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Ausgabe:

November/2022

Spalte:

1040–1042

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Heil, John Paul

Titel/Untertitel:

Galatians. Worship for Life by Faith in the Crucified and Risen Lord.

Verlag:

Cambridge u. a.: James Clarke & Co (Lutterworth Press) 2021. 174 S. Kart. £ 30,00. ISBN 9780227177570.

Rezensent:

Martin Meiser

Das Buch des an der Catholic University of America in Washington lehrenden Theologen reiht sich ein in eine Liste zahlreicher Bücher des Verfassers zur neutestamentlichen Briefliteratur, in denen er den performanzkritischen Ansatz und ein umfassendes Konzept von »Worship« präsentiert, das Ritus wie Ethos gleichermaßen umgreift. Die Paulusbriefe sind in liturgischen Versammlungen vorgetragen worden und nehmen Elemente liturgischer Sprache auf. Dementsprechend handelt John Paul Heil in der Introduction nicht die üblichen Einleitungsfragen ab (er favorisiert mit Felix John die südgalatische Hypothese; über Datierungsfragen erfährt man nichts), sondern die performanzkritisch erarbeitete Gliederung des Galaterbriefes, dergemäß der Brief aus 13 in sich chiastisch strukturierten Einheiten besteht. Diese Strukturierungen werden nicht anhand theologischer Themen, sondern anhand lei-tender Begriffe gewonnen (z. B. ἄνθρωπος und χάρις für Gal 1,1–10; εὐαγγελίζομαι für Gal 1,11–24); eine theoretische Diskussion dazu wird in diesem Buch nicht explizit geführt. Neu sind die Zäsuren zwischen Gal 3,16/17 und Gal 5,13/14, ungewöhnlich ist, dass Gal 4, 8–20 anhand der Leitbegriffe εἰδότες/οἶδα und πάλιν, Gal 6,1–18 (sic!) aufgrund der Leitbegriffe ἀδελφοί, πνεῦμα und βαστάζω als Einheit genommen werden. Diese 13 Großabschnitte lassen sich in kleinere Einheiten untergliedern, die oft in sich bereits eine chiastische Struktur aufweisen. Die kurze Einführung zu »Worship of Life as a Key Theme of Galatians« (22 f.) verweist u. a. auf Akte des epistolary worship in Gal 1,1–5; 6,18 (die Semantik dieses Syntagmas hat sich mir nicht erschlossen) und auf Akte des doxodogical worship in Gal 1,5. Das Stichwort »Leben« umgreift eschatologisches Leben hier auf Erden und postmortale Existenz.

An einzelexegetischen Entscheidungen (sie werden zumeist in Anlehnung an Andrew Boakye, Gordon Fee, Martinus de Boer, Douglas Moo und Thomas Schreiner getroffen) ist zu notieren: Das Syntagma διὰ νόμου in Gal 2,19a weist auf die Wendung οὐ ... ἐξ ἔργων νόμου (Gal 2,16) zurück; Gal 2,20 weist auf Gal 5,14–26 voraus (55; inwiefern in Gal 2,20 auf »cultic worship« angesprochen sein soll, ist mir nicht deutlich geworden; das Stichwort taucht auch in der Auslegung von Gal 5,14–26 nicht auf). Die »Verheißung des Geistes« bezieht sich nicht auf den verheißenen Geist, sondern auf das verheißene eschatologische Leben, das die Gläubigen durch die Rechtfertigung aus Glauben erhalten und das der Geist zur Vollendung bringen wird (71). Dem Versklavtsein unter den als dämonisch wirksam verstandenen »Elementen der Welt« entspricht funktional das Versklavtsein unter dem Fluch des Gesetzes (Gal 3,10) und unter der Sünde (84.91). Folgerichtig seien manche der in Gal 5,19–21 genannten Weisen des Fehlverhaltens als Erinnerung der Adressaten an ihre »heidnische« Vergangenheit gedacht (126). Der Imperativ in Gal 4,27 wird als Aufforderung zum laudatory worship verstanden (152). Die (m. E. nicht plausible) Deutung des Begriffes »Fleisch« auf die Beschneidung in Gal 5,13 (118) setzt sich in der Interpretation von Gal 5,19–21 fort: Die Warnung richtet sich gegen das durch die Wirren um die Beschneidung bedingte, in Gal 5,15 benannte Fehlverhalten. Das »Gesetz Christi« (Gal 6,2) ist (134 f.) Christi Neudefinition von Lev 19,18 in Form seiner Selbsthingabe (Gal 2,20).

Richtig sind der Verweis auf transitional words und der Bezug auf den jeweiligen Verbalaspekt (55, zu συνεσταύρωμαι Gal 2,19; 100, zu γεγέννηται Gal 4,23). Anregend sind manche anhand bestimmter Begriffe gewonnenen intratextuellen Bezüge (z. B. 71 von Gal 3,14 zu Gal 3,2.5; 80 von 3,27 zu Gal 2,19 f., 86, von Gal 4,5 zu Gal 3,14, 95 von Gal 4,19 auf Gal 2,20); insgesamt ergibt sich so eine bisweilen durchaus dichte Lektüre.

