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Ausgabe:

November/2022

Spalte:

1116–1118

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Aktaş, Musa

Titel/Untertitel:

Die Christologie des Philoxenus von Mabbug. Studien zu den drei Traktaten über die Trinität und die Menschwerdung des Gott Logos mit Edition und Übersetzung des syrischen Textes.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz 2020. XVI, 674 S. m. 6 Tab. = Göttinger Orientforschungen. I. Reihe: Syriaca, 57. Geb. EUR 98,00. ISBN 9783447114271.

Rezensent:

Matthias Binder

Östliche und westliche Gelehrsamkeit gehen in dieser Studie eine mehr als wünschenswerte Verbindung ein. Der Autor Musa Aktas¸ ist aktiver Lehrer (malfono) in seiner Syrisch-orthodoxen Kirche. Von ihm liegt nun diese Bonner Dissertation über einen zentralen Lehrtext des Philoxenus vor. Dieser war 485–518 Metropolit im syrischen Mabbug/Manbidsch und verstarb 523 im Exil. Er gilt als einer der wichtigsten Theologen seiner Kirche: neben reichlichen Bearbeitungen zu spirituellen, exegetischen und christologischen Themen ist sein Neuübersetzungsprojekt der Bibel bekannt, die Philoxeniana. Um ihn und mit ihm formierte sich eine Partei neu, die gegen das Konzil von Chalcedon stand, und die sich später kirchlich selbstständig machen sollte. In dieser Studie ist also der Autor seinem Gegenstand sowohl kirchlich verbunden als auch sprachlich. Das zeigt wohl die Leichtigkeit, mit der originale Primär- und Sekundärtexte zitiert werden. Wo die syrische Kirchensprache noch Familientradition ist, stellt das einen großen Gewinn dar. Bei A. geht das so weit, dass von ihm klassisch-syrische Neudichtungen bei Youtube abrufbar sind, nicht zuletzt eine zu Ehren des Philoxenus von Mabbug.

Die Liste mit Editionen und Einzelstudien zu Philoxenus beinhaltet schon viele Namen der westlichen, aber eben auch östlichen, syrisch-orthodoxen Forschungsgemeinde. Bemerkenswert ist aber, dass wir zu Philoxenus nun erstmals eine Dissertation und eine Übersetzung in deutscher Sprache haben. Eine Arbeit zu den drei Traktaten »Über die Trinität und die Inkarnation« hatte bislang gefehlt. Da diese Texte vergleichsweise wenig an Apologetik und vielmehr an positiver Darstellung interessiert sind, waren sie gute Kandidaten für eine solche Premiere. A. bietet einen bio-bibliographischen Rahmen (85 S.), eine philologische und theologische Analyse (190 S.), den Text in deutscher Übersetzung (165 S.) und die syrische Edition (200 S.). Man wird das Buch nicht nur als »Studien«, sondern als klassischen Gesamtüberblick der Christo-logie des Philoxenus bezeichnen dürfen.

Im Einführungsteil (Kap. 1,I) finden wir eine hilfreiche Liste der interessierenden Werke des Bischofs, nach Textgattungen sortiert und mit Angaben zu Edition und Übersetzung. Eine kürzere Tabelle ist chronologisch angeordnet. Dieselbe wird im Weiteren bio-graphisch breit ausgeführt (II.–VI.). Der Vorzug der Darstellung, die die Texte in ihrer Entstehungssituation belässt, liegt auf der Hand. Dazu wird nicht wenig aus der Feder des Metropoliten zitiert. Freilich musste die strenge Chronologie mitunter unterbrochen werden: wo der Kirchenmann im Rückblick schreibt; wo auf termini ante quem vorgegriffen werden muss. Die einschlägigen griechischen Chroniken werden herangezogen; ausführlicher aber die syrischen, auch die späten.

