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Ausgabe:

Dezember/2022

Spalte:

1183–1185

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Krasemann, Christoph

Titel/Untertitel:

Die »Biblia Sacra – Derekh ha-Kodesh« des Elias Hutter. Eine sprachdidaktische, kultur- und editionsgeschichtliche Analyse.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2021. XIII, 484 m. zahlr. Abb. = Arbeiten zur Kirchengeschichte, 148. Geb. EUR 123,95. ISBN 9783110738506.

Rezensent:

Matthias Morgenstern

In seiner im Sommer 2018 an den Universitäten Greifswald und Groningen verteidigten Dissertation untersucht Christoph Krasemann eine außergewöhnliche Ausgabe der hebräischen Bibel, die 1587 unter dem Titel Derekh Ha-Kodesh von dem lutherischen Gelehrten Elias Hutter (geb. 1553 in Görlitz, gest. ca. 1606 in Augsburg [?]) herausgegeben wurde. Hutter, in den Jahren 1577–1579 Professor für hebräische Sprache in Leipzig, hatte sich auch mit dem Griechischen, Syrischen und Äthiopischen beschäftigt und wirkte anschließend als Privatlehrer in Dresden, bevor er, um die Verbreitung des Hebräischen zu fördern, zunächst nach Rostock, dann nach Lübeck und Hamburg ging, wo seine Biblia Sacra erschien, ein in der Geschichte der Bibeleditionen einmaliges Projekt, das heilspädagogische mit sprachmystischen Intentionen verbindet. Die hebräische Wendung des Titels ist Jes 35,8 entnommen: Der »heilige Weg« ist die Bibel, die zum Heil führt, wenn Menschen sie in der von Gott gegebenen Offenbarungssprache zu lesen verstehen. Ohne die notwendigen Kenntnisse bleibt dieser Weg aber verschlossen. »Wer sich dagegen auf das Sprachenstudium einlässt«, so paraphrasiert der Vf., »kann sich der göttlichen Heilszusage gewiss sein, wobei die Methoden Hutters selbst Törichten ermöglichen, die göttliche Sprache zu lernen« (107).

Hutter lehnte die Verwendung von Grammatikbüchern ab, weil die Studenten mit ihnen nutzlos gequält würden: »[W]as hilft grosse Kunst [der Sprachen] / wenns der Einfältige nicht auch lernen unnd verstehen kann?« (59) Mit seiner Edition wollte er daher eine eigene didaktische Methode begründen, von der er offenbar annahm, dass sie ihm von Gott eingegeben worden war. Ausgehend von der Theorie einer adamitischen Ursprache, die die Menschen durch die babylonische Sprachenverwirrung verloren hätten, ging es ihm darum, das Hebräische mit einer auf ein Minimum reduzierten Regulatorik und durch graphisch und farblich im Bibeltext aufbereitete Signale einer möglichst großen Menge von Menschen zugänglich zu machen. Durch das Studium seiner Edition und unter Zuhilfenahme des zuvor erstellten Nachschlagewerks cubus alphabeticus, einer Zusammenstellung kombinatorischer Tafeln, mit denen Hutter zeigen wollte, dass die Ursprache einer bestimmten logisch erfassbaren Ordnung folgte, sollte das vollständige Erlernen der Sprache in nur einem Jahr möglich sein (40).

Das erste Grundprinzip der Methode Hutters ist die Unterscheidung von (in der »Biblia Sacra« komplett schwarz gedruckten) literae radicales und innen hohl gedruckten literae accidentales, »dienenden Buchstaben«, wie die Flexionsmorpheme bei ihm heißen. Daneben macht die Edition auch phonetische Veränderungen im Text kenntlich, indem wegfallende Buchstaben (z. B. bei hebräischen Verba primae nun, den Verba geminata oder Verb tertiae infirmae) im Petitdruck zusätzlich hinzugefügt werden (vgl. 130). Dadurch wird dem Leser geholfen, Formen grammatisch zu bestimmen. Hutters zweites Grundprinzip ist die Annahme einer allgemeinen Sprachenharmonie: Alle Sprachen sind durch Adams Ursprache miteinander verwandt. Bereits der Wittenberger Theologe Johannes Avenarius (1516–1590) hatte aus hebräischen Sprachwurzeln Ableitungen für das Griechische, Lateinische und auch Deutsche unternommen – das Darlegen einer möglichst großen Nähe zur Ursprache war von Bedeutung, »weil es nötig war, die deutschen Bibelübersetzungen vor der Kritik der römisch-katholischen Kirche zu schützen« (47). Hutter unternahm es in ähnlicher Weise, die angenommene harmonia linguarum durch Polyglottenbibeln konkret nachzuweisen. Neben seiner Hamburger Polyglotte (1596) auf Hebräisch, Griechisch, Latein und Deutsch steht die Nürnberger Polyglotte, ein Altes Testament in sechs Idiomen (1599), und Hutters zwölfsprachige Edition des Neuen Testaments (1600), die (neben einem syrischen und griechischen Text und Übersetzungen u. a. ins Deutsche, Italienische, Spanische, Französische, Englisch, Dänische und Polnische) auch ein vollständiges hebräisches Neues Testament enthielt. Bereits Eberhard Nestle bemängelte bei der NT-Polyglotte freilich die »Keckheit«, mit der der Herausgeber bestimmte Verse kreativ bearbeitete, »um sie einander näher zu bringen«, d. h. um ihre sprachliche Übereinstimmung nachzuweisen (59). Doch Hutter war der Überzeugung, dass sich alle Sprachen auf das von ihm angenommene (und rekonstruierte) integrale Urhebräisch auszurichten hatten. Mit Hilfe seiner Methode sollte es gelingen, ein neues Pfingsten vorzubereiten, um dem Reich Gottes den Weg zu ebnen.

