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Ausgabe:

März/2023

Spalte:

180–181

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Heininger, Bernhard

Titel/Untertitel:

Spuren Jesu im frühen Christentum. Akteure und Autoren der Jesusgeschichte.

Verlag:

Würzburg: Echter Verlag 2021. 328 S. Geb. EUR 39,00. ISBN 9783429056919.

Rezensent:

Michaela Veit-Engelmann

Mit dem Aufsatzsammelband »Spuren Jesu im frühen Christentum. Akteure und Autoren der Jesusbewegung« hat Bernhard Heininger, Professor für Neues Testament an der Würzburger Katholisch-Theologischen Fakultät, ein Werk vorgelegt, das er selbst als »Querschnitt« (7) seiner zwei Jahrzehnte währenden Tätigkeit bezeichnet. Darin versammeln sich in sechs Großkapiteln 14 verschiedene Aufsätze des Autors, deren Erstveröffentlichungen sich über einen Zeitraum von 15 Jahren erstrecken. Da diese Texte jedoch aus Vorträgen entstanden und an eher »entlegenen Orten publiziert« (7) sind, ist das Anliegen verständlich, sie so einem breiteren Lesepublikum zugänglich zu machen.

Wer diese Texte liest, tut dies mit viel Gewinn. Die detailgetreuen Textbeobachtungen fördern Erkenntnisse zutage, die im positiven Sinne überraschend zu nennen sind und deshalb weiterführen. Die Lektüre der Aufsätze ist in vielerlei Hinsicht ausgesprochen anregend und bringt die Forschung buchstäblich auf neue Gedanken. Bereits am Untertitel des Bandes fällt jedoch auf, dass der Autor auf gendergerechte Sprache verzichtet. Indem er lediglich von »Akteuren und Autoren« spricht, transportiert er sprachlich den Eindruck einer rein männlichen Anhängerschaft Jesu. Wohl dem ursprünglichen Vortragskontext der Beiträge geschuldet, fehlt die Auseinandersetzung mit Gegenstimmen weitgehend, auf die die Leserin angesichts der Strittigkeit vieler Stellen in der Forschung gespannt sein könnte.

Die ersten beiden Aufsätze werden unter »Methodisches« (I) geführt. Zunächst entfaltet H. die Chancen und Grenzen der Anwendung narratologischer Methoden auf biblische Erzähltexte. Dass danach allerdings eine Abhandlung über den zwölfjährigen Jesus im Tempel folgt, erschließt sich nicht. Um Methodisches geht es da weniger, eher um detaillierte Textbeobachtungen, die auch bei dieser bekannten Perikope zu neuen Einsichten führen.

Das Jesuskapitel (II) widmet sich in zwei Aufsätzen den Gleichnissen Jesu, wobei der für den Aufsatz mit dem Titel »Gut leben – wie geht das?« gewählte Ansatz überrascht. H. beginnt mit einem Verweis auf einen inzwischen eingestellten Blog der Süddeutschen Zeitung, der Raum bot für Fragen privater Natur und ihre Beantwortung durch andere User. Dazu bemerkt H.: »Auf die Idee, die Gleichnisse Jesu oder, allgemeiner, die Bibel zur Beantwortung solcher und ähnlicher Fragen heranzuziehen, ist […] allerdings noch niemand gekommen.« (92) Das stimmt zweifellos. Es mag zwar sein, dass die Gleichnisse Jesu »Geschichten« erzählen, »die mitten aus dem Alltag genommen sind« (92 f.), aber eben nicht aus dem des 21. Jahrhunderts. Indem H. dennoch aktuelle Sachverhalte mit dem Expertenwissen der Gleichnisse korreliert, gerät z. B. das große Gastmahl (Lk 14,16–24) unversehens auf eine Ebene mit Kochsendungen und Kochbüchern (vgl. 96), während das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1–16) mit der Mindestlohndebatte zusammengebracht wird (102).

Immerhin reflektiert der Autor, ob es eigentlich legitim sei, den bei Lukas mit den Gleichnissen verbundenen Handlungsimpuls auch auf andere Evangelien zu übertragen (vgl. 102). Das wäre in der Tat ebenso zu diskutieren wie die Behauptung, dass ein Gesellschaftsgefüge, in dem »die Alten und an den Rand Gedrängten denselben Wert haben wie die Starken und Schönen«, tatsächlich »das Reich Gottes [ist]« (102 f.).

