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Ausgabe:

April/2023

Spalte:

364-366

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Dyckhoff, Peter

Titel/Untertitel:

Leben in Freundschaft mit Gott. Geistlich leben nach Franz von Sales.

Verlag:

Leipzig: St. Benno Verlag 2022. 398 S. Geb. EUR 18,95. ISBN 9783746261058.

Rezensent:

Dorothea Greiner

Dem Buch »Leben in Freundschaft mit Gott« von Peter Dyckhoff (im Folgenden zitiert mit »Leben«) liegt die »Anleitung zum Geistlichen Leben« von Franz von Sales zugrunde. Diese wird in Deutschland meist nur mit ihrem Untertitel »Philothea« benannt.

D. folgt bei der Wiedergabe der Philothea völlig dem Aufbau des Ursprungswerkes, indem er deren Gliederung in Vorwort und fünf Teile mit insgesamt 119 Kapiteln übernimmt. D. nutzt dabei allerdings heutige Sprache und Gedankenwelt, um die Ausführungen des Franz von Sales (FvS) weitgehend ihrer Aussageintention entsprechend − doch eben für heutige Leser und Leserinnen eingängig − wiederzugeben. Das gelingt ihm insofern, als sich »Leben in Freundschaft mit Gott« flüssig liest.

Zunächst zur Philothea des FvS selbst. Sie entstand, nachdem Franz von Sales – damals Fürstbischof von Genf − Frau von Charmoisy geistlich begleitet hatte durch Briefe, die er ihr schrieb. Aufgrund des Rates eines Ordensmannes veröffentlichte er diese Briefe im Jahr 1609 in systematisierter Form. Die fünfte von FvS selbst bearbeitete Auflage umfasste 16 Kapitel mehr als die erste. Sie liegt der wissenschaftlichen Ausgabe »Anleitung zum Frommen Leben, Philothea, Werke des Hl. Franz von Sales Bd 1, hg. v. den Oblaten des hl. Franz von Sales unter Leitung von P. Dr. Franz Reisinger OSFS, Eichstätt und Wien 1959«, zugrunde, aus der hier im Folgenden (mit »Anleitung«) zitiert wird. Diese wissenschaftliche Ausgabe mit ihren 26 Bänden ist ihrerseits eine Übersetzung der vollständigen Ausgabe der Œuvres de Saint Francois de Sales, die von Salesianerinnen bzw. vom Orden der Heimsuchung Mariä zu Annecy in den Jahren 1892−1931 erarbeitet wurde.

Die Philothea hat unzählige Übertragungen und Übersetzungen erlebt. Ihre wirkungsgeschichtliche Bedeutung betont Peter D., wenn er in seiner Hinführung hervorhebt: »Das Buch erlebte sofort einen großen Erfolg: Innerhalb von zehn Jahren erschienen mehr als vierzig Auflagen in französischer Sprache« (Leben, 7). Auch lässt er auf S. 385 ff. »Stimmen der Wertschätzung« zur Sprache kommen, von denen etwa der Historiker Karl Böck (1916−2009) meint: »Nach der Heiligen Schrift und der Nachfolge Christi gehört die Philothea zu den am meisten verbreiteten religiösen Büchern der katholischen Christenheit im Abendland von 1600−1900« (388 f.).

Anders als in der römisch-katholischen Kirche ist die Philothea im evangelischen Kontext wenig bekannt. Das verwundert insofern nicht, als Franz von Sales zu den Gegenreformatoren zählt und für ihn die Anrufung Marias und der Heiligen zur angebotenen geistlichen Übung gehört. Andererseits ist dieses Werk auch für evangelische Christen höchst lesenswert, weil FvS eine Wende ähnlich der Luthers erlebte. Er beschäftigte sich eingehend mit Calvin und geriet durch dessen doppelte Prädestinationslehre in höchste Seelennöte. Er flüchtete aus diesen Nöten, indem er sich der Gnade Gottes anvertraute und einen in Christus gegründeten Heilsoptimismus entwickelte. Daher ist die Philothea im Grundzug ihrer Aszetik mit lutherischer Frömmigkeit bis auf einige Seitenthemen vereinbar.

Die fehlende Rezeption in evangelischen Kreisen könnte sich endlich mit der Veröffentlichung des rezensierten Buchs ändern, weil D. auch von evangelischen Christen gelesen wird, die an geistlicher Vertiefung interessiert sind. Er schreibt in seiner Einleitung, dass seine Weise, die Philothea in eigenen Worten wiederzugeben, in keiner Weise wissenschaftlichen Kriterien genügt.

