen Bibel und ihre Bedeutung
für die Zurechnung der Gerechtigkeit an Abraham (Gen 15,5–6)1

I Vorüberlegungen:



Zählbarkeit, volle Zahl und Unzählbarkeit



Hans Blumenberg, dem wir eingehende Untersuchungen sowohl zum Mythos wie zur Metapher verdanken, hat in einem kurzen Essay mit dem Titel »Die Vollzähligkeit der Sterne« auf das biblische Bild aus Psalm 147,4 hingewiesen, in dem JHWH die Fähigkeit zugeschrieben wird, die Sterne zu zählen.2 Der Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist das Gedicht »Der alte Brunnen« von Hans Carossa (1878–1956). Es wendet sich in der »Du«-Anrede an die Lesenden und lädt sie dazu ein, eine Alltagssituation zu imaginieren: Man erwacht in der Nacht, weil das regelmäßige Plätschern des alten Brunnens vor dem Fenster plötzlich aussetzt:

»Und du erwachst, – dann musst du nicht erschrecken! Die Sterne stehn vollzählig überm Land, und nur ein Wandrer trat ans Marmorbecken, der schöpft vom Brunnen mit der hohlen Hand.«3

Blumenberg bedenkt den Begriff der »Vollzähligkeit« angesichts der durch den Blick nach oben vermittelten Beruhigung: Für die Wahrnehmung des Sternenhimmels ist die Vollzahl eine paradoxe Bezeichnung, die irritieren muss. Menschen sind ja gerade nicht in der Lage, die Myriaden der leuchtenden Punkte wirklich zu überschauen oder zu zählen. Dennoch hat das Wort eine bestimmte, tröstliche Wirkung. Worauf beruht sie?

»Faktisch lassen sie [sc. die Sterne] sich nicht nachzählen auf beruhigende Vollzähligkeit; aber Zählbarkeit ist Gewähr der Konstanz. Es ist nicht wichtig, daß nachgezähltwird, doch daß nachgezählt werdenkönnte.«4

Der historisch arbeitende Philosoph, der sich zeitlebens mit den Fragen der Transformation von Weltbildern beschäftigt hat, sieht hier im alltäglich-praktischen Begriff des Zählens (zur Vollzahl) mit Blick auf den Himmel eine immer noch lebendige metaphorische Kraft am Werk. Für deutsche Lesende stellt sich nämlich sofort auch die Assoziation an ein bekanntes Schlaflied für Kinder ein, das 1837 der evangelische Pastor Wilhelm Hey veröffentlicht hat:

»Weißt du wieviel Sterne stehen an dem blauen Himmelszelt? […] Gott der Herr hat sie gezählet, daß ihm auch nicht eines fehlet an der ganzen großen Schar.«5

Psalm 147,4 und andere einschlägige biblische Stellen wie Gen 15,5 (s. IV–V) werden hier – die entsprechende Vertrautheit immer noch vorausgesetzt – automatisch mitgehört und abgerufen. Blumenberg lobt Hans Carossa dafür, dass er diese Assoziation zwar einkalkuliert hat, sie aber gerade nicht affirmiert, sondern in einem letzten Sinn offenlässt:

»Mit Recht läßt er auf sich beruhen, ob je gezählt würde und wer es täte – dochwenn es geschähe, wäre diese letzte aller anschaulich erreichbaren Garantien für den Weltbestand gegeben: vollzählig stände das für jede Störung Unerreichbare über dem einsamen Haus, seinem alten Brunnen und dem durstigen Wanderer wie dem erwachenden Schläfer.«6

Blumenberg eröffnet mit der ihm eigenen Sensibilität für Sinngehalte und Sinnverluste, die sich vor allem im Bereich des Halbbewussten, der Hintergrundmetaphorik unserer Sprache bis hin zu wissenschaftlichen Begriffen abspielen, Perspektiven, denen es nachzugehen lohnt:

– Die Ungleichzeitigkeit und Pluralität von Weltwahrnehmung in unserer fragmentierten Moderne: »Archaische« Inhalte und Aussagen wie die des von keinem Menschen je überschaubaren Sternenhimmels haben auch heute noch wenigstens eine metaphorische Kraft, wenn sie aus ihrer Latenz heraustreten, wie es in der Rezeption von Gedichten durch poetisch musikalische Menschen geschehen kann.

– Die anthropologische Notwendigkeit, uns unserer Stellung in der Natur als dessen, was in jeder Hinsicht größer ist als wir, bewusst zu sein. Auch bei uns Heutigen setzt – wie bei Immanuel Kant7 – der Blick an den gestirnten Himmel (oder in die Tiefe des Weltalls mit Hilfe nicht mehr erdgebundener Teleskope) Gefühle zwischen Erhabenheit und Verlorenheit frei, die man als Bewusstsein der eigenen Endlichkeit im Angesicht des Unendlichen fassen kann. Dazu gehört auch, was Charles Taylor in seinem Buch »Das sprachbegabte Tier« in einer Rückwendung zur Sprachtheorie der Romantik die Möglichkeit »ritueller Wiederanknüpfung« an die Welt nennt.8

– Die Tatsache, dass alles Denken, seine Formen und Anschauun-gen kulturell gefärbt und bedingt sind. Sicherlich ist es heuristisch auch hilfreich, mit Einsichten einer allgemeinen Kognitionstheorie wie dem Modell des »conceptual blending«9 zu arbeiten (die erstmalige Verbindung zweier Vorstellungen zu etwas Neuem). Es sollte dabei aber nicht vergessen werden, dass die eigentliche Erfahrung von Teilnehmenden an sozialer Kommunikation immer konkret und kulturspezifisch bleibt. Ich möchte deshalb für die folgenden Überlegungen mit einer historischen Metaphernanalyse arbeiten, die besonderen Wert auf die semantische »Eigenbegrifflichkeit«10 von Kulturen legt.

Fazit: Hinter den Texten der Hebräischen Bibel und des frühen Judentums stehen Ordnungsvorstellungen in Wechselwirkung mit entsprechenden Ordnungserfahrungen, die es in ihrer historischen Entwicklung zu rekonstruieren gilt. Ihre Beschreibung und Interpretation durch die moderne Wissenschaft steht und fällt mit der Sensibilität dafür, dass antike Weltinterpretationen erstens nicht einfach deshalb weniger Wert hätten, weil sie alt und anders sind, und zweitens, dass ihre inhärenten Gehalte wie ihre Logik nicht sofort am Tag liegen, sondern umsichtig rekonstruiert werden müssen. Das Beste, was wir erreichen können, ist eine methodisch transparente Annäherung an einst mögliche Bedeutungsschichten, die im vorliegenden Fall bis heute nachwirken. In diesem Sinn versteht sich mein Versuch, den Inhalt und metaphorischen Gebrauch der biblischen Vorstellung von der Zählbarkeit der Sterne im Licht des dahinterstehenden Ordnungsbegriffs aufzuhellen, auch als ein hermeneutischer. Ausgangs- und Referenztext dafür ist Psalm 147.

II Psalm 147 im Psalterkontext und sein Bezug zu Deuterojesaja



1. Ps 147 und die Vollzahl der Sterne: Die bereits erwähnte Stelle aus Psalm 147,4 über Gottes Zählen der Sterne lautet so:

4 Der bestimmt/feststellt (mnh) eine Zahl (mispār) für die Sterne (l + kōkābīm),
sie alle ruft er mit Namen (qr’ šemōt).
5 Groß ist unser Herr und stark an Kraft,
für seine Einsicht (l + tebūnātō) gibt es kein Maß (’ējn mispār).

Zunächst ist auf die zweifache Möglichkeit der Übersetzung der Partizipien in V. 4 hinzuweisen: Ich habe das Präsens (für die gegenwärtige Wahrnehmung des Himmelsgeschehens) gewählt, wo man auch Perfekt (für anfängliche Schöpfungstaten) markieren könnte. Sodann ist der sorgfältige poetische Aufbau der Einheit V. 4–5 zu vermerken:11 Das zweimal vorkommende Wort mispār »Zahl« bildet einen Rahmen um die Aussageeinheit: Der Fähigkeit JHWHs, eine Zahl für die Sterne festzustellen (V. 4a) entspricht das Fazit, dass sein ordnendes Wissen »keine Zahl«, d. h. kein Maß, kennt (V. 5b). Auch die beiden Dativobjekte »für die Sterne« (V. 4a) und »für seine Einsicht« (V. 5b) entsprechen einander syntaktisch. V. 4b und 5a erläutern zusammen Gottes Macht über das »Heer« der Sterne, die sich darin ausdrückt, dass er jeden einzelnen »beim Namen ruft«. Sie zeigt nicht nur seine Fähigkeit der Bestimmung ihrer Zahl, sondern auch seine Königsherrschaft (gādōl »groß« V. 5a) und unüberwindliche Stärke an (rab kōaḥ »stark an Kraft« V. 5a). Diese Gottesbeschreibung hat zwei Bedeutungsebenen: Zum einen Gott als jemand, der genau Buch führt und die Sterne registriert, wie es zu den Aufgaben eines gelehrten Schreibers, kompetenten Architekten oder auch Wesirs gehört. Zum anderen, und das ist die Rahmenmetapher, Gott als souveräner König, der das Sternenheer nicht nur komplett übersieht, sondern dem es auch immer zu Diensten ist.