Das dritte Großkapitel (III) ist überschrieben »Zwischen Jesus und Paulus« und enthält drei Aufsätze, von denen allerdings der erste beim 1. Johannesbrief einsteigt und damit gerade nicht zwischen den beiden Genannten anzusiedeln ist. Wenn H. sich danach »Frauen im frühen Christentum« zuwendet, fällt auf, dass er Frauen in der Jesusbewegung nur als Ehefrauen denken kann. Die provokant formulierte Frage »Geht es einfach nur darum, dass sie ihre Männer auf den Missionsreisen begleiteten, ihnen – um es einmal platt zu formulieren – die Wäsche wuschen und das Essen zubereiteten, oder waren sie auch an der Missionierung und Verkündigung beteiligt, etwa im internen Bereich des Hauses, der den Frauen vorbehalten war?« (149) beantwortet H. zwar zugunsten der zweiten Alternative und kann auch aufzeigen, welche Rolle Frauen in der paulinischen Tradition spielten, doch thematisiert er selbstständig agierende Frauen im Umfeld Jesu von Nazareth überraschenderweise nicht. Weder Maria und Martha noch Maria Magdalena spielen eine Rolle; auch Notizen wie Lk 8,1–3 werden nicht auf ihre historische Auswertbarkeit hin befragt. Und dass es Frauen waren, die allein unterm Kreuz standen oder mit denen die Tradition vom leeren Grab verbunden ist, während die männlichen Jünger längst geflohen waren, bleibt ebenfalls unerwähnt.

Drei weitere Aufsätze thematisieren Paulus selbst (IV). H. fragt nach dem »Selbstverständnis des Apostels Paulus nach seinen Briefen« und legt durch die ungewöhnliche Übersetzung von 1Kor 4,1 mit »Handlanger Christi und Manager der Gottesmysterien« eine spannende neue Spur, der nachzudenken lohnenswert erscheint. Ein zweiter Text widmet sich den Variationen von Kirche bei Paulus. Allerdings zeigt sich in diesem Großkapitel insgesamt eine gewisse Inkonsequenz, was die Angaben der Apostelgeschichte angeht. Gelten sie mal ohne Begründung als historisch (vgl. 166), so werden sie an anderer Stelle leichtfertig mit dem Hinweis beiseite gewischt, dass eine lukanische Zeitangabe etwa »kaum vorstellbar« sei (186).

Besonders spannend schließlich ist die Frage nach dem Wundertätertum des Paulus in der Apostelgeschichte unter dem Titel »Im Dunstkreis der Magie«. Hier weist H. auf ein tatsächliches Desiderat der neutestamentlichen Forschung hin: Für die Apos-telgeschichte und für Paulus selbst (vgl. 2Kor 12,12) sei es selbstverständlich, dass Paulus auf seinen Reisen auch Wunder gewirkt habe (213); deshalb könnten diese Informationen nicht einfach beiseitegeschoben werden. H. unterzieht die Pauluswunder der Apos-telgeschichte einer detaillierten Untersuchung und kommt zu dem Ergebnis, dass Lukas das vorhandene Magisch-Wundersame an Paulus habe zurückdrängen wollen, vermutlich weil »Magie in der Wahrnehmung des römischen Staates einen Straftatbestand darstellte« (235).

Unter der Überschrift »Johannesapokalypse und Apokalyptik« (VI) nehmen zwei weitere Texte die Johannesapokalypse sowie die neutestamentlichen Apokryphen in den Blick. Den Schluss dieses Bandes, der in der Tat einen weiten Bogen aufspannt, bilden zwei Aufsätze zu gnostischen Texten, einmal »Zur Rezeption der Basileiaverkündigung Jesu im Thomasevangelium« und einmal zum sogenannten Eucharistiedialog im Judasevangelium.

Insgesamt bietet die Bandbreite dieses Aufsatzsammelbandes Chancen für jede Leserin: Wer dieses Werk liest, erhält fundierte Informationen zu ganz unterschiedlichen neutestamentlichen Fragestellungen gleichsam en passant. Die Liebe zum (Text-)Detail und die Freude an der begründeten exegetischen Spekulation machen die Lektüre trotz des hier Angemerkten zu Gewinn und Genuss zugleich.