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Ausgabe:

November/2022

Spalte:

1093–1095

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Breul, Martin, Langenfeld, Aaron, Rosenhauer, Sarah, u. Fana Schiefen

Titel/Untertitel:

Gibt es Gott wirklich? Gründe für den Glauben. Ein Streitgespräch.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2022. 160 S. Kart. EUR 18,00. ISBN 9783451387357.

Rezensent:

Raphael Weichlein

In einem innovativen Format haben vier junge Theologinnen und Theologen nach Gründen für den Glauben an Gott gefragt. Dass die Titelfrage des Buches »Gibt es Gott wirklich?« von allen mit Ja beantwortet wird, mag wenig überraschend sein. Das Neue liegt vielmehr in der Konzentration der Frage auf genau vier Argumentationsmuster, deren Rekonstruktion und Transformation sowie den wechselseitigen Repliken aller Beteiligter aufeinander.

Aaron Langenfeld interpretiert das ontologische Argument für die Existenz Gottes insofern, als er es existenzphilosophisch mit der Erfahrung von Liebe in Zusammenhang bringt. Wenn (a) die Erfahrung der Liebe als dasjenige aufgefasst werden kann, worüber hinaus Größeres nicht geschehen kann, und zugleich (b) der Begriff dessen, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, mit dem idealen Begriff der Liebe identifiziert wird, dann wäre es im Sinne eines performativen Selbstwiderspruchs praktisch unmöglich, (a) zu bejahen und (b) auszuschließen: »Es ist ausgeschlossen, im Alltag die Erfahrung von Liebe als Sinngrund des Daseins und Begründung des Handelns in Anspruch zu nehmen, und gleichzeitig den Begriff der Liebe als ideale Form eines Selbstseins in Beziehung zu verwerfen.« (31) Im christlichen Sprachgebrauch werde die Liebe als dasjenige, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, mit Gott identifiziert. (34) Die Problematik des Zirkelschlusses sei insofern nicht gegeben, da einerseits hermeneutische Zirkel grundsätzlich unvermeidbar seien und zudem ein Schluss in abduktiver Form vorliege (34).

Der kosmologischen Argumentation widmet sich Fana Schiefen, die diese als metaphysische Spekulation mit integrativer und religionskritischer Funktion deutet. Im Anschluss an Alex Hutter fragt Schiefen, ob im Gottesbegriff selbst ein kritisches Moment zu finden ist. Demnach läge die argumentative Kraft des kosmologischen Arguments nicht mehr in apologetischer oder missionarischer Absicht, sondern »in ihrem jeweiligen Beitrag zur Aufklärung und Diskursivität der Glaubensüberzeugungen« (61). Hierbei nimmt Schiefen Winfried Löfflers Anforderungen an philosophische Argumente für die Existenz Gottes in den Blick, das sie auf die kosmologische Argumentation anwendet: (a) ein empirischer Ausgangspunkt; (b) ein weltanschaulicher Rahmen, der, hier liegt nach Schiefen die integrative Pointe, »umfassender sein kann als einzelne wissenschaftliche Theorien« (62); (c) Vermeidung eines unendlichen Erklärungsregresses; (d) Klärung der Eigenschaften Gottes, wodurch mithilfe des kosmologischen Arguments, das ein »eigenartiges Zwitterphänomen« zwischen naturwissenschaftlichen und theologischen Zugängen markiert, sich bedeutende Transformationsschübe des Gottesbegriffs vollzogen hätten. Schiefen nennt panpsychistische, panentheistische, prozess- und ökotheologische Ansätze (64 f.), womit eben auch religionskritische Momente einhergingen.

Eine Reinterpretation der kantischen Postulatenlehre für die Existenz Gottes nimmt Martin Breul vor. Auch wenn in der Kant-Exegese strittig sei, ob die objektive Evidenz des Sittengesetzes die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele postulatorisch denknotwendig mache, sei zumindest von deren Denkmöglichkeit auszugehen (89). Breul benennt daraufhin drei Stellschrauben, an denen die Postulatenlehre Kants in einem heutigen Kontext modifiziert werden kann: (a) Im Sinne einer »Metaphysik der Lebensdeutung« könne im Anschluss an Rudolf Langthaler eine existenzialanthropologische Wendung der Postulatenlehre vorgenommen werden. Die existenzielle Kluft zwischen der eigenen Unzulänglichkeit und der Bedürftigkeit nach umfassender Verwirklichung bedinge ein existenzielles Gefälle, das theologisch als Erlösungsbedürftigkeit bezeichnet werden könne (95 f.). (b) Eine »postulatorische Theologie« könne sich nicht auf die apriorische objektive Evidenz des Sittengesetzes zurückziehen, sondern müsse sich in konkreten Kontexten verorten, was sich im solidarischen Handeln für Marginalisierte und Entrechtete festmache, womit auch mit der Perspektive für die Opfer der Geschichte Anliegen der Kritischen Theorie miteinbezogen wären (97 f.). (c) Mit Sebastian Maly könne von einem »moderaten theologischen Realismus« ausgegangen werden, der die ontologische Unabhängigkeit der göttlichen Wirklichkeit vom Erkenntnissubjekt wahrt, ohne diese völlig von jeglicher Lebenspraxis zu entkoppeln (100). Schließlich läge in der Postulatenlehre mit ihrer Betonung der Hoffnung, des Vertrauens und der Optionalität ein Gegenpol gegenüber allzu starken Gewissheitsbehauptungen vor, welches auch für das Spannungsfeld von Religion und Politik fruchtbar zu machen ist (101).

