Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2022

Spalte:

1165–1166

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Bröning, Michael

Titel/Untertitel:

Vom Ende der Freiheit. Wie ein gesellschaftliches Ideal aufs Spiel gesetzt wird,

Verlag:

Bonn: Dietz 2021, 147 S. = Dietz Standpunkte. 148 S. Kart. EUR 18,00. ISBN 9783801206253.

Rezensent:

Dietrich Korsch

Der Begriff der Freiheit erweist sich im gegenwärtigen politisch-kulturellen Diskurs als überaus unbestimmt. Das folgt, einerseits, aus der Signatur des Begriffs selbst. Stets nämlich muss sich Freiheit auf eine Basis gegebener Unfreiheit beziehen, um sich gegenüber dieser zu behaupten. Der Begriff der Freiheit weist insofern in sich selbst eine Abhängigkeit auf. Andererseits ist genau diese Abhängigkeit durch den Erfolg der liberalen Demokratien auf kapitalistischer Grundlage nahezu unsichtbar geworden, so dass in der aktuellen Diskussionslage Freiheit als unmittelbares Selbstwollen verstanden wird, ohne dass die präzise Frage, wovon sich die Freiheit abgrenzt und wie sie demzufolge zu bestimmen sei, überhaupt noch gestellt würde. Diese Lage des Freiheitsbegriffs kennzeichnet auch den »Zwischenruf« des Leiters der New Yorker Niederlassung der Friedrich-Ebert-Stiftung, Michael Bröning.

Seine Sorge ist, dass die Insistenz auf dieser Art unmittelbarer Freiheit »rechten« politischen Strömungen überlassen wird, weil sich die »Linke« eher auf einen Paternalismus der Fürsorge und Vorschriften kapriziert habe, der eine solche Freiheit einschränken wolle. Nun kann man diese These bereits aufgrund der zu einfachen Entgegensetzung von Rechts und Links für unscharf halten. Die Unterschiede zeigen sich ja, sobald man auch nur ansatzweise danach fragt, was unter den Folgen der Freiheit jeweils verstanden werden soll. Seine These kann B. nur deshalb vertre-ten, weil er selbst dem skizzierten abstrakten Freiheitsverständnis aufsitzt, das sich weder um seine begriffliche Schlüssigkeit noch um seine unterschiedlichen Gegenbegriffe der Abhängigkeit bemüht.

Das zeigt sich, um nur ein Exempel herauszugreifen, an der ungenauen Erörterung der von ihm beklagten Freiheitseinschränkungen zu Corona-Zeiten und dem befürchteten Freiheitsverlust in der digitalen Welt. Auf der einen Seite haben wir es mit nötigen gesellschaftlichen Reaktionen auf (selbstverständlich in sozialen Zusammenhängen) geschehene natürliche Evolution zu tun, die menschliches Leben bedroht; auf der anderen Seite um hochgradig menschengemachte, industriell aufgebaute und weltweit agierende Interdependenzverhältnisse, die unser alltägliches Leben prägen. Auf beides mit einem identischen, scheinbar »liberal« verfassten Freiheitsbegriff reagieren zu wollen, führt auf der einen Seite zur Verharmlosung der Bedrohung, auf der anderen Seite in Illusionen unmittelbar möglicher Mitbestimmung.

Man könnte dieselben Schwierigkeiten auch an den anderen Themenkomplexen zeigen, die B. durchaus berechtigter Kritik unterzieht: die cancel culture, die Identitätspolitik, bestimmte Diskussionen über den Klimawandel. In allen diesen Fällen bedürfte es einer genauen historisch-gesellschaftlichen Analyse, um das – an sich sympathische – Freiheitsanliegen des Autors erfolgreich zur Wirkung bringen zu können. Das »Ideal der Freiheit«, das B. am Ende des Buches beschwört, reicht für klare Einsichten und praktische Eingriffe nicht aus, sondern kommt nicht über einen allzu schlichten (geradezu FDP-nahen) Allgemeinbegriff hinaus.