Der materiale Teil zur Christologie, die eigentliche systematische Darstellung (Kap. 2,V–VII.), stellt zu verschiedenen Stichworten Aussagen aus dem gesamten Werk des Philoxenus zusammen. So entsteht ein sehr brauchbares Bild seiner Denkweise. Wer weiter forschen will, etwa um die Einzelwerke passgenauer in das differenzierte Spektrum der christologischen Debatte einzuordnen, findet einen guten Ausgangspunkt. Eine zentrale Maxime lautet nach Philoxenus (Kap. 2,VI.9; V.2.1): das göttliche Sein (īṯūṯō) ist so zu denken, dass es ein Werden (hwōyō) einschließt. Dies geht nicht von Vernunftgründen aus, sondern Glaubenssätzen wie »das Wort wurde Fleisch« (Joh 1,14). Solches Werden ist nicht vergleichbar mit geschöpflichem Werden, da jenes Veränderung beinhaltet, das göttliche aber nicht. Das Werden des Logos aus Marien Mutterleib (Gal 4,4), genauso sein Sterben sind nicht Veränderung, sondern sind göttliches Wesen schon immer. Solche Gedanken sind Grundlage dafür, dass eine Lehre von »zwei Naturen in Christus« nicht akzeptabel ist: dies würde das Annehmen (daq, nqaf) einer anderen Natur voraussetzen, und damit eine Änderung (Kap. 2,V.1.1). Christi Annehmen (nsab) der menschlichen Knechtsgestalt (Phil 2,5) muss daher wiederum als Teil jenes Werdens begriffen werden. (»Werden« steht im Deutschen näher an Veränderung als hwōyō im Syrischen.) Vielleicht darf man, um einmal eine diachrone Betrachtungsweise zu strapazieren, herauslesen, dass Philoxenus’ Christologie der einen Hypostase eher im apologetischen Kontext der dissertatio gegen Ḥabib (nach 480) wichtig ist, aber keine Spezialität der drei Traktate (IV.9). – Neben Weiterem bietet A. auch die trinitätsheologische (VI.) und mariologische (VII.) Einordnung.

Voran stellt er die Hermeneutik des Kirchenmanns, welche fast an historische Exegese erinnert (Kap. 2,III.). Hermeneutisch sollte man auch das Kapitel nennen, welches zeigt, wie Philoxenus den Glauben der Erkenntnis voranstellt (II.). Das Kapitel macht begreifbar, warum Philoxenus so sehr auf seiner Position (und Polemik) verharrt, obwohl (oder weil?) hier die Vernunft ausdrücklich an ihre Grenzen stößt. Ein weiterer hermeneutischer Abschnitt (IV.) untersucht, mit welchen sprachlichen Mitteln Philoxenus Christologie an die Adressaten vermittelt.

Zu den Neudatierungen: eine Frühdatierung des Briefs an Patricius (52 f.) scheint mir möglich, hat aber eine schwache Basis: wenn der Metropolit von Mühen der »Verwaltung« (dubbore) spricht, dann meint das nicht notwendig Schwierigkeiten mit dem Patriarchen Flavian. – Die Frühdatierung zweier Briefe, entgegen der Aussage ihrer Überschriften, welche sie ins Exil verlegen (65), überzeugt dagegen. Man sollte sie aber nicht nur an den emotionalen Äußerungen des Philoxenus festmachen. Vielmehr scheint mir unmöglich, dass der Metropolit zum Umgang mit chalzedonensisch gesinnten Bischöfen (66) im Exil noch Anweisungen gibt.

Die drei Traktate schätzt A. als Nachfolgeschriften zu den Briefen an die Klöster von Beth Gaugal ein. Beide Textkörper zeigen eine Kommunikation mit den Adressaten, die ein gemeinsames Setting denkbar macht. Als wichtigeres Argument arbeitet A. neun inhaltliche Punkte heraus, in welchen sich beide Textkörper besonders nahestehen, näher als anderen Philoxenus-Schriften. Auffällig hier die Nennung des Gegners Theodor von Mopsuestia, welcher damals in Beth Gaugal stark rezipiert war. Auch etwa die Anforderung geistlichen Fortschritts für theologische Erkenntnis – ein monastischer Zug – ist beiden gemeinsam. Diese Adressaten-Hypothese für die drei Traktate bedingt aber eine Frühdatierung. Dafür wiederum dürfte die Analyse von Bibelzitaten in den drei Traktaten das stärkste Argument sein. A. zeigt, dass hier noch der Text der Pschitta genutzt wird. So sollte die Entstehung der Philoxeniana ab 507 als terminus ante quem angesehen werden. Ferner zeigt A., dass de Halleux’ Argumente für ein Datum nach 512 nicht zwingend sind.

Trotz Vaschaldes Edition des einzig erhaltenen Manuskripts haben die Herausgeber entschieden, den syrischen Text neu abzudrucken. In rund 40 Fällen bestätigt A. Vaschaldes Emendierung, in rund 50 Fällen macht er Vaschaldes Emendierung (und Druckfehler) rückgängig, in 60 Fällen emendiert A. über Vaschalde hinaus.

Der im Werk angekündigten Edition auch der Briefe des Philoxenus sehen wir gern entgegen.