Die sehr übersichtlich gegliederte Arbeit beginnt mit einer sprachdidaktischen Analyse (die Beispiele sind dem vom Vf. gewählten Text Num 22–24 entnommen), die in einen sehr instruktiven Vergleich der Vorgehensweise Hutters mit anderen Hebraisten seiner Zeit mündet (Elia Levita, Sebastian Münster, Johann Forster, Johannes Avenarius, Theodor Bibliander und Michael Neander).

Es folgt eine kulturgeschichtliche Analyse, beginnend mit einer Skizze der wichtigsten Entwicklungen vom Renaissance-Humanismus bis zur Konfessionalisierung (lesenswert hier ein Exkurs zur christlichen Kabbala) und Ausführungen zum Thema der Stellung der christlichen Hebraisten zum Judentum. Am Ende dieses Teils steht die Frage, warum Hutters Werk vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht (der Autor, der den Druck seiner Editionen selbst finanzieren musste, war am Ende seines Lebens hochverschuldet und musste fliehen, um der Haft zu entgehen) scheiterte. Der Vf. weist auf den mangelhaften Vertrieb seiner Werke hin, beanstandet die Qualität der Bücher, die »nicht rein philologischen Gesichtspunkten folgten, sondern vom theologisch-spekulativen Grundprinzip Hutters geleitet waren« und vermutet, dass Hutter die Nachfrage zu seinen Werken höher einschätzte, als sie tatsächlich war (364).

Der dritte Teil der Arbeit ist der editionsgeschichtlichen Analyse gewidmet. Der Vf. untersucht hier das Verhältnis zwischen der Nürnberger Polyglotte und Hutters Derekh ha-Kodesh-Text sowie die Quellen der letztgenannten Edition (u. a. die Hebräischen Bibeln an den Universitäten Leipzig und Rostock sowie handschriftliche Notizen Hutters).

Der Wert dieser lobenswerten Arbeit (der Rezensent stört sich nur an der erratischen Kommasetzung, die den Lesefluss stört, und einigen Redundanzen, die ein konsequentes Lektorat hätte beseitigen können) liegt in der überzeugenden geistesgeschichtlichen Einordnung Hutters in die christliche Kabbala der Frühen Neuzeit. Hutter träumte von der auf sprachdidaktisch-heilspädagogischem Weg zu erlangenden Restitution der durch den Fall verlorengegangenen Imago Dei. Diese Vorstellung korrespondierte mit der Idee einer vollkommenen hebräischen Sprache, deren Triliteralität die Trinität repräsentierte. Die Funktion dieser Sprache als Bindeglied von Gott und Mensch wird dabei besonders deutlich, wenn man nach Hutter den Menschen als minor mundus denkt. »Der Mensch als Mikrokosmos muss seine Anlagen harmonisch ordnen, um wieder in den göttlich vorherbestimmten Zustand der Gottebenbildlichkeit zurückzukehren« (85). Vor diesem Hintergrund wird der von dem Tübinger Hebraisten und Astronomen Schickard (1592–1635) wenige Jahre nach Hutter aus dem Talmud zitierte Satz verständlich, dass an einem hebräischen Buchstaben der Tora ganze Berge hängen: »non est in Lege vel unica litera, a qua non maximi montes suspensi sint« (Wilhelm Schickard, Bechinath Happeruschim. Hoc est Examinis Commentationum Rabbinicarum in Mosen Prodromus vel Sectio prima …, Tübingen 1624, 64).