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Ausgabe:

April/2023

Spalte:

372-373

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Krabbe, Alfred, Niemann, Hermann Michael, u. Thomas von Woedtke [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Künstliche Intelligenz. Macht der Maschinen und Algorithmen zwischen Utopie und Realität.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2022. 176 S. m. Abb. = Erkenntnis und Glaube. Schriften der Evangelischen Forschungsakademie, 52. Kart. EUR 32,00. ISBN 9783374071159.

Rezensent:

Frederike van Oorschot

Das Ziel des Bandes ist die interdisziplinäre Diskussion der »Macht der Maschinen und Algorithmen«. Die Beiträge folgen dabei überwiegend einem sprachkritischen Ansatz: Die Autoren und Autorinnen folgen mit diesem Zugang der in der Einleitung skizzierten Schwierigkeit, die unter den Begriff »Künstliche Intelligenz« (KI) gefassten Technologien zu fassen. Dabei stellt die assoziative begriffliche Verbindung von Mensch und Maschine eine besondere Herausforderung dar: Zum einen werden »(Computer-)Systeme und Prozesse mit biologischen und menschlichen Eigenschaften, Fähigkeiten und Prozessen« verbunden – zum anderen kommt es zur »Rückassoziation« und somit zur »Humanisierung« und »Biologisierung« von Maschinen (11).

So beginnt die technische Beschreibung mit einer begrifflichen und historischen Einordnung. Wilfried Hanisch und Sebastian Rudolph definieren KI mit Minsky als maschinelles Handeln, das Intelligenz unterstellt, dieses jedoch nicht nachbildet. Sie basiert auf maschinellem Lernen und einer spezifischen Form der Wissensrepräsentation. Ausführlich stellen Hanisch/Rudolph den Aufbau eines intelligenten Systems dar und schreiben KI abschließend den Status als »Methode« und »Werkzeug« zu, das politischer Regulierung bedarf.

Eine kritische Diskussion von »Intelligenz« aus psychologischer Sicht bietet Joachim Funke: Er führt in Konzepte von Intelligenz ein und votiert für die Ausweitung des Begriffes angesichts seiner unverzichtbaren Funktion als gesellschaftlicher Selektionsmarker. Peter Liggesmeyer beschreibt KI aus technischer Sicht als eine »spezielle Form der statistischen Datenanalyse«, die mit dem Begriff »Intelligenz« nicht treffend beschrieben ist (118). Franz Danksagmüller bettet diese Diskussion in die historische Entwicklung automatisierter Maschinen in verschiedenen Feldern der Kunst ein und stellt heraus, dass die Grenzen zwischen Technologie und Magie seit jeher weniger auf der »Bühne« als in den Köpfen der Rezipienten zu finden ist (83).

Die angeklungenen anthropologischen Fragen diskutiert Dirk Evers: Ausgehend von einer Rekonstruktion der Rede von der Gottebenbildlichkeit skizziert er die Differenzen zwischen Mensch und Maschine im Blick auf intentionale Kapazität und den Gottesbezug des Menschen.

Während sich die bisher skizzierten Beiträge kritisch zu den – semantisch und historisch implizierten – Erwartungen maschineller Akteure verhalten, skizziert Catrin Misselhorn eine Maschinenethik. Grundlage ist die These, dass jede automatisierte Maschine moralische Entscheidungen trifft, wenn diese nicht direkter menschlicher Steuerung unterliegt. Misselhorn führt dafür drei aus ihrem gleichnamigen Band bekannten Grundsätze einer Maschinenethik (Förderung der Selbstbestimmung der Menschen durch KI; keine Entscheidungen über Leben und Tod; substantielle Verantwortung des Menschen) ein.

Der Band bietet in seiner Komposition eine interdisziplinär fruchtbar komponierte Einführung in die Materie und ist dabei durchaus kontrovers angelegt im Blick auf die Frage nach Maschinen als möglichen Akteuren moralischer Entscheidungen: Während diese von Hanisch/Rudolph und Liggesmeyer aus technischer Perspektive verneint wird, entwirft die von Misselhorn vorgelegte Maschinenethik die Rahmenbedingungen für moralisches maschinelles Handeln. Die Spannung zwischen diesen Positionen – die eine Divergenz zwischen den Technikwissenschaften und der Maschinen- und KI-Ethik insgesamt spiegelt – wird jedoch nicht explizit benannt. Herausgestellt sei das Interesse an der semantischen Konstruktion von Künstlicher Intelligenz als anthropomorpher Kategorie – und ihrer Kritik. Gerade die technikwissenschaftlichen Beiträge bieten eine präzise und verständliche Einführung und grundieren die Debatten um sprachliche und konzeptionelle (Re-)Konstruktionen von Künstlicher Intelligenz sehr konstruktiv.

Der Band stellt eine hilfreiche Einführung in Debatten dar und ermöglicht durch Hinweise auf weiterführende Literatur eine vertiefende Beschäftigung mit dem Themenfeld.