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Ausgabe:

März/2023

Spalte:

191–193

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Buol, Justin

Titel/Untertitel:

Martyred for the Church. Memorializations of the Effective Deaths of Bishop Martyrs in the Second Century CE.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2018. X, 334 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 471. Kart. EUR 84,00. ISBN 9783161563898.

Rezensent:

Dorothee Elm von der Osten

Justin Buols Monographie ist eine überarbeitete Fassung seiner Doktorarbeit. Candida Moss begleitete das Dissertationsvorhaben an der Theologischen Fakultät von Notre Dame als Doktormutter, die Monographie ist somit im wissenschaftlichen Kontext von ihren Arbeiten zu christlicher Märtyrerliteratur entstanden.

Der Forschungsstand zum Martyrium in den ersten christlichen Jahrhunderten zeichnet sich, anders als etwa derjenige zu dieser Thematik im Mittelalter, durch zahlreiche Beiträge aus, die sich, wie B. bemerkt, auch einzelnen Untergruppen widmen, zum Beispiel den Märtyrerinnen. Mit seiner Monographie möchte B. das Desiderat einer gemeinsamen Betrachtung der Märtyrerliteratur zu Bischöfen adressieren, indem er nach den Charakteristika der überlappenden Darstellung von Autorität und Leiden in dieser Literatur fragt.

B. konzentriert sich auf die Überlieferung zu den Bischofsmärtyrern des zweiten Jahrhunderts Ignatius von Antiochia, Polykarp von Smyrna und Pothinus von Lyon sowie auf die Vorstellung, dass deren Tod spürbare, positive Auswirkungen auf andere gehabt habe, also ein »effective death« gewesen sei.

B. untersucht dieses Textcorpus vor dem Hintergrund eines breiten Spektrums von früheren Beispielen effektiver Tode. Er bezieht aus dem antiken Griechenland Pharmakosrituale und -mythen ein, aus Rom devotio-Rituale und die Schilderung stoischer Philosophen, die sich tyrannischen Kaisern widersetzten, aus dem kaiserzeitlichen Alexandria die Tode von Gymnasiarchen in den Acta Alexandrinorum sowie aus Judäa die im zweiten und vierten Buch der Makkabäer geschilderten Märtyrertode jüdischer Ältes-ter (Kapitel 2). Als Berührungspunkte einiger der untersuchten Beispiele benennt B. die Konzepte des Sterbens für etwas, des Opfertodes zur Sühne und Abwendung göttlichen Zornes, einen militärischen Kontext sowie die Verwendung von Exempla.

Vor dem Hintergrund dieser Ideen und Konzepte geht die Untersuchung auf neutestamentliche Texte ein, auf den Tod von Jesus (Kapitel 3) und Paulus (Kapitel 4).

In detaillierten Lektüren arbeitet das dritte Kapitel die Opferterminologie in der Beschreibung von Jesus als geschlachtetem Lamm in der Offenbarung des Johannes, als Sündenbock und Pharmakos in den Evangelien sowie als Reinigungs- und Sühneopfer heraus und stellt damit, wie auch mit der Darstellung von Jesus als Archegos und seines Todes als sokratisch, Beziehungen zu den vorangegangenen »effective deaths« her.

Jesu Tod als Modell für andere wird im vierten Kapitel relevant, in dem sich B. auf Paulus als Verfechter dieser Idee konzentriert – der Apostel selbst erlangt wiederum besondere Bedeutung als Vorbild für Ignatius. Die Opferthematik ist weiterhin präsent. Paulus entwirft in den untersuchten Briefen sein gegenwärtiges Leiden und seinen zukünftigen Tod als Opfergabe an Gott. Die militärische Symbolik früherer Selbstopferungen – etwa in der römischen devotio – wird, wie B. herausarbeitet, übertragen auf die Überwindung falscher Lehre. Paulus konzipiert sein Leiden zudem als Resultat, Beweis oder Rechtfertigung apostolischen Dienstes.

Der zweite Teil der Monographie wendet sich vor diesem Hintergrund jeweils in einem Kapitel den Bischofsmärtyrern Ignatius, Polykarp und anhand des Martyrium Lugdunensium Pothinus, dem Bischof von Lyon, zu.

In seinen Briefen stellt sich Ignatius als Märtyrer bewusst in die Nachfolge von Jesus und Paulus; sein zukünftiger Tod wird als Opfer die Einheit innerhalb der Kirchen, an die er schreibt, bewirken und dazu beitragen, einen Sieg über die Gegner der Orthodoxie zu erringen und somit die Hierarchie der »katholischen« Kirche – ein Begriff, der in der Monographie nicht näher erläutert wird – zu stärken: Opferterminologie und militärische Symbolik sind hier Mittel, um die positiven Auswirkungen des eigenen Todes zu erzählen.