Sarah Rosenhauer nährt sich schließlich dem Argument aus religiöser Erfahrung und wagt sich hierbei an die Frage, ob »das Wunder zu retten« ist (122 f.). Neben ontologischen, epistemischen, theologischen und normativen Einwänden, die allesamt gegen das Vorkommen von Wundern im strengen Sinn sprächen und von Rosenhauer nicht bestritten werden, weise zumindest die Möglichkeit von Wundern auf zwei bedeutende Alteritäten hin: (a) das Andere unserer Freiheit und (b) das Andere der Natur. Bezüglich (a), dem Anderen der Freiheit, formuliert Rosenhauer pointiert, dass »wir Wunder wollen sollen, nicht obwohl, sondern gerade weil sie das Prinzip der Autonomie infragestellen« (124). Freiheit müsse zu sich selbst befreit werden durch Interaktion mit dem Anderen. Neues könne nicht erfunden sowie Können und Wissen nicht überschritten werden, es sei denn im Charakter der Widerfahrnis (131). Bezüglich (b), dem Anderen der Natur, sei in Erinnerung zu halten, dass es »die Natur« unabhängig von begrifflichen Praktiken ihrer Erschließung, Deutung und Gestaltung nicht gebe, sofern man nicht einem naiven Empirismus anhangen möchte. Rosenhauer spricht hierbei mit anderen von einer Zweiten Natur, also einer »Ordnung, die unser Wirklichkeitsverständnis in begrifflich-normativer Weise bestimmt« (134). Wunder durchbrächen demnach nicht die Natur, sondern die Zweite Natur, das heißt »eine normative Ordnung, die sich gegenüber den Menschen verselbstständigt hat und gewaltförmig geworden ist« (137). In diesem Sinne ließen sich verschiedene Wundererzählungen Alain Badious, Christoph Menkes sowie Franz Rosenzweigs und Eric L. Santners als Erfahrungen der Befreiung und Freisetzung von Freiheit deuten (137–143).

Neben der bereits genannten dialogischen Form des Buches ist es ein Verdienst der Autorinnen und Autoren, der Frage nach der Existenz Gottes nicht einseitig historisierend oder rein quellenbezogen nachgegangen zu sein, sondern innovative Reformulierungen der vier Argumentationsmuster vorgelegt zu haben: die Verbindung von ontologischem Argument mit existenzphilosophischen Überlegungen (Langenfeld), von kosmologischer Argumentation mit Religionskritik (Schiefen), die kantische Postulatenlehre mit einer »Metaphysik der Lebensdeutung« und Kritischer Theorie (Breul) sowie die Frage nach Wundern und die Notwendigkeit von Alteritätserfahrung (Rosenhauer). Der jeweils eigene Theologieansatz ist stark in die Transformation der Argumentationen verwoben, was jedoch kein Manko ist, sondern unerwartete Querverbindungen offenlegt und zum eigenständigen Weiterdenken anregt. Kritische Leserinnen und Leser werden allerdings auf inhaltlicher Ebene die Wortmeldung dezidiert atheistischer Kontrahenten bezüglich der Gottesfrage wenigstens aus dem deutschsprachigen Raum vermissen (H. Albert, A. Beckermann, K. Flasch, N. Hoerster u. a.). Ob schließlich die jeweiligen Repliken und Kommentare, die grundsätzlich wohlwollend-affirmativ gehalten sind und nur einzelne Aspekte kritisch hervorheben, wirklich als »Streitgespräch«, so der Untertitel, zu bezeichnen sind, darf angefragt werden. Im guten Sinne popularisierend wird das Buch werden, wenn durch es eine Neugier zu erzeugen gelänge, dass gerade ›nach Kant‹ im heutigen Kontext über die Existenz Gottes mit guten Gründen gerungen werden kann. Eine weite Verbreitung ist ihm daher zu wünschen.