Ein Blick auf die Semantik der Wörter für Zählen und Registrieren in Ps 147,4 vertieft das Verständnis: Das Nomenmispār »Zahl« leitet sich vom häufigen Verbspr ab, dessen Grundbedeutung »Zählen« ist.12 Die uns meist geläufigere Bedeutung des »Erzählens« lässt sich vor diesem Hintergrund als ein geordnetes Aneinanderreihen von Ereignissen oder Elementen eines Zusammenhangs (hymnisch etwa die »Wunder« und »Wundertaten« JHWHs, s. III) verstehen. Für das in Ps 147,4 verwendete Nomen mispār nennt Joachim Conrad als Bedeutung: »das Ergebnis eines Zähl- bzw. Rechenvorgangs, bei dem eine bestimmte Größe quantitativ genau und vollständig erfaßt wird«13, also etwas, das »(genau) abgezählt« ist (Blumenbergs Interpretation der »Vollzähligkeit« ist also zutreffend). Ob auch die beiden Nomina textkultureller Bedeutungsepær »Schrift- stück« undsōpēr »Schreiber« mit dem Verbspr »zählen« zusammenhängen, bleibt offen. Die Brücke vom Verb zu ihnen könnte wohl die elementare Funktion des schriftlichen Festhaltens von Beständen und Gütern in Listen bilden.

Das zweite Wort in Ps 147,4 mnh überschneidet sich in seiner Bedeutungsbreite stark mitspr, wobei ein Unterschied die höhere Betonung vonVerfügungsmacht ist. Es geht um ein »zielgerichtetes Zählen im Sinne von ›abrechnen, verfügen‹«14. Wer die Vollzahl von etwas feststellt, verfügt über das Gezählte. Im Blick auf die absoluten Grenzen menschlicher Fähigkeiten werden mit beiden Verben des Zählens auchunvorstellbar große Mengen ausgedrückt, die man gerade nicht zählen kann, so dass sie gänzlich unverfügbar bleiben (oft von der Menge der Nachkommenschaft Israels gebraucht, s. IV). Der Sternenhimmel hat hier – neben dem Sand des Meeres (s. u.) – die größte natürliche Evidenz.

Wie es Ps 147 exemplarisch zeigt, liegt in der metaphorischen Übertragung der Fähigkeit auf Gott, etwas vollzählig zu registrieren, eine interessante gedankliche Umkehrung: Wo menschliches Zählen scheitern muss und die Erfahrung des übergroßen Lichtermeers am Himmel die eigene Kleinheit und Begrenztheit bewusst macht (vgl. Ps 8,4–5)15, sind JHWHs Möglichkeiten gerade nicht erschöpft.

Wichtig für die konkrete Bedeutung der Metapher des Sterne zählenden Gottes ist aber etwas, das in Ps 147 in dem unauffälli-gen Personalsuffix »unser« verborgen liegt: »Groß ist unser Herr und stark an Kraft« (V. 5a). Schon in der ersten Zeile, der einleitenden Aufforderung zum Lob Ps 147,1, wurde dieses Leitwort laut: »Lobt JH, denn es ist gut, zu besingen unseren Gott!« (vgl. dazu auch Ps 8,2.10).

Psalm 147 ist ein dreiteiliger Hymnus (I: V. 2–6; II: V. 7–11; III: V. 12–20).16 Die Aussagen über Gottes Zählen der Sterne V. 4–5 stehen im ersten Teil. Sie werden mit V. 2–3 und V. 6 sehr bewusst vom Lob darüber umschlossen, dass JHWH sich genauso um die Vertriebenen, Erniedrigten und Verletzten sorgt und gegen die Frevler vorgeht:

A 2 Der erbaut Jerusalem – JHWH, die Vertriebenen Israels – er sammelt sie.
3 Der heilt die am Herzen gebrochen sind, und verbindet ihre Wunden.
B 4 Der bestimmt eine Zahl für die Sterne, sie alle – mit Namen ruft er.
5 Groß ist unser Herr und stark an Kraft, für seine Einsicht gibt es kein Maß.
A’ 6 Der aufrichtet Niedergedrückte – JHWH, der einebnet Frevler zur Erde.

Das Bild vom Herrn der Sterne wird also ganz bewusst eingesetzt, um die Gewissheit der Bindung JHWHs an sein Volk auszudrücken. Seine mit der Zählung der Sterne benannte universale Verfügungsgewalt ist Ausdruck eines reflektierten Monotheismus mit schöpfungstheologischer Begründung.

2. Psalm 147 und 148 und die »Ordnungen des Himmels«: Das zeigt vollends der im Psalterkontext des großen Schlusshallels aus nach-exilischer Zeit folgende Psalm 148, mit dem man Ps 147 zusammen als Parallelismus lesen kann (Ps 148,3–6):17

»3 Lobt ihn, Sonne und Mond, lobt ihn, alle Sterne des Lichts! 4 Lobt ihn,ihr Namen des Himmels, und die Wasser, die über den Himmeln sind! 5 Lobt den Namen JHWHs, denner hat befohlen und sie wurden geschaffen. 6 Er hatsie aufgestellt für immer, für fernste Zeit, eine Ordnung (ḥōq) hat er gegeben,nicht überschreitet man/er sie!«

Der Text gehört zu einer Gruppe kosmologisch ausgerichteter Texte der Zeit des Zweiten Tempels, in denen die »Ordnung(en) des Himmels« (ḥuqqōt šāmajim: Pl. Hi 38,33; Jer 31,35 [s. IV], Ps 148,6: Sg. ḥōq) und der Erde als zentrales Paradigma für JHWHs unbedingte Verlässlichkeit herausgestellt werden.18 Die regelmäßigen Himmelsbewegungen garantieren den Fortbestand der Welt in Zeit und Raum als eines immerwährenden Prozesses. Sie bilden das Vorbild für die Sicherheit, dass man dies auch für das Handeln JHWHs an seinem Volk annehmen kann. Auch die Geschicke und die Geschichte aller Menschen liegen in der Verfügungsmacht Gottes, wie sie am Himmel deutlich wird. Dazu ist an dieser Stelle ein kleiner Exkurs zur Gleichung von kosmischer und rechtlicher Ordnung im Alten Orient und im Alten Testament nützlich:

Antike Weltbilder leben von der Isomorphie von Natur und Kultur. Das, was wir Natur nennen, wird dabei – für unsere Perspektive – nach sozialen Kategorien und Regeln interpretiert. Eigenbegrifflich ist es dagegen umgekehrt: Phänomene der »Natur« erscheinen in ihrer Tiefe als sozial strukturiert. Sie sind entzifferbar, lesbar, bilden eine Art Schrift (Hi 38,33, vgl. die spätantike Metapher vomliber naturae).19 Das gilt besonders für dieGesetzmäßigkeiten der Himmelsbewegungen, die deshalb in Assyrien auch mit Begriffen des Rechts wiekittu u mīšaru »Recht und Gerechtigkeit« bezeichnet wurden: »What is clear in the case of legal principles ofkittu u mīšaru is that they denote not only what was equitable and right by human law, but also later, in the Neo-Assyrian period, were used to refer to regularity in heavenly phenomena, thus extending the legal metaphor into a cosmological context.«20

Eine Züricher Tagung zum Thema »Laws of Heaven – Laws of Nature« widmete sich 2011 den an der Regelmäßigkeit der Himmelserscheinungen beobachtbarenEntsprechungen zur Sphäre des Rechts in antiken Kulturen.21 Der oben bereits genannte hebräische Terminus technicus ḥōq (Pl. ḥuqqīm/ḥuqqōt) bezieht sich in diesem kosmologisch grundierten Kontext ab der persischen Zeit auf empirisch beobachtbare und in ihrer Regelmäßigkeit als intentional erkannte »Ordnungen« (er geht also nicht im sog. dtr. Sprachgebrauch von Rechtsbegrifflichkeit auf).

