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Ausgabe:

April/2023

Spalte:

327-329

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Dafni, Evangelia G. [Ed.]

Titel/Untertitel:

Law and Justice in Jerusalem, Babylon and Hellas. Studies on the Theology of the Septuagint. Vol. III.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2021. XX, 459 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 475. Lw. EUR 154,00. ISBN 9783161610424.

Rezensent:

Stefan Krauter

Der Band ist als Abrundung der Trilogie von Beiträgen zur Theologie der Septuaginta (nach den Bänden »Gottesschau – Gotteserkenntnis« von 2017 und »Divine Kingdom and Kingdoms of Men« von 2019) gedacht. Die einzelnen Beiträge, häufig von Forschern und Forscherinnen, die bereits an den beiden Vorgängerbänden beteiligt waren, kreisen wieder um die Frage, ob es eine Theologie der Septuaginta geben kann: Kann man eine Übersetzung, zumal eine von verschiedenen Übersetzern über einen längeren Zeitraum erstellte, in Hinblick auf ihr inhaltliches Eigenprofil gegenüber der Vorlage analysieren und gar eine synthetische Zusammenschau erarbeiten? Die gemeinsame Herangehensweise aller Beteiligen scheint zu sein, dass dies jedenfalls nur möglich ist, wenn die Differenzen zwischen hebräischer bzw. aramäischer Vorlage und griechischem Text für jede Passage und jedes Thema sorgfältig textgeschichtlich, kulturgeschichtlich und rezeptionsgeschichtlich untersucht und eingeordnet werden.

Die von 16 Autoren und Autorinnen stammenden 23 Beiträge, die hier nicht einzeln aufgelistet oder referiert werden sollen, geben immer wieder interessante Einblicke in die Übersetzungs-, Deutungs- und Inkulturationsprozesse, die zwischen einem Text der Hebräischen Bibel als dem einen Pol und dem entsprechenden Septuagintatext des christlichen Alten Testaments als anderem Pol ablaufen. Martin Meiser arbeitet z. B. in seiner kurzen Studie »Exodus 22:27(28)LXX in Ancient Jewish and Christian literature« (265–279) detailliert heraus, wie Ex 22,27(28) sich in der griechischen Version (»Du sollst Götter nicht schmähen und nicht schlecht über die Herrscher deines Volkes sprechen«) sprachlich und dadurch inhaltlich verändert, wie das neue Sinnpotential von antiken jüdischen Auslegern aufgenommen und für ihre Lebenssituation unter nichtjüdischer Herrschaft fruchtbar gemacht wird und wie (man kann zwischen den Zeilen lesen: leider) die Ausleger des antiken Christentums diese Linien nicht aufnehmen. Ähnlich zeichnet Gillian Mary Clare Bonney in »Sin and Evil according to Philo of Alexandria. Some traces of his exegesis in Genesis in some Christian authors« (97–111) nach, wie Philos Exegese des Septuagintatextes der Genesis den Umgang des antiken Christentums mit diesem Buch maßgeblich beeinflusst hat. Das heißt jedoch, dass der Vergleich, den heutige Rezipienten beinahe unwillkürlich machen würden, nämlich zwischen dem ersten Buch der Hebräischen Bibel und den Aussagen antiker christlicher Theologen, direkt gar nicht sinnvoll ist, weil er die dazwischen stattgefunden habenden Übersetzungs- und Interpretationsprozesse ausblendet. Evangelia G. Dafni bringt in ihrem langen Beitrag »Das Böse und Gottes Gerechtigkeit im Alten Testament und in Euripides Hippolytos. Zur Klärung des kulturellen und sprachtheologischen Hintergrunds der Septuaginta« (17–76) die biblische Urgeschichte und eine griechische Tragödie in einen erhellenden Dialog zum Thema willentlicher bzw. unwissentlicher Schuld. Ob man freilich ihre Schlussfolgerung, die LXX-Übersetzer hätten »euripideisches Sprach- und Gedankengut« genutzt, folgen möchte, muss wohl offenbleiben.

Die Liste detailreich gearbeiteter, neue Zusammenhänge erschließender Untersuchungen in dem Band ließe sich verlängern. In ihnen liegt die Stärke dieses Bandes. Was sich jedoch (mir jedenfalls) nicht erschließt, ist ein verbindendes Thema des ganzen Bandes. Der Titel ist eher irreführend. Er lässt vermuten, es gehe um Rechtsgeschichte, d. h. Vorstellungen und Praktiken von Recht und Gerechtigkeit würden anhand von Septuagintatexten vom Alten Orient bis ins hellenistische und römische Griechenland verfolgt. Das leistet der Band jedoch nicht. Vielmehr stehen die drei Abschnitte »Natural and Moral Evil«, »Law and Justice« sowie »Jerusalem and Babylon« einigermaßen beziehungslos hintereinander.

Das kurze Vorwort deutet an, es gehe um ein Triptychon »Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft« der Septuaginta. Doch was das bedeuten soll, wird nirgends erklärt – auch nicht in den Vorgängerbänden. Eine ausführliche thematische Einleitung zum Band, die die Konzeption und die Methodik darstellen, in das Oberthema einführen und Verknüpfungen zwischen den Beiträgen aufzeigen würde, fehlt. Der Klappentext sagt »experts [...] are given free rein to express themselves«. Der Gesamteindruck des Bandes bestätigt das leider.