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Ausgabe:

Januar/2023

Spalte:

91-93

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Rediker, Benedikt

Titel/Untertitel:

Die Fragilität religiöser Hoffnung. Zur Transformation praktischer Theodizee im Anschluss an Immanuel Kant.

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2021. 400 S. = ratio fidei, 77. Kart. EUR 44,00. ISBN 9783791733012.

Rezensent:

Vasile Hristea

Die zentrale These dieser Freiburger Dissertation von Benedikt Rediker, geschrieben unter der Betreuung von Prof. Dr. Magnus Striet, besteht darin, dass eine Begründung und Plausibilisierung des Hoffnungsglaubens entgegen den Einwendungen des Protest-Atheismus und des melancholischen Agnostizismus gelingen kann. Wie folgt wird dies in vier Denkschritten entfaltet:

Im ersten Kapitel werden die gegenwärtige theologische Diskussion um die Theodizee und die Konfliktlinien gegenüber dem Atheismus und Agnostizismus herausgestellt.

Dabei wird zuerst die Debatte zwischen W. Benjamin, M. Horkheimer und Th. W. Adorno über die Frage nach der Abgeschlossenheit von Geschichte deshalb rekonstruiert, weil bei allen drei Denkern eine Spannung zwischen der Faszination für die religiöse Hoffnung auf universale Versöhnung zwischen Gott und der Welt auf der einen Seite und die Ablehnung einer glaubenden Aneignung derselben auf der anderen Seite besteht. Gerade dieses Spannungsverhältnis macht dabei das wesentliche Charakteristikum des melancholischen Agnostizismus aus.

Anschließend wird die theologische Rezeption dieser philosophischen Debatte (J. B. Metz, H. Peukert, Th. Pröpper) beleuchtet, welche ihrerseits die religiöse Hoffnung als moralisch notwendig auszuweisen versucht. Diese Positionen beziehen sich im Sinne der Moralphilosophie Kants sowohl auf den Hoffnungsgegenstand fides quae als auch auf die Notwendigkeit der subjektiven Vollzugsebene der Hoffnung fides qua. Weil die Analyse dieser theologischen Versuche den Anschein einer unpräzisen Differenzierung zwischen fides quae und fides qua erweckt, was letztlich dazu führt, dass die Herausforderung des melancholischen Agnostizismus in ihnen unzureichend reflektiert werden kann, wird mit dieser Studie eine detailliertere Begründung des Notwendigkeitscharakters religiöser Hoffnung angestrebt.

In dieser Absicht wird im dritten Kapitel die Rekonstruktion des moralphilosophischen und des religionsphilosophischen Ansatzes Kants unternommen, weil ja Kants moralischer Vernunftglaube die Grundlage aller oben referierten theologischen Versuche darstellt. So lässt sich unter der Wahrung der Idee des höchsten Guts auf der Ebene der fides quae zunächst die Hoffnung auf universale Versöhnung als eine der moralischen Bestimmung des Menschen angemessene Idee aufweisen, so dass diese Hoffnung gegenüber der Ablehnung durch den Protest-Atheismus verteidigt werden kann. Auf der Ebene des fides qua wird die subjektive Notwendigkeit der Hoffnung hervorgehoben, da der Mensch aus moralischen Gründen, wie die Solidarität mit den Leidenden, dazu verpflichtet ist, die universale Versöhnung zu wollen. Die Notwendigkeit dieses Hoffnungsvollzugs macht dabei die Selbsterhaltung der praktischen Vernunft selbst aus.

Doch im Jammertal des Lebens wird das Vertrauen in die moralische Weisheit Gottes so erschüttert, dass diese Hoffnung nur als Hoffnung wider alle Hoffnung erscheinen kann. Ist also eine begründete Hoffnung auf universale Versöhnung noch denkbar? Und wenn nicht, kann sein, dass die These Kants, Moral führe unumgänglich zu Religion, sogar eine Relativierung erleben kann?

Diese Reflexionen deuten darauf hin, dass die These Kants zu fides qua einer existenzial-anthropologischen Plausibilisierung bedarf, welche deren Angemessenheit als Vollzugsform praktischer Vernunft überprüft. Diese existential-anthropologische Begründung soll also bewirken, dass die religiöse Hoffnung im Hinblick auf die Dimension ihres Vollzugs eine Plausibilisierung bekommt, um damit den Anfragen des melancholischen Agnostizismus gerecht zu werden.