Was ist das Buch als Ganzes, und für wen ist es geschrieben? Zur erstgenannten Frage: Der Vf. bezeichnet das Buch als study (22); es ist aber als Kommentar angelegt, was sich auch im Aufbau der Conclusion (148–154) spiegelt. Zur zweiten Frage: Die Introduction lässt in den einleitenden Worten (1f.) wissenschaftliche Thesen erwarten, weniger (wofür die schmale Bibliographie sprechen könnte) ein pastoral reading. Manche Passagen des Buches könnten sich für einen solchen Zweck eignen, doch müsste auch ein pastoral reading, das sich als Anregung akademischer Wissenschaft versteht, hermeneutisch reflektierter sein. So müsste man auch denen, die für die Beschneidung nichtjüdischer Christusgläubiger eintraten, ein eigenes theologisch verantwortetes Konzept von worship zubilligen. Dass Abraham bereits das »Evangelium Christi« empfangen haben soll (68), mag von der späteren Konzeption der »Gerechten des Alten Bundes« her inspiriert sein, ist aber nicht von Gal 3,8 f. gedeckt.

Liest man das Buch als intendierten Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion, steht man immer noch vor der Frage, ob man das Buch als Durchführung einer Hauptthese in Kommentarform oder als Kommentar mit Durchführung einer Hauptthese lesen soll. Im ersteren Fall sollten Behauptungen hinsichtlich bestimmter Strukturen besser begründet werden (δοθεῖσα/ἔδωκαν hat in Gal 2,9a.c, ἀλλήλοις in Gal 5,15.17 verschiedene Referenz! Andere behauptete Parallelen erweisen sich als wenig tragfähig [19 νόμον Gal 6,2.13; 89 εἰδότες Gal 4,8/οἴδατε Gal 4,12]). Die Behauptung chiastischer Strukturen innerhalb der 13 Großeinheiten ist zwar einer der am häufigsten wiederholten Sätze (der Satz The … element of this chiastic unit forms a chiastic pattern in itself begegnet zur Kommentierung von Gal 1,6–2,14 allein neunmal, 28.33.35.40.43.44.45.50.53), der exegetische Ertrag wird aber nicht immer deutlich (positive Ausnahme: Gal 2,19.21 [57]), auch nicht in der Conclusion. Plausibel ist der Gedanke, dass die Paulusbriefe in der Gemeindeversammlung mündlich vorgetragen wurden. Jedoch ist die Erforschung der ursprünglichen Form dieser Versammlungen und eines wie auch immer gearteten liturgischen Bewusstseins für diese frühe Zeit mangels ergiebiger Quellenlage notorisch schwierig. Verhältnisse, wie sie Justin, 1.apol. 67 beschreibt, dürfen nicht ohne weiteres auf die Zeit 120 Jahre früher zurückprojiziert werden. So lässt sich der Gedanke kaum sinnvoll konkretisieren.

Liest man das Buch als Kommentar, so ist festzustellen, dass wichtige Fragestellungen, die man von jedem wissenschaftlichen Kommentar erwarten darf, nicht berücksichtigt werden, etwa textkritische Probleme (z. B. zu Gal 2,4 f.; 3,14; 4,25; 4,31–5,1; 5,8), exegetische Vexierfragen (z. B. Gal 2,16 [ἔργα τοῦ νόμου]; 3,19a [τῶν παραβάσεων χάριν].20; 4;2.29 [ἐδίωκεν]; 5,11 [Bezugspunkt des ἔτι]), Detailprobleme der Einleitungsfragen (z. B. zu Gal 6,12 f.), Gesichtspunkte der Epistolographie und der Textpragmatik einzelner Abschnitte (dazu hat bereits Theodoret von Kyros treffliche Beobachtungen beigebracht) sowie vor allem hermeneutische Probleme (z. B. zu Gal 1,8 f.; 2,1–14; 5,11 f.; 6,12 f.). Die lebhafte Diskussion um rhetorische Unzulänglichkeit und theologische Problematik der paulinischen Argumentation wird ebenso wenig berücksichtigt wie die Debatte um die »New Perspective on Paul« und die »Radical New Perspective«. Die galatische Konfliktlage tritt überhaupt nicht deutlich vor Augen; das Eigenprofil des Galaterbriefes im Vergleich etwa zum Römerbrief wird nicht expliziert. Religionsgeschichtliches Vergleichsmaterial wird äußerst selten und nicht anhand von Originaltexten beigebracht. Die Forderung des Hieronymus, ein Kommentar solle obscura disserere, manifesta perstringere, in dubiis immorari (Comm. Gal., CC.SL 77 A, 158), ist hinsichtlich der obscura und der dubia m. E. nicht eingelöst.