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Ausgabe:

November/2022

Spalte:

1082–1084

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Gäb, Sebastian

Titel/Untertitel:

Religionsphilosophie.

Verlag:

Baden-Baden: Nomos Verlag 2022. 242 S. = Studienkurs Religion. Kart. EUR 24,00 ISBN 9783848765805.

Rezensent:

Martin Hailer

Der Band erscheint in der Reihe »Studienkurs Religion«, die sich an Studentinnen und Studenten der Religions- und Kulturwissenschaft sowie der religionsbezogenen Lehrämter richtet. In 14 Kapiteln nicht zufällig semesterkompatibel soll er – zusammen mit Auszügen aus den in jedem Kapitel referenzierten Klassikerlektüren – als Grundlage für ein entsprechendes Seminar dienen. Sein Autor, Sebastian Gäb, ist Professor für Religionsphilosophie an der Philosophischen Fakultät der LMU München.

Die Kapitel 1-8 befassen sich mit dem Religionsbegriff und seinen Problemen, die Kapitel 9–12 thematisieren den Gottesbegriff und dabei insbesondere die Frage der Gottesbeweise, die letzten beiden behandeln das Theodizeeproblem und die Frage nach der Unsterblichkeit bzw. dem ewigen Leben.

Zum Religionsbegriff: Es geht zunächst um die schiere Unmöglichkeit, eine zureichende Definition zu formulieren. Jenseits essentialistischer und funktionalistischer Religionstheorien optiert der Vf. mit J. Waardenburg für ein offenes Religionskonzept, nach dem es eine Reihe Dimensionen – u. a. rituelle, dogmatische und ethische – von Religion gibt, die sich aber nicht in eine eindeutige Konzeption fügen. Die dann folgenden Betrachtungen zur Religionskritik sind durchaus typisch für den ganzen Band: Es wird eine eigenständige Systematisierung geboten, die gelegentlich Klassiker – hier: Marx und Freud – heranzieht, sich aber nie hinter der Problemgeschichte versteckt. Zugleich bezieht der Vf. eine freundlich-skeptische Position. Das Anliegen der Religionskritiker wird als verständlich benannt, im Einzelnen aber sehen sich die argumentativen Strategien mit einiger Kritik konfrontiert. So wird der evolutionären Erklärung von Religion vorgehalten, dass die Kenntnis der Entstehung einer Überzeugung nie auf ihre Wahrheit oder Falschheit schließen lässt. Dem Irrationalitätsvorwurf entgegnet der Vf., dass niemand nur von Überzeugungen lebt, die er oder sie komplett durchgeprüft hat – Evidentialismus ist ein unsinniges Unterfangen. In Sachen Religion und Vernunft werden der Rationalismus und die reformierte Erkenntnistheorie (A. Plantinga) debattiert, ausführlich kommt der Vf. dann auf Pascals Wette zu sprechen. Ihre Prämisse vom unendlichen Gewinn des Glaubens wird kritisiert. Freilich diskutiert der Vf. nicht, ob es sinnvoll ist, ausschließlich mittels des Nutzenkalküls über Glauben zu sprechen. Betrachtet man Pascals Wette isoliert, legt sich das nahe, für ein Gesamtbild aus den Pensées aber kaum. Es folgen Kapitel über religiöse Erfahrung und über die Vielfalt der Religionen. Zu Letzterem wird das bekannte Dreierschema Exklusivismus – Inklusivismus – Pluralismus besprochen, wobei dem Pluralismus John Hick’scher Machart pointiert und mit guten Gründen bescheinigt wird, er sei ein »verkappter Inklusivismus einer Meta-Religion« (86). Vor diesem Hintergrund erstaunt allerdings die Schlussfolgerung am Kapitelende: »Pluralismus impliziert also nicht Toleranz, Toleranz ist Pluralismus.« (92) Denn diese Toleranz kann dann kaum tolerant, sondern nur inklusiv-gönnerhaft sein. Im Abschnitt über Religion und Moral wird u. a. Kants moralisches Gottespostulat auf hilfreiche Weise schematisiert (119). Bekannten Wegen (I. G . Barbour u. a.) folgt das Kapitel über Religion und Naturwissenschaft. Der Unterabschnitt zur Wunderfrage schließt sich eng an David Humes Definition an und partizipiert entsprechend an dessen Einseitigkeit, die Durchbrechung eines Naturgesetzes zur conditio sine qua non eines Wunders zu erheben. Die theologische Diskussion (D. Evers., H. Schulz u. a.) kritisiert diese Engführung schon länger.

