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Ausgabe:

Dezember/2022

Spalte:

1193–1196

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Breytenbach, Cilliers

Titel/Untertitel:

The Gospel according to Mark as Episodic Narrative.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2021. XVI, 535 S. = Novum Testamentum. Supplements, 182. Geb. EUR 139,00. ISBN 9789004443334.

Rezensent:

Martin Meiser

Der hier anzuzeigende Band repräsentiert einen gewichtigen Teil der Lebensarbeit des emeritierten Berliner Neutestamentlers Cilliers Breytenbach, der die Markusforschung seit seiner Dissertation von 1984 (»Nachfolge und Zukunftserwartung«) kritisch be-obachtet und mit weiterführenden Beiträgen befruchtet hat.

In einem ersten Teil finden sich nach einem rezenten Artikel zur antiken Rezeptionsgeschichte (3–10) des Markusevangeliums zunächst u. a. frühe Beiträge zu dessen Eigenart als episodischer Erzählung (11–40) und zu Methoden der Markusforschung (66–105). Beide markieren von Anfang an eine eigenständige Position, Ersterer mit dem Verweis auf das Miteinander episodischer Komposition (manche Perikopen wie Mk 12,13–17.18–27 sind in der Reihenfolge austauschbar) und Makrostrukturierung durch Themen wie das Jüngerunverständnismotiv, Letzterer mit der Mahnung, dass trotz u. a. des Scheiterns der Redaktionskritik die Frage nach vormarkinischer Tradition nicht einfach sistiert werden dürfe; ein gangbarer Weg sei der Vergleich der von Markus, Q und EvThom unabhängig überlieferten Logien (83.99). Ein 2020 veröffentlichter Aufsatz (41–65) ist der Gattungsfrage gewidmet; nach dem Vergleich einiger antiker »biographischer« Texte (ob man vor Plutarch von einer regelrechten Gattung antiker Biographie sprechen kann, ist für B. fraglich) zum Markusevangelium erinnert B. daran, dass das Markusevangelium, anders als es der äußere Anschein der Konzentration auf die Hauptfigur Jesus nahelegt, der Frage der Königsherrschaft Gottes, der Schrifterfüllung und der Übereinstimmung Jesu wie der Glaubenden mit dem Willen Gottes gewidmet ist (60 f.). Aufsätze von 1999, 2013 und 2018 (106–118.142–176.119–141) benennen als Hintergrund der Jesus-Erinnerung im Markusevangelium wie in Q den ländlichen Raum des oberen Jordangrabens incl. des Sees Genezaret (bei Nazaret muss hingegen in Mk 1,9 extra gesagt werden, dass es zu Galiläa gehört). Vermutlich war Markus mit Kafarnaum und seiner Umgebung persönlich vertraut (135). B. plädiert 2013 dafür, unter Zuhilfenahme neuer gedächtnistheoretischer Forschung das communal memory dieser galiläischen Jesusbewegung zu studieren.

Ein zweiter Teil ist dem discourse des Markusevangeliums gewidmet. Die einheitliche Durchgestaltung hinsichtlich der Vergangenheitstempora ergibt (197–219), dass die Unterscheidung zwischen vormarkinischen Traditionen und Sammlungen und der redaktionellen Ebene des Evangelisten aufgrund sprachlicher Eigenheiten methodisch nicht gangbar ist (216). Quasi als Antwort darauf (220–232) wird ebenfalls 2019 formuliert, dass vormarkinische Tradition u. a. da in Umrissen greifbar wird, wo wie im Fall der Anbindung von Mk 3,27 an Mk 3,24–26 nur die Kenntnis des Aramäischen zum Verstehen verhilft. Innerhalb von Mk 8,27–10,52 ist, so B. (233–245), das Motiv des Weges mit der Kreuzesnachfolge Jesu, das Motiv des Hauses mit Anweisungen zur Lebensführung verbunden (244). 1997 legt B. dar (246–273), dass in Mk 12,36 Jesu Messianität von der zukünftigen Machtübernahme her verstanden wird, die in Mk 14,62 als Gericht über die Richter Jesu wirksam wird. In dem artikellosen κύριος in Mk 12,36 folgt Markus jüdischem Usus – somit fällt wieder ein Licht auf vormarkinische Tradition. Markinische Christologie sei keine Christologie der Gegenwart Jesu in der nachösterlichen Gemeinde, sondern habe ihren Fluchtpunkt in der erwarteten Selbstdurchsetzung der Gottesherrschaft. Eine textpragmatische Analyse zu Mk 13 (274–291) von 2017 lässt den Text als Aufforderung zur Treue, zur Wachsamkeit und zum Gottvertrauen angesichts der Unsicherheit des Termines des Endes verstehen.

