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Ausgabe:

November/2022

Spalte:

1052–1054

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Ehmann, Johannes

Titel/Untertitel:

Geschichte der Evangelischen Kirche in Baden. Bd. 2: Die Kirche der Markgrafschaft.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2021. 807 S. Geb. EUR 148,00. ISBN 9783374068500.

Rezensent:

Ulrich Oelschläger

Mit dieser umfangreichen Monographie legt Johannes Ehmann den zweiten Band seiner auf drei Bände angelegten »Geschichte der Evangelischen Kirche in Baden« vor. Bereits in der Wortwahl für den Titel des umfangreichen Werkes deutet sich an, dass »Baden« in dem in der Monographie umfassten Zeitraum kein einheitliches politisches Gebilde ist, sondern dass die mehr oder weniger selbständigen Landesteile, so verbunden sie auch durch verwandtschaftliche Beziehungen sein mochten, erst gegen Ende der dargestellten Periode zu einer Markgrafschaft zusammenwuchsen, die durch den Reichsdeputationshauptschluss im Jahre 1803 zum Kurfürstentum (für drei Jahre) und zum Großherzogtum wurde. So bildet die historisch-politische Entwicklung des badischen Gebiets, vor allem das landesherrliche Kirchenregiment, insgesamt den Referenzrahmen für die evangelische Kirchenbildung in Baden. Dabei stellt E. detailliert dar, wie sich die kirchliche Entwicklung dem politischen Willen der Obrigkeit einerseits unterordnet, sich andererseits im Laufe der Zeit gegenüber dem Staat behauptet, vor allem dann im 18. und 19. Jh., als der katholische Landesteil Baden-Baden mit Baden-Durlach zusammenwächst.

Der Band beginnt im 16. Jh. und führt bis zu Kurfürst und Großherzog Karl-Friedrich, der zu Beginn des 19. Jh.s die 1821 für Baden vollzogene Union vorbereitete. Den Plan, angesichts des 200-jährigen Unionsjubiläums 2021 die Darstellung bis zum Jahr 1821 zu führen, konnte E. nicht ganz verwirklichen. Der Band ist reich ausgestattet mit Abbildungen, vor allem der handelnden Personen und zahlreicher Ansichten von Originaldrucken. Der unkundige Leser wird in »Kästchen« mit Sacherklärungen versorgt, z. B.: »Evangelische Kirchenordnungen«, »Interimistischer und Adiaphoristischer Streit«, »Phasen des Dreißigjährigen Krieges«. Zusätzlich werden viele Quellen ausführlich zitiert, grau unterlegt und in Kursivdruck abgehoben, wobei dies nicht immer konsequent durchgehalten ist (s. 99 f.183 f.). Die Fülle von Quellenwiedergaben und die Erörterung von Positionen einer ebenfalls breit zitierten inzwischen historisch zu nennenden Literatur verleiht dem Werk die Qualität eines Arbeitsbuches, das sich auch auf die detaillierte Darstellung regionaler bis lokaler Begebenheiten einlässt. Dies sowie die breiten Quellenwiedergaben unterbrechen zwar den Lesefluss, werden allerdings der regionalen wie lokalen Struktur einer kleinen Markgrafschaft, umgeben von mächtigeren Territorien wie Württemberg, Bayern, vor allem auch durch Habsburg, sowie der Pfalz in besonderer Weise gerecht. Theologische Einflussnahme von württembergischer, aber auch von pfälzischer und Schweizer Seite einschließlich von »Importen« einzelner Theologen werden ausführlich erörtert. Dabei spielen Erbfolge und Vormundschaften über minderjährige Prinzen, u. a. aufgeteilt zwischen Württemberg und der Pfalz, eine wichtige Rolle. Beispiel dafür ist der Streit um die Konkordienformel (140 ff.). Hilfreich für den Charakter des Arbeitsbuches wäre allerdings, wenn neben dem Personen- auch ein Orts- und Sachregister angeboten würde. Gegliedert ist die Monographie in drei Teile, wobei der erste Teil– »Reformation und evangelische Kirchengeschichte bis zu Markgraf Karl Friedrich (1530–1728)« – mit 441 Seiten der umfänglichste bleibt. So enthält dieser Teil elf weiter untergliederte Kapitel. E. leitet diesen Teil ein durch eine Definition von Kirche gemäß der CA und die Darstellung der Vorgeschichte der badischen Reformation, wobei sich gewisse Schnittmengen zum ersten Band der Geschichte der Badischen Kirche ergeben. E. beschreibt dann im zweiten Kapitel die Reformation Karls II. Im Zentrum steht dabei die Analyse der Badischen Kirchenordnung von 1556, auf die bis 1770 immer wieder zurückgegriffen werden musste, nachdem mehrere Versuche zur verbindlichen Einführung einer neuen nicht zuletzt durch mangelnde Einigkeit zwischen der Recht setzenden Obrigkeit und den Theologen scheiterten, zuletzt 1743.