Perspektiven dieser Plausibilisierung des moralisch-prakti-schen Hoffnungsglaubens werden im abschließenden Kapitel entwickelt. Im Wesentlichen geht es hier um eine Transformation der praktischen Theodizee, indem die vorherrschende Logik der Rechtfertigung Gottes durch die Logik der Versöhnung aufgehoben wird. Weil dieser Vorschlag den religiösen Hoffnungsglauben mittels theologischer Überlegungen stützt, kann hier nicht der Anspruch einer philosophischen Beweisführung erhoben werden. Das erwartete Ergebnis der Studie, wird stattdessen als Verdeutlichung innerhalb des Glaubenshorizontes dargelegt.

Angesetzt wird dafür bei P. Ricœurs Beschreibung des Verhältnisses zwischen Gerechtigkeit und Liebe als gegenseitige Befruchtung, wo das Gerechtigkeitsprinzip stets an die konstituierende Liebe gebunden bleibt. Aus dieser Perspektive wird eine Interpretation der christlichen Inkarnation eröffnet, die einen Gott denkbar werden lässt, dem nichts Menschliches fremd ist. Dieser Gedanke, der im Anschluss an den offenbarungstheologischen Ansatz Th. Pröppers und anhand der Philosophie H. Blumenbergs entfaltet wird, impliziert nicht nur die göttliche Selbstmitteilung in der Welt und Hingabe an die Welt, sondern auch die Veränderbarkeit Gottes durch die Welt.

Damit wird die Vorstellung eines in der Geschichte lernenden Gottes möglich, »der zutiefst mitempfindet, was es bedeutet Mensch zu sein, und der in seinem innersten Wesen nicht mehr unabhängig von seinem ihm nun ebenso zukommenden Menschsein zu bestimmen ist« (356). Der Gedanke von einem Gott, der lernt, was es bedeutet, »zu sorgen, zu leiden und zu sterben« (H. Blumenberg), macht möglich, dass für Jesus selbst in Anbetracht der Abgründigkeit des Lebens ein Vertrauensverlust in die Versöhnungskraft göttlicher Liebe im Sinne des melancholischen Agnostizismus denkbar wäre (361). Aus innertrinitarischer Perspektive mag dies eine Änderung in Gott als »der Vater danach« bewirkt haben, ein Vater, der durch das irdische Schicksal des Sohnes betroffen wurde.

Wie zu erahnen, wird es denkbar, dass ein Gott, der gelernt hat, menschlich und endlich zu werden, auch die menschliche Perspektive eines jeden menschlichen Individuums annehmen kann, um eine Versöhnung zu ermöglichen. Das Kriterium für die ra-tionale Verantwortung des Hoffnungsvollzugs ist damit das subjektiv-nachvollziehbare Vertrauen in Gottes Liebe. Dadurch, dass dieser Hoffnungsvollzug aber niemals eine letztgültige rationale Rechtfertigung für sich beanspruchen kann, so die Schlussfolgerung dieser Studie, bleibt er stets einer gewissen Fragilität in existenzieller sowie begründungslogischer Hinsicht ausgesetzt.

Die intensive Studie wird von einem engagierten Geist getragen, der bis zuletzt um die Hoffnungsberechtigung ringt. Offenbar sollte der Titel eher von der Plausibilität der Hoffnung als von ihrer Fragilität trachten. Die Möglichkeit der Hoffnung im Sinne des christlichen Vertrauens ist eine überzeugende Veranschaulichung zu Kant.

Die Fragilität der Hoffnung, die hier beklagt wird, kommt daher, weil es keine letzte rationale Begründung für Hoffnung gibt. Aber kann man die religiöse Hoffnung überhaupt rational begründen? Als philosophischer Grenzbegriff, von dessen Tücken auch Kant Bescheid wusste (Kant 1766), steht die Hoffnung nicht nur in der Macht des Menschen. Rational unbegründet kann die Hoffnung als Befindlichkeit beschrieben werden.

Während die Förderung des Agnostizismus nach einer rationalen Begründung damit ins Leere gehen würde, und während die Faktizität der Hoffnung Resignation verdrängen kann, so wäre dann am Ende aller Wege mit Kant vielleicht die Möglichkeit gegeben, über die Religion als Gefühl nachzudenken. Schon allein deshalb ist das Buch sehr lesenswert.