Die Kapitel zum Gottesbegriff beginnen mit einer längeren Besprechung des klassischen Theismus. U. a. Prozesstheologie und Open Theism gelten als Alternativen, trinitarisches Gottesdenken spielt allerdings keine Rolle. In diesem und in den folgenden Kapiteln zu den Gottesbeweisen wird die Beheimatung des Vf.s in der jüngeren analytischen Religionsphilosophie besonders deutlich. Freilich gehört er an ihren skeptischen Rand: Die ksomologischen Argumente werden deutlich in Zweifel gezogen, für etwas plausibler hält er dagegen das teleologische Argument, auch wenn es als Beweis scheitert. Das ontologische Argument in der Anselm’schen Version wird mit ausführlichem Bezug auf Kant als Verwirrung über den Unterschied von Begriff und Gegenstand verworfen. So muss in Sachen Plausibilität der Gottesbeweise gelten: »Das Ergebnis ist bisher allerdings eher ernüchternd.« (199) Die Theodizeefrage ist nicht geeignet, diese Ernüchterung zu verkleinern. Es werden vier Strategien der Theodizee vorgestellt: Dualismus, Augustins privatio-boni-Argument, das (Hiob zugeschriebene) Geheimnis-Argument und die Behauptung, Leiden rechtfertige sich durch den Gewinn höherer Güter. Letzteres wird in Gestalt der free-will-defense diskutiert und in Zweifel gezogen: Gott darf Übel erlauben, die den Wert der Freiheit nicht übersteigen und die weder sinnlos noch vermeidbar sind, was aber offenbar nicht der Fall ist. Im Rahmen theistischer Prämissen ist die Theodizeefrage also unlösbar. Das gilt, so ist zu ergänzen, zumal, wenn wie hier, ausschließlich eine doktrinäre Form gesucht und die Möglichkeit authentischer Theodizee allenfalls beiläufig erwähnt, aber nicht diskutiert wird. Das Schlusskapitel befasst sich mit Seele, Tod und Unsterblichkeit. Dualistische Vorstellungen, u. a. Descartes’ Seelenbegriff, werden verworfen und nicht besser ergeht es den Ideen einer Auferstehung: »Entweder es gibt physische Kontinuität – aber dann geraten wir in unlösbare technische Probleme; oder es gibt keine physische Kontinuität – aber dann gibt es keine Auferstehung, oder zumindest keine Auferstehung von mir.« (228) Im Rahmen des Theismus der analytischen Tradition und seiner objektivistischen Anmutungen wird man kaum weiterkommen können. Dass die biblisch induzierte Rede vom ewigen Leben bei Gott mit dieser Überlegung aber nicht gemeint sein kann, hätte der Vf. anmerken dürfen, zumal er sich auf sie beruft (225). Ein literarisch gestütztes (J. L. Borges, Der Unsterbliche) Lob der Endlichkeit beschließt den Band.

Unbeschadet der zu befragenden Details gilt, dass ein echtes Studienbuch vorgelegt wurde: Es hat einen klaren, zum Mitvollzug einladenden Stil, die Leseempfehlungen sind gut ausgewählt und nicht »erschlagend« zahlreich, auch beginnt jedes Kapitel mit einer Zusammenfassung und endet mit Diskussionsfragen. Die Religionsphilosophie analytischer Tradition stellt sich mit diesem Band frisch, aktuell und zur Diskussion einladend vor.