Dem Streit um die Konkordienformel ist das dritte Kapitel gewidmet. Dabei wird hier wie im Folgenden unter württembergischem Einfluss der politische Wille zum Festhalten am Konkordienluthertum teilweise durch reformierten Einfluss konterkariert. Der reformierte Einfluss kam besonders bei Markgraf Ernst Friedrich (1577–1604) zum Tragen. Mit dem »Stafforter Buch« von 1599 vollzog Ernst Friedrich seinen Anschluss an die reformierte Theologie, während sein Bruder Jakob III, Hochberger Markgraf zum Katholizismus übertrat. Durch frühen Tod der beiden sollten ihre konfessionellen »Abwege« aus Sicht der Lutheraner, die den frühen Tod Ernst Friedrichs als Gottesgericht verstanden, insgesamt wirkungslos bleiben. Letztlich sollte der Streit der Brüder, begleitet von Religionsgesprächen, zur Festigung des Konkordienluthertums führen. Der Rekatholisierung der Markgrafschaft Baden-Baden nach kurzem lutherischen Intermezzo ist ein kurzes Kapitel gewidmet, um dann auf die evangelische Pfarrerschaft einzugehen. Hier werden neben den sozialen Bedingungen und der Dienstaufsichtsstruktur auch einzelne Persönlichkeiten vorgestellt. Den Markgrafen Friedrich V. (1622–1659), Friedrich VI. (1617; 1659–1677) und Karl (III.) Wilhelm (1676; 1709–38) sind drei Kapitel gewidmet, die ihre religiösen Konsolidierungsversuche in Auseinandersetzung mit Theologen und auch einsetzenden pietistischen Strömungen zeigen. Auf Bekenntnis, Lehre und Frömmigkeit wie auf Bildung und Unterricht wird in eigenen zwei Kapiteln eingegangen. E. stellt die Entwicklung in den allgemeinen kirchen- und theologiegeschichtlichen Rahmen, wobei das Eindringen des Pietismus auf Markgräfin Augusta Maria von Holstein-Gottorp zurückgeführt wird, ohne dass ein in sich ho-mogener badischer Pietismus dadurch entstand.

Der zweite Teil der Monographie widmet sich ausschließlich dem Zeitalter Karl Friedrichs (1728–1806/11). Die sieben Kapitel dieses Teils beschäftigen sich mit dem lange erfolglosen Ringen um eine Kirchenordnung und den »Synodalbefehlen« seit 1756, die vor allem sittliche Vorschriften enthalten. Die Theologie entwickelt sich in dieser Zeit im Spannungsfeld zwischen Orthodoxie, Pietismus und Aufklärung. Von besonderem Interesse in diesem Teil dürfte die Darstellung der konfessionellen Probleme sein, die sich durch die Vereinigung der lutherischen Teile, an der Spitze der lutherische Markgraf, mit dem katholischen Baden-Baden ergaben. Die nicht vorhandene konfessionelle Homogenität führte zu Spannungen zwischen dem ius circa sacra und dem ius in sacra. Die Kirchenhoheit lag beim Fürsten, der damit auch die staatliche Kirchenaufsicht wahrnahm, die Kirchengewalt blieb bei den Katholiken und Protestanten. Im Zusammenhang mit dieser konfessionellen Struktur standen auch polemische Auseinandersetzungen, die auch zu einem Prozess führten. Die Entwicklung der Kirchengeschichte analysiert E. in diesem Teil auch durch Beschreibung von bekannten Personen der Geistesgeschichte, die sich am Karlsruher Hof aufhielten, wie Klopstock, Lavater, Jung-Stilling. Wichtig in diesem Teil ist das Kapitel 17, in dem E. die Unionsbemühungen des beginnenden 19. Jh.s schildert, vor allem die Verhandlungen Johann Michael Holtzmanns. Wie auch in Preußen, so brauchte die Union, die auch politisch motiviert war, einen gewissen Vorlauf vor ihrer Vollendung 1821. Der relativ kurze dritte und letzte Teil schließlich widmet sich, diesmal in einem Längsschnitt – im Unterschied zu den Querschnitten im ersten und zweiten Teil – der evangelischen Gemeinde im 18. Jh., anderen Gruppen; Spiritualisten, Täufern und Juden, bietet einen Exkurs zu Hexenverfolgung und Zauberei und beschreibt in einem Epilog das Ende einer Epoche, endend mit dem Tod Karl Friedrichs.

E.s Monographie bietet einen umfangreichen und tiefen Einblick in eine wichtige Epoche der badischen Kirchengeschichte in ihrer Interdependenz mit der badischen Profangeschichte, wobei er eine Fülle von Quellen bearbeitet und präsentiert. Er schafft damit eine gute Grundlage für weitere Arbeiten über den Gegenstand.