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Ausgabe:

März/2023

Spalte:

193–194

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Glowasky, Michael

Titel/Untertitel:

Rhetoric and Scripture in Augustine’s Homiletic Strategy. Tracing the Narrative of Christian Maturation.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2021. VIII, 195 S. = Vigiliae Christianae. Supplements, 166. Geb. EUR 104,00. ISBN 9789004446687.

Rezensent:

Clemens Weidmann

Bei diesem Buch handelt es sich um die gedruckte Fassung einer bei Carol Harrison und Lewis Ayres an der Universität von Durham verfassten Dissertation. Michael Glowasky, mittlerweile Assistant Professor of Theology an der Dominican School of Philosophy & Theology in Berkeley, verbindet in dieser Publikation seine Forschungsinteressen Augustinus von Hippo und Theologie der Schrift und untersucht Augustins Predigten vor dem Hintergrund klassischer Rhetorik (6: »exploring the purpose and method underlying his preaching practice«). Er erkennt in ihnen eine ausgeklügelte Strategie, die Licht auf das Profil Augustins als Prediger und Seelsorger wirft.

In den ersten beiden der fünf Kapitel präsentiert G. die Grundlagen seiner Untersuchung. Im ersten Abschnitt betont er, dass die traditionelle thematische Anordnung der Predigten für eine Untersuchung ihres Wesens ebenso wenig geeignet ist wie eine chronologische, da die von der historisch-kritischen Untersuchung gewonnenen Daten wenig belastbar seien (mit diesem Skeptizismus folgt er Drobner). Zudem seien die Predigten in Gesamtdarstellungen nicht autonom, sondern meist nur im Licht der anderen Werke Augustins betrachtet worden (Peter Brown). Wichtig für die Bewertung der Predigten sei der spirituelle Reifegrad der Zuhörerschaft, über den der Prediger Bescheid wissen müsse: Nach der Zielgruppe unterscheidet G. unterschiedliche rhetorische Gattungen, denen die Predigten angehören: Predigten an Taufwerber (catechumeni) behandeln in Form der biblischen Erzählungen Vergangenes und gehören zum genus iudiciale, Predigten an Neugetaufte (Neophyten) sprechen von der Zukunft und gehören zum genus deliberativum, Predigten an gewöhnliche Gläubige werden jedoch nicht, wie zu erwarten wäre, dem genus demonstrativum, sondern dialektischen Prinzipien zugeordnet. Im zweiten Abschnitt diskutiert G. anhand von Augustins De doctrina christiana die rhetorisch-theoretischen Grundlagen. Nach seiner Interpretation versteht Augustinus den Redeteil narratio (διήγησις) nicht wie in der klassischen Rhetorik als eine im Anfangsbereich der Rede stehende bloße Darlegung der Fakten, sondern unter anderem auch als die vor der Predigt erfolgende Schriftlesung, die in der anschließenden Predigt erklärt wird. Die narratio wird also flexibel gehandhabt und kann in unterschiedlicher Weise an das rhetorische Genus angepasst werden.

Der Prüfung dieser These anhand dreier heilsgeschichtlicher Themen (Weltschöpfung, Sintflut, Exodus) sind die folgenden drei Kapitel gewidmet. Leider ist das Quellenmaterial für zwei Gruppen von Adressaten sehr dürftig, sodass die Ergebnisse zwar plausibel erscheinen, aber wenig Repräsentativität beanspruchen können: Denn für die Gruppe der Taufwerber stehen nur die zwei Musterexegesen aus De catechizandis rudibus zur Verfügung (sie bieten eine Zusammenfassung der Heilsgeschichte und nehmen die Funktion einer narratio ein; als confirmatio zur Katechese die-nen Predigten auf das Pater noster und das Symbolum), und in Predigten der dritten Gruppe gibt es nur wenige ausführlichere Behandlungen dieser sonst dem Taufunterricht vorbehaltenen Themen (Sermones 114B, 352 und 363). Das größte untersuchte Corpus bilden somit Predigten der Osterzeit an Neugetaufte (diese werden nun nicht mehr als Außenstehende, sondern nach Psalm 117,24 als »der Tag, den Gott gemacht hat« angesprochen).

Leider bleibt im philologischen Bereich die Arbeit hinter den Erwartungen zurück. So werden jüngste Neufunde bzw. Neuidentifikationen (Sermones Erfurt, Sermones selecti in CSEL 101, unter ihnen besonders die »Lehrvorträge« Sermo 363A und 363B) gänzlich übergangen. Für die Bestimmung der Textausgaben der Predigten begnügt sich G. mit einem Hinweis auf die Zusammenstellung von Eric Rébillard in »Augustine through the Ages«; doch auch mit diesem Hilfsmittel bleiben einige Zitate kryptisch (z. B. wird auf S. 12 Anm. 38 ein »Sermo 430A« erwähnt). Obwohl neuere kritische Editionen vorliegen, werden Augustinuswerke oft nur nach der Patrologia Latina zitiert (z. B. corrept. in CSEL 92, in euang. Ioh. in CCSL 36, mor. in CSEL 90, gen. c. Manich. in CSEL 91); manche Angaben der Bibliographie sind völlig falsch (z. B. »Bapt. = De baptism [sic!]contra donatistis [sic!]. CCSL 149A«) und zeigen, dass sie wie die lateinischen und griechischen Zitate in den Fußnoten ein gründlicheres Lektorat verdient hätten.

G. hat mit seinem Buch einen interessanten Aspekt des schier unerschöpflichen Themas augustinischer Predigttätigkeit berührt und ein konzises Porträt von Augustinus als Prediger und Seelsorger, insbesondere von seiner rhetorischen Strategie, entworfen. Er veranschaulicht die pastorale Fürsorge eines Bischofs, der seine Zuhörer, in welchem Grad spiritueller Reife sie sich auch befinden, auf die gemeinsame Reise zu Gott mitnimmt.