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Ausgabe:

März/2023

Spalte:

174–175

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Mallmann, Bernard

Titel/Untertitel:

Dekanonisierung des Alten Testaments? Rückfragen an Notger Slenczka aus Sicht katholischer Theologie.

Verlag:

Würzburg: Echter Verlag 2021. 573 S. = Studien zur systematischen und spirituellen Theologie, 57. Kart. EUR 54,00. ISBN 9783429056179.

Rezensent:

Georg Fischer SJ

Es handelt sich bei diesem umfangreichen Werk um eine Dissertation, die bei Jan-Heiner Tück in Wien geschrieben wurde und die sich ausführlich mit der Position des Berliner Systematikers zur Bedeutung des Alten Testaments für den christlichen Glauben auseinandersetzt. Sie hat drei Teile. Der erste, Provocatio (21–182), präsentiert breit und detailliert seine Thesen. M. geht dabei auf historische Hintergründe bei Martin Luther, Schleiermacher, von Harnack und Bultmann ein, bespricht dann bibelhermeneutische Voraussetzungen, wobei die historisch-kritische Methode, Rezeptionshermeneutik und Intertextualität zusammenkommen. Wichtig für eine korrekte Einschätzung von N. Slenczka ist dessen Engagement im jüdisch-christlichen Dialog; dies erklärt auch sein Anliegen, das Alte Testament nicht aus christlicher Sicht zu vereinnahmen. Allerdings wertet er von christologischen Prämissen her das Alte Testament nicht als normativ; »faktisch« komme ihm in den christlichen Kirchen »nicht kanonischer Rang« zu (138). Es gelte, das Alte Testament »unter dem Vorzeichen des Evangeliums« zu lesen und aufgrund von dessen »fehlender chris-tologischer Bezeugungskraft« seine »theologische Bewertung« zu verändern (177.181).

Im zweiten Teil, Revocatio (183–302), geht M. kritisch auf einzelne Aspekte ein. Zu ihnen zählen die überzogene Entgegensetzung von Universalität (für das NT) und Partikularität (für das AT) und die Auffassung, im Alten Testament sei von einem »anderen Gott« die Rede (201). Wenn das Alte Testament als »Beziehungsgrundlage« (210) für das Neue Testament ausfällt, wird auch die »Heilskontinuität« der Offenbarung in Frage gestellt (235). In Aufnahme von Frank Crüsemann (243), der das Alte Testament als »Wahrheitsraum« für das Neue Testament versteht, von Ideen von Ludger Schwienhorst-Schönberger und von Christoph Dohmen mit seinem Vorschlag der zwei Leseweisen (260) sieht M. das Spezifische der Bibel im »Zueinander« von Altem und Neuem Testament, wobei sich der »Glaube an den einen Gott« entfalten kann (268). Er möchte auch den Antijudaismus-Vorwurf gegenüber Slenczka zurückweisen, sieht allerdings auch dessen Defizit, nicht klar gegen E. Hirsch dabei Position bezogen zu haben (284–289 passim).

Den dritten Teil nennt M. »Invocatio« (303–486, mit einem Abschluss zu »Die Einheit der christlichen Bibel« bis 507). Darin stellt er eingehend die positiven Veränderungen durch das II. Vatikanische Konzil vor, in den bekannten Dokumenten Nostra Aetate und Dei Verbum. Ein langer Exkurs zu Marcion bei Irenäus und Tertullian (315–343) zeigt die weit zurückreichende Diskussion dieser Fragen auf. Als Weg für ein angemesseneres Verstehen der Bibel schlägt M. eine Verbindung von »historischer« und »pneumatischer« Auslegung vor (ab 388) und zeigt dies im Weiteren in Aufnahme anderer Ansätze, z. B. der Augustins oder seines Bischofs R. Voderholzer, auf. Klar bekennt er sich zur »Normativität der ganzen christlichen Bibel« (485) und dazu, dass eine »Israeltheologie« für das Christentum wichtig ist (499).

M.s Promotionsarbeit berührt einen Kern der Bibel und der Theologie. Die Aufnahme des Gesprächs mit einer provozierenden Position vermag den Blick auf die Probleme zu schärfen, die wiederholt, durch die Geschichte hindurch, bezüglich des Verhältnisses der beiden Testamente auftauchen. Die Darstellung der Thesen Slenczkas ist fair, manchmal eher zu wohlwollend. Dies trifft etwa auf sein Lob als »profunden Kenner der Theologiegeschichte« (481) zu, der aber »die gesamte Geschichte der Bibelauslegung vom Ursprung des Christentums bis zur Reformation« übergeht (255). Auch fehlt die Kritik daran, dass dieser aus einer fremden Perspektive, vom Neuen Testament und damit von »außen« her, unangemessen das Alte Testament abwertet.

Die grundsätzlich ›aufnehmende‹ Einstellung M.s prägt mehrfach seine Arbeit. Sie ist lang geraten, auch weil er vieles sammelt und sich öfter Wiederholungen finden. Die im dritten Teil erwähnten Autoren Augustinus und Voderholzer, mit dem Kontrast »verborgen – offen« (457) und der Rede vom »eigentlichen und wahren Sinn im NT« (479), hätten auch zumindest Abgrenzungen gegenüber den durch sie in der Vergangenheit oft ausgelösten Missverständnissen verdient. Dies gilt gleichfalls für die Bemerkungen zur historisch-kritischen Methode; hier merkt M. zu Recht an, dass ihr Ansatz in einem »a-theologischen Milieu« liegt (390), doch andere Passagen (auf 93.254.481) nennen ihre Probleme zu wenig. Insgesamt aber bringt er eine intensive, solide Beschäftigung mit einem Autor, der durch seine provozierenden Thesen die Diskussion um die Beziehung der beiden Teile der einen Bibel sehr angeregt hat.