Der als Lehrer, Prophet und Bischof herausgehobene Polykarp kann mit seinem (an einigen Textstellen auch als Opfer beschriebenen) Martyrium bewirken, dass die lokale Verfolgung in Smyrna beendet wird – sein Tod erlöst die Gemeinschaft, die sich in Gefahr befindet, und erinnert an die Pharmakosmythologie. Polykarp stirbt zudem vorbildhaft »gemäß dem Evangelium«, sein Martyrium steht damit im Gegensatz zu demjenigen anderer, die sich freiwillig zum Märtyrertod melden, und stärkt, so B., die Autorität des Bischofsamtes.

Das siebte Kapitel konzentriert sich auf die Darstellung des Pothinus im Brief von Lyon, als dessen Hauptthema B. die imitatio Christi bezeichnet: Pothinus, verunglimpft wie Christus, erinnert auch in der Art seines Geständnisses an diesen. Christus triumphiert in Pothinus’ Martyrium, er stärkt mit seinem Sieg einerseits die Entschlossenheit derjenigen, die das Martyrium noch vor sich haben, und ebnet andererseits den Weg der lapsi, der zunächst gefallenen Christen, zu Sühne, Bekenntnis und Martyrium.

Im achten Kapitel fasst B. die wesentlichen Erkenntnisse seiner Untersuchung zusammen: Er betont die Unverwechselbarkeit der Art und Weise, in der die bischöflichen Märtyrer Christus nachahmen und in der ihr Tod zum Vorteil der Gemeinschaft, zur Stärkung der Orthodoxie und Hierarchie wirkt. Die Martyrien von Ignatius, Polykarp und Pothinus hätten sich am besten im Lichte des Materials der Kapitel 2−4 verstehen lassen: Die Bischofsmärtyrer stehen mit ihrem Opfer im Dienste der Gemeinschaft nicht nur in der Nachfolge Christi und des Apostels Paulus, sondern folgen auch den Spuren des Decius, der sich in der Schlacht opfert, des Pharmakos und des Makkabäers Eleasar.

Die Tode der Bischofsmärtyrer hätten zudem die sich etablierende Kirchenhierarchie des zweiten Jahrhunderts im Kampf gegen die Heterodoxie gestärkt – als Schlüsselfigur für diese Deutung führt B. Irenäus an. Dieser habe die kollektive Autorität der drei Bischofsmärtyrer in seinem Kampf gegen die Gnostiker eingesetzt, indem er Ignatius zustimmend zitierte, sich als Erben des Polykarp etablierte und die Nachfolge des Pothinus antrat – Ire- näus tat dies jedoch, ohne Pothinus in seinen Schriften zu erwähnen. B. sieht durch Irenäus seine eigene Lesart der Bischofsmärtyrer als Bewahrer und Garanten der Orthodoxie bestätigt.

B. schließt seine Monographie mit einem Anhang, in dem mehrere weniger bekannte bischöfliche Märtyrergeschichten aus dem zweiten Jahrhundert vorgestellt werden, sowie mit einer umfangreichen Bibliographie und Indizes ab.

B. hält als Ergebnis seiner Arbeit fest, dass die Art und Weise, in der die Bischofsmärtyrer Christus imitieren, sowie ihre Spielart eines wirksamen Todes einzigartig für diese Untergruppe der Märtyrerliteratur seien – die herausgearbeiteten Gemeinsamkeiten in der untersuchten Überlieferung zu den Bischofsmärtyrern und deren Bezug auf die vorangegangene Tradition wirksamer Tode hätten dies deutlich werden lassen. Diese postulierte Einzigartigkeit zeigt B. jedoch in erster Linie in Abgrenzung zu anderen Märtyrertoden innerhalb der von ihm untersuchten Literatur. Hier könnte ein Vergleich zu weiterer, in etwa zeitgenössischer Martyriumsliteratur helfen, die Argumentation zu stärken. B.s wichtige Überlegungen dazu, wie die untersuchten Martyrien zur Stärkung kirchlicher Hierarchie und zur Ausgestaltung des Episkopats beitrugen, eröffnen Spielräume für weitere Untersuchungen.

B. hat eine gut konzipierte, sorgfältig ausgeführte und sehr gut zu lesende Untersuchung geschrieben, die – dies gelingt ihm auch im umfangreichen, weit ausgreifenden ersten Teil der Monographie – in ihren gründlichen Detailinterpretationen der einzelnen Texte die umfangreiche Forschung sinnvoll einbezieht und auf seine Fragestellung fokussiert. Seine lesenswerte Monographie bietet wertvolle Anregungen für weitere Forschungsfragen.