Wie D. arbeitet, wird schon in den ersten Sätzen des Vorwortes des FvS erkennbar. FvS erzählt konkret malend von der Blumenbinderin Glykera, die es verstand, »so geschickt, ihre Blumen auf mannigfache Art zusammenzustellen, daß der Maler Pausias, der die verschiedenen Sträuße zu malen versuchte, nicht imstande war, ihre stets neue Farbenpracht auf die Leinwand zu bringen, wie sie Glykera durch geschickte Anordnung der Blumen hervorzauberte« (Anleitung, 25). D. beginnt das Vorwort wie folgt: »Eine gute Blumenbinderin versteht es, einzelne, verschiedene Blumen zu herrlichen Sträußen zusammenzustecken. Kein Strauß gleicht dem anderen« (Leben, 21). Er lässt die unbekannte Blumenbinderin und im Folgenden viele weitere uns nicht geläufige Namen einfach weg.

Er gibt auch grundlegende Gedanken des FvS teils sehr frei wieder. Dazu ein Beispiel: FvS artikuliert an dieser Stelle sein Proprium. Sein Strauß dargebotener Blumen und Heilkräuter will nicht – wie bei vielen Predigern und Mystikern vor ihm – »zur Weltflucht bewegen«. »Ich dagegen will gerade jenen helfen, die in der Stadt, im Haushalt oder bei Hofe leben [...] Bei ihnen findet man oft die irrige Ansicht, ihnen sei das Streben nach Frömmigkeit unmöglich; sie wollen daran also nicht einmal denken« (25). Glaubende Menschen mitten im Arbeitsleben will er ermutigen. Bei D. klingt das wie folgt: »Die heilende Kraft bestimmter Pflanzen verlangt keine Voraussetzung − nicht einmal, dass man an sie glaubt.« Und: »Lebst du mitten in der Welt und hast bestimmte Aufgaben und Pflichten, ja auch wenn du unter Druck und Spannungen stehst, so kannst du trotzdem ein geistliches Leben aufbauen und führen, das dein eigentliches Wesen ans Licht bringt und dich vor eigenen Fehlern und Verletzungen durch andere bewahrt.« (Leben, 21 f.)

Nicht nur die Differenz in der Ausdrucksweise ist also groß. Vielmehr trägt D. das, was ihm für heutige Menschen relevant erscheint, ein. Die Anleitung zum geistlichen Leben des FvS und des Autors vermischen sich unlöslich.

D., 1937 geboren, Psychologe und Unternehmer, studierte mit 40 Jahren katholische Theologie, wurde Priester, promovierte über das christliche Ruhegebet, zu dem er bis heute Lehrpersonen ausbildet. Seine Tätigkeit als Exerzitienbegleiter scheint durch alle Zeilen dieses Buches durch. Denn seine Intention ist es – laut seiner eigenen Hinführung –, dass sein Buch zum »Lebensbegleiter« wird, »den Sie immer wieder regelmäßig zur Hand nehmen«. Es »möchte Ihnen zu einer größeren inneren Freiheit helfen, Sie auf die Größe und den Reichtum Ihrer Seele aufmerksam machen und die Sehnsucht eines jeden Menschen nähren, Heimat und Ewigkeit in Gott zu finden« (Leben, 11).

Lässt man sich auf diese Autoren-Melange und auf diesen geistlichen Weg ein, so bietet das Buch eine Fülle geistlicher Gedanken, denen es sich nachzusinnen lohnt, und einen fast unerschöpflichen Reichtum an Gebeten, in die man beim Lesen hineingenommen wird. Durch dieses Mitvollziehen der Gebete wird die Lektüre zur geistlichen Übung. Insbesondere die Hingabegebete, die zu jeder der zehn »Betrachtungen« im ersten Buchteil gehören, atmen geistliche Tiefe, Schönheit und Freiheit.

Der gedankliche Weg des Buches ist zirkulär vertiefend, weil FvS selbst − und Dieckhoff mit ihm − beispielsweise im ersten Teil bereits rät, den geistlichen Weg mit dem Beicht- bzw. Versöhnungssakrament zu beginnen. Dessen Wirkung führt er dann im zweiten Kapitel nochmals aus.

Abschließend seien die Titel der fünf Buchabschnitte genannt, die zugleich Zielangaben sind: 1. Teil: Lass dich da abholen, wo du stehst, und dich weiterführen; 2. Teil: Empfehlungen, damit Leben gelingt und sich die Seele zu Gott erhebt. Das Gebet und die Sakramente; 3. Teil: Hinweise für ein Gott gefälliges Leben; 4. Teil: Ratschläge, um Versuchungen zu widerstehen; 5. Teil: Übungen und Hilfen zur Erneuerung des Glaubens und zur Stärkung der Seelenkräfte.

Insgesamt liegt ein empfehlenswertes Buch vor – gerade für evangelisch geprägte Menschen, denen Kontroverstheologisches weniger wichtig ist als wachsende Gottesliebe.