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Ausgabe:

März/2023

Spalte:

164–166

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Schmidt-Leukel, Perry

Titel/Untertitel:

Das himmlische Geflecht. Buddhismus und Christentum – ein anderer Vergleich.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus (Penguin Randomhouse) 2022. 416 S. m. Abb. Geb. EUR 26,00. ISBN 9783579071831.

Rezensent:

Tobias Schuckert

Dass es um die Dinge nicht immer steht, wie landläufig gedacht wird, zeigt dieses neue Buch des Münsteraner Professors für Religionswissenschaft und Interkulturelle Theologie Perry Schmidt-Leukel. Seinen Titel verdankt das Werk einem aus dem Mahayana-Buddhismus entlehnten Bild, »Indras Netz« – das »himmlische Geflecht« ist ein aus einer Vielzahl von klaren Juwelen zusammen-gefügtes System, in dem in jedem einzelnen der Juwelen sich das »ganze Netz auf seine Art widerspiegelt.« (13) Geleitet von der Überzeugung, dass »sich religiös bedeutsame Wahrheit in religiöser Vielfalt niederschlägt«, will dieses Buch einen neuartigen Vergleich zwischen Buddhismus und Christentum vornehmen. Dabei blickt der Vf. auf die »Parallelität der Unterschiede, die sich in beiden Traditionen« wiederfinden (10). Lassen sich diese sogenannten parallelen Unterschiede, so fragt der Vf., nicht als komplementär begreifen? (16)

Das erste von neun Kapiteln dieses Buches beleuchtet Zweck und Ziel des Religionsvergleichs aus verschiedenen Perspektiven. Ferner wird der Ansatz der interreligiösen Theologie erläutert, die durch eine vornehmlich pluralistische Religionstheologie ermöglicht wird. Der Vf. kommt dabei zur These, »[d]ass es zwischen beiden, der interreligiösen und der intrareligiösen Vielfalt, eine strukturelle Parallelität und vermutlich einen sachlichen Zusammenhang gibt« (24−25). Das Buch will keine umfassende Darstellung von Vergleichen zwischen Buddhismus und Christentum bieten, vielmehr will es aufzeigen, dass strukturelle Muster in religiöser Vielfalt zu entdecken sind.

Die Methode hierfür legt der Vf. im zweiten Kapitel offen: der Religionsvergleich anhand fraktaler Strukturen. Diese lassen sich in der Natur, in Kulturen, in der Geometrie und in Religionen finden. Der Begriff »fraktal« wird wie folgt erklärt: »Das heißt, die zentralen Elemente der gesamten Struktur replizieren sich entweder auf strikte oder ähnliche Weise mit ihren regulären oder irregulären Aspekten in ihren Teilelementen.« (53−54) Im Blick auf Religionen bedeutet dies, dass die Vielfalt der Religionen sich als interne Vielfalt innerhalb einzelner Religionen repliziert. Diese wiederum lässt sich in der intrasubjektiven Vielfalt des Glaubenslebens Einzelner wiedererkennen (59). Hier kommt nun das »Neuartige« des Religionsvergleichs, wie ihn der Vf. vornimmt. Er wendet die fraktalen Muster der intrareligiösen Vielfalt auf die interreligiöse Vielfalt an und vergleicht so Buddhismus und Christentum. Unterschiede innerhalb einer Religion werden dabei als interreligiös komplementär und als theologische Bereicherung wahrgenommen. In den folgenden sechs Kapiteln wird dies exemplarisch durchgeführt, in dem die intrareligiösen Unterschiede in Buddhismus und Christentum aufgezeigt und in komplementärer Beziehung zueinander dargestellt werden.

Dieser Abschnitt des Buches stellt die Bandbreite von Haltungen zu bestimmten Themen innerhalb des Christentums und des Buddhismus über sechs Kapitel dar. So stellt das dritte Kapitel die unterschiedlichen Perspektiven hinsichtlich der Beziehung der Glaubenden zur Welt dar. Der Vf. zeigt dabei auf, dass der vorherrschenden Tendenz, das Christentum als grundsätzlich weltzugewandt zu bezeichnen, während der Buddhismus vornehmlich als weltflüchtig eingeordnet wird (89), zu widersprechen ist. In beiden Traditionen gibt es gleichermaßen weltflüchtige und weltzugewandte Haltungen, die, so der Vf., aus einem Reflex bestimmter existenzieller Erfahrungen zu verstehen sind und sich komplementär zueinander verhalten (125).

