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Ausgabe:

November/2022

Spalte:

1118–1120

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Biehl, Michael, Hopp, Traugott, Jahnel, Claudia, Kisskalt, Michael, Stahl, Hanna, u. Klaus Vellguth [Eds.]

Titel/Untertitel:

Witnessing Christ. Contextual and Interconfessional Perspectives on Christology.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2020. 246 S. m. 1 Abb. = Towards an Ecumenical Missiology, 1. Kart. EUR 29,00. ISBN 9783170381728.

Rezensent:

Christine Lienemann-Perrin

Im Jahr 2011 publizierten der Ökumenische Rat der Kirchen, der Päpstliche Rat für interreligiösen Dialog und die Weltweite Evangelische Allianz das Dokument »Christliches Zeugnis in einer multireligiösen Welt« und empfahlen es ihren Mitgliedskirchen zur Beratung. Im Sammelband Witnessing Christ greifen 29 Autoren und Autorinnen aus Afrika, Nordamerika, Nahost, Europa, Asien, Lateinamerika und Ozeanien die Anregung auf. Die versammelten Christus-Zeugnisse haben ihren »Sitz im Leben« in höchst verschiedenen sozio-ökonomischen Kontexten und kulturellen Lebensräumen. Sie bilden die enorme gewachsene Vielfalt innerhalb der Weltchristenheit ab. Berücksichtigt werden katholische, verschiedene protestantische, freikirchliche und evangelikale Traditionen. Ohne Stimmen der Orthodoxie und der Pfingstkirchen fehlen freilich wichtige Beispiele kontextueller Christologie im globalen Horizont, wie die Reflexionsgruppe zurecht einräumt. Die bewusst in Kauf genommene Beschränkung kommt aber der interkonfessionellen und interkontextuellen Kommunikation der Beitragenden untereinander zugute, die sich vor allem in den vergleichenden Beiträgen des Herausgeber-Teams niederschlagen. Die Beiträge sind im Juli 2019 auf einer Tagung in Mainz vorgetragen, danach überarbeitet und mit Empfehlungen für die Weiterarbeit am Thema publiziert worden. Christologie – Ökumene – Mission bilden zusammen den Reflexionsrahmen der Beiträge.

Christologie: Wie ein Leitmotiv liegt den Beiträgen die Frage Jesu an die Jünger zugrunde: »Für wen haltet ihr mich?« (Mk 8,29) Schon im Neuen Testament werden verschiedene Bilder verwendet: Herr (kyrios), Retter, guter Hirte, Lamm, Knecht, etc. An diese Tradition knüpfen die Beiträge an. Faith Lugazia (Rwanda) fragt nach der Bedeutung Jesu in einer Bevölkerung, die unter ungerechten kulturellen Traditionen leidet. Herkömmliche Vorstellungen der Königsherrschaft in ostafrikanischen Ländern kontrastiert sie mit Jesus, dem servant leader. Der in Beirut lehrende Holländer Wilbert van Saane stellt christologische Ansätze im Kontext von Libanon und Palästina vor, wo christliche Kirchen als religiöse Minderheiten leben. Er geht neben dem arabischen und palästinischen Christus auch auf den galiläisch-phönizischen Jesus ein, den der Libanese Karim El Koussa nicht im jüdischen Kontext des 1. Jh.s, sondern im Kontext der antiken Religion Kanaans deutet.

Ökumene: Nur wenn es gelingt, die wachsende Kontextualisierung mit der ökumenischen Gemeinschaft in Kirche und Theologie zu verbinden, kann von Weltchristenheit (Sg.) gesprochen werden. Dass kontextuell bedingte theologische Diversitäten zugleich neue Herausforderungen an das Verständnis von ökumenischer Gemeinschaft und Einheit mit sich bringen, zeigen die Beiträge des Bandes. Uniformität als Modell ökumenischen Lehrens weicht dem globalen Austausch kontextueller Entwürfe. Das einander Zuhören und behutsame Annähern hat Vorrang, ehe Gemeinsamkeiten des Christuszeugnisses benannt werden. Lisanne Teuchert (Bochum) skizziert Ansätze zur Christologie im deutschen Pro-testantismus und deren ökumenisch-missiologische Relevanz. Als einziger unter den berücksichtigten Entwürfen stellt Teuchert mit Michael Welkers Christologie (2012) eine multi-kontextuelle Perspektive vor. Er verbindet die Christologie mit einer ekklesiologischen und ökumenischen Perspektive. In Europa Missionstheo-logie zu treiben, heisst für ihn in erster Linie, auf die Christus-Zeugnisse aus anderen Teilen der Welt zu hören. Ambrose Mong (Indien) präsentiert den christologischen Ansatz von Michael Amaladoss, der im Schnittpunkt von Christentum und Hinduismus liegt und den man im Unterschied zur innerchristlichen Ökumene als Beitrag zur interreligiösen Ökumene bezeichnen könnte. Dieser hat die Christusgläubigen ausserhalb der Kirche bzw. die Universalität eines Christus im Blick, der sich nicht auf kirchliche Dogmen reduzieren lasse. Das hinduistische Konzept des Avatar (Inkarnation Gottes) wird als Gemeinsamkeit zwischen christlichem und hinduistischem Inkarnationsverständnis gedeutet; freilich werden auch bleibende Unterschiede benannt.

Mission: Mit dem vielfältig gewordenen Christuszeugnis wachsen auch die kontextuellen Verständnisse der Mission. In Gesellschaften, die sich als postmissionarisch verstehen, ist die Weitergabe des Glaubens anders gefordert als in Ländern mit einer langen Tradition interreligiösen Zusammenlebens, und wiederum anders als in Staaten, die eine nichtchristliche Mehrheitsreligion gegenüber allen anderen Religionen privilegieren. J. Jayakiran Sebastian hat nach seiner Lehrtätigkeit in Indien eine weitere in den USA aufgenommen. Er schildert, wie eindeutige Identitäten und Zugehörigkeiten aufgrund globaler Migrationsbewegungen zunehmend durcheinandergeraten und geographische, konfessionelle sowie ethnische Unterscheidungen als Identitätsmerkmale obsolet werden. Unter diesen Vorzeichen muss eine ökumenische Missionstheologie neu ausbuchstabiert werden.

Zwei weitere Beiträge geben Einblick in chris-tologische De-batten Lateinamerikas und ein weiterer in den Umgang mit der Jesus-Frage durch Menschen im pazifischen Raum. Aufs Ganze gesehen fällt eine Konvergenz zwischen den meisten Beiträgen des Sammelbandes auf: der Vorrang einer »Christologie von unten«. Damit ist die Hoffnung auf Christus gemeint, der den Menschen, die unter Unrecht, Armut und Elend leiden, in Knechtsgestalt (Phil 2) begegnet und ihnen Hoffnung auf ein Leben in Fülle (Joh. 10,10) gibt. In der Konzentration auf dieses Chris-tus-Zeugnis bildet sich die heutige Weltchristenheit mit ihrem Schwerpunkt in den Ländern des globalen Südens ab. Der Sammelband liest sich mit Gewinn und kann als Anregung zu weiteren Studien zum Thema empfohlen werden.