Die hebräischen Lexeme der Wurzel ḥqq haben dabei – im Gegensatz zu anderen biblischen Rechtsbegriffen – einen schrifttechnischen Bedeutungsaspekt. Das hat schon Gerhard Liedke ausführlich dargestellt.22 ḥōq leitet sich vom Verb ḥqq (Nf. ḥwq) »aushauen, einritzen« ab. Die rechtliche Dimension folgt daraus organisch: »aufzeichnen«, (für immer) »festsetzen«, »bestimmen«. In späten weisheitlichen Texten (u. a. Hi 38,8–11; Ps 104,5–9; Prov 8,22–31), die Ordnungen und das Verbot ihrer Überschreitung im kosmischen Maßstab behandeln, erfasste Liedke zwei Aspekte: Zum einen, ausgehend von der Tätigkeit des »Einritzens«, dass mit ḥōq »das Ergebnis einer Handlung«, nämlich die auf diese Weise gezogene Grenze, bezeichnet wird.23 Zum anderen, dass ḥōq »in Bezug auf die Gestirne, den Regen, Gottes Boten u. a. die Bedeutung ›durch einen Mächtigen festgesetzte Ordnung‹ annimmt.«24 Beides entspricht der doppelten Metaphorik, die oben auch zu Ps 147 notiert wurde: Erstens die Erschaffung der strukturierten Welt durch einen planendenBaumeister, der alle Maße kennt und die Weltprozesse nicht nur inauguriert, sondern wie ein Schreiber ständig ihre Regelgemäßheit registriert; zweitens die umfassendereKönigsmetapher für JHWH, dessen Größe nun gerade an seiner Fähigkeit, die Wege des Himmels verlässlich zu lenken und die Wege auf der Erde zu steuern, abgelesen werden kann.25 Die Zählbarkeit der Sternedurch Gott wird zum Bild einesberuhigenden, ständigen Triumphs der Ordnung über das Chaos.

Die schriftgelehrten Verfasser von Psalm 147 haben ihren Hymnus in dieser Hinsicht unter anderem auch mit Hilfe einer Fülle von Anspielungen auf das Jesajabuch komponiert (vgl. z. B. Jes 31,1–4: V. 10; 40,12–31: V. 4–5; 52,7–10: V. 12; 55,9–11: V. 15–18). Besonders im sog. Deuterojesaja Jes 40–55 werden ja konsequent Aussagen über die Geschichte im Rahmen von Gottes Schöpfermacht entfaltet (vgl. nur Jes 43,1). Für das Bild der Sterne unter Kontrolle des Gottes Israels war das große Disputationswort Jes 40,12–31 der entscheidende Bezugstext (Jes 40,26):

26 Erhebt zur Höhe eure Augen und seht: Wer hat jene [sc. die Sterne] geschaffen?Der herausführt nach der Zahl ihr Heer, insgesamt ruft er sie beim Namen. Aus der Menge der Kräftigen/Erstgeborenen, stark an Kraft,wird nicht einer vermisst.

Wir sehen auch hier – wohl in unmittelbarer Auseinandersetzung mit den Ansprüchen der Marduk-Religion Babylons (der Text wird übereinstimmend der Grundschicht des Deuterojesaja zugewiesen) – den Beweis der Überlegenheit JHWHs: Der über dem Weltkreis thronende Gott (Jes 40,22) ist der Erschaffer der Sterne und führt die oberste Aufsicht über sie: »insgesamt ruft er sie beim Namen« (vgl. Ps 147,4) und kein Einziger geht fehl oder wird vermisst. Ps 147 sieht darin wie Jes 40 auch eine Verheißung vor allem für JHWHs Volk. Der Schöpfer wirkt für Israel auf genau dieselbe Weise ordnend und verlässlich wie am Himmel (vgl. Ps 147,20). Zugleich bleibt er in vielem unerforschlich.26 Das Bild der Vollzähligkeit der Sterne schafft also Vertrauen und zwar eines, das über die Grenzen alles menschlichen Begreifens hinausreicht. Die Restitution des zerstörten Jerusalem (Ps 147,2.12 f.) ist ein Beweis dafür, dass der Herr über die Vollzahl der Sterne auch den Verlauf der Geschichte wie des Schicksals von Einzelnen lenkt.27

3. Fazit: Die Metapher von JHWH, der die Sterne vollständig erfasst und daher über sie verfügt, hat den Zweck, nicht nur seine Überlegenheit als Schöpfer zu markieren, sondern auch seine beständige besondere Fürsorge für Jerusalem und sein Volk bis hinunter zu den besonders Verletzlichen zu betonen. Der Wahrnehmung unendlicher Größe entspricht das Versprechen unendlicher Zuwendung und Güte. Für beides gibt es weder Zahl noch Maß. Zwei religionsgeschichtliche Beispiele aus hellenistischer Zeit sollen nun exemplarisch einen größeren antiken Kontext dazu aufzeigen (III), bevor ich mich der Entsprechung zwischen Gottes Handeln an den Sternen und an den Seinen zum Schluss nochmals mit besonderem Fokus auf Heilstexte des Jeremiabuchs und auf Gen 15 zuwende (IV–V).

III Religionsgeschichtliche Beispiele:



Thot, der die Sterne zählt und Zeus, der ihre Wege beobachtet



In persisch-hellenistischer Zeit bildete sich besonders unter dem Einfluss mesopotamischer Astronomie eine empirisch wie mythologisch ausgerichtete antike Koine des Wissens um die Berechenbarkeit des beobachteten Sternenhimmels heraus. Neu daran war die Kenntnis mathematischer Verfahren auch zur Prognostik. Insofern zeigen sich besonders ab der hellenistischen Epoche Aussagen über große Gottheiten, die deren Fähigkeit zur Berechnung und Zählung der Gestirne gelten.28 Ich nenne zwei, die auch im Horizont des Judentums in der persischen und hellenistischen Zeit liegen könnten:

1. Thot, der die Sterne zählt: Der ägyptische Schreiber- und Wesirgott Thot hatte von alters her eine Affinität zu den Himmelsbewegungen, insofern er auch als »Herr des Mondes« galt (»silberner Aton«29). Daher war er der »Herr der Zeit und Rechner der Jahre«, des Kalenderwesens und »von Zahl und Maß«. Er soll die Schrift erfunden haben, und von ihm stammen »die Satzungen, die das Gemeinschaftsleben der Menschen bestimmen.«30 Er verfügt über umfassendes Wissen, trägt Sorge um die Verwirklichung der Ma’at (Gerechtigkeit) und ist an der Schöpfung beteiligt.31 Im großen Horustempel von Edfu aus hellenistisch-römischer Zeit findet sich folgendes Epitheton des Gottes:

»(O du), der Recht spricht ›am Tore, der die Maat ermittelt‹ [beim] Ersten Mal,der den Himmel berechnet und dessen Sterne zählt, [Hu], Sia, Sehgott, ›Hörgott‹, […] …, Harsiese, (o du),der das Land berechnet und zählt, was darin ist, du mögest alle Götter an ihren Stätten festigen und jedem Gott die Ackeranteile ›geben‹,«32

Das Epitheton passt zu den Thot-Titeln »Der Zählende«, »Der die Lebenszeit (der Götter und Menschen) berechnet« und »Der die Jahre, Monate, Tage, Stunden und Augenblicke zählt«.33 Das hier für Zählen verwendete Verb ḥsb (vgl. hebr. ḥšb34) hat im Ägyptischen wie hebr. mnh die Bedeutungsnuance, dass etwas als vollzählig befunden wird. Das fügt sich gut in den Kontext im Edfu-Tempel: Thot wird auf dem Relief, zu dessen Inschriften das genannte Epitheton gehört, als Wesir angesprochen, der den Bestand der durch die Gaugötter Ägyptens gebrachten Gaben registriert. Martin Andreas Stadler hat dazu in seiner Monographie zu Thot die von Derchain vertretene These diskutiert, ob der bisher nur dort einmal belegte Titel »der den Himmel berechnet (ḥsb) und dessen Sterne zählt/prüft (ἰp)« »aufgrund der »mathematische[n] Sprache« eine Auseinandersetzung mit der hellenistischen Astronomie der Zeit belege.35 Stadler kann aber zeigen, dass der Titel, wie man auch an der Parallelstellung zum »Berechnen und Zählen des Landes« sieht (s. o.), eher von der alten Tradition des Thot als immer schon für die Registratur zuständigen Schreibers her verstanden werden sollte. Der Titel ist »originär ägyptisch«36. Für die alttestamentlichen Stellen ist nicht auszuschließen, dass zumindest das generelle Profil Thots in der ägyptischen Diaspora bekannt war.