Der dritte Teil beginnt mit »Grundzügen markinischer Gottessohn-Christologie« (295–314), einem Aufsatz von 1991, der forschungsgeschichtlich bemerkenswert ist, weil er schon damals den Primat der Synchronie vor der Diachronie nicht nur auf die Exegese einzelner Perikopen, sondern auf durchgreifende Themen anwendet (297 f.). Der anschließende Aufsatz (315–340) von 2006 beschreibt markinische Ethik als Nachfolge in Selbstverleugnung, Dienstbereitschaft, Treue zum Wort Jesu, Erfüllung des Willens Gottes, wie er vor allem im Deuteronomium expliziert ist, inmitten der in Mk 13,9–13 explizierten Situation der äußeren und inneren Anfechtung, aber im Warten auf die Selbstdurchsetzung der Herrschaft Gottes bei der Wiederkunft des Menschensohns. 2014 erschließt B. (341–357) aus Mk 14,41, dass auch die Formen von παραδιδόναι in Mk 9,31; 10,33; 14,21 nicht auf Gott, sondern auf Judas Iskariot als Urheber des Auslieferns Jesu verweisen (344). Mk 10,45 und 14,24 seien auf der Basis einer Verknüpfung von Mk 8,37 mit Jes 43,3 f.LXX zu interpretieren: Der Menschensohn gibt sein Leben im Austausch für das Lösegeld, das kein Mensch geben kann. Die griechische Tradition des stellvertretenden Sterbens zum Wohl des eigenen (politischen) Gemeinwesens sei von beiden Stellen fernzuhalten. In der unveröffentlichten Berliner Abschiedsvorlesung von 2019 (358–373) beschreibt B. die Leistungen des Markus wie folgt: Der Evangelist »de-politisiert Erwartungen, die mit der Christus-Bezeichnung verbunden werden konnten« (366); er verbindet Passionstraditionen mit der Logien- und der Erzähltradition (368); er deutet das Skandalon des Kreuzes als in Gottes Willen liegend, und er stellt Jesu Tod als Dienst an vielen dar »und gibt so das entscheidende Ethos für die Nachfolge des Gekreuzigten vor« (371).

Ein vierter Teil sammelt Aufsätze zum Thema »Before Mark«. In seinem Habilitationsvortrag von 1986 (377–392) macht B. auf den Unterschied zwischen stabilerer Wortüberlieferung und Erzählüberlieferungen ohne feste Textgestalt aufmerksam und verweist auf die Differenz (nicht: den Konflikt) zwischen vorliterarischem Sitz im Leben und literarischer Gestaltung; Markus war vermutlich selbst Lehrer und Mitgestalter mündlicher Tradition. 1992 expliziert B. (393–403) die theoretischen Grundlagen des Erzählens aufgrund von Erinnerungen: Dieses verläuft so, dass der Erzähler auf der Grundlage der aufgrund eigenen kulturellen Wissens angereicherten semantischen Textbasis, in die er die gehörte Phonemkette umgesetzt hatte, mit Hilfe seiner gedanklichen Vorstellung der grundlegenden Situation (z. B. Gastmahl) zu einer neuen Erzählung ausformt (400). Ebenfalls 1992 statuiert B. (404–432), dass manche meist eher thematisch als wörtlich parallele Traditionen den Blick auf vormarkinische Tradition freilegen, ähnlich wie dies gilt, wenn ein Einfluss semitischer Syntax vermutet werden kann. 2006 erwägt er zu Mk 7,9–13; 10,2–9 und 12,18–27 (433–455), dass Problemstellungen und Lösungen der hier angesprochenen Fragen dem Evangelisten wohl der Sache nach vorgegeben waren (Mk 7,15; 10,9; 12,27a), er sie aber mit Schriftzitaten weiter auskomponiert hat. Eine Untersuchung zum Dodekapropheton von 2009 (456–467) fragt nach dem Beitrag zur Sinngebung (Mk 14,28 ist nicht auf die Jüngerflucht, sondern auf die Ereignisse im Zusammenhang der Tempelzerstörung zu beziehen) und der Sprachgestalt (im Zitat von Mal 3,1 in Mk 1,2 liegt der hebräische Text zugrunde, in den sonstigen Anspielungen der griechische Text). Der Aufsatz »Das Evangelium nach Markus – Verschlüsselte Performanz« (468–497) von 2019 sucht die Entstehung des Markusevangeliums im Rahmen des Performance Criticism zu erklären: Vermutlich war der Evangelist einer der Performer, der seine Performances nachträglich verschriftlicht hat, ein Lehrer. Dafür sprechen der episodische Charakter wie die Argumentationstechnik vieler Chrien, in denen der mk Jesus zunächst die Prämissen der gegnerischen Argumentation aushebelt, bevor er zur Sache Stellung nimmt. Größere Einheiten, durch Leitmotive und verbindende Orts- und Zeitangaben zusammengehalten (1,16–3,12; 3,13–6,31), könnten die Segmente größerer Performances gewesen sein (492).

Der Band bietet vielseitige Anregungen. Stets ist streng methodenbewusst unter genauer Beobachtung der wesentlichen Forschungsfragen beides zusammengehalten, der Blick auf die mögliche Erkenntnis vormarkinischer Traditionen und die Frage nach dem Markustext als Ganzem, wobei sich B. gegenüber allzu ausgefeilter Narratologie zurückhaltend zeigt. Man kann dem Verfasser nur gratulieren und wird auf das Erscheinen des Kommentars im KEK gespannt sein.