In derselben Art argumentiert der Vf. im vierten Kapitel im Bezug auf das Thema der »Letzten Wirklichkeit«. Erneut zeigt der Vf. anhand von Aussagen aus christlichen und buddhistischen Quellen, dass es in beiden Religionen »unterschiedliche Vorstellungen von Transzendenz« (139) gibt. In besonderer Bezugnahme auf den Bodhisattva Amida aus dem Mahayana-Buddhismus wird dargelegt, dass es im Buddhismus sehr wohl personale Vorstellungen der letzten Wirklichkeit gibt (162), zu der viele Buddhisten im Ge­bet Zuflucht suchen (176). Im Gegensatz dazu sei auch in der christlichen Theologie, ausgehend von neuplatonischem Gedanken- gut im Joh-Evangelium, von einer impersonalen Transzendenzvorstellung die Rede (164), was sich praktisch darin widerspiegelte, dass Christen sich beziehen »auf letzte Wirklichkeit in einem kontemplativen Modus, indem sie sich in das Sein selbst oder den Grund des Seins als das versenken, was aller Wirklichkeit enthoben ist« (176). Das darauffolgende Kapitel fragt nach den unterschiedlichen Haltungen in Buddhismus und Christentum hinsichtlich des Grunds der Erlösungsbedürftigkeit des Menschen. Ganz im Sinne des Bisherigen argumentiert der Vf. damit, dass der Grund der strukturellen Ähnlichkeiten, die er auch in diesem Kapitel aufzeigt, »in anthropologischen Gegebenheiten zu sehen« (194) sind. Auch in der christlichen Tradition gibt es Ansätze, das Problem der Menschheit in Verblendung und Selbstverhaftung zu sehen (206), beides Begriffe, die vorherrschend der buddhistischen Tradition zugeschrieben werden. Dieses Buch überzeugt durch die vielen zitierten Quellentexte und lässt erkennen, wie die Begriffe Sünde und Gericht ebenfalls in buddhistischer Überzeugung zu finden sind (197). Im sechsten Kapitel vollzieht der Vf. den logischen Schritt und stellt die Frage nach dem Hoffnungsträger, der aus dem Problem, das im fünften Kapitel beschrieben wurde, die Korrektur bietet. Dem Konzept der fraktalen Struktur folgend, weist der Vf. darauf hin, wie Jesus und Gautama Buddha als »Verkörperte Lehre« verstanden werden (235). Gleichzeitig sieht er in der Inkarnation Jesu kein einmaliges Ereignis. Durch das Konzept des Dharmakâya, des Buddhakörpers, kann Jesus auch als »Manifestation der Weisheit und des Mitgefühls des supranaturalen Amida Buddha« begriffen werden (248). Diese Haltungen sind nicht repräsentativ, zeigen jedoch das große Spektrum innerhalb der Religionen. Darauf beleuchtet das Buch im siebten Kapitel Gegen-sätze innerhalb beider Religionen, wie Glaubende sich Erlösung zu eigen machen: der Gegensatz zwischen Heilsweg als Fremderlösung und Selbsterlösung. So impliziere die buddhistische dreifache »Zufluchtnahme« die Erwartung einer Unterstützung von außen (267), komplementär dazu mache der Streit um Pelagius (350–420) deutlich, dass auch in der christlichen Tradition trotz aller Betonung der Gnade auch Positionen zur Selbsterlösung zu finden waren und sind (275). Schließlich werden die unterschiedlichen eschatologischen Erwartungen besprochen. Buddhismus und Christentum zeichneten sich beide, so der Vf., erneut durch eine innere Vielfalt aus (301). Das abschließende Kapitel zeigt zusammenfassend Wege einer neuen Verhältnisbestimmung der beiden Religionen auf. Aufbauend auf den vietnamesischen Mönch Thich Nhat Hanh formuliert der Vf.: »Es steckt immer irgendein Stück Christentum im Buddhismus und irgendein Stück Buddhismus im Christentum.« (350)

Das Buch besticht durch eine Fülle von Quellentexten, mit dem Ansatz der Komplementarität in den fraktalen Strukturen erfüllt der Vf. sein Versprechen und bietet einen neuartigen Ansatz im Religionsvergleich. Damit ist das Werk ein gelungener Beitrag zum interreligiösen Dialog. Das Buch folgt religionstheologisch einem pluralistischen Ansatz (47), dies hat jedoch zur Folge, dass die Person Jesus Christus buddhistisch interpretiert (361) und damit der Grund des Neuen Testaments verlassen wird. Der Mahayana-Gelehrte Ryojin Sogaa hat wahrgenommen, dass Jesus durch seine Inkarnation in Zeit und Raum im Gegensatz zum stets transzendenten Bodhisattva Amida kein Erlöser sein könne (R. Soga [2010]: The Significance of Dharmakara Bodhisattva as Earthly Savior, in A. Bloom [Hg.]: Living in Amida’s Universal Vow: Essays in Shin Buddhism, Bloomingtoon, 13−18.). Das Neue Testament sieht jedoch gerade die Einzigartigkeit Jesu Christi in der historischen Tatsache seiner leiblichen Auferstehung (1Kor. 15). Bei aller Faszination, die der neuartige Religionsvergleich und das »himmlische Geflecht« der Juwelen hervorruft, muss aus neutestamentlicher Perspektive wahrgenommen werden, dass Jesus Christus nicht Teil der Religionen ist, sondern über ihnen steht.