2. Zeus, der die Sterne beobachtet: Mit seinen Phainomena hat der griechische Dichter Aratos von Soloi (geb. um 310 v. Chr.37) eine umfangreiche kosmologische Abhandlung über die Sternbilder im Jahreslauf und über das Wetter verfasst. Es ist »als einziges einer großen Fülle zum Teil älterer astronomischer Lehrgedichte erhalten geblieben«38. Aufschlussreich ist, wie darin dem Gott Zeus, der als Gottheit schlechthin und als den Menschen wohlgesonnen gezeichnet wird, die Einrichtung des Sternenhimmels als lesbare Anzeige für das agrarische Jahr und die Seefahrt zugeschrieben wird. Das Werk sei, so Katharina Volk, »a poem about signs«39. So heißt es programmatisch im Proömium (10–13):

»Denn er selbst [sc. Zeus] befestigte die Zeichen am Himmel, indem er die Sternbilder unterschied.Er beobachtete die Sterne über das Jahr hinweg danach, welche am besten geeignet seien, den Menschen die Zeiten anzuzeigen, damit sie alles problemlos kultivieren können.«40

Volk deutet das Konzept der Sterne als Zeichen in diesem Gedicht in Analogie zu der oben zu Ps 148 benannten Vorstellung von den »Ordnungen des Himmels«, wie sie vor allem aus Mesopotamien belegt ist.41 In einer Tübinger Dissertation hat sich Vincent Clausing-Lage ausführlich mit Aratos’ mythologisch fundierter Naturlehre beschäftigt. Er interpretiert die zitierte Aussage des Proömium so: »Zeus beobachtete über ein Jahr hinweg die Sterne und wählte sie nach ihrer Eignung als Zeichen für die Jahreszeiten aus.«42 Und: »Zeus nimmt damit die Position des menschlichen Beobachters vorweg«, er ist zugunsten der Menschen so etwas wie der »erste Astronom«.43 Aratos gibt interessanterweise aber keinen Hinweis, ob Zeus für ihn auch Schöpfer der Sterne ist.

An den Phainomena scheint mir für die Bedeutung der biblischen Aussagen über das Zählen der Sterne ein Vergleichspunkt zu sein, dass sie mit einem Gott rechnen, der vor allem um der Menschen willen die Himmelsbewegungen eingehend beobachtet und entsprechend zu ihren Gunsten einrichtet. Zeus wird im Proömium auch als »Vater, du großes Wunder«44 adressiert (Proömium 14) und es werden von ihm in Zukunft noch weitere Zuwendungen durch die »Natur« erwartet, »[d]enn noch wissen wir nicht alles von Zeus« :

»Die Frage, worin sie [sc. die Menschen] in Zeus ein ›Wunder‹ (θαῦμα) sehen, ist aus dem Text nicht direkt zu beantworten. Eine Antwort liegt sicher darin, dass es Ausdruck der Bewunderung der Taten des Zeus ist, die aretalogisch im Prooimium geschildert wurden. Insofern ist das θαῦμα menschliche Reaktion auf die Leistungen des Gottes, die sich wiederum im Nutzen für die Menschen ausdrückt.«46

Damit ist im griechischen Lehrgedicht derselbe Zusammenhang hergestellt, den auch viele vor allem späte alttestamentliche Hymnen als »Wunder« (nominalisiertes Ptz. Nif. fem. Pl. nip-lā’ōt) bezeichnen. Man vergleiche nur die überschriftartig vor die Entfaltung der Schöpfungs- und Heilstaten JHWHs gestellte Aussage von V. 4 in der Eröffnung von Ps 13647 (V. 1–5):

»1 Dankt JHWH, denn er ist gut – Ja, seine Güte währt für fernste Zeit –, 2 Dankt dem Gott der Götter – Ja, seine Güte währt für fernste Zeit –, 3 Dankt dem Herrn der Herren –Ja, seine Güte ist für fernste Zeit –, 4 ihm, der für sich allein große Wunder (niplā’ōt gedōlōt) tut, 5 ihm, der gemacht hat den Himmel mit Einsicht – Ja, seine Güte ist für fernste Zeit

Es geht bei dieser bewussten Rede von den »Wundertaten« fast immer um das Außerordentliche des göttlichen Handelns. Als Reaktion auf dessen konkrete Erfahrung hin (Rettung auf der geschichtlichen und Versorgung auf der kosmischen Ebene) setzt die Deutung aus, weil Staunen und Furcht die unmittelbaren Emotionen sind. Umso stärker wird dann in der reflektierten doxologischen Antwort die Rede vom »Wunder« bewusst als Grenzbegriff für das Gotteshandeln eingesetzt. Sie bildet ein zentrales Moment der religiösen Interpretation der Welt in den Texten des frühen Judentums.48

3. Fazit: Man erkennt an beiden religionsgeschichtlichen Beispielen, wie in persisch-hellenistischer Zeit der auch empirisch beobachtete Sternenhimmel in neuer religiöser Deutung sowohl die Macht wie die gütige Zuwendung von großen Gottheiten anzeigte. Damit kann nun nochmals und abschließend das Alte Testament in den Fokus treten. In ihm findet sich der Hinweis auf die Zählbarkeit bzw. Unzählbarkeit der Sterne vor allem in zwei Kontexten der spätnachexilischen Literatur. Sie sind eng aufeinander bezogen und reagieren teils in »protokanonischer« Bewusstheit aufeinander: in der Rede von der unzählbar großen Nachkommenschaft Israels im Jeremiabuch und in den Erzelternerzählungen. Wie nun noch gezeigt werden soll, spricht viel dafür, die einschlägigen, durchweg Heil verheißenden Stellen zeitlich und sachlich im dargelegten Zusammenhang eines Vertrauens-Paradigmas der Entsprechung von Himmel und Erde in persisch-hellenistischer Zeit zu verorten. Auch die berühmte Stelle Gen 15,5–6 erscheint dann noch einmal anders lesbar, als das bisher zumeist der Fall war.

IV Späte Heilsfortschreibungen im Jeremiabuch



Im nachexilischen heilsprophetischen Block Jer 30–33 finden sich späte Einschreibungen, die teils erst nach der Übersetzung ins Griechische eingefügt wurden (Jer 33,14–26). Sie zeigen eine zweifache Bezugnahme: Zum einen erweitern und präzisieren sie den Nahkontext und die Heilskomposition Jer 30–33 im Ganzen. Zum anderen bezeugen sie die Aufnahme und Ausweitung von Texten aus dem weiteren Jeremiabuch sowie zentraler Aussagen aus Pentateuch, Propheten und Psalmen.

1. Jer 31,35–36: Die Ordnungen der Sonne, des Mondes und der Sterne: Ich beginne dafür mit Jer 31,35–36, einem hymnischen Anhang zur voranstehenden Verheißung vom »neuen Bund« in Jer 31,31–34:

»35 So hat JHWH gesprochen, der gesetzt hat die Sonne zum Licht am Tag, die Ordnungen (ḥuqqōt) des Mondes und der Sterne zum Licht der Nacht; der das Meer erregte, so dass seine Wellen tosten – JHWH Zebaoth ist sein Name! –: 36 Wenn weichen würden jene Ordnungen (ḥu qqīm) vor mir – Ausspruch JHWHs –, dann würde auch der Samen Israels aufhören zu existieren als ein Volk vor mir alle Tage! 37 So hat JHWH gesprochen: Wenn man ausmessen (mdd) könnte die Himmel nach der Höhe und erforschen (ḥqr) die Fundamente der Erde nach der Breite, dann würde auch ich verwerfen den ganzen Samen Israels wegen all dem, was sie getan haben! – Ausspruch JHWHs.«

Dieser Text im hymnischen Stil (Partizipien für die Schöpfungstaten JHWHs in V. 35) unterscheidet sich vom Vorkontext Jer 31,31–34 mit seiner Verheißung der Neuschaffung eines torakonformen Israel dadurch, dass jede Vertragsterminologie fehlt. Stattdessen wird im universalen Horizont der Schöpfungsordnungen von Himmel und Erde die Zusage von JHWHs unverbrüchlicher Zuwendung zugespitzt: Niemals mehr sollen die Nachkommen Israels wegen ihrer Taten verworfen werden. Einerseits bleibt das in der Linie der anthropologischen Zusage des neuen Bundes. Andererseits wird dies ausdrücklich kosmologisch mit der Schöpfung und Sintflut als Paradigmen begründet (vgl. Gen 1 und vor allem Gen 8,22 als wichtige Bezugstexte für Jer 31,36 f.)49. Es besteht dabei eine große Nähe zum späten Dtjes-Text Jes 54,7–10: Jeweils wird betont, dass JHWH, der Schöpfer, »ein für alle Mal« von seinem (berechtigten) Strafwillen Abstand genommen hat.50 Die Bestätigung dafür sind in Jer 31 die Himmelsordnungen, deren Verlässlichkeit in einer ersten irrealen Aussage versichert wird (V. 36). Es folgt noch eine zweite irreale Bedingungsaussage (V. 37), wonach JHWH Israel nur dann verwerfen würde, wenn jemand anderes als der Schöpfer den Himmel »vermessen« (mdd) und die Erdfundamente »erforschen« (ḥqr) könnte. In »vollständiger« Weise liegt dies prinzipiell jenseits menschlicher Möglichkeiten (vgl. erneut Jes 40,12–13 und Hi 38,4–5, s. II). Jer 31,37 stellt also eine klare Analogie zu den hier interessierenden Stellen vom (nicht) Zählen können der Sterne dar, auch wenn Letzteres nicht explizit erwähnt wird.51

2. Jer 33,19–22: Die unzählbare Nachkommenschaft Davids: In Jer 33, 19–22, einer mit Jer 31,35–37 in manchem verwandten Erweiterung der Komposition Jer 30–33, findet sich explizit das Motiv der Unmöglichkeit des Zählens und Ausmessens der Sterne. In diesem Fall ist der Nachtragscharakter der Verse unstrittig.52 Der Abschnitt teilt neben dtn.-dtr. Bezügen die kosmologischen Vorstellungen von Ps 147 und 148 und vergleichbaren Texten (s. o. II) (Jer 33,19–22):

19 Und es erging das Wort JHWHs an Jeremia: 20 So hat JHWH gesprochen: Wenn ihr brechen könntet meinen Bund des Tages und meinen Bund der Nacht, so dass nicht mehr wären Tag und Nacht zu ihrer Zeit: 21 Dann könnte auch gebrochen werden mein Bund mit David, meinem Knecht, dass er keinen Sohn mehr hat, der als König herrscht auf seinem Thron und (sc. mein Bund) mit den Leviten, den Priestern, meinen (Kult-)Dienern.

22 Wie nicht gezählt werden kann (spr) das Heer des Himmels und nicht gemessen werden kann (mdd) der Sand des Meeres, so will ich zahlreich machen den Samen Davids, meines Knechts, und die Leviten, die mir dienen!

In V. 20–21 ist zunächst davon die Rede, dass der bei der Schöpfung eingerichtete »Bund« mit Tag und Nacht (erneut die feste uranfängliche und nachsintflutliche Ordnung der Zeit nach Gen 1 und 8,22) genauso wenig gebrochen werden kann wie die Bundeszusage an David und seine Nachkommen. Die Zukunft ganz Israels, hier verkörpert durch Königtum und Priestertum, steht fest wie die Schöpfungsordnung. Das irreale Bedingungssatzgefüge von V. 20–21 mit seinem kosmologischen Argument entspricht dabei sachlich dem oben benannten Vers Jer 31,37. Die Aussage von V. 22 geht aber noch einmal in eine andere Richtung. Sie hat zwar denselben schöpfungstheologischen Hintergrund, zielt aber konkret auf die unzählbare Menge der Nachkommen Davids. Es handelt sich offensichtlich um eine »moderne« Explikation der alten Zusage einer »ewigen Dynastie« (2Sam 7,16).53

Dabei werden mit den Sternen und dem Sand des Meeres zwei Vergleichsgrößen herangezogen, die per se das für Menschen Unzählbare im Raum signalisieren.54 Wahrscheinlich wird damit außerdem der Zeitbegriff ‘ōlām »fernste Zeit«, der eng mit der Davidsverheißung verbunden ist (2Sam 7,13 und Ps 89,29), dadurch fasslich gemacht, dass er sich, wollte man ihn in unterscheidbaren Einheiten auszählen (V. 20 f. legen die stetige Abfolge der Tage und Nächte nahe), genauso im Unendlichen verlöre wie die Sterne und der Sand. Beides, Sterne und Sand, sind in der Hebräischen Bibel Sinnbilder »für eine unendliche Zahl«55. Jer 33,22 betont dies in räumlicher wie besonders in zeitlicher Hinsicht für die Zukunft, so Hermann-Josef Stipp:

»Eher wird die Rhetorik der unermesslichen Vermehrung diachron reinterpretiert und so rationalisiert: Weil die Geschlechter Davids und der Leviten – wie Israel selbst (V. 26) – auf immer fortleben sollen, wird ihre Zahl schließlich mit den Sternen am Himmel und dem Sand des Meeres gleichziehen.«56

3. Fazit: Es liegt dabei einerseits klar auf der Hand, dass Jer 33,19–22 bewusst das unzählbare künftige Israel der Verheißungen an die Väter mit den Verheißungen für die Davidsdynastie und das Priestertum Levis in Analogie setzt.57 Man vergleiche als ältere wie zeitgleiche Bezugstexte für die unzählbare Nachkommenschaft die Väterverheißungen und ihre Rezeption (Sterne und Sand wie in Jer 33,22: Gen 22,17; nur Sterne: Gen 15,5; 26,4; Ex 32,13; Dtn 1,10; 10,22; 28,62; 1Chr 27,23; Neh 9,23; nur Sand: Hos 2,1). Andererseits ist deutlich, dass die beiden Zusagen über die unendliche Dauer des Fortbestands Israels auch im Licht der verlässlichen Himmelsordnung gelesen werden sollen. Die heilsgeschichtlichen Ankündigungen der Väter- und Davidverheißungen werden in einem kosmologischen Horizont begründet. Der schöpfungstheologische Monotheismus des frühen Judentums führt vormals getrennte Linien des sog. dtr. (rechtsbezogenen) und weisheitlich-kosmologischen Denkens (schöpfungsbezogen) zu einem Sachgefüge zusammen. Nicht umsonst besteht in Jer 31,35–37 und 33,19–22 jeweils eine Nähe zu den Bestandszusagen für die ganze Welt nach der Sintflut (Gen 8,22 und Gen 9,1–17), wie sie sich in Übertragung auf die Geschichte auch in dem dtjes. Schlüsseltext Jes 54,7–10 findet (s. o.). Damit komme ich abschließend zu einem auf dieser Linie liegenden Deutungsvorschlag von Gen 15,5–6.

V Gen 15: Das Vertrauen Abrahams auf die Verlässlichkeit JHWHs



Gen 15, wo ein Bundesschluss JHWHs mit Abraham berichtet wird, der in der Lesefolge dem priesterschriftlichen Bundesschlusskapitel Gen 17 voransteht, befindet sich die bekannteste biblische Stelle zum Motiv der (Un-)Zählbarkeit der Sterne:

»5 Und er ließ ihn hinausgehen und sagte: ›Blicke doch zum Himmel und zähle (spr) die Sterne, ob du es vermagst, sie zu zählen (spr)?‹ Da sagte er ihm: ›So wird dein Same (deine Nachkommen) sein!‹ 6 Da vertraute er auf JHWH, und der rechnete (ḥšb) es ihm als Gerechtigkeit (ṣedāqā) an.«

Die Schwierigkeiten für die Deutung des Ganzen und von V. 5 im Verhältnis zu V. 6 sind zahlreich.58 In mancher Hinsicht ist Gen 15 ein singulärer Text, dessen Einzelzüge (auch beim Bundesschluss-Ritual mit der Tierteilung und Theophanie) nur selten eindeutige traditions- und religionsgeschichtliche Einordnungen erlauben. Die Wichtigkeit des Textes für die christliche Rezeption rührt daher, dass man mit Bezug auf Röm 4,3.9.22, wo der Vers zitiert wird, in Gen 15,6 einen Nukleus der paulinischen (und reformatorischen) Lehre von der Rechtfertigung erblickt hat. Diese wirkungsgeschichtliche Hypothek von Gen 15,5–6 hat Folgen bis in aktuelle exegetische Rekonstruktionen hinein.59 Insofern sei zunächst in aller Kürze skizziert, dass Gen 15,1–6 bleibende Mehrdeutigkeiten evoziert und welche Lösungsvorschläge der hier verfolgten Fragestellung zuarbeiten.

1. Einordnung in den Abrahamzklus:

– In Gen 15,2–3 wird – folgt man der überlieferten Leseabfolge des Abrahamzyklus – deutlich das Element des Zweifels Abrahams an der Verheißung aus Gen 17,17–18 antizipiert, das dann in Gen 18,11–12 erneut von Sarah berichtet wird. Diachron spricht viel dafür, die Bezugnahme in umgekehrter Reihenfolge zu verstehen: Der älteste Beleg des Zweifelsmotivs ist Gen 18,1–16 (vorpriesterliche Abraham-Lot-Erzählung), dem der priesterschriftliche Bundesschlusstext Gen 17 vorangestellt wurde. An ihn schloss sich vermutlich noch später Gen 15 mit seinem Bundesschlussritual als Bestätigungszeichen für die unbedingte Heilszusage JHWHs an. Gen 15 betont dabei besonders stark das Vertrauen Abrahams (V. 6).

– In der neuesten Forschung zeichnet sich eine literarhistorische Einordnung von Gen 15 als eine mit keiner anderen Kompositionsschicht des Abrahamzyklus verbundene solitäre Einschaltung ab. Ihr theologiehistorisches Profil ist unter anderem von dtn.-dtr. Elementen geprägt. Es zeigt aber auch viele eigene Züge. Trotz nach wie vor früherer Ansetzungen, mehren sich die Stimmen, die Gen 15 als einen nachpriesterlichen perserzeitlichen Text verstehen.60

2. Elemente aus dem Textablauf Gen 15,1–6 zum Verständnis von V. 5–6:

– Immer wieder wird vermerkt, dass die Einheit Gen 15,1–6 von dem (allerdings unterschiedlich ausgedrückten) Motiv der großen Zahl/Menge umschlossen wird: Dem Heilsorakel V. 1b (»Fürchte dich nicht … dein Lohn ist sehr groß!«) entspricht die Menge der am Himmel stehenden Sterne, von denen Abraham in V. 5b gesagt wird »So (sc. zahlreich/unzählbar) wird dein Same sein«. Vor diesem Hintergrund erscheint es naheliegend, dass für die Deutung der »Anrechnung zur Gerechtigkeit« in V. 6 auch das Versprechen des großen Lohns aus V. 1 mit herangezogen werden muss, um zu einem angemessenen Verständnis des Vertrauens Abrahams zu gelangen.61

– Strittig ist schon auf syntaktischer Ebene, wie V. 5 und V. 6 aufeinander bezogen sind: Es handelt sich nicht um eine homogene Narrativkette, denn auf zweifaches wayyiqtol in V. 5 und die Aufforderung, an den Himmel zu blicken, folgt in V. 6a ein we-qatal, das im Deutschen meist unauffällig wie ein weiterer Narrativ »und er vertraute auf JHWH« wiedergegeben wird. In V. 6b schließt sich wieder ein wayyiqtol an: »Und er rechnete es ihm als Gerechtigkeit an«. Der kurze Satz im waw-Perfekt über den »Glauben« Abrahams kann einerseits als eine Hintergrundinformation (entweder zu V. 5 oder hinsichtlich seines schon lange bewährten Gottvertrauens) gelesen werden und würde dann die Erzählfolge kurz unterbrechen.62 V. 6a könnte aber auch eine Gleichzeitigkeit von Handlungen anzeigen: Mit dem Sehen des Sternenhimmels und dem Hören der deutenden Stimme JHWHs ginge dann das Vertrauenfassen unmittelbar einher: »Während er (Abraham) Jhwh vertraute, sprach der zu ihm: So wird deine Nachkommenschaft sein.«63 Wenn diese Deutung als simultanes Geschehen zutrifft, was m. E. auch im Licht des in diesem Beitrag Erarbeiteten sehr nahe liegt, besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem Sehen der unzähligen Sterne und dem dabei entstehenden Vertrauen Abrahams:

»Im Gefälle des Textes hängt das Vertrauen Abrahams mit den unmittelbar zuvor ergangenen göttlichen Zusagen in V. 4.5 zusammen. […] Damit wird im Textablauf nicht der Umschlag von den Einwänden über deren Beseitigung zum gewonnenen Vertrauen hervorgehoben, sondern die Verheißung von Nachkommen, zahllos wie die Sterne des Himmels, die jene Einwände weit übersteigt. […] Wann hat sich bei Abraham der Umschwung von den Einwänden zum Vertrauen ereignet? Offenbar in der Handlungspause zwischen den beiden unmittelbar aufeinander folgenden Gottesreden angesichts des gestirnten Himmels in V. 5.«64

3. Abrahams Vertrauen als Resonanz auf die Ordnung des Sternenhimmels: Aufschlussreich erscheint mir an dem wie Ps 147, 148, Jes 40 und die Jeremiastellen (s. II und IV) ebenfalls perserzeitlichen Text, dass sich in V. 5–6 eindeutig die Begriffe des Zählens (2mal spr) und Rechnens (ḥšb) wiederfinden.65 Aufgrund des bisher Dargelegten scheint die Aufforderung JHWHs in V. 5, Abraham möge prüfen, ob er die Sterne zählen kann (jkl) auch nicht nur auf den Unterschied zwischen Mensch und Gott zu zielen. Vielmehr habe ich zu zeigen versucht, dass die Wahrnehmung der Himmelsordnungen einen Vertrauensgrund darstellen kann, weil sie nicht nur die unerforschliche Größe Gottes vor Augen stellen, sondern auch und vor allem dessen Handlungsmacht »wie im Himmel so auf Erden« und ganz besonders zugunsten Israels. Insofern ist m. E. die »Gerechtigkeit«, die Gott bei Abraham feststellt und anerkennt, als eine Resonanz auf die Weltordnung zu verstehen, wie sie ihm am Sternenhimmel paradigmatisch aufscheint.66 Das Vertrauen Abrahams auf JHWH ist ebenso tief wahrnehmend wie weise und wissend. Indem JHWH es ihm ausdrücklich als »Gerechtigkeit« anrechnet (ḥšb l + ṣedāqā)67, konstatiert er lediglich, wie Abraham bereits auf den Sternenhimmel, genauer: auf die in dessen größerer Ordnung sichtbare Verlässlichkeit Gottes, reagiert hat.68 Diese Deutung passt gut zu der Paraphrase von Matthias Köckert:

»Sodann ist Abrahams Vertrauen ›angemessen‹ oder ›in Ordnung‹, weil Abraham damit dem Verhältnis entspricht, das Gott seit jenem Anruf in Gen 12,1 bis zur Ankündigung zahlloser Nachkommen in 15,5 ihm eröffnet hat. Schließlich impliziert die Anrechnung des Vertrauens als ṣedāqāh durch Gott heilvolle Folgen für Abraham. Es ist nicht nur eine angemessene, sondern auch eine verdienstliche Tat.«69

4. Fazit und hermeneutischer Schlussgedanke: Auch Gen 15,5–6 lässt sich also im Sinne des Gehalts und der Logik der Ordnungen JHWHs lesen. Die Unermesslichkeit der Myriaden von Sternen wird im Rahmen eines kosmologischen Diskurses der zweiten Hälfte des 1. Jt.s v. Chr. im frühen Judentum als konkretes Zeichen der Zuwendung des Schöpfers zur Welt und besonders zu Israel verstanden. Dem, der allein die Sterne zur Vollzahl zählt und sie alle mit Namen ruft (Ps 147,4; Jes 40,26), ist nichts unmöglich. In genauer Entsprechung hierzu sorgt er sich besonders um Israel und die Niedrigsten und Gefährdeten auf der Erde.

Denkt man von hier noch einmal zurück an Blumenbergs Bemerkung, dass schon die bloße Möglichkeit, dass überhaupt gezählt werden könnte, die »letzte aller anschaulich erreichbaren Garantien für den Weltbestand«70 anzeigt, so liegt darin immer noch ein fernes Echo jenes konkreten Denkens des Unendlichen in der Hebräischen Bibel. Es scheint mir auch angesichts des nach wie vor drängendsten Problems der Gegenwart, dem Klimawandel und seinen katastrophalen Folgen, viel daran zu liegen, dass protestantische Theologie den Bezug zur Kosmologie wiedergewinnt. Sie hat ihn zugunsten einer primären Orientierung am religiösen Subjekt stark vernachlässigt.71 Die konkrete Unendlichkeit des Sternenhimmels, gerade auch in ihrer biblischen Ausdrucksform, könnte hier nach wie vor eine Inspirationsquelle für krisengeplagte, trostbedürftige Menschen des 21. Jahrhunderts sein.

Abstract



Even if one does not follow an evolutionist scheme of the development of thinking in antiquity, a transformation of the guiding conceptions of the world and humans is clearly evident in the monotheistic tradition formation of the Second Temple period. With Psalm 147:4 f. as a reference point, the paper traces how the cosmic transcendence of YHWH, who »counts the stars« he has created (cf. Isa 40:26), indicates his superiority over the limited capacities of humans (the countability of the stars for YHWH corresponds to their uncountability for the human mind, cf. Gen 15:5; Jer 33:22, etc.). A comparison with a hellenistic epithet for the Egyptian god Thot who »calculates the heaven and counts its stars« and Zeus »who watches the stars« in Aratus’ Phaenomena makes clear how biblical texts had their part in broader cosmological transformations in the second half of the 1st millenium B. C. As in other scriptural cultures of the time they attest to a (conceptual) thinking in metaphorical language but not in functional terms as in Greek philosophy. In the case chosen for the paper the verbal and nominal expressions of counting and ordering hint at a specific concept of the infinite via the practical as well as speculative idea of a comprehensive capture of the celestial phenomena (restricted only to the divine): an example of a epistemology of early Jewish texts uniting »empirical« and reflected mythological ways of expression. Finally the article demonstrates how Abraham’s »trust in YHWH« in Gen 15:5–6 fits into this frame since it can be understood as a deep response to the »order of heaven« as a symbol for the reliability of YHWH’s will to look after the needs of his people.

Fussnoten:

1) Bernd Janowski zum 80. Geburtstag. – Der Beitrag geht auf ein short paper in englischer Sprache im Rahmen der Session »Conceptual Thinking in the Ancient Mediterranean World« beim IOSOT 2022 in Zürich zurück.
2) Hans Blumenberg, Die Vollzähligkeit der Sterne, Frankfurt a. M. 1997,16–19.
3) Hans Carossa, Der alte Brunnen, in: Ludwig Reiners (Hg.), Der ewige Brunnen. Ein Hausbuch deutscher Dichtung, München 1990 (1955), 337.
4) Blumenberg, Vollzähligkeit (s. Anm. 2), 16 (Hervorhebung i. O.).
5) Wilhelm Hey, Weißt du, wieviel Sterne stehen, in: Reiners (Hg.), Brunnen (s. Anm. 3), 28.
6) Blumenberg, Vollzähligkeit (s. Anm. 2), 17 (Hervorhebung i. O.).
7) Immanuel Kant, Kritik der Praktischen Vernunft, PhB 38, Hamburg 1963 (91929), 186: »Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.« (Hervorhebung i. O.)
8) Charles Taylor, Das sprachbegabte Tier. Grundzüge des menschlichen Sprachvermögens, Berlin 2017. Er beruft sich dazu u. a. auf die Ritualtheorie von Roy A. Rappaport (Ders., Ritual and Religion in the Making of Humanity, Cambridge 62004), der seinerseits antike Beispiele wie den ägyptischen Tempelkult zur Unterstreichung seiner These heranzieht.
9) Vgl. Mark Turner, The Origins of Ideas: Blending, Creativity, and the Human Spark, Oxford 2014, 16–21.
10) Geprägt wurde dieser Begriff von dem Assyriologen Benno Landsberger, Die Eigenbegrifflichkeit der babylonischen Welt, Islamica 2 (1926), 355–372. Seine Fachkollegin Francesca Rochberg erläutert dies als »Conceptual Autonomy« und diskutiert die Problematik der kulturellen »otherness« und einer »emic/etic dis-tinction« (vgl. Dies., Before Nature: Cuneiform Knowledge and the History of Science, Chicago/London 2016, 43).
11) Vgl. Franz Sedlmeier, Jerusalem – Jahwes Bau. Untersuchungen zu Komposition und Theologie von Psalm 147 (fzb 79), Würzburg 1996, 244–247.
12) Joachim Conrad, Art. spr, ThWAT V, 1986, 910–921, 911.
13) A. a. O., 916.
14) Joachim Conrad, Art. mnh, ThWAT IV, 1984, 976–980, 977.
15) Zu Ps 8 vgl. Bernd Janowski, »Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst?«. Psalm 8 als Grundtext biblischer Anthropologie, in: Ders., Leben in Gottes Gegenwart. Beiträge zur Theologie und Anthropologie des Alten Testaments 7, Göttingen 2021, 3–35.
16) Zu Ps 147 vgl. neben Sedlmeier, Jerusalem (s. Anm. 11): Frank-Lothar Hossfeld/Erich Zenger, Psalmen 101–150 (HThK.AT), Freiburg/Basel/Wien 2008, 824–837 (Zenger); Alma Brodersen, Die Bedeutung der Schöpfungsaussagen für die Theologie von Psalm 147 (BThSt 134), Neukirchen-Vluyn 2013.
17) Zu Ps 148 und zur Abfolge Ps 147–148 vgl. Hossfeld/Zenger, Psalmen (s. Anm. 16), 838–853 (Zenger); Egbert Ballhorn, Zum Telos des Psalters. Der Textzusammenhang des Vierten und Fünften Psalmenbuches (Ps 90–150) (BBB 138), Wien 2004, 310–322; anders Alma Brodersen, The End of the Psalter: Psalms 146–150 in the Masoretic Text, the Dead Sea Scrolls, and the Septuagint (BZAW 505), Berlin/Boston 2017, 131–171 (Ps 148); 172–228 (Ps 147).
18) Diese Textgruppe, die noch eine Reihe weiterer atl. und frühjüdischer Belege für Ordnungen als Grenzsetzungen umfasst, behandelt mein Hauptvortrag beim IOSOT 2022 in Zürich, der unter dem Titel »Die Kosmisierung des Chaos. Neue Erkenntnisse zu einer zentralen Denkfigur alttestamentlicher und frühjüdischer Weisheitstraditionen« im Kongressband (hg. von Konrad Schmid, VT.S, Leiden/Boston 2023) publiziert wird.
19) Vgl. Francesca Rochberg, The Heavenly Writing: Divination, Horoscopy, and Astronomy in Mesopotamian Culture, Cambridge/New York/Melbourne u. a. 2004.
20) Rochberg, Laws (s. Anm. 10), 179 f.
21) Konrad Schmid/Christoph Uehlinger (Hg.), Laws Of Heaven – Laws of Nature: Legal Interpretations of Cosmic Phenomena in the Ancient World (OBO 276), Fribourg/Göttingen 2016. Vgl. die Tora als Seins- und Erkenntnisprinzip in antik-jüdischen Texten wie Ps 19. Martin Hengel nannte dies einst ein »›ontologische[s]‹ Toraverständnis«, vgl. Ders., Judentum und Hellenismus. Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des 2. Jh.s v. Chr. (WUNT 10), Tübingen 21973, 311.
22) Gerhard Liedke, Gestalt und Bezeichnung alttestamentlicher Rechtssätze. Eine formgeschichtlich-terminologische Studie, WMANT 39, Neukirchen-Vluyn 1971, 154–177.
23) A. a. O., 170.
24) A. a. O., 171.
25) Auch die traditionsgeschichtlich ältere mythologische Rede vom »Heer des Himmels«, das JHWH Zebaoth (der »Herr der Heerscharen«) regiert, wird in diesem Licht rationalisiert, ohne dabei den mythischen Gehalt ganz aufzugeben. Zum traditions- und religionsgeschichtlichen Hintergrund dieser Transformation vgl. Matthias Albani, Der eine Gott und die himmlischen Heerscharen. Zur Begründung des Monotheismus bei Deuterojesaja im Horizont der Astralisierung des Gottesverständnisses im Alten Orient (ABG 1), Leipzig 2000.
26) Vgl. Ps 147,5: »Für seine Einsicht gibt es kein Maß« sowie Jes 40,13: »Wer hat dem Geist JHWHs das Maß bestimmt?«, mit teils anderer Begrifflichkeit wie Ps 147,5.
27) Vgl. dazu explizit auch Dan 5,25 f., wonach JHWH die Herrschaftsdauer Belsazars »gezählt« hat (mnh) und Ps 90,12, wo um die Weisheit gebeten wird, die eigenen Tage »zählen« (mnh) zu lernen).
28) Vgl. die Arbeiten von Klaus Koch, z. B. Ders., Geschichte der ägyptischen Religion. Von den Pyramiden bis zu den Mysterien der Isis, Stuttgart/Berlin/Köln 1993, 519–538; Ders., Die Gesetze des gestirnten Himmels als Manifestationen der Herrschaft Gottes über Raum und Zeit. Die Rezeption der Schöpfungsüberlieferung mittels internationaler Weisheit im astronomischen Henochbuch, in: Ders., Die aramäische Rezeption der hebräischen Bibel. Studien zur Targumik und Apokalyptik. Gesammelte Aufsätze 4, Neukirchen-Vluyn 2003, 21–42; siehe auch Matthias Albani, Astronomie und Schöpfungsglaube. Untersuchungen zum astronomischen Henochbuch (WMANT 68), Neukirchen-Vluyn 1994; Ders., »Kannst du die Sternbilder hervortreten lassen zur rechten Zeit …?« (Hi 38,32). Gott und Gestirne im Alten Testament und im Alten Orient, in: Bernd Janowski/Beate Ego (Hg.), Das biblische Weltbild und seine altorientalischen Kontexte (FAT 32), Tübingen 2001, 181–226.
29) Hans Bonnet, Reallexikon der Ägyptischen Religionsgeschichte, Berlin/New York 21971, 805–812, 806 f.
30) A. a. O., 808.
31) A. a. O., 809; vgl. auch Richard L. Vos, Art. Thoth, in: Karel van der Toorn/Bob Becking/Pieter W. van der Horst (Hg.), Dictionary of Deities and Demons in the Bible, Leiden/Boston/Köln 21999, 861–864.
32) Dieter Kurth, Edfou VI (Die Inschriften des Tempels von Edfu. Abteilung I: Übersetzungen Band 3), Gladbeck 2014, 44 (Hervorhebung FH).
33) Christian Leitz (Hg.), Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen V: ḥ-ḫ (Orientalia Lovaniensia Analacta 114), Leuven/Paris/Dudley, MA 2002, 483; 484; 485.
34) Vgl. zur Wurzelverwandtschaft Ges 18, 405.
35) Martin Andreas Stadler, Weiser und Wesir. Studien zu Vorkommen, Rolle und Wesen des Gottes Thot im ägyptischen Totenbuch, ORA 1, Tübingen 2009, 440.
36) Stadler, Weiser (s. Anm. 35), 443.
37) Manfred Erren (Hg.), Aratos Phainomena. Sternbilder und Wetterzeichen. Griechisch-deutsch (Tusculum Bücherei), München 1971, 112.
38) Albrecht Dihle, Griechische Literaturgeschichte. Von Homer bis zum Hellenismus, München 31998, 307.
39) Katharina Volk, Letters in the Sky: Reading the Signs in Aratus’Phaenomena, The American Journal of Philology 133 (2012), 209–240, 209.
40) Vincent Clausing-Lage, Aratos Phainomena. Astronomische und meteorologische Phänomene als Bilder der Umwelt, Dissertation, Eberhard Karls Universität Tübingen, 2019, 29 (Hervorhebung FH); Clausing-Lage übersetzte ἐσκέψατω mit »beobachtete«, Volk, Letters (s. Anm. 39), 210, mit »organized«, Erren, Aratos (s. Anm. 37), 7, mit »bedachte«, was die Bandbreite der Sinnmöglichkeiten des Verbs gut abbildet.
41) Volk, Letters (s. Anm. 39), 214.
42) Clausing-Lage, Aratos (s. Anm. 40), 29.
43) A. a. O., 31.
44) Erren, Aratos (s. Anm. 37), 7.
45) Z. 768 f. nach Erren, Aratos (s. Anm. 37), 47; vgl. Volk, Letters (s. Anm. 39), 227.
46) Clausing-Lage, Aratos (s. Anm. 42), 33 (Hinzufügung in eckigen Klammern FH).
47) Zu Ps 136 vgl. die eingehende Analyse und Interpretation von Judith Gärtner, Die Geschichtspsalmen. Eine Studie zu den Psalmen 78, 105, 106, 135 und 136 als hermeneutische Schlüsseltexte im Psalter (FAT 84), Tübingen 2012, 291–321.
48) Vgl. dazu Friedhelm Hartenstein, Wunder im Alten Testament. Zur theo-logischen Begrifflichkeit für das Außerordentliche in der Hebräischen Bibel (pl’, pælæ’ und niflā’ōt), in: Ders., Die bleibende Bedeutung des Alten Testaments. Studien zur Relevanz des ersten Kanonteils für Theologie und Kirche (BThSt 165), Göttingen 2016, 269–307.
49) Siehe dazu Konrad Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches. Untersuchungen zur Redaktions- und Rezeptionsgeschichte von Jer 30–33 im Kontext des Buches (WMANT 72), Neukirchen-Vluyn 1996, 174 f.; Gunther Wanke, Jeremia. Teilband 2: Jeremia 25,15–52,34 (ZBK.AT), Zürich 2003, 295 f.
50) Vgl. dazu Jörg Jeremias, Theologie des Alten Testaments (GAT 6), Göttingen 2015, 299 f.488 f.
51) Literarhistorisch ist umstritten, ob es sich bei Jer 31,35–37 um eine Fortschreibung von Jer 31,27–28.29–30.31–34 handelt oder ob die Texte auf einer kompositorischen Ebene liegen, wie Hermann-Josef Stipp, Jeremia 25–52 (HAT I/12,2), Tübingen 2019, 286, annimmt.
52) Jer 33,14–26 gehört zum hebräischen Überschuss des Jeremiabuchs (MT), die Verse fehlen in der griechischen Übersetzung (LXX), vgl. dazu Stipp, Jeremia (s. Anm. 51), 23; 365.
53) Vgl. dazu Schmid, Buchgestalten (s. Anm. 49), 58 f.; Michael Pietsch, »Dieser ist der Sproß Davids …«. Studien zur Rezeptionsgeschichte der Nathanverheißung im alttestamentlichen, zwischentestamentlichen und neutestamentlichen Schrifttum (WMANT 100), Neukirchen-Vluyn 2003, 75–92.
54) Vgl. Arvid Kapelrud, Art. ḥōl, ThWAT II, 1977, 803 f.
55) Ronald E. Clements, Art. kōkāb, ThWAT IV, 1984, 79–91, 87.
56) Stipp, Jeremia (s. Anm. 51), 373.
57) Sie sind auch alle durch eine Bundesverpflichtung, die als Setzung JHWHs gedeutet wird, miteinander verbunden (vgl. für Levi: Mal 2,4–5).
58) Vgl. zur Forschung einerseits Rudolf Mosis, »Glauben« und »Gerechtigkeit« – zu Gen 15,6, in: Manfred Görg (Hg.), Die Väter Israels. Beiträge zur Theo-logie der Patriarchenüberlieferungen im Alten Testament, FS Josef Scharbert, Stuttgart 1989, 225–257; Christoph Levin, Jahwe und Abraham im Dialog: Genesis 15, in: Markus Witte (Hg.), Gott und Mensch im Dialog, FS Otto Kaiser (BZAW 345/I), Berlin/New York 2004, 237–257; Matthias Köckert, Gen 15: Vom »Urgestein« der Väterüberlieferung zum »theologischen Programmtext der späten Perserzeit«, ZAW 125 (2013), 25–48; H. Irsigler, Gottesbilder des Alten Testaments. Von Israels Anfängen bis zum Ende der exilischen Epoche Teilband I, Freiburg/Basel/Wien 2021, 510–516.
59) Vgl. dazu besonders Matthias Köckert, »Glaube« und »Gerechtigkeit« in Gen 15,6, ZThK 109 (2012), 415–444, bes. 415–418.
60) Vgl. die Beiträge von Köckert, Gen 15 (s. Anm. 58), und Ders., »Glaube« (s. Anm. 59) sowie Erhard Blum, The Linguistic Dating of Biblical Texts. An Approach with Methodological Limitations, in: Jan C. Gertz/Bernard M. Levinson/Dalit Rom-Shiloni/Konrad Schmid (Hgg.), The Formation of the Pentateuch: Bridging the Academic Cultures of Europe, Israel, and North America (FAT 111), Tübingen 2016, 303–325, 322.
61) Vgl. Köckert, »Glaube« (s. Anm. 59), 436–438.
62) Ina Willi-Plein, Das Buch Genesis. Kapitel 12–50 (NSK.AT), Stuttgart 2011, 59.
63) Köckert, »Glaube« (s. Anm. 59), 434; vgl. entsprechend Blum, Dating (s. Anm. 60), 322, Anm. 75.
64) A. a. O., 435.
65) Für eine Evaluierung des Bedeutungsumfangs des Verbs ḥšb, bei dem der Aspekt des »Rechnens« leitend ist, vgl. Köckert, »Glaube« (s. Anm. 59), 426–430.
66) Die Lexeme der Wurzel ṣdq, besonders die Nomina, haben oft Konnotationen einer Weltordnung, in der die Sozialsphäre (das Füreinanderhandeln) und der Kosmos (als Prozess ständiger Ordnungsstabilisierung) wechselseitig aufeinander verwiesen sind; so mit Jan Assmann, Ma’at. Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im Alten Ägypten, München 1990. Vgl. aus der alttestamentlichen Forschung mit Einschränkungen immer noch Hans Heinrich Schmid, Gerechtigkeit als Weltordnung. Hintergrund und Geschichte des alttestamentlichen Gerechtigkeitsbegriffes (BHTh 40), Tübingen 1968; Klaus Koch, Art. ṣdq, THAT II, 1979, 507–530.
67) Vgl. Ernst Jenni, Die hebräischen Präpositionen. Band 3: Die Präposition Lamed, 98 f. (Rubrik 355: »Zurechnen«, mit dem Hinweis auf Gen 15,6 und weitere Belege für ḥšb, spr, t’h und ’rk + l).
68) Eine wichtige Parallele, die diese Interpretation stützen kann, ist die Gen 15,6 rezipierende Aussage über Pinchas in Ps 106,30–31, dem sein (interzessorisches?) Eingreifen »zur Gerechtigkeit angerechnet wird von Generation zu Generation bis in fernste Zeit«; vgl. dazu Gärtner, Geschichtspsalmen (s. Anm. 47), 219–222, 221 f.
69) Köckert, »Glaube« (s. Anm. 59), 437 f. (Hervorhebung i. O.).
70) Blumenberg, Vollzähligkeit (s. Anm. 2), 17 (Hervorhebung: FH).
71) Vgl. dazu Friedhelm Hartenstein, Kosmologische Defizite und biblisch-hermeneutische Anregungen. Was lässt sich aus der Coronapandemie für theologisches Denken lernen?, ThR 86 (2021), 271–285. – Ich verweise zu dieser Thematik auch auf das neue Buch von Bernd Janowski, Biblischer Schöpfungsglaube. Religionsgeschichte – Theologie – Ethik